- Hans-Carl Jongebloed
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Hans-Carl Jongebloed (* 1946 in Papenburg) ist ein deutscher Berufs- und Wirtschaftspädagoge.
Inhaltsverzeichnis
Biographisches
Jongebloed studierte von 1968 bis 1974 Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln mit dem Schwerpunkt Wirtschafts-, Berufs- und Sozialpädagogik. Nach der zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen war er als wissenschaftlicher Assistent und akademischer Rat am Institut für Berufs-, Wirtschafts- und Sozialpädagogik in Köln tätig.
Im Rahmen des Promotionsverfahrens wurde Jongebloed im Jahre 1983 mit dem Universitätspreis der Universität zu Köln ausgezeichnet.
Seit 1994 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Jongebloed ist gemeinsam mit Martin Twardy Vertreter einer deontologisch-neonormativistischen Wissenschaftsauffassung, die sich als so genannte Kölner Schule in Abgrenzung zum Wertneutralitätsparadigma deutscher Erziehungswissenschaft (Brezinka) und zum gesellschaftskritischen Ansatz der Frankfurter Schule (Mollenhauer) versteht.
Er ist Mitautor des dreibändigen Kompendiums Fachdidaktik Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Reduktion und Transformation; Motivation, Rationalitätsprobleme in fachdidaktischen Entscheidungsprozessen; Gütekriterien der Messtheorie sowie die komplementäre Deutung pädagogischer Grundfragen.
Entscheidungsrationalität
Ausgehend von der vorverständlichen Annahme des Entscheidungscharakters fachdidaktischen Handelns und des Anspruchs, das Entscheidungshandeln kompromisslos einfordern zu müssen, formuliert Jongebloed ein Strukturdilemma, das mit herkömmlichen Rationalitätskalkülen nicht auflösbar ist. Die »Normalität des Scheiterns« zeigt sich im normativen Fundament des »Entscheidenmüssens« und in der situationsstrukturellen Gegebenheit des »nicht angemessen Entscheidenkönnens«. Je differenzierter die Anstrengungen des Didaktikers sind, alle situationsvarianten Handlungsparameter zu berücksichtigen, desto geringer wird die Chance einer entscheidungstheoretischen Bewältigung. Daraus folgt, dass es nicht möglich wird, eine systemisch angelegte Lehr-Lern-Situation als Handlungsvollzug zu planen. Hier schließt Jongebloeds Kritik an der aktuell präferierten Lernfeldorientierung an, die genau den Fehler macht, eine »interdependente Feldstruktur« (Lewin) in eine summative Verbandsstruktur zu transformieren, um das eigentlich nun nicht mehr als Feld zu bezeichnende System planerisch beherrschbar zu machen. Die zur Normalität des Scheiterns führende Unbeherrschbarkeit steht in diametralen Gegensatz zu dem von Blankertz formulierten Implikationszusammenhang didaktischer Relationen. Gemäß der Akzeptanz der Singularitätsbedingung von Unterricht müssen diese Zusammenhänge als Zweck-Mittel-Relation in Anlehnung Webers gedacht und praktiziert werden. „Jede beliebige, unter gegebenen Bedingungen zu wählende Zweck-Mittel-Kombination unterliegt einer Unbestimmtheit dergestalt, dass nicht zugleich Zweck und Mittel genau bestimmt festzulegen sind. Dabei variieren die jeweils möglichen Grade an (Un)bestimmtheit zueinander reziprok!“ Wer also die Mittel in einer definiten Weise präzisiert und festsetzt, muss die Zwecke freigeben. Je präzisier die Mittel bestimmt sind, desto geringerer Bestimmtheit darf die mögliche Mittelkombination unterliegen.
Fachdidaktik hat insgesamt die Aufgabe, als Orientierung einer intrapersonalen Theoriekonzeptionierung, qua didaktischer Individualisierung zu dienen.
Lernzielpräzisierung
Im Rahmen der Lernzielformulierung und –präzisierung erweitert Jongebloed das Verhaltenssystem, das seit Krathwohl in der taxonomische Trinität von kognitiver, psychomotorischer und affektiver Dimension besteht, um die Dimension der Kommunikativität. Diese bezieht sich auf das Aufeinanderbezogensein und Miteinanderabgestimmtsein in sozialen Kontexten (Konkordanz). Die Taxonomie der kommunikativen Dimension wird wie folgt bestimmt:
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- 1. Stufe: Hinwendung
- 2. Stufe: Selektion
- 3. Stufe: Interaktion
- 4. Stufe: Koaktion
- 5. Stufe: Integration
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Komplementarität
Von der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie nach Niels Bohr und dem späteren Transfer in andere Wissenschaften (Klaus Michael Meyer-Abich) ausgehend, konzipiert Jongebloed einen zunächst im weitesten Sinne phänomenologisch angelegten Versuch, genuin pädagogische Entitäten zu ordnen. Anlass dafür war die Konzeption des deutschen Berufsbildungswesens, das durch die Dualität von Theorie – berufsspezifische Erkenntnisse am Lernort Schule – und Praxis – berufssituative Erfahrungen am Lernort Betrieb – bestimmt ist. Den ökonomischen und vor allem kulturellen Erfolg dieser Dualität sieht Jongebloed vor allem in seiner antinomischen Grundstruktur, die er gemäß dem Welle-Teilchen-Dualismus in der Metastruktur als Komplementaritätsprinzip bezeichnet. Die fundamentale Struktur dieses Prinzips setzt sich aus der Trinität zweier mindestens einander konträrer Entitäten und einem übergeordneten idealen Dritten zusammen. Dabei stehen die konträren Paare in einem an die Kantische Begrifflichkeit angelehnten transzendentalen Verhältnis zum Dritten. Transzendental bedeutet hierbei, dass sie jeweils für sich die Bedingung der Möglichkeit eines qualitativ höheren Dritten sind. Als Strukturmodell grenzt sich das Komplementaritätsprinzip von der prozessual angelegten Dialektik ab, die den Schritt zur Synthese erstens notwendig beschreitet und zweitens den Widerspruch unwiederbringlich auflöst. Die für die Pädagogik weitreichendste Bedeutung dieses Prinzips besteht in der komplementären Deutung des Phänomens Bildung, das sich aus den Komplementen Erkenntnis und Erfahrung konstituiert. Zur Konkretisierung entwirft Jongebloed eine Konfiguration, in der I (Inhalt) und V (Verhalten) das jeweilige Komplement semantisch anreichern. Somit werden Erkenntnis als Verknüpfung (I ө V) mit dem Primat determinierter Inhalte und variabler Verhaltensoptionen und Erfahrung als (V ө I) mit dem Primat determinierter Verhaltensmodi und variabler Inhalte beschrieben. Erkenntnis und Erfahrung werden explizit als transzendentale Kategorien eines singulären Bildungsprozesses ausgewiesen, der durch die Person in hohem Maße selbst reguliert wird. Die je singulären Verknüpfungsleistungen der Person werden durch das Verfahren der dafür eigens entwickelten Biversion bewirkt. Hier wird die fundamentale Komplementarität aus der Konsequenz der Nicht-Kommutativität der Komplemente auf sich selbst angewandt. Als erweiterte Komplementarität nach innen beschreibt sie das anthropologische Vermögen der Person, eigenzeitliche systemische Prozessualität zu organisieren. Das überkreuz geführte Vertauschte ( I ) ist als subjekt-systemische Ganzheit zu denken und entwickelt sich aus der Kontingenz klar abgegrenzter Inhaltlichkeit, die in einem systematisch gegliederten Curriculum Ausdruck findet.
Mess- und Testttheorie
Jongebloed führt den Ökonomitätssgedanken in die Gruppe der Gütekriterien ein. Dabei macht er das Verhältnis der Gütekriterien zueinander abhängig von dem jeweils zugrunde gelegten Messmodell (fundamentales M., DatenM., ParameterM.). Jongebloed erweitert zusätzlich die Gesamtsystematik diagnostischen Handelns um das normative Kriterium der offensiven Subjektivität. Letzteres bedeutet, dass das Testinstrument gegenüber jedem berechtigt Interessierten, insbesondere dem Betroffenen, transparent gemacht werden muss. Die Wahl des methodischen Inventars ist offenzulegen.
Wissenschaftsethik
Jongebloed formuliert einen starken Verantwortungsbegriff, der sich an den Imperativ von Hans Jonas anlehnt. Die Wissenschaft hat Verantwortung zu übernehmen gegenüber allen ihren Entscheidungen und Tätigkeiten. Alles wissenschaftliche Handeln tangiert die Sphäre des Normativen und mündet in einen mindestens einmal auftretenden Selbstwiderspruch, der offensiv akzeptiert werden muss. Diese Erkenntnis, die schon bei Epimenides angedacht, und durch die Unvollständigkeitsabhandlungen Kurt Gödels für die Mathematik – und damit exakteste Wissenschaft – nachgewiesen wurde, spielen im Denken Jongebloeds eine zentrale Rolle.
Schriften (Auswahl)
- Reduktion und Transformation. In: Twardy, M. (Hg.), Kompendium Fachdidaktik Wirtschaftswissenschaften.. S. 351-443. 1983.
- Zusammen mit Twardy, M.: Strukturmodell Fachdidaktik Wirtschaftswissenschaften. In: Twardy, M.: Kompendium Fachdidaktik Wirtschaftswissenschaften. S. 163-203. Düsseldorf. 1983.
- Fachdidaktik und Entscheidung. Vorüberlegungen zu einer umstrittenen Problematik. Düsseldorf. 1984.
- Wirtschaftspädagogik zwischen Aus- und Fortbildung – oder: Hintergründe im Vordergrund. Kiel.
- Über die Möglichkeit, Pädagogik als systematische und historische Disziplin zugleich zu betreiben, oder: Komplementarität als methodologisches Prinzip von Ganzheit. In: Schulz, Manuel u.a.(Hg.): Wege zur Ganzheit. Weinheim. 1998.
- Wirtschaftspädagogik als Wissenschaft und Praxis. Kiel. 1998.
- Fachdidaktik zwischen Struktur- und Orientierungsanspruch. In: Ders.: Wirtschaftspädagogik als Wissenschaft und Praxis – oder: Auf dem Wege zur Komplementarität als Prinzip. S. 211-239. Kiel. 1998.
- Wirtschaftspädagogik: Erinnerung für die Zukunft. In: Euler, D., Jongebloed, H. C., Sloane, P. (Hg.), Sozialökonomische Theorie – sozialökonomisches Handeln. Festschrift für Martin Twardy zum 60. Geburtstag. Kiel. S. 59-77. 2000.
- Komplementarität als Prinzip dualer Struktur von beruflicher Bildung und von Bildung allgemein – oder: Über das Allgemeine des Bestimmten. In: Wigand et a. (Hg.), Allgemeines und Differentielles im pädagogischen Denken und Handeln. Grundfragen – Themenschwerpunkte – Handlungsfelder. Wilhelm J. Brinkmann zum 20. Dezember 2007. Würzburg. 2008
Weblinks
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