- Handlungsbereitschaft
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Handlungsbereitschaft ist in der Verhaltensbiologie die Summe aller endogenen (inneren) Faktoren, die ein Verhalten auslösen können.
Synonyme: Motivation, Instinkt, Stimmung, Antrieb, Tendenz, Drang, Trieb, innere Bedingung
Der Begriff und seine Herkunft
Der Begriff Handlungsbereitschaft wurde in der Psychologie und der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung für die Erklärungsmodelle der Instinkttheorie entwickelt, ohne dass Einzelheiten über die Faktoren und Strukturen bekannt waren. Mit zunehmendem Erkenntnisgewinn durch Neurobiologie und Hormonphysiologie wird die Vorstellung von der Steuerung des Verhaltens durch innere Einflüsse immer komplexer, so dass einfache Modelle wie das psychohydraulische Modell von Konrad Lorenz von der Mehrzahl der Forscher als nicht mehr ausreichend angesehen werden.
Selbst der Begriff Handlungsbereitschaft wird von vielen Forschern heute als problematisch eingestuft, da Handlung im engeren Sinne nur dem Menschen zugeschrieben wird, u. a. als die Folge einer bewussten Planung von Aktivitäten. Instinktive Verhaltensweisen hingegen gelten als das genaue Gegenteil einer bewussten Aktion.
Einflussfaktoren
Endogene und exogene Faktoren erhöhen oder erniedrigen die Handlungsbereitschaft. Zusammen mit äußeren auslösenden Reizen steuert sie das Verhalten eines Individuums. Dieses Verhalten kann wieder auf die äußeren und inneren Faktoren zurückwirken. Auch können äußere Faktoren endogene Faktoren beeinflussen.
Motivierende Faktoren erhöhen die Handlungsbereitschaft, demotivierende Faktoren setzen die Handlungsbereitschaft herab.
Homöostatische Faktoren werden aktiviert, wenn ein bestimmter Sollwert eingehalten werden muss. Sie lösen Verhaltensweisen aus, die bei Abweichungen den Istwert wieder dem Sollwert angleichen. Beispiele: Durst, Hunger. Im Hypothalamus existiert ein Fress- und Hungerzentrum, das Informationen aus dem Blut über dessen Glucose-Gehalt verarbeitet. Nicht-homöostatische Faktoren lösen zum Beispiel Neugier- oder Sexualverhalten aus.
Jedes Verhalten bewirkt entweder eine Veränderung der Umwelt oder eine Veränderung des eigenen Zustandes. Ein Bewertungssystem im Gehirn versieht diese Situationen mit einem emotionalen „Etikett“, das bei erneuter Konfrontation mit derselben oder einer ähnlichen Situation die Handlungsbereitschaft beeinflusst.
Die Komplexität der Steuerung von Verhalten kann am Beispiel des Stillens bei Säugetieren verdeutlicht werden:
Wenn der Säugling mit seinem Mund die Brustwarze umschließt und zu Saugen beginnt (Saugreflex), verringert auf ein Nervensignal hin der Hypothalamus der Mutter die Produktion des Neurotransmitters Dopamin und erhöht die Produktion von Noradrenalin. Dies führt dazu, dass der Hypophysenhinterlappen die Peptidhormone Oxytocin und Vasopressin ausschüttet. Daraufhin schüttet der Hypophysenvorderlappen vermehrt das Hormon Prolactin aus und die Nebennierenrinde vermindert die Produktion des Glukokortikoids Cortisol.
Prolactin bewirkt den Milchfluss und unterdrückt den Follikelsprung (Eisprung). (Beim Menschen ist diese Schwangerschaft verhütende Wirkung abhängig von Dauer und Häufigkeit des Stillens.) Prolactin löst bei Tierarten, die nicht ihre Jungen säugen, Brutpflegeverhalten aus und zwar sowohl bei Weibchen als auch bei Männchen, wenn sie an der Brutpflege beteiligt sind. Auch beim Menschen ist ein Anstieg des Prolactin-Spiegels beim Mann kurz vor der Geburt festzustellen, allerdings deutlich niedriger als bei den Müttern.
Oxytocin wirkt kontrahierend auf Gebärmuttermuskulatur (Wehen) und Milchdrüsen (Milchfluss).
Oxytocin und der Rückgang des Stress-Hormons Cortisol verursachen die beruhigende Wirkung des Stillens bei der Mutter. Dadurch kann eine intensive emotionale Bindung zum Kind aufgebaut werden.
Untersuchungen bei monogamen Präriewühlmäusen lassen vermuten, dass Oxytocin auch bei der Paarbindung eine Rolle spielt.
Beispiele
Die Handlungsbereitschaft eines Tieres kann von sehr unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden:
- äußere Reize
- Ein Weibchen der Hausmaus, das noch nie Junge hatte, beginnt beim Anblick junger Hausmäuse ein Brutnest zu bauen.
- Alarmrufe bei gesellig lebenden Tieren steigern die Handlungsbereitschaft zur Flucht.
- Ein verlassenes Küken stößt Kontaktrufe aus. Ist die Mutter in der Nähe, lässt die Bereitschaft zu rufen nach.
- Ernährungszustand
- Gesundheitszustand
- Viele Vögel füttern vorrangig ihre agilsten und kräftigsten, also gesündesten Nestlinge. Dies kann zur Folge haben, dass weniger kräftige Jungtiere - zumal bei ungünstiger Witterung und hiermit verbundener Nahrungsknappheit - verhungern.
- Hormoneller Zustand
- Im Körper eines schwangeren Hausmausweibchens steigt der Progesteronspiegel an; ein schwangeres Weibchen beginnt mit dem Nestbau. Wird einem Weibchen, das nicht trächtig ist, Progesteron gespritzt, so beginnt auch dieses ein Nest zu bauen.
- Auf Grund äußerer Reize (Tageslänge, Lichtverhältnisse, Temperatur, Witterung) steigt bei Zugvögeln der Hormonspiegel, was eine erhöhte Zugbereitschaft zur Folge hat.
- Alter und Reifezustand
- Säugetiere verlieren ab einem bestimmten Alter den Saugreflex. Nestlinge sperren nicht mehr ab einem bestimmten Alter.
- Libellenlarven stellen einige Tage, bevor sie das Wasser zur Verwandlung verlassen, den Beutefang ein.
- Vorausgehende Handlungen
- Bei vielen Tieren erlischt die Paarungsbereitschaft nach vollzogener Paarung.
- Gedächtnisinhalte
- Viele Tiere suchen bevorzugt jene Plätze auf, wo sie zuvor bereits zum Beispiel besonders viel Futter gefunden haben oder wo sie besonders sicher vor Fressfeinden waren.
- Gewöhnung (Habituation)
- Bei Tauben auf dem Markusplatz von Venedig ist die Fluchttendenz stark herabgesetzt.
- Das Ticken einer Uhr wird nach einiger Zeit nicht mehr wahrgenommen. Erst wenn man sich bewusst diesem Geräusch wieder zuwendet, wird es vernehmbar.
- Bietet man Amselnestlingen rasch hintereinander den auslösenden Reiz zum Sperren, so lässt die Intensität der Reaktion immer mehr nach, bis sie den Wert 0 erreicht.
- Geschlecht
- Sowohl die Bereitschaft zu Sexualverhalten als auch agonistischem Verhalten wird häufig stark bis ausschließlich durch das Geschlecht des anderen Tieres beeinflusst.
- endogene Rhythmen und äußere Zeitgeber
- In Bunkerversuchen (die Testpersonen leben mehrere Tage und Wochen isoliert von der Außenwelt) wurde festgestellt, dass der Mensch auch ohne äußere Zeitgeber wie Tageslicht oder Uhr in regelmäßigen Abständen Aktivitätszeiten, Ruhezeiten und Essenszeiten einhält. Allerdings beträgt der Rhythmus unter den Versuchsbedingungen nicht genau 24 Stunden sondern 25 Stunden (Zirkadiane Rhythmik), gelegentlich wurde auch ein doppelter Zyklus von 50 Stunden eingelegt. Unter natürlichen Bedingungen erfolgt die Feineinstellung durch äußere Faktoren wie zum Beispiel die Tageslänge. Als endogene Taktgeber wirken zentralnervöse Strukturen und Zentren in den Organen (Lunge, Leber, Muskeln). Während sich bei einer Zeitverschiebung, wie sie bei Transatlantikflügen auftreten, der Taktgeber im Gehirn, genauer im Nucleus suprachiasmaticus (SCN), rasch an die neuen Verhältnisse anpasst, benötigen Lunge und Muskeln 6, die Leber sogar 16 Zyklen. Dies führt zu einer länger anhaltenden Beeinträchtigung des Wohlbefindens, auch als Jet-Lag bekannt. [SdW 2000.7.27+8.24] Auch die chronischen Erkrankungen von Schichtarbeitern, die in der Nacht arbeiten müssen sind mit einer Störung dieses Taktgebers durch Licht zu erklären.
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- Der Zentralnervöse Taktgeber wird durch eine Rückkopplungsschleife zwischen 4 Genen und den von ihnen codierten Proteinen gesteuert:
- Die auf dem X-Chromosom liegenden Gene per (period) und tim (timeless) codieren die Proteine PER und TIM. Ist ihre Konzentration genügend hoch, bilden sie einen Komplex, der die Aktivität der beiden Gene hemmt. Da das PER-Eiweiß abgebaut wird und das Tim-Protein in wenigen Minuten zerfällt, wird die Hemmung der Gene wieder aufgehoben, die Proteine können erneut gebildet werden. Zusätzlich steuern die von den Genen clock und cycle codierten Proteine die Aktivität der per- und tim-Gene.
- Die Genprodukte steuern aber auch die Ablesbarkeit von Genen der Verhaltenssteuerung. So ist beim Menschen zum Beispiel die Konzentration der Wachstumshormone um 2 Uhr nachts am höchsten, um 6 Uhr ist der Insulin-Spiegel am niedrigsten und Blutdruck und Puls steigen. [SdW 2000.6]
- Ökologische Einflüsse
- Witterung, Nahrungsangebot, Gefährdung durch Fressfeinde
- äußere Reize
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