Gustav Rau (Kunstsammler)

Gustav Rau (Kunstsammler)
Pressekonferenz der deutschen UNICEF als Universalerbin von Dr. Rau (2008); von links: Klaus Gallwitz u. Jürgen Heraeus

Gustav Rau (* 21. Januar 1922 in Stuttgart; † 3. Januar 2002 bei Stuttgart) war ein deutscher Arzt, Philanthrop und Kunstsammler.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Gustav Rau wurde als einziger Sohn eines Stuttgarter Industriellen geboren. 1941 wurde er zur deutschen Wehrmacht eingezogen und desertierte wenig später aus der Armee. Nach Kriegsende nahm er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften auf, das er mit der Promotion abschloss. Er trat in die väterliche Firma ein, ein Zuliefererbetrieb der Autoindustrie in Stuttgart, die er bis in die 60er Jahre leitete. Rau nahm noch während dieser Zeit ein Studium der Medizin auf, das er 1969 ebenfalls mit der Promotion abschloss. Er spezialisierte sich auf Tropenmedizin und Pädiatrie. 1970, nach dem Tod des Vaters, verkaufte er das Familienunternehmen und gründete am 22. Oktober 1971 zwei Stiftungen: Die Dr. Rau'sche Medizinalstiftung mit Sitz in Zürich und die Dr. Rau'sche Kunststiftung mit Sitz in St. Gallen.

Von 1974 bis 1993 arbeitete er als Tropen- und Kinderarzt in Nigeria und im Kongo. In Ciriri bei Bukavu im Osten des Kongo errichtete er ein Krankenhaus, in dem er bis 1993 arbeitete. Hier wurden Tausende Kinder und Erwachsene behandelt und mit Nahrungsmitteln versorgt. Außerdem finanzierte Rau für 30 000 Kinder pro Jahr den Schulbesuch, und er richtete eine Bibliothek ein. 12 Jahre nach Gründung von Hospital und Schule stirbt im Umkreis von 12 km kein Kind mehr an Unterernährung. [1] Heute wird das Hospital vom Erzbistum Bukavu betrieben und von der deutschen Sektion von UNICEF unterstützt.

Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes musste Rau in den 1990er Jahren nach Europa zurückkehren. 1997 erlitt er in Monaco einen Schlaganfall, in dessen Folge das Tribunal de Grande Instance de Monaco einen amtlichen Vermögensverwalter einsetzte.

Als Rau am 3. Januar 2002 starb, hinterließ er ein millionenschweres Erbe und, da er nicht verheiratet und kinderlos war, unklare Erbverhältnisse. Rau hatte in seinen letzten Jahren verschiedene Testamente verfasst, in die er unterschiedliche Erben, zuletzt die deutsche UNICEF eingesetzt hatte. Die Testamente wurden mehrmals von ihm widerrufen, sie wurden von verschiedenen Seiten angefochten und beschäftigten Gerichte in Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein und Monaco. Als Begründung wurde Handlungs- und Unzurechnungsfähigkeit angeführt. Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten wurden die Rechte der UNICEF gerichtlich bestätigt.

Die Kunstsammlung

Gerard Dou: Die Köchin

1958 kaufte Rau seinen ersten alten Meister, das Bild Die Köchin des Niederländers Gerard Dou. Das war der Beginn seiner einzigartigen Kunstsammlung. Von nun an besuchte er regelmäßig die Auktionen in London, Paris und New York, um seine Sammlung zu erweitern. Bis 1997 kamen mehr als 700 Gemälde, Skulpturen und kunsthandwerkliche Stücke zusammen. Die Sammlung enthält hervorragende Beispiele der abendländischen Malerei vom 14. Jahrhundert bis zur Klassischen Moderne, darunter herausragende Gemälde wie El Grecos expressiven Heiliger Domenikus, Auguste Renoirs Frau mit der Rose, Camille Pissarros Portrait von Jeanne und Paul Cézannes La mer à l’estaque, eins der Blumengemälde von Odilon Redon sowie Werke von Cranach, einen frühen Guido Reni, Bilder der Impressionisten Claude Monet, Edgar Degas, Max Liebermann, neben  frühen italienische Tafelbildern und Werken der Renaissance, des Manierismus und des Barock.

In einem unterirdischen Tresorraum im Zollfreilager Embraport des Flughafen Zürich-Kloten wuchs in aller Stille und unbemerkt von Presse und Kunstszene, allerdings unter den wachsamen Augen Schweizer Behörden, eine der größten und wertvollsten privaten Kunstsammlungen unserer Zeit heran. Zwar wurden gelegentlich Leihgaben aus Raus Sammlung bei internationalen Ausstellungen gezeigt, meistens gekennzeichnet als „aus einer Schweizer Privatsammlung“ , die nach der Ausstellung wieder im Tresor verschwanden. Umfang und Qualität der Sammlung blieben jedoch bis zur ersten großen Pariser Schau ein bald von Mythen umranktes Geheimnis, zumal der Sammler wortkarg und äußerst pressescheu war.

1999 bewilligte das EDI gegen der Einspruch der Liechtensteiner Cremola Stiftung, die sich als Besitzer der Sammlung betrachtete, die Ausfuhr von rund 100 Bildern für eine Ausstellung in Japan, mit der Auflage, dass die Bilder nach Ende der Ausstellung auf direktem Weg in die Schweiz und nicht über Deutschland zurückgebracht würden, um einen Zugriff wegen etwaiger Ansprüche Deutschlands zu verhindern. 11 Gemälde wurden allerdings nur nach Embrach zurückgebracht, die übrigen gingen nach Frankreich. Einen Eindruck vom Rang der Sammlung Rau vermittelte dann die große Ausstellung im Musée du Luxembourg in Paris, die von Marc Restellini in Absprache mit Rau kuratiert, in Paris von über 300 000 Besuchern gesehen wurde und anschließend in Rotterdam, in der Josef-Haubrich Kunsthalle in Köln, in München und Bergamo gezeigt wurde. Realisiert werden konnte die Ausstellung nur dank der listenreichen Geschicklichkeit Restellinis, dem es gelungen war, die Bildern der Sammlung für die Ausstellung nach Paris zu bringen, was zu Verstimmungen von Seiten der Schweizer Diplomatie führte, die die Ausstellung als illegal betrachteten. [2]

Der Wert der Sammlung soll sich auf geschätzte 500- bis 750 Millionen Euro belaufen [3]. Bei einer Versteigerung von acht Werken aus der Sammlung bei Sotheby's im Jahr 2008 erbrachte ein auf 300.000 Britische Pfund geschätztes Triptychon von Taddeo di Bartolo allein 1,9 Millionen und eins der seltenen Porträts Tintorettos einen für diesen Altmeister bisher nicht erreichten Rekordpreis von 1,6 Millionen Britischen Pfund. Der Gesamterlös betrug insgesamt 6,2 Millionen Pfund, [4]

Die Stiftungen

Nach dem Verkauf der elterlichen Firma gründete Rau eine Reihe von Stiftungen zur Verwaltung und Alimentierung seiner sozialen und humanitären Projekte, sowie zur Pflege seiner ständig wachsenden Kunstsammlung. Bei der Auswahl der Vertrauenspersonen, die die Stiftungen verwalteten, hatte Rau offenbar keine glückliche Hand, da sich sowohl Bilder als auch Geldvermögen auf bisher noch nicht geklärte Weise verflüchtigten.

Die Dr. Rau'sche Kunststiftung

Am 22. Okt. 1971 gründete er die Dr. Rau'sche Kunststiftung mit dem Sitz in St. Gallen in der Schweiz. Zweck der Stiftung war die „Förderung der bildenden Künste, namentlich durch Errichtung einer Sammlung von Werken der bildenden Kunst und des Kunstgewerbes und durch Schaffung und Unterhalt eines oder mehrerer Kunstzentren im In- und Ausland“. Am 23. April 2004 wurde die Stiftung durch Beschluss des Stiftungsrates aufgelöst.

Die Dr. Rau'sche Medizinalstiftung

Ebenfalls am 22. Oktober 1971 gründete er die Dr. Rau'sche Medizinalstiftung mit Sitz in Zürich. Stiftungszweck war die "Linderung von Not und Elend in der Dritten Welt". Am 25. Juni 2007 fusionierte die Stiftung mit der Fondation Rau pour le Tiers Monde und erhielt den neuen Namen Dr. Rau Stiftung, mit Sitz in Zürich. Als Stiftungszweck wird jetzt genannt "Unterstützung grundlegender Lebensbedürfnisse der unterprivilegierten Bevölkerungsschichten der Dritten Welt, vornehmlich durch Bereitstellung von Mitteln für Kranke, zur Verhütung von Krankheiten, zur Förderung der Familienplanung, der Emanzipation der Frau“.

Fondation Rau pour le Tiers Monde

Am 24. September 1986 gründete Rau die Fondation Rau pour le Tiers Monde (= Stiftung Rau für die Dritte Welt) mit Sitz in Zollikon in der Schweiz. Erklärtes Ziel und Zweck der Stiftung war die Unterstützung von verarmten und benachteiligten Bevölkerungsschichten in der Dritten Welt, insbesondere auf den Gebieten des Gesundheitswesens, der Familienplanung, der Emanzipation der Frau und des Grundschulwesens. Die Fondation trat bei mehreren Kunstausstellungen als Leihgeber auf, bzw. veräußerte Gemälde bei Auktionen.

Die Crelona Stiftung

Am 16. Januar 1987 wurde die "Crelona Stiftung" mit Sitz in Vaduz gegründet. Alleiniger Zweck der Stiftung war die Sicherung den Lebensunterhalts von Gustav Rau zu Lebzeiten. Rau unterschrieb auf Rat seines Schweizer Anwalts einen Schenkungsvertrag, in dem er seine Kunstsammlung der "Crelona Stiftung" vermachte. Die entsprechende Schenkung wurde jedoch nicht vollzogen, d.h. die Bilder verblieben im Schweizer Zollfreilager. Am 4. Juli 1997 wurde der Vertrag von Rau vor dem Fürstlichen Landesgericht in Vaduz angefochten, mit dem Ergebnis, dass die Vertreter der "Crelona Stiftung" die Unwirksamkeit des Schenkungsvertrags anerkannten: „wegen absichtlicher Täuschung ...oder wegen Irrtums“ [5]. Daraufhin behauptete sein Schweizer Anwalt, Rau sei handlungsunfähig geworden, woraufhin ihm Rau sämtliche Mandate entzog, was wiederum zu langwierigen Auseinandersetzungen vor den einschlägigen Gerichten führte.

Ausstellung der Sammlung im Arp Museum Rolandseck

Im Oktober 2008 vereinbarte die UNICEF mit dem deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz, den von Rau selbst ausgewählten Kern der Sammlung in Form von 95 Werken, die bis 2026 zusammenbleiben müssen, im Arp Museum Bahnhof Rolandseck auszustellen. Weitere 135 Werke sollen nach und nach zugunsten des Stiftungsvermögens der UNICEF versteigert werden und werden bis dahin ebenfalls dem Arp Museum zur Verfügung stehen.[6]

2009/2010 wurden in drei Teil-Ausstellungen Werke der "Kunstkammer Rau" unter folgenden Aspekten im Arp-Museum gezeigt:

  • "Tiepolo und das Antlitz Italiens" (6 große Fresken von Giandomenico Tiepolo und italienische Kunst von der Frührenaissance bis zum Barock)
  • "Das Auge des Sammlers" (Dokumentation seiner Auswahlkriterien und Motive)
  • "Superfranzösisch" (französische Kunst aus allen Epochen vom Mittelalter bis zum Impressionismus)

Einzelnachweise

  1. Die geheime Sammlung des Doktor Rau. In: Art. Heftarchiv, Ausg. 1/2001 [1]
  2. Der Louvre des Afrika-Arztes. In: Berliner Zeitung. 17. Juli 2001 [2]
  3. ZEITMagazin Nr. 11. 5. März 2009
  4. Auktionsrekorde Alte Meister 2008. [3]
  5. Gustav Rau und seine Kunstsammlung. Unicef 2008. [4]
  6. dpa: Kunstsammlung Rau kommt ins Arp Museum. 28. Oktober 2008 14:12

Weblinks

  • Aspekte der Stiftungsaufsicht am Beispiel der Stiftungen des Dr. Gustav Rau. Bericht der Geschäftskommission des Ständerates vom 7. April 2006. [5] PDF
  • Anfrage 572 von Claudio Zanetti. (Unabhängigkeit der Zürcher Justiz im Rechtsstreit um die Rau'sche Kunstsammlung. Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich. 19. April 2006. [6]
  • Unicef-Stiftung. Das bewegte Leben des Dr. Rau. [7]

Literatur

  • Meisterwerke von Fra Angelico bis Bonnard. Fünf Jahrhunderte Malerei. Die Sammlung des Dr. Rau. Genf, Mailand 2000. ISBN 88-8118-916-x

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