Hydroxyethylstärke

Hydroxyethylstärke
Ausschnitt aus einer Hydroxyethylstärke

Hydroxyethylstärke, abgekürzt HES oder HAES (früher auch: HÄS), ist ein künstlich hergestelltes Polymer. Es wird unter anderem als Blutplasmaersatzstoff verwendet. HES dient dabei als kolloidaler Volumenersatz, der wie die Dextrane und Gelatine zum Ausgleich eines intravaskulären Volumenmangels eingesetzt wird.

Inhaltsverzeichnis

Eigenschaften der HES-Blutplasmaersatzstoffe

HES und Hyper-HES

Hergestellt wird HES aus Wachsmaisstärke oder aus Kartoffelstärke. Damit besteht er fast ausschließlich aus Amylopektin, also aus verzweigten Ketten von Glucosemolekülen. Um einen zu schnellen Abbau des Amylopektins durch das endogene Enzym Amylase zu verhindern, erfolgt eine teilweise Hydroxyethylierung der Glucoseeinheiten. Diese Hydroxyethylierung ist auch notwendig um eine Wasserlöslichkeit von Stärke zu erreichen.

Waren in der ersten Generation die durchschnittliche Molekülgröße meist 450.000 Dalton und der Substitutionsgrad betrug 0,7, so reduzierten sich diese in der zweiten Generation auf 200.000 und 0,5. In den USA ist weiterhin nur die erste Generation als Hetastarch verfügbar, während die zweite Generation als Pentastarch nur bestimmten Anwendungen vorbehalten bleibt. Heutige moderne HES haben neben einer weiter reduzierten molaren Masse von ca. 130.000 mit einem Substitutionsgrad von 0,4 auch nicht mehr Kochsalzlösung zur Aufrechterhaltung der Isotonie, sondern eine balancierte Lösung mit Azetat.

Wirkungsmechanismus

HES ist ein großmolekularer Stoff und in der Lage den kolloidosmotischen Druck in der Blutbahn zu erhalten, sodass der Flüssigkeitsverlust bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden kann und die gegebene Flüssigkeit länger in der Blutbahn verbleibt als rein kristalloide Infusionen dies tun würden.

Die Wirkungsweise von HES basiert auf dem Prinzip der Kolloidosmose. Im Blut herrscht unter Normalbedingungen ein bestimmter onkotischer Druck (kolloidosmotischer Druck). Albumine (als Kolloide) im Blut sind großmolekulare Eiweißstoffe und sorgen dafür, dass die Flüssigkeit im Blut bleibt. Kommt es zu einem Volumenmangel, etwa durch einen Schock, ist das Gleichgewicht aufgehoben, die Flüssigkeit geht aus der Blutbahn in das Gewebe über. Die Gabe einer kolloidalen Lösung wirkt dem entgegen, indem Flüssigkeit in das intravasal Lumen gezogen wird, wobei es aber zu einem Flüssigkeitsmangel im Gewebe (Interstitium) kommen kann. Deshalb ist meist zusätzlich die Gabe einer Vollelektrolytlösung nötig.

Anwendung als Volumenersatzmittel

Die Gabe erfolgt intravenös über einen großlumigen Zugang in mehreren Dosen bis zu insgesamt 1000–1500 ml und mehr. Im Notfall kann die Gabe durch eine Druckinfusion erfolgen, die nach einer Stabilisierung des Patienten verlangsamt werden kann. HES gehört zur Grundausstattung eines jeden Rettungswagens. Zusätzlich zu HES muss bei einem Mangel an interstitieller Flüssigkeit auch eine Vollelektrolytlösung (früher etwa Ringerlösung, heutzutage mit Acetat) gegeben werden, um den gesamten Flüssigkeitsmangel auszugleichen. Die Wahl bei der Anwendung von Infusionen beim akuten Notfallereignis – ob kristalloide, kolloidale oder hypertone NaCl-Lösungen – wird kontrovers diskutiert. Zwar benötigt man mit Kristalloiden für einen Volumenersatz die drei- bis fünffache Menge von Kolloid-Infusionen wie z. B. HES jedoch werden auch negative Nebenwirkungen von HES diskutiert. So wird die Anwendung von HES-Infusionen bei Verbrennungspatienten in den ersten 24 Stunden kritisch beurteilt und die alleinige Infusion von Ringer-Laktat oder einer Elektrolytlösung favorisiert, denn die kolloidale HES-Lösung kann durch Ablagerungen im Interstitium das Verbrennungsödem verstärken.

Unerwünschte Wirkungen

Nach Gabe von HES kann nach einigen Tagen ein Juckreiz der Haut (Pruritus) auftreten. Bedingt wird diese Prurigo vermutlich durch eine Anreicherung von HES in der Haut. Sie ist häufig sehr schwer zu behandeln und kann mehrere Monate andauern.[1]

Eine alleinige Gabe von größeren Mengen HES ohne zusätzliche andere Flüssigkeit könnte zu einer erhöhten Konzentration in den Tubuli der Nieren und durch die Osmose zum Nierenschaden führen. Deswegen muss HES immer mit ausreichend kristalloiden Infusionen kombiniert werden.

Alte HES-Lösungen können genauso wie Gelatine und andere Kolloide mitunter letale Nierenschädigungen hervorrufen, bzw. bei vorliegender Nierenschädigung diese bis zur Mortalität führen.

Zu der Wirksamkeit und den Indikationen von HES in der Sepsis wurde die VISEP-Studie erstellt[2] [3].) Die Aussagen dieser Studie beziehen sich jedoch ausschließlich auf HES-Varianten der zweiten Generation (200, 0.4). Zum Einsatz moderner, niedermolekularer HES-Lösungen in der Sepsis sei auf die aktuelle S2-Leitlinie [4] verwiesen.

Ergänzend sei erwähnt, dass die DGAI zu den Empfehlungen der S2-Leitlinie im Leitlinienreport [5] bzgl. niedermolekularer HES Lösungen in der Sepsis wie folgt Stellung bezieht: „Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) sieht keine Berechtigung für die Empfehlung: „Nach der gegenwärtigen Datenlage kann der Einsatz von niedermolekularen HAES-Lösungen und anderen künstlichen kolloidalen Lösungen bei Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock nicht empfohlen werden.“ und lehnt diese ab.

Weitere Indikationen und Anwendungen

HES wird in der Medizin weiterhin eingesetzt zur Verbesserung der Fließeigenschaften und Erhöhung des intravasalen Volumens mit dem Effekt der Verbesserung der Mikrozirkulation in feinen Blutbahnen:

HES als Dopingsubstanz im Leistungssport

Zweifelhafte Berühmtheit erlangte HES durch den Dopingskandal an der Nordischen Skiweltmeisterschaft 2001 im finnischen Lahti. Damals wurde sechs finnischen Langläufern, unter anderem dem Olympiasieger und mehrfachen Weltmeister Mika Myllylä, die Einnahme von HES nachgewiesen, nachdem das Mittel erst ein Jahr zuvor auf die Dopingliste des IOC gesetzt worden war, wahrscheinlich um den durch EPO-Doping oder Blutdoping gestiegenen Hämatokritwert und die damit erhöhte Blutviskosität durch die positiv rheologischen Eigenschaft[6] von HES zu kompensieren. Die leistungssteigernde Wirkung von HES selber ist unter Fachleuten umstritten.

Quellen

  1. K. Aktories, U. Förstermann, F. Hofmann, K. Starke (Hrsg.): Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. Elsevier, München 2005. S.489. ISBN 3-437-42521-8.
  2. VISEP-Studie in Der Anaesthesist
  3. Zander R, Boldt J, Engelmann L et al. (2007) Studienprotokoll der VISEP-Studie – Eine kritische Stellungnahme. Anaesthesist 56: 71–77
  4. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/079-001l_S2k_Sepsis_Leitlinientext_01.pdf
  5. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/079-001m_S2k_Sepsis_Leitlinienreport_01.pdf
  6. Karow, Lang-Roth: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie
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