- Günther Tschanun
-
Günther Tschanun (* 13. September 1941 in Wien[1]) ist ein Schweizer Architekt, der wegen Mordes verurteilt wurde.
Inhaltsverzeichnis
Tathergang und Vorgeschichte
1984 wurde der Architekt Chef der Zürcher Baupolizei. Diese befand sich in einer Umbruchphase, litt unter Personalknappheit und einem enormen Druck durch den zuständigen Stadtrat. So kam es in den Folgejahren zu Unstimmigkeiten zwischen Tschanun und seinen leitenden Angestellten, über die auch in den Medien berichtet wurde. Der Chef ertrug das vergiftete Arbeitsklima und die gravierenden Differenzen mit Mitarbeitern nicht länger und erschoss am 16. April 1986 an seinem Arbeitsort im Amtshaus innerhalb von zehn Minuten vier von ihnen, die seiner Ansicht nach die meiste Schuld an seiner psychischen Notlage hatten, und verletzte einen fünften lebensgefährlich. Er floh und wurde drei Wochen später in einem Hotel in einer Kleinstadt im Burgund in Frankreich gefasst.
Gerichtliche Konsequenzen und gesellschaftliches Echo
In erster Instanz wurde Tschanun vom Zürcher Obergericht am 29. Februar 1988 wegen vorsätzlicher Tötung zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gericht befand, die Opfer trügen eine Mitschuld: Sie hätten den Täter nicht als Chef akzeptiert und an ihm ständig herumgemäkelt. Zudem sei er unter einem – obwohl er pro Jahr weit über 600 Überstunden und bis zu 84 Arbeitsstunden pro Woche machte – nicht mehr bewältigbaren Arbeitspensum seitens des Stadtrates gestanden.
Diese „Mobbing“-Theorie (damals war das Wort noch nicht einmal im Sprachgebrauch) wurde später aber durch das Schweizerische Bundesgericht verworfen: Die Opfer hätten keinen Einfluss auf Tschanuns persönliches, familiäres und berufliches Elend gehabt, entschieden Lausanner Richter. Tschanun sei für seine Führungsfunktion gänzlich ungeeignet und in hohem Masse überfordert gewesen, habe dies aber vor sich selbst und seinen Angestellten verleugnet. In zweiter Instanz wurde er 1990 wegen Mordes und Mordversuchs zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Jahr 2000 wurde er wegen guter Führung nach Verbüssen von 2/3 seiner Strafe nach 14 Jahren bedingt entlassen. In dieser Zeit hat er sich zum Gärtner ausbilden lassen.
Peter Vonlanthen, als Mobbingexperte und Geschäftsführer des Zürcher Kaufmännischen Verbandes ZKV, nennt den Fall Tschanun die "spektakulärste Mobbing-Geschichte" der Schweiz.
Als im Jahr 2004 die tödlichen Schüsse eines Finanzspezialisten der Zürcher Kantonalbank (ZKB) auf seine beiden Vorgesetzten fielen, wurden in den Medien Erinnerungen an den Fall Tschanun laut.[2]
Verfilmung
- Regisseur Cihan Inan[3] wurde durch die Tat des Günther Tschanuns für seinen Film «180° – Wenn deine Welt plötzlich Kopf steht» inspiriert.[4] Der Film wurde erstmals am 6. Zurich Film Festival gezeigt und startete Ende September 2010 in den Kinos.[5]
- Das Schweizer Fernsehen zeigte 2007 ihre Dokumentation «Blutbad im Zürcher Bauamt».[6]
Weblinks
- Hinrichtung im Amtshaus in: NZZ am Sonntag vom 22. Januar 2006
- Prozess gegen Günther Tschanun Videobeitrag im Schweizer Fernsehen vom 29. Februar 1988
- Tschanun, Leibacher, Kneubühl: Schweizer Amokläufer Bilderstrecke in: Basler Zeitung vom 17. September 2010
- Die Zürcher Stadträtin Ursula Koch nimmt zum Amok-Vorfall in ihrem Amt Stellung und spricht über die Spannungen im Departement
Einzelnachweise
- ↑ Gebürtiger Wiener in der Schweiz vor Richter. In: Arbeiter-Zeitung vom 26. Februar 1988
- ↑ Drei Tote nach Schiesserei in ZKB-Filiale in: NZZ Online vom 5. Juli 2004
- ↑ Cihan Inan im Gespräch mit Kurt Aeschbacher vom 16. September 2010
- ↑ Aus den Fugen geraten in: Berner Zeitung vom 29. September 2010
- ↑ Der Fall Tschanun am Zurich Film Festival in: Tages-Anzeiger vom 29. September 2010
- ↑ Blutbad im Zürcher Bauamt (pdf) Hintergrundinformation zur Dokumentation vom 13. Juni 2007
Wikimedia Foundation.