Heidegger-Rezeption

Heidegger-Rezeption

Martin Heidegger gilt als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Seine Gedanken übten direkt und über einige seiner Schüler großen und bleibenden Einfluss auf die moderne Philosophie auch außerhalb Deutschlands sowie auf andere Geisteswissenschaften aus.

Inhaltsverzeichnis

Wirkung und Rezeption in der abendländischen Tradition

Jean-Paul Sartre

Sartre zeigte sich gegenüber Martin Heidegger zu großem Dank und Anerkennung verpflichtet. Sartre ging jedoch in eigener Weise über Heidegger hinaus. Ab 1938 las er einige Übersetzungen, dann 1939 das bereits im Jahre 1934 erworbene Sein und Zeit; dabei erklärte er, dass ihm die Lektüre aufgrund des eigenwilligen Vokabulars nicht leicht gefallen sei. Inhaltlich war Heidegger für ihn ein „Schock“, wegen des radikalen Bruchs mit der traditionellen Weise zu Philosophieren. 1943 erscheint von ihm Das Sein und das Nichts, wobei sich nicht nur dessen Titel an Sein und Zeit anlehnt, sondern auch viele Inhalte auf Sartres Heidegger-Lektüre zurückgehen.

„Orthodoxe“ Heideggerianer kritisieren jedoch eine Reihe von Sinnverkehrungen bei der Übernahme Heideggerscher Ideen. So wird der Begriff des Seins nicht mehr wie bei Heidegger der ontologischen Differenz gemäß im Gegensatz zum Seienden verstanden, sondern es rückt hier das Nichts an die Stelle der Zeit einerseits und übernimmt andererseits den Gegensatz zum Sein. Hiervon ausgehend nimmt die Suche nach dem Sein bei Sartre einen ironischen und absurden Verlauf, denn das Sein wird der Nichtung gegenübergestellt, der Mensch steht im „Für-Sich“ dem „An-Sich“ unüberwindbar gegenüber. Ein Dualismus der sich in Sartres Begriff der Existenz (als physisches Sein) und der Essenz (als frei zu bestimmend) fortsetzt und darin mündet, dass beim Philosophieren nun doch wieder auf das Subjekt als „ich denke“ zurückgegriffen werden muss.

Sartre übernahm weiterhin Heideggers Begriff von der Faktizität, welcher beschreibt dass der Mensch immer schon – ohne seine bewusste Entscheidung – sich in einer Welt wieder findet und deren Prägung ausgesetzt sieht. (Heidegger: „Dasein existiert faktisch.“[1]) Wodurch sich wiederum ein Dualismus von Situierung und Freiheit ergibt. In Anlehnung an Heideggers Analyse des Man vollzog Sartre einige schwungvolle phänomenologische Analysen der Unaufrichtigkeit (mauvaise foi), welche nicht zuletzt zur Popularität des Existenzialismus beigetragen haben.

Große Unterschiede zeigen sich bei Sartres Analyse des „Anderen“, also dem Verhältnis zum Mitmenschen. Sartre warf Heidegger vor, durch eine ontologische Beschränkung auf das In-der-Welt-sein die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der unterschiedlichen „Bewußtseine“ zu nivellieren. Sartre setzt Heideggers – für seine Begriffe – rein formalen Bestimmung des Mitseins ein konkreteres Modell entgegen, das seiner Meinung nach auch die möglichen Kämpfe und Konflikte plausibel macht. Es ist jedoch umstritten, ob dieser Mangel sich so bei Heidegger findet. Sartre verkannte außerdem die zentrale Bedeutung des von Heidegger eingeführten Zeugzusammenhangs, des Verstehens (welches er unzulässig mit Verstand gleichsetzt) und der Rede.[2]

In späteren Jahren wurden Sartres Bezüge zu Heidegger spärlicher, und ab Anfang der Fünfziger verzichtete Sartre gänzlich auf eine gründliche Heidegger-Lektüre. Heidegger andererseits habe nach Aussagen Jean Beaufrets nie mehr als hundert Seiten von Das Sein und das Nichts gelesen.[3] Heidegger sah trotz Anerkennung Sartres, in dessen Werk nur eine neumodische Version des metaphysischen Subjektivismus. Ein Besuch Sartres bei Heidegger im Jahr 1952 fiel für letzteren ernüchternd aus, wohl auch weil beide – der Großstadt-Intellektuelle und der naturverbundene Universitätsprofessor – aus anderen Verhältnissen kamen.[4]

Auf Sartres Essay Der Existenzialismus ist ein Humanismus reagierte Heidegger in einem Brief an Jean Beaufret, dem so genannten Humanismusbrief, in dem er deutlich machte, dass seine und Sartres Denkweisen unvereinbar nebeneinander stünden.

Hans-Georg Gadamer

Gadamer, ein Schüler Heideggers, knüpfte an den hermeneutischen Ansatz Heideggers an. Er begründete die moderne Hermeneutik mit seinem 1960 erschienenen Hauptwerk Wahrheit und Methode, in dem er vor allem die Rolle der Kunst für die ontologische Wahrheitsfindung hervorhob. Im Kunsterleben sah Gadamer ein Verstehen, jedoch nicht als beherrschendes und begreifendes, sondern als Prozess, als Geschehen. Deutlich sind die Parallelen zu Heideggers Vortrag „Der Ursprung des Kunstwerkes“ und dem in „Sein und Zeit“ als Existenzial herausgestelltem Verstehen des Daseins. Jürgen Habermas lobte 1979 Gadamers Wirken mit dem oft zitierten Ausdruck „Urbanisierung der Heideggerschen Provinz“[5].

Hannah Arendt

Arendt, Heideggers Schülerin und Geliebte, zeigte sich in ihren frühen Schriften (Der Liebesbegriff bei Augustin) stark durch Heidegger geprägt. Nach dem Bruch mit Heidegger 1933 ging sie zu diesem auf Distanz. In ihrem 1945 erschienenen Aufsatz Was ist Existenzphilosophie? kritisierte sie an Heideggers Philosophie das Fehlen eines Subjekts, welches auf politischer Ebene moralische Verantwortung übernehmen könnte. Nach dieser Lossagung näherte sich Arendt jedoch mit ihrem Spätwerk Vita activa oder vom tätigen Leben wieder an Heidegger an: das Buch, so Arendt, schulde Heidegger „in jeder Hinsicht so ziemlich alles“.[6] Sie griff hier vor allem Heideggers Begriff der Welt auf, den sie als Raum für das politische Handeln ausdeutete. Totalitäre Herrschaft sei ein Zustand der „Weltlosigkeit“, da sie die Menschen aus einer gemeinsamen Welt herausstoße.

Herbert Marcuse

Marcuse hat in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts Heideggers frühe Freiburger Vorlesungen besucht. Später versuchte er Heideggers in „Sein und Zeit“ vorgelegte Philosophie für den Marxismus fruchtbar zu machen. Dabei faszinierte Marcuse vor allem Heideggers Verankerung der Philosophie in der Faktizität des Daseins und der damit gegebene hohe Praxisbezug. Heideggers existenziale Analytik muss jedoch, so Marcuse, durch den historischen Materialismus ergänzt werden. Sein bekanntestes Buch „Der eindimensionale Mensch“ kann als Versuch dieser Zusammenführung gelten. Später sagt sich jedoch Marcuse von Heidegger los. In einem an Heidegger gerichteten Brief warf er diesem vor, niemals zu seinen politischen Handlungen von 1933/34 Stellung bezogen zu haben.

Emmanuel Levinas

Levinas kam 1928/29 nach Freiburg um dort Husserl zu hören, er entdeckte dort auch Heidegger für sich. Er sah in Heidegger den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Dabei bezog er sich vor allem auf „Sein und Zeit“. Schon früh allerdings begann Levinas Heidegger kritisch zu lesen. Dabei bemängelte er vor allem die in der europäischen Tradition verankerte Denkungsart, das Allgemeine über das Einzelne zu stellen, das Sein über das Seiende. Er versuchte stattdessen einen „Weg vom Sein zum Seienden“ zu finden. Heideggers Technikkritik teilte er nicht, er sah in der Technik stattdessen ein Instrument der Befreiung.

Maurice Merleau-Ponty

Maurice Merleau-Pontys Auseinandersetzung mit Heidegger war fast durchgehend bejahend. Mit seinem Begriff des „être-au-monde“ (Zur-Welt-sein) knüpfte er an Heideggers In-der-Welt sein an und betonte vor allem den dynamischen Charakter des Weltbezugs als einen immer im Gang befindlichen Prozess. Damit stand er im Gegensatz zu Sartres existenzialistischer Heidegger-Rezeption. Seine Phänomenologie betonte im Unterschied zu Heidegger stärker den leiblichen Aspekt des Weltumgangs: standen bei Heidegger für die Erschließung der Welt eher eingeschliffene Handlungsvollzüge im Vordergrund, so sah Merleau-Ponty die Orientierung und Verankerung in Situationen eher durch sinnlich-leibliche Erfahrungen gegeben.

Michel Foucault

Für Michel Foucault war Heidegger „immer der maßgebliche Philosoph gewesen“ und er sah sein „ganzes philosophisches Werden“ von der Lektüre Heideggers bestimmt.[7] Jedoch ist keine durchgängige Wirkungslinie in Foucaults Heidegger-Rezeption auszumachen, statt dessen knüpfte Foucault an eine Vielzahl einzelner Ideen an.

Jacques Derrida

Derrida knüpfte mit seiner Dekonstruktion an Heideggers Programm der Destruktion der Metaphysik an, gleichzeitig wollte er sich mit dem Begriff auch von Heidegger distanzieren. Er warf Heidegger vor, durch die Einteilung „innerhalb der Metaphysik“ und „außerhalb der Metaphysik“ immer noch im metaphysisch-kategorisierenden Denken zu bleiben. Allerdings zeigt sich hieran auch, dass Derrida Heideggers spätes Denken – das eines Anderen Anfangs, in dem Heidegger genau dieses Problem zu überwinden sucht – nicht mehr rezipierte.[8]

Richard Rorty

Richard Rorty bewies einen souveränen Umgang mit Heideggers Ansätzen. Sich weder der analytischen Philosophie, noch der „Kontinentalphilosophie“ verpflichtet fühlend, sah er Heideggers Philosophie als „Werkzeugkasten“ und „Steinbruch“, aus welchem es sich lohne Gutes zu behalten und Schlechtes fallen zu lassen.

Gianni Vattimo (pensiero debole)

In der jüngeren italienischen Philosophie knüpft insbesondere Gianni Vattimo mit dem Konzept des pensiero debole (schwaches Denken) an Heidegger an. Gegen diese Heidegger-Faszination in seinem Land wendet sich wiederum entschieden der Philosoph Paolo Rossi.

Heidegger beeinflusste zahlreiche weitere Philosophen wie Hermann Schmitz oder Ernst Tugendhat.

Heidegger-Rezeption durch analytische Philosophen

Insgesamt stehen die meisten analytisch geschulten Philosophen Heidegger kritisch gegenüber, vor allem in den frühen Phasen analytischer Philosophe, als diese sich mehrheitlich durch relativ strikte Orientierung an sprachanalytischen Methoden und empiristischen Sinnkriterien definierte.

Ausgehend von sprachanalytischen Betrachtungen wird die Produktion diverser Scheinprobleme durch sprachliche und begriffliche Verwirrungen kritisiert. Dazu hat vor allem Carnaps Kritik[9] schon recht früh maßgebend beigetragen.[10] Dabei bemängelte Carnap nicht, dass dem Wortgebrauch Heideggers keine Sinnesdaten zugrunde lägen oder Wortneuschöpfungen dem allgemeinen Sprachgebrauch widersprächen. Vielmehr entspreche er nicht den Regeln der Logik, denn diese hatte, so Carnap, gezeigt, dass z.B. der Begriff des Nichts weder ein Substantiv, noch ein Verb ist – Heidegger hingegen verwendete ihn in beiden Bedeutungen. Allerdings war Carnap klar, dass diese Kritik Heidegger nicht treffen konnte, denn Heidegger hatte die Logik als Grundlage aller Philosophie stark in ihre Schranken verwiesen. Carnaps Kritik ist daher breiter angelegt, wenn er fordert, die Philosophie müsse, gleich den Naturwissenschaften, eher einem Gebäude gleichen, an welchem alle nach allgemein anerkannten Regeln mitbauen können. Friedmann bezeichnet diese philosophisch-politische Orientierung etwa als neue Sachlichkeit, eine Bewegung welche sich dem Internationalismus, einer sachorientierten, wissenschaftlichen und antiindividualistischen Neugestaltung verpflichtet hatte. In Friedmanns Einschätzung ist diese soziale und politische Motivation Carnaps wesentlich für dessen Angriffe auf Heidegger – Carnap selbst sprach vom „Kampf gegen die Metaphysik.“[11] In seiner philosophiegeschichtlichen Studie zeigt Friedmann den großen Gegensatz von „kontinentaler“ und analytischer Tradition anhand von eben Heidegger und Carnap. Bezüglich der Beziehung beider Traditionen resümiert er:

„Wir können entweder, mit Carnap, an der formalen Logik als dem Ideal universeller Gültigkeit festhalten und uns demzufolge auf eine Philosophie der mathematischen exakten Wissenschaften beschränken; oder wir können uns, mit Heidegger, von der Logik und dem ‚exakten Denken‘ abnabeln, mit dem Resultat, dass wir letztlich das Ideal wahrhaft universeller Gültigkeit aufgeben. Wenn ich nicht irre, dann ist es eben dieses Dilemma, das am Grund der für das 20. Jahrhundert typischen Spaltung von ‚analytischer‘ und ‚kontinentaler‘ Tradition liegt.“[12]

Hinzu kam die geographische Spaltung durch die Migration Carnaps (und Cassirers) nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Friedmann sieht aber im Werk Cassirers die beste Möglichkeit beide Traditionen zum Dialog zu führen, denn Cassirer selbst hatte sich stets um die Integration der unterschiedlichsten Denkweisen in seine Philosophie der symbolischen Formen bemüht.

In jüngerer Zeit[13] wurden auch analytische Rekonstruktionen und Verteidigungen einiger Auffassungen Heideggers vorgelegt. Nennenswert sind beispielsweise die Arbeiten von Taylor Carman, der auf insgesamt weitgehend kantischer Grundlage Heidegger eine interessante Alternativposition zu den Intentionalitätstheorien von beispielsweise Daniel Dennett oder John Searle zuschreibt.

Bekannt ist auch die wohlwollende Rezeption von Hubert Dreyfus. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem ersten Teil von „Sein und Zeit“ und hier wiederum auf den pragmatisch zu deutenden Ansätzen, sowie den gegen den cartesianische Thesen fruchtbar zu machenden Aspekten. Dreyfus stellt diese Searles Auffassung von Intentionalität entgegen.

Andere wichtige analytische Interpretationen zu Teilaspekten von Heideggers Werk stammen beispielsweise von John Haugeland, Robert Brandom, William Blattner oder John Richardson. Daneben gibt es kritische Arbeiten beispielsweise von William Valicella. Auch Richard Rorty, der zumindest mit seinen frühen Arbeiten als analytischer Philosoph gelten kann, hat über Heidegger geschrieben. Rortys Entwicklung und deren kontroverse Beurteilung teilweise auch bei den eben erwähnten analytischen Heidegger-Interpreten andererseits ist selbst ein gutes Beispiel dafür, dass früher gezogene Grenzen zwischen „analytischer“ und „kontinentaler“ Tradition in mehreren Hinsichten problematisch geworden sind.

Heidegger und das ostasiatische Denken

Heidegger ist der erste große europäische Denker, der nicht nur eine breite Rezeption im ostasiatischen Raum fand, sondern dessen Denkweg auch ständig durch Gespräche mit ostasiatischen Philosophen begleitet wurde.[14] Bereits in den zwanziger Jahren nahmen viele später bedeutende japanische Philosophen an seinen Seminaren teil, so zum Beispiel Tanabe Hajime, Miki Kiysoshi, Kuki Shuzo, Watsuji Tetsuro, Nishitani Keiji, Hisamatsu Shin'ichi und Tsujimaru Koichi als die bedeutendsten. Dies führte für beide Seiten zu einem breiten Dialog. Auch versuchte Heidegger 1946 zusammen mit dem Chinesen Paul Shih-yi Hisao das Daodejing zu übersetzen.

In „Was heißt Denken?“ sprach Heidegger erstmals vom „unausweichlichem Gespräch mit der ostasiatischen Welt“.[15] An anderer Stelle setzte er dann für den Prozess der Begegnung 300 Jahre an.[16] Heidegger suchte den Dialog und war der Auffassung, dass es nicht einfach um eine Übernahme zum Beispiel zen-buddhistischer oder anderer östlicher Welterfahrung gehen kann.

Derzeit gibt es sieben japanische Übersetzungen von „Sein und Zeit“, sowie eine japanische Gesamtausgabe, welche parallel zur deutschen erarbeitet wird. Ebenso hat sich in Japan eine breite Heidegger-Forschung entwickelt. Für die umfassende Rezeption ist, wie Tanabe betont, vor allem Heideggers starker Bezug zum Tod verantwortlich, ein Thema welches z.B. im Daoismus und Zen-Buddhismus von grundlegender Bedeutung ist. Nishitani Keiji und Tsujimaru Koichi fanden vor allem an Heideggers (seins-)geschichtlicher Deutung des Nihilismus und der Technik Interesse, da ihrer Meinung nach geschichtliche Aspekte dem zen-buddhistischem Denken fehlen.[17]

In Südkorea sind vor allem Park Chong-Hong und Ha Ki-Rak zu nennen, welche sich mit dem Heideggerschen Werk befassten. Der Koreaner Cho Kah Kyung, seit längerem in den USA lehrend, versucht dort eine Brücke zwischen abendländischem Denken und ostasiatischer Tradition zu schlagen. In China ist der Name Chang Chung-yuan zu nennen, der 1969 in Honolulu das Symposion „Heidegger and the Eastern Thought“ organisierte.

Außer in Ostasien fand Heidegger auch in Indien Anklang. Sein bedeutendster Schüler ist Jarava Lal Metha, welcher auch direkten Kontakt zu Heidegger hatte und der sich durch seine Bücher darum bemüht, Heideggers Denken in Indien bekannt zu machen.[18]

Rezeption in anderen Bereichen

Heideggers Wirkung blieb nicht nur auf die Philosophie beschränkt. Vor allem durch sein Werk „Sein und Zeit“ beeinflusste Heidegger die Psychoanalytiker Medard Boss, Jacques Lacan und Ludwig Binswanger. Heideggers Denken hat schon seit den 20er Jahren einen starken Einfluss auf die protestantische Theologie ausgeübt (vor allem auf Rudolf Bultmann – mit dem Heidegger befreundet war – und dessen Schüler). Zur „katholischen Heideggerschule“ (Erich Przywara) werden Gustav Siewerth, Johann Baptist Lotz, Karl Rahner, Bernhard Welte, Max Müller und Karl Lehmann gerechnet. Eine bedeutende Heidegger-Wirkung ist ferner in der Literaturwissenschaft (Emil Staiger) und in der Übersetzungswissenschaft (George Steiner, Fritz Paepcke, Radegundis Stolze)[19] nachweisbar.

Parodien

Heidegger in der Satire

Heidegger wurde vor allem wegen seines eigentümlichen Umgangs mit der Sprache vielfach zum Gegenstand von Satiren. So zum Beispiel in Gabriel Marcels Theaterstück „La Dimension Florestan“, in dem es in ironischer Anspielung auf Heideggers vermeintlich tautologischen Sprachgebrauch heißt: „Die Birne birnt, haben Sie gesagt, der Apfel apfelt, haben Sie mir mit noch unabweislicherer Autorität ergänzt.“[20] Günter Grass lässt in seinem Roman „Hundejahre“ einen durch Heidegger inspirierten Feldwebel mit den Worten auftreten: „Und eben das Wörtchen Existenz passte überall hin: 'Existier mir mal ne Zigarette […]. Wenn du nicht gleich die Fresse hältst, existiere ich Dir eine.' […] Wochenendurlaub hieß Existierpause.“ Elfriede Jelinek findet in ihrem Theaterstück „Totenauberg“ die Wendung vom „Herrchen des Seins“ in Anspielung auf Heideggers Humanismusbrief. Deren österreichischer Schriftstellerkollege Thomas Bernhard legte der Hauptfigur seines Romans Alte Meister, dem Kunstkritiker Reger, eine groteske Schimpftirade gegen Heidegger samt der Heidegger-Rezeption in deutschen Intellektuellenkreisen in den Mund. Heidegger wird darin etwa ein „Voralpenschwachdenker“ genannt, zur Heidegger-Rezeption bemerkt Reger: „Die Heideggerkuh ist längst abgemagert, aber die Heideggermilch wird immer noch gemolken.“[21] Thomas Pigor schrieb sogar ein „Heidegger Lied“[22], in dem zu karibischen Rhythmen der Hörer den Schwarzwald rauf und runter „geheideggert“ wird. Die Satiriker Jörg Metes und Tex Rubinowitz haben Heideggers Stil mit den (natürlich erfundenen) „sieben sinnentstellendsten Druckfehlern in der ersten Auflage von Heideggers ‚Sein und Zeit‘“ einen Spiegel vorgehalten, etwa:

„S.85 Mitte: „Das ontologisch verstandene Bewendenlassen ist vorgängige Freigabe des Seienden auf seine innerumweltliche Zuhandenheit.“ Nicht jedoch: „Das ontologisch verstandene Bewendenlassen ist vorgängige Freigabe der Seilenden auf ...““[23]

Der Nietzsche-Forscher Erich F. Podach kritisierte seiner Meinung nach weit hergeholte und absichtlich unverständliche Interpretationen Nietzsches, wie er sie unter anderem bei Heidegger sah. Zur Veranschaulichung gab er eine Deutung von Nietzsches Gedicht Unter Töchtern der Wüste[24] im Stil Heideggers – um aber die „Wüstentöchter“ recht profan als Prostituierte zu entlarven:[25]

„[…] das Spielerische der Absenz bezeugt das Vorhandensein; es ist das Zuhandensein, worauf es nunmehr an-kommt, und der denkmetaphysische Vorwurf, von hier angezweifeltem Rechte, erlangte seine Bürge dadurch, daß einem Oasenbesucher nicht nur das eine, sondern auch das andere Beinchen der Wüstentochter zu-kommt. […] Gewisse Partien der Auslegung sind, trotz ihres Verschlüsseltseins, der Ab- und An-Frage sichvertiefender Lese aufschließbar, so der Beitrag zum Monologischen in der Wieder-Kehre des Ver- und Be-Ruflichen der Wüstentöchter. […]“

Fritz Heidegger über seinen Bruder

In unmissverständlicher Kritik an der Alles verwerten wollenden modernen Wirtschaft bemerkte er im schwäbisch-alemanischem Dialekt: Den Martin hot me für nix Gscheits brauche kenne, no isch er halt Philosoph worre. (Den Martin hat man für nichts Gescheites gebrauchen können, da ist er eben Philosoph geworden.)

Literatur

Zur Rezeption allgemein

  • Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler Verlag, Stuttgart 2003

Zur Rezeption außerhalb Deutschlands

  • Hartmut Buchner (Hg.), Japan und Heidegger: Gedenkschrift der Stadt Meßkirch zum hundertsten Geburtstag Martin Heideggers , Sigmaringen: Thorbecke, 1989
  • Dominique Janicaud, Heidegger en France, Paris: Albin Michel, 2 Bde., 2001
  • Daivid Pettigrew, French interpretations of Heidegger : an exceptional reception, Albany, N.Y. : SUNY Press, 2008
  • Samuel Fleischacker (Hg.), Heidegger's Jewish followers : essays on Hannah Arendt, Leo Strauss, Hans Jonas, and Emmanuel Levinas, Pittsburgh, Penn. : Duquesne Univ. Press, 2008
  • Gabriel Liiceanu / Thomas Kleininger, "Heideggers Rezeption in Rumänien (1931-1987)", in: Studia Phaenomenologica I (2001) 1-2, S. 25-43
  • Andreas Michel, Die französische Heidegger-Rezeption und ihre sprachlichen Konsequenzen : ein Beitrag zur Untersuchung fachsprachlicher Varietäten in der Philosophie, Heidelberg : Winter, 2000
  • Tom Rockmore, Heidegger und die französische Philosophie, aus dem Amerikan. und Franz. von Thomas Laugstien, Lüneburg: Zu Klampen, 2000, ISBN 3-924245-96-7
  • Gwang-Il Seo, Die Heidegger-Rezeption in Korea : mit einem Einblick in die Probleme der Heidegger-Forschung und Interpretation, Düsseldorf, Univ., Diss., 1991
  • Translating Heidegger's Sein und Zeit, Studia Phaenomenologica Bd. V (2005) [Thema des Bandes ist die weltweite Rezeption des ersten Hauptwerks Heideggers], ISBN 973-50-1142-5

Zur Rezeption in anderen Disziplinen

  • Larisa Cercel, "Hermeneutik des Übersetzens. Heidegger, Gadamer und die Translationswissenschaft", in: Studia Phaenomenologica V (2005), S. 335-353
  • Dies. (Hg.), Übersetzung und Hermeneutik / Traduction et herméneutique, Bucharest, Zeta Books 2009, ISBN 978-973-1997-06-3 (paperback), 978-973-1997-07-0 (ebook)
  • Martin Heideggers Einfluß auf die Wissenschaften Aus Anlass seines sechzigsten Geburtstages verfasst von Carlos Astrada, Kurt Bauch, Ludwig Binswanger, Robert Heiss, Hans Kunz, Erich Ruprecht, Wolfgang Schadewaldt, Heinz-Horst Schrey, Emil Staiger, Wilhelm Szilasi, Carl Friedrich von Weizsäcker, Bern: Francke, 1949
  • Otto Pöggeler, Philosophie und hermeneutische Theologie: Heidegger, Bultmann und die Folgen, München ; Paderborn : Fink, 2009

Siehe auch

  • Heidegger-Gesamtausgabe

Einzelnachweise

  1. Martin Heidegger: Sein und Zeit (GA 2), S. 181
  2. Domenique Janicaud: Heidegger und Jean-Paul Sartre – Anerkennung und Abweisung, in: Dieter Thomä: Heidegger Handbuch, Metzler Verlag, Stuttgart 2003, S. 414
  3. Domenique Janicaud: Heidegger und Jean-Paul Sartre – Anerkennung und Abweisung, in: Dieter Thomä: Heidegger Handbuch, Metzler Verlag, Stuttgart 2003, S. 415
  4. Vgl. hierzu den Bericht Simone de Beauvoirs in ihrem Buch Der Lauf der Dinge, Rowohlt, 1970
  5. Jürgen Habermas: Urbanisierung der Heideggerschen Provinz: Laudatio auf Hans-Georg Gadamer aus Anlaß der Verleihung der Hegel-Preises der Stadt Stuttgart, 1979 in Das Erbe Hegels, Frankfurt am Main 1979, S. 9-31.
  6. Hannah Arendt / Martin Heidegger: Briefe 1925-1975 und andere Zeugnisse, Frankfurt a.M. 1999, S. 149
  7. Michel Foucault: Die Rückkehr der Moral. Gespräch mit Barbedette und André Scala. übers. von Wilhelm Miklenitsch, in Pravu Mazumdar: Foucault. dtv Verlag, Reihe Philosophie jetzt!, München 1998, S. 492
  8. Vgl. Robert Bernasconi: Heidegger und die Dekonstruktion. in Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch. Stuttgart 2003, S. 443
  9. Rudolf Carnap: Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, in Erkenntnis, 2, 1931/32
  10. Vgl. Michael Friedmann: Carnap, Cassirer, Heidegger, Geteilte Wege. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004, S. 25ff
  11. Zitiert nach Michael Friedmann: Carnap, Cassirer, Heidegger, Geteilte Wege. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004, S. 31
  12. Michael Friedmann: Carnap, Cassirer, Heidegger, Geteilte Wege. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004, S. 161
  13. Zu den Anfängen vgl. auch Dieter Thomä: Heidegger-Handbuch, 463ff
  14. Vgl. Rolf Elberfeld: Heidegger und das ostasiatische Denken. in Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, Stuttgart 2003, S. 469f
  15. Was heißt Denken? (GA 8), S. 136
  16. Vgl. Rolf Elberfeld : Heidegger und das ostasiatische Denken. in Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, Stuttgart 2003, S. 469
  17. Vgl. Rolf Elberfeld : Heidegger und das ostasiatische Denken. in Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, Stuttgart 2003, S. 471
  18. Vgl. Rolf Elberfeld : Heidegger und das ostasiatische Denken. in Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, Stuttgart 2003, S. 472
  19. Vgl. Larisa Cercel, "Hermeneutik des Übersetzens. Heidegger, Gadamer und die Translationswissenschaft", in: Studia Phaenomenologica V (2005), S. 335-353
  20. Zitiert nach Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch. Stuttgart 2003, S. 511
  21. Thomas Bernhard, Alte Meister. Frankfurt am Main 1985
  22. Lied als MP3 (Auszug) und Liedtext
  23. Jörg Metes, Tex Rubinowitz: Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen. Listen, die die Welt erklären. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1997, ISBN 3-462-02548-1, S. 85.
  24. Aus den Dionysos-Dithyramben, veränderte Fassung des gleichnamigen Kapitels im vierten Teil von Also sprach Zarathustra; KSA 6, S. 381–387.
  25. Erich F. Podach: Friedrich Nietzsches Werke des Zusammenbruchs. Wolfgang Rothe Verlag, Heidelberg 1961, S. 362–364. Die Stelle bezieht sich eigentlich auf eine Deutung K.-H. Volkmann-Schlucks, dessen Duktus aber eindeutig in der Nachfolge Heideggers steht.

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