Homo mensura

Homo mensura

Als Sophisten (griechisch σοφισταί sophistaí, lat. sophistae) bezeichnet man eine Gruppe von griechischen vorsokratischen Philosophen, die in die Geschichte der antiken Philosophie unter der Bezeichnung Lehrer der Weisheit und der schönen Rede eingegangen sind.

Nach ihren philosophischen Ansichten und ihren logischen Lehren werden sie in einige Gruppen eingeteilt:

  • I. Die älteren Sophisten: Protagoras, Gorgias, Hippias von Elis, Prodikos und Antiphon untersuchten Fragen der Politik, der Ethik, des Staates, des Rechts und der Sprachwissenschaft. Sie zweifelten alle früheren Prinzipien an, alle Wahrheiten erklärten sie für relativ. Dieser Relativismus auf die Erkenntnistheorie übertragen, führte die Sophisten zur Negation der objektiven Wahrheit. Bekannt wurde der Aphorismus des Protagoras Der Mensch ist das Maß aller Dinge, nach dem auch jeder Mensch seine besondere Wahrheit habe (Homo mensura). Gorgias ging noch weiter, als er in seinem Werk Über das Nichtseiende oder über die Natur erklärte, dass „überhaupt nichts ist“, nicht einmal die Natur. Der Sophist Xeniades schloss sich dem an und erklärte, dass es keine wahren Urteile gibt, dass alle Aussagen der Menschen falsch sind. Sie brachten den Menschen auch bei, wie sie bei den diversen Gerichtsverfahren sich verhalten sollten.

Ähnliche Gedanken fasst auch Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert, sie finden sich auch im Nihilismus: „das schaffende, wollende, wertende Ich“ werde das „Maß und der Wert der Dinge“. Dieser Satz unterscheidet sich deutlich vom Grundsatz des Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß!. Dies macht Nietzsches Haltung gegenüber Sokrates (in: Götzen-Dämmerung) verständlich.

  • II. Die jüngeren Sophisten: Kallikles, Kritias und Thrasymachos verabsolutieren den Relativismus derart, dass die Sophistik sich bei ihnen bereits in ein Jonglieren mit Worten auflöste, in betrügerische Verfahren zum gleichzeitigen „Beweis“ von Wahrem und Falschem. Als weitere Sophisten sind Polos (Sophist) und Euthydemos bekannt geworden.

Seit der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts vor der Zeitrechnung wurden in Griechenland alle Menschen als Sophisten bezeichnet, die z. T. gegen Bezahlung die Lehre der Sprechkunst, des Denkens und Prozessierens anboten. Auch zeigten sie besondere Methoden des Auftretens, des Handelns und des selbständigen Denkens. In den Hochzeiten der Sophistik haben ihre Vertreter die Menschen auf die Probleme des subjektiven Faktors im Erkennen und Werten hingewiesen, allerdings im Sinne eines Skeptizismus. In späterer Zeit wurde für die Sophisten auch die Bezeichnung Rhetoren verwendet.

Rezeption

Sokrates und Platon kritisierten die Lehren und das Vorgehen der Sophisten scharf; ihre Kritik wurde von zahlreichen Wissenschaftlern und Politikern übernommen und fortgeführt. So nannte auch Aristoteles die Sophisten „Lehrer der Scheinweisheit“. In seinem Traktat Über sophistische Widerlegungen gab er eine systematische Darstellung der Widerlegungen sophistischer Tricks, mit deren Hilfe man im Streitgespräch den betrügerischen Anschein eines Sieges erzielen kann.

Theodor Gomperz gab folgendes Urteil ab:

Platons Sophisten-Verhöhnung steht auf der gleichen Linie mit Schopenhauers Schmähung der 'Philosophenprofessoren' oder mit Auguste Comtes Ausfällen gegen die 'Akademiker' (in: Griechische Denker, 3 Bände, 1896 bis 1909)

Thomas von Aquin bezeichnet die Sophisten als qui apparent scientes et non sunt. (die als Wissende erscheinen und es nicht sind.)

Bei Immanuel Kant findet sich eine ähnliche Bewertung:

Es giebt also eine natürliche und unvermeidliche Dialektik der reinen Vernunft, nicht eine, in die sich etwa ein Stümper durch Mangel an Kenntnissen selbst verwickelt, oder die irgend ein Sophist, um vernünftige Leute zu verwirren, künstlich ersonnen hat, … (KrV, AA III, 327)

Die weit verbreitete negative Einschätzung der Sophisten, die sich auch auf ihre im alten Griechenland unübliche Tätigkeit gegen Bezahlung bezieht, ist sicher nicht immer gerechtfertigt. Dabei dürfte gerade Platons Kritik für die weitere Rezeptionsgeschichte des Sophismus prägend gewesen sein. Wichtig ist allerdings festzuhalten, dass Platon selbst äußerst konservative politische Ansichten hegte und deshalb die Sophisten nicht zuletzt wegen ihrer häufig demokratischen Überzeugungen bekämpfte; insofern ist es aus heutiger Sicht wichtig, die Tradition des Sophismus differenzierter zu beurteilen (von Fromberg 2007). Insbesondere haben einige Sophisten die Ausbildung der Rhetorik sehr gefördert (Lamer 1995).

Siehe auch

Literatur

  • Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert - Das Problem des Sokrates. In: Das Hauptwerk IV, nymphenburger 1990, ISBN 3-485-00621-1, Seite 263 ff.
  • Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage. Hartknoch 1787, B 871
  • Hans Lamer: Wörterbuch der Antike. 10. Auflage. Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1995, ISBN 3-520-09610-2, Eintrag Sophisten
  • Helmut Seidel: Von Thales bis Platon. Dietz Verlag Berlin 1987, ISBN 3-320-00772-6, Fünfte Vorlesung Sind die Sophisten nicht besser als ihr ruf?
  • Fromberg, Daniel von: Demokratische Philosophen. Der Sophismus als Traditionslinie kritischer Wissensproduktion im Kontext seiner Entstehung. Westfälisches Dampfboot 2007, ISBN 978-3-89691-668-6

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