George Steiner

George Steiner

Francis George Steiner (* 23. April 1929 in Paris) ist emeritierter Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft, Schriftsteller, Philosoph, Kulturkritiker sowie Kenner der europäischen Kulturgeschichte. Wegen der Judenverfolgung 1940 mit seinen Eltern in die USA emigriert, erhielt er 1944 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Akademische Laufbahn

George Steiner wurde als Sohn der Österreicher Dr. (Friedrich) Frederick George Steiner und Else Steiner in Paris geboren. Er besuchte zunächst das Pariser Lycée Janson de Sailly und nach der Emigration seiner Eltern im Jahr 1940 das French Lycée in New York. Steiner studierte in Chicago (M.A.), Harvard (B.A.) und wurde am Balliol College der Universität Oxford promoviert. Noch als Student begann er zu publizieren und arbeitete von 1952 bis 1956 als Redakteur bei der Zeitschrift "The Economist" in London.

Danach kehrte er zurück in die USA und besuchte von 1956 bis 1958 das Institute for Advanced Study der Princeton University, an dem er 1959/60 auch seine ersten Vorlesungen halten konnte. 1958/59 erhielt Steiner eine Fulbright-Professur an der Universität Innsbruck, und ab 1961 lehrte er als Founding Fellow am Churchill College in Cambridge. 1974 wechselte er als Professor für Englische Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft zur Universität Genf, wo er bis zu seiner Emeritierung 1994 tätig war. Daraufhin übernahm er 1994/95 den Lord-Weidenfeld-Lehrstuhl für Komparatistik am St Anne's College der Universität Oxford. 2002/03 schloss er seine Lehrtätigkeit mit einer Professur an der Harvard University ab (als Norton Professor of Poetry).

Als Fachmann für vergleichende Literaturwissenschaft beschäftigt er sich in seinen Büchern und Aufsätzen mit kulturphilosophischen Fragen der Übersetzung und dem Wesen von Sprache und der Literatur. Er untersucht vorzugsweise die Beziehung zwischen Literatur und Gesellschaft, insbesondere im Licht der neueren Geschichte. So verfasste er etwa in Language and Silence (1967) Essays über die dehumanisierenden Folgen des Zweiten Weltkrieges auf die Literatur. Er schreibt neben wissenschaftlichen Beiträgen regelmäßig auch Rezensionen und Artikel für Zeitschriften und Zeitungen wie den New Yorker, das Times Literary Supplement und den Guardian. Steiner spricht und schreibt in fünf Sprachen. Er ist Mitglied der British Academy.

Familie

1955 heiratete er Dr. Zara Shakow, mit der er über seine Freunde 1952 bekannt gemacht worden war. Sie haben einen Sohn, David, der als Dekan der School of Education am Hunter College in New York vorsteht, und eine Tochter, Deborah, die als Professorin für Klassische Philologie an der Columbia University lehrt.

Werke

Chronologisch geordnet nach dem Erscheinen der englischen Originalausgabe:

  • 1959: Tolstoj oder Dostojewskij. Analyse des abendländischen Romans. Aus dem Englischen von Jutta und Theodor Knust. München, Zürich: Piper 1990 (deutsch zuerst: Langen Müller, München, Wien 1964; engl. Originalausg. zuerst u.d.T.: Tolstoy or Dostojewsky. New York: Alfred A. Knopf 1959).
  • 1961: Der Tod der Tragödie. Ein kritischer Essay. Langen Müller, München, Wien 1962 (Zuerst u.d.T.: Death of Tragedy. New York: Alfred A. Knopf 1961).
  • 1967: Sprache und Schweigen. Essays über Sprache, Literatur und das Unmenschliche. Aus dem Englischen von Axel Kaun. Suhrkamp, 1969 (engl. Originalausg.: Language and Silence: Essays on Language, Literature, and the Inhuman. Atheneum, 1967)
  • 1971: In Blaubarts Burg. Anmerkungen zur Neudefinition der Kultur. Deutsch von Friedrich Polakovics. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972 (= suhrkamp taschenbuch 77; Zuerst u.d.T.: Notes towards the Redefinition of Culture. Canterbury: University of Kent 1971).
  • 1971: Extraterritorial. Papers on Literature and the Language Revolution. Middlesex: Penguin Books 1975 (= suhrkamp taschenbuch 77) Zuerst u.d.T.: Faber & Faber, London 1972 (First published in U.S.A. 1971).
  • 1973: Sprache und Schweigen. Essays über Sprache, Literatur und das Unmenschliche. Aus dem Englischen von Axel Kaun. Suhrkamp, 1969
  • 1973: "The Sporting Scene. White Knights of Reykjavik." London: Faber & Faber
  • 1975 / 1992: Nach Babel. Aspekte der Sprache und des Übersetzens. Erweiterte Neuauflage. Deutsch von Monika Plessner unter Mitwirkung von Henriette Beese. Übersetzung des Vorworts sowie der überarbeiteten und neuen Textpassagen durch Peter Sillem. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, 487 S., Gebunden, ISBN 3-518-40648-5 (deutsch zuerst: 1981; engl. Originalausg. zuerst u.d.T.: After Babel. Aspects of Language and Translation (Second Edition). 1992 (first published in 1975)).
  • 1978: Martin Heidegger. Eine Einführung. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. München, Wien: Hanser 1989 (= Edition Akzente, 224 S., Paperback, ISBN 3-446-15358-6. Zuerst u.d.T.: Martin Heidegger. New York: The Viking Press 1978).
  • 1984: Die Antigonen. Geschichte und Gegenwart eines Mythos. Aus dem Englischen übersetzt von Martin Pfeiffer. München, Wien: Hanser 1988, ISBN 3-446-14850-7; München: Deutscher Taschenbuchverlag 1990, ISBN 3-423-04536-1 (Zuerst u.d.T.: Antigones. Oxford, New York: Oxford University Press 1984).
  • 1989: Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt? Mit einem Nachwort von Botho Strauß. Aus dem Englischen von Jörg Trobitius. München, Wien: Hanser 1990, 320 S., Paperback, ISBN 3-446-15823-5 (Zuerst u.d.T.: Real Presences. London: Faber and Faber 1989).
  • 1996: Der Garten des Archimedes. Essays. Aus dem Englischen von Michael Müller. Hanser, München, Wien 1997, 354 S., farb. Abb., Paperback, ISBN 3-446-18957-2 (Zuerst u.d.T.: No Passion Spent. Essays 1987 – 1996. Faber and Faber, London 1996).
  • 1999: Errata: Bilanz eines Lebens. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. München, Wien: Hanser 1999 (Zuerst u.d.T.: Errata. Faber & Faber, London 1999). dtv: ISBN 3-423-30855-9, Autobiografie
  • 2001: Grammatik der Schöpfung. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. München, Wien: Hanser 2001 ISBN 3-446-20077-0 (Zuerst u.d.T.: Grammars of Creation. Faber & Faber, London 2001). dtv: ISBN 3-423-34095-9
  • 2004: Der Meister und seine Schüler. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. Hanser, München 2004, 224 S., Gebunden, ISBN 3-446-20549-7, Rezension: [1]
  • 2006: Warum Denken traurig macht. Zehn (mögliche) Gründe. Aus dem Englischen von Nicolaus Bornhorn. Mit einem Nachwort von Durs Grünbein. Suhrkamp 2006, 91 S., Gebunden, ISBN 3-518-41841-6
  • 2007: Meine ungeschriebenen Bücher. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. Hanser, München 2007, 272 S., Gebunden, ISBN 978-3-446-20934-3
  • 2009: Die Logokraten. Aus dem Englischen und Französischen von Martin Pfeiffer. Hanser, München, 254 S., ISBN 978-3-446-23322-5, Essay- und Gesprächsband

Zitate

Wir sind uns jetzt bewußt, daß extreme Formen kollektiver Hysterie und Grausamkeit mit einer damit parallel verlaufenden Instandhaltung oder sogar Weiterentwicklung der Institutionen, der Bürokratie und der Berufsethik einer hochentwickelten Kultur einhergehen können. [...] Wir wissen auch - und hier betreffen es Kenntnisse, die sorgfältig dokumentiert sind, aber bisher in keiner Weise Eingang in eine rationelle Psychologie gefunden haben -, daß in ein und demselben Individuum klare Merkmale einer literarischen und ästhetischen Empfindung mit einem barbarischen, politisch sadistischen Verhalten zusammen gehen können. Menschen wie Hans Frank, der die Endlösung in Osteuropa leitete, waren begeisterte Kenner und in einigen Fällen Interpreten von Bach und Mozart. Wir wissen, daß manche Helfer und Helfershelfer der Bürokratie der Henker und der Verbrennungsöfen Goethe-Kenner waren und gern Rilke lasen.

George Steiner, In Blaubarts Burg, 1971 [2]

„(G. Steiner zu seinem Verhältnis zu Israel:) Israel ist ein reines Wunder, ein magisch erfüllter Traum aus der Hölle. Es ist jetzt der einzige sichere Zufluchtsort für den Juden, wenn es irgendwo wieder losgeht. Und es wird wieder losgehen! Vielleicht wird Israel eines Tages meine Kinder und Enkelkinder beherbergen. Welcher Jude hat das Recht, dem Zionismus gegenüber Zweifel, sogar Trauer zu hegen? Jedoch: Während mehr als zweitausend Jahren der Verfolgung, des Massenmords, des Ghettos und des Hohns war der Jude nicht imstande, einen anderen Menschen zu demütigen, zu foltern. Meines Erachtens gab es keine höhere Auszeichnung, keinen stolzeren Adel, als dem Volk anzugehören, welches nicht gefoltert hat! Beinahe seit meiner Kindheit war ich so stolz darauf, von solch einer Arroganz: Ich gehöre der höchsten Rasse an, weil wir nicht foltern. Wir sind die einzigen. Wir hatten nicht die Macht dazu. Halleluja!

George Steiner, Wir alle sind Gäste des Lebens und der Wahrheit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2003, S. 39

Auszeichnungen (Auszug)

  • 1984: Chevalier de la Légion d'Honneur
  • 1989: Honorary Membership der American Academy of the Arts and Sciences
  • 2001: Prinz-von-Asturien-Preis (Premio Príncipe de Asturias), Kategorie «Kommunikation und Geisteswissenschaften»
  • Am 25. Mai 2003 erhielt er den Ludwig-Börne-Preis auf Vorschlag des Jurors Bundesaußenminister Joschka Fischer von der Frankfurter Ludwig-Börne-Stiftung.[3]

Literatur

  • Paul Bellebaum: Denken über Kunst. Platon - Goethe - Tolstoj - Rudolf Steiner - George Steiner. Fünf Essays. Möllmann, Paderborn 1998, 127 S., ISBN 3-931156-31-1
  • Hans-Jürgen Heinrichs: Von der Glaubwürdigkeit des Futurs und der schwindenden Gottähnlichkeit des Künstlers: George Steiners epochale Studie zur "Grammatik der Schöpfung". In: Frankfurter Rundschau, 21. Februar 2002.
  • Hans-Holger Malcomeß: Primäre Gestalt und sekundärer Diskurs. Die Diskussion des Authentischen ausgehend von George Steiner. TU Dresden, Literaturwissenschaftliche Magisterarbeit, November 2005, online-Text

Weblinks

 Wikiquote: George Steiner – Zitate (Englisch)
Gespräche

Quellen

  1. Rezension von Wolfram Schütte: „Der Meister und seine Schüler“, Titel-Magazin, 7. April 2005
  2. Gertie F. Bögels: Psychoanalyse in der Sprache Alice Millers. Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 1997, ISBN 3-8260-1321-2, (Universität Amsterdam, Dissertation, 1992), S. 80.
  3. „Auszeichnung: Schriftsteller George Steiner erhält Ludwig-Börne-Preis“, dpa / FAZ, 25. Mai 2003

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