Harald H. Zimmermann

Harald H. Zimmermann

Harald H. Zimmermann (* 18. Juni 1941 in Völklingen) ist ein deutscher Informationswissenschaftler und Hochschullehrer.

Zum Ende des Sommersemesters 2006 beendete er seine akademische Laufbahn als Universitätsprofessor für Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und ging in den „Ruhestand“. Harald H. Zimmermann war in vielerlei Hinsicht und zu den verschiedensten Phasen seiner Laufbahn seiner Zeit voraus.

Inhaltsverzeichnis

Computerlinguistische Grundlagenforschung

Bereits als Student (Anfang der 60er Jahre) arbeitete er an einer damals noch ungewöhnlichen Verbindung von Geistes- und Naturwissenschaften (Sprache und Computer) – der Computerlinguistik, damals noch „Sprachdatenverarbeitung“ genannt. Hier beginnt seine wissenschaftliche Karriere, die zunächst durch eine Kette computerlinguistischer Meilensteine gekennzeichnet ist. Zu nennen sind hier:

  • seine Dissertation „Das Lexikon in der maschinellen Sprachanalyse“ (1972),
  • die Mitbegründung des computerlinguistischen Schwerpunkts in Saarbrücken (und in Deutschland),
  • die Gründung des ersten informationslinguistischen Lehrstuhls in Deutschland (Universität Regensburg, 1974),
  • die Mitarbeit an der Grundlegung des europäischen maschinellen Übersetzungsprojekts EUROTRA,
  • die Durchführung zahlreicher großer Anwendungsprojekte im Bereich Maschinelle Übersetzung (TRANSIT, MARIS) und Automatische Indexierung (CTX, IDX) mit DFG- und BMFT-Projekten (allein in den 80er Jahren mit Projektmitteln im zweistelligen Millionenbereich).

Akademische Laufbahn

Bereits kurz nach seiner Promotion (1972) übernahm er eine Professur an der Universität Regensburg (1974) und die Leitung der Abteilung für Nichtnumerische Datenverarbeitung, wenig später folgte der Aufbau eines Studienteilfaches “Linguistische Informationswissenschaft” im Rahmen der Allgemeinen Sprachwissenschaft.

1980 übernahm die Aufgabe, an der Universität des Saarlandes den Studiengang Informationswissenschaft einzurichten und gleichzeitig die Machbarkeit eines Fachinformationszentrums „Geisteswissenschaften“ (FIZ 14) – das aus politischen Gründen dann doch nicht zustande kam – zu untersuchen. Die Professur für Informationswissenschaft hatte er bis zu seiner Emeritierung nach dem Sommersemester 2006 inne.

Forschung und Entwicklung

Der Bezug seiner Forschungen zur praktischen Anwendung war stets gegeben. Zum Einen bewies er die praktische Einsetzbarkeit von Systemen aus der Grundlagenforschung (zum Beispiel des maschinellen Übersetzungssystems SUSY) als Lösungen für die Überwindung von Sprachbarrieren (Stichwort „Multilingualität der Fachinformation“) und für die Inhaltserschließung großer Datenbanken (Zusammenarbeit zum Beispiel mit mehreren Fachinformationszentren und dem Deutschen Patentamt) auf Großrechnern.

Zum anderen entwickelte er selbst in seinem Sprachtechnologie-Unternehmen SOFTEX erfolgreich Systeme zur Inhaltserschließung und zur Rechtschreibkontrolle und Worttrennung für den PC (PRIMUS, IDX) sowie große Fachlexika für den Einsatz in der Sprachdatenverarbeitung.

Innovationen für die akademische Lehre

Auch hier war er seiner Zeit voraus, weil er früh die Notwendigkeit der Einbeziehung moderner Informationstechnologien in die Universitätsausbildung (und zwar in allen Fächern) und in die Berufsbilder erfolgreicher Universitätsabsolventen erkannte. Vom ersten Tag an spielten Computer eine große Rolle in der Ausbildung, angefangen vom Großrechner über die mittlere Datentechnik bis zum PC. Zu seiner Zeit gab es schon „CIP-Pools“ (Rechnerräume für Studierende) für die Studierenden der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes, als die Informatik noch keine hatte.

Visionär zum Beispiel auch das in den späten 1990ern entwickelte und seitdem – auch von anderen Fächern an der Universität des Saarlandes – erfolgreich eingesetzte System „Virtuelles Lehre- und Informationssystem ViLI“ zur Online-Verwaltung und Unterstützung der Lehre. Der Herausforderung, durch den Einsatz der Informationstechnologie die Qualität und die Quantität der Ausbildung zu erhöhen und damit Studienzeiten zu verkürzen sowie die Studierenden mit der Technologie vertraut zu machen, begegnete er mit der Entwicklung dieses Systems, das den alltäglichen Organisations- und Verwaltungsaufwand für Studierende und Dozenten reduziert und auch die Lehre inhaltlich unterstützt.

Auch dieser Ansatz unterscheidet sich vom damaligen Mainstream der Forschung, die sich überwiegend auf die Entwicklung von Lernmodulen konzentrierte, die bis heute zumeist „Inselprojekte“ geblieben sind und deshalb die damit verbundenen Zielsetzungen bei weitem nicht erfüllen.

Forschung abseits des Mainstream

Nachdem er über viele Jahre hinweg seine Fähigkeit zum Einwerben großer Drittmittelprojekte (mit einer Gesamtfördersumme von knapp 34 Mio. DM) unter Beweis gestellt hatte, wendete er sich Mitte der 1990er Jahre kleineren Projekten zu. Dabei ging es vorzugsweise um die Einsatzmöglichkeiten webbasierter Informationspräsentation in den verschiedensten Anwendungsfeldern. Dabei bezog er seine Studierenden ein und gab ihnen die Möglichkeit, die Theorie mit der Praxis zu verbinden. So wurde zum Beispiel die Alte Völklinger Eisenhütte „ins Netz gestellt“ (Anfang 1995), und zwar unmittelbar nachdem diese zum Weltkulturerbe ernannt wurde (Dezember 1994).

Auch auf anderen Feldern verknüpft Harald Zimmermann auf überraschende, inspirierende Art und Weise scheinbar Gegensätzliches. Zu nennen ist hier die informationswissenschaftliche Beschäftigung mit Regionalliteratur, wobei unter Mitarbeit des Schriftstellers und Filmemachers Alfred Gulden und natürlich der Studierenden der Vorlass von Gulden prototypisch für ein Online-Literaturarchiv aufbereitet wurde. Gegenwärtig arbeitet er an der informationswissenschaftlichen Erschließung von Nietzsches Werk.

Projekte

  • JUDO (1977–82): Juristische Dokumentanalyse. BMFT-Projekt der Universitäten Regensburg und Saarbrücken
  • COBIS (1978–81). Computergestütztes Büroinformationssystem. Regensburg. BMFT-Projekt
  • TRANSIT (1982–85): Transfer informationslinguistischer Technologien (Entwicklung des automatischen Indexierungssystems CTX). BMFT-Projekt
  • SUSY-DJT (1983–85): Deutsch-Japanische Titelübersetzung. BMFT-Projekt
  • MARIS (1985–89): Multilinguale Anwendung von Referenz-Informationssystemen. (Maschinelle Übersetzung deutscher Fachinformations-Datenbanken ins Englische). BMFT-Projekt
  • STS (1989–90): Saarbrücker Translationsservice (Spin-off des Projekts MARIS). BMFT-Förderung
  • MT–PAT (1989): Maschinelle Übersetzung von Patenten. (in Kooperation mit dem Deutschen Patentamt und dem FIZ Karlsruhe). BMFT-Projekt
  • WITEC (1990–91): Hypertext als Modellinstrument für den Wissens- und Technologietransfer (in Kooperation mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik). BMBW-Projekt
  • IFP (1989–91): Informationspraktikanten (Transfer informationstechnischen Know-Hows in saarländische Betriebe). Förderung durch Bund und Land
  • WINGS (1992–94): Wissensvermittlung und Informationstechnologien in den Geistes- und Sozialwissenschaften (in Kooperation mit der Universität Potsdam und anderen Fachrichtungen der Phil. Fak. der Universität des Saarlandes). BMBW-Projekt
  • MAIN (seit 1995 fortlaufend): Multimediale Anwendungen für das INternet. Fördermittel der Universität und Eigenmittel
  • IFP2 (1996–99): Informationspraktikanten II (Förderung informationstechnischen Know-Hows an saarländischen Schulen). Förderung durch das saarländische Kultusministerium.
  • MILOS (1994–97): Automatische Indexierung von Bibliotheksdaten (Kooperation mit der UB Düsseldorf). DFG-Projekt.
  • CANAL/LS (1995–96): Catalogue with Multilingual Natural Language Access / Linguistic Server (Kooperationsprojekt). Förderung durch das LIBRARIES-Programm der EU
  • KASCADE (1997–98): KAtalogerweiterung durch SCanning und Automatische Dokument-Erschließung (Kooperation mit UB Düsseldorf). DFG-Projekt
  • ViLI (1998ff.): Virtuelles Lehre- und Informationssystem. Fördermittel der Universität und Eigenmittel
  • MALL (2000): Multimediagestütztes Lehren im Hochschulbereich - Möglichkeiten in der Lehrerausbildung (Kooperation mit der Erziehungswissenschaft und der Informatik). BMBF-Projekt
  • ELSA (2000–01): Elektronisches Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass (Entwicklung des Prototyps eines Online-Archivsystems, Kooperation mit dem Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass). Förderung durch das saarländische Wirtschaftsministerium

Ausgewählte Veröffentlichungen

  • (1969): Zur Leistung der Satzzeichen. Bibliographisches Institut, Mannheim. Duden-Beiträge 36; ISBN 3411010363
  • (1972): Das Lexikon in der maschinellen Sprachanalyse. Frankfurt: Athenäum
  • (1978): Automatische Textanalyse und Indexierung. In: Dieter Krallmann (Hrsg., 1978): Kolloquium zur Lage der linguistischen Datenverarbeitung. Essen, 20–33
  • (1981): Lexikon und Parsing. In: Reinhart Herzog (Hrsg.): Computer in der Uebersetzungswissenschaft. Frankfurt a.M.: Lang, 1981. p. 74–84. Angewandte Sprachwissenschaft. Germersheim
  • (1983): Automatische Indexierung – Entwicklung und Perspektiven. In: Ingetraut Dahlberg und Martin Rudolf Schader (Hrsg. 1983): Automatisierung in der Klassifikation. Frankfurt/Main: Indeks Verlag, 1983. S. 14–32 (Studien zur Klassifikation; 13)
  • (1984): Machine-Aided Indexing of Text Corpora Antonio Zampolli (ed.): Studies in honour of Roberto Busa S.J.; Linguistica Computationale Vol. IV. Pisa: Giardini, Pisa
  • (1984): Warenwirtschaft und Dienstetransfer auf der Grundlage neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. In: Theuer, Gottfried; Schiebel, Walter (Hrsg., 1984): Teleselling – Marketing über Bildschirmtext. Verlag Moderne Industrie, 53–64
  • (1987): Der Transfer informationslinguistischer Technologien am Beispiel von CTX und ITS. Forschungsbericht Information und Dokumentation des BMFT, Veröff. der FR 5.5 Informationswissenschaft, Saarbrücken, Universität des Saarlandes
  • (1991, mit Heinz-Dirk Luckhardt): Computergestützte und maschinelle Übersetzung. Dudweiler, AQ-Verlag
  • (1992, Hrsg., mit Heinz-Dirk Luckhardt und Angelika Schulz): Mensch und Maschine – Informationelle Schnittstellen der Kommunikation. Proceedings des 3. Internationales Symposium für Informationswissenschaft ISI '92 Schriften zur Informationswissenschaft Band 7, Konstanz: UVK
  • (1995): Information als Wissenstransfer – Zur informationswissenschaftlichen Lehre und Forschung in Saarbrücken. In: Thomas Seeger (Hrsg.): Aspekte der Professionalisierung des Berufsfeldes Information. Konstanz. Schriften Zur Informationswissenschaft Nr. 21, S. 349–360
  • (1998): Theses on the Impact of New Forms of Telecommunications on Social Structures. In: Hans W. Giessen (Ed.): Long-Term Consequences on Social Structures Through Mass Media Impact. Berlin: Vistas. 1998, S. 121–130
  • (2004): Maschinelle und Computergestützte Übersetzung. In: Rainer Kuhlen, Thomas Seeger, Dietmar Strauch (Hrsg., 2004): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. München: K..G. Saur, S. 475–480
  • (2004): Information in der Sprachwissenschaft.In: Rainer Kuhlen, Thomas Seeger, Dietmar Strauch (Hrsg., 2004): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. München: K..G. Saur, S. 705–710

Festschrift

Zum 65. Geburtstag bzw. zur Emeritierung Harald H. Zimmermanns erschien die folgende Festschrift:

Ilse Harms, Heinz-Dirk Luckhardt, Hans W. Giessen (Hrsg., 2006): Information und Sprache. Beiträge zu Informationswissenschaft, Computerlinguistik, Bibliothekswesen und verwandten Fächern. München: K G Saur.

Weblinks


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