Indogermanische Wortwurzeln

Indogermanische Wortwurzeln

Inhaltsverzeichnis

Begriff Wortwurzel

Der Begriff Wortwurzel hat in der Sprachwissenschaft zwei Bedeutungen. Die Wortwurzel ist zum einen eine Analyseeinheit der Morphologie, die den lexikalischen Kern eines Wortes bildet. Man erhält die Wurzel eines Wortes, indem man sämtliche Präfixe, Suffixe, Infixe und Flexionsmerkmale entfernt. ZB. ist trag die Wurzel des Wortes Unzuträglichkeiten. In der historischen Grammatik bezeichnet Wortwurzel die rekonstruierbare Ausgangsform, auf die die verwandten Wörter einer Wortgleichung innerhalb einer Sprachfamilie zurückgeführt werden können. In diesem Artikel ist vor allem die zweite Bedeutung gemeint.

Indogermanische Wortwurzeln

Die indogermanischen Wortwurzeln sind die der indogermanischen Sprachfamilie zugrundeliegenden Wurzeln. In etymologischen Wörterbüchern werden sie oft mit einem Sternchen davor angegeben (zB. so: (idg. *dhe)) um anzuzeigen, dass diese Formen nicht historisch belegt, sondern erschlossen sind.

Beispiele für indogermanische Wortwurzeln

Wortwurzel (ungefähre) Bedeutung Beispiele abgeleiteter Wörter
*agro Feld altgr. ἀγρός [agrós], lat. ager (daraus nhd. agrar-), engl. acre, nhd. Acker
*bhares Spitze, Borste, Bart lat. barba, lit. barzdà, russ. борода [boroda], engl. beard, nhd. Bart, bos. bradaBart“, wal. brathustechen
*bheudh beachten; aufmerksam machen nhd. Gebot, engl. to forbid, sanskr. bodhatier erwacht, begreift“, बुद्ध [buddha] „Erleuchteter, Erwachter“, bos. buditiaufwachen
*dhe setzen, legen, stellen nhd. tun, altgr. θῆσις [thēsis] (daraus nhd. These)
*diw Gott, göttlich, strahlend lat. dīvīnusgöttlich“, heth. tiuna, germ. *tiwaz germanischer Lichtgott (daraus engl. TuesdayDienstag“), sanskr. देव deva, lett. dievsGott“, bos. divRiese
*ed essen, beißen nhd. essen, engl. to eat, lat. edere, lett. ēstessen“, viņš / viņa ēder / sie isst“), bos. jestiessen
*gal rufen, schreien engl. to call, altnordisch kalla, bos. galamiti
*ghel rufen, schreien engl. to yell, nhd. gellen, Nachtigall
*genu Knie lat. genu, altgr. γόνυ ['góny] „Knie, Winkel“, daraus nhd. Polygon), hit. gienu, sanskr. जन [janu], per. zanu, nhd. Knie, engl. knee
*ghortó Umzäunung, Garten lat. hortus, engl. garden, wal. garth, nhd. Garten, russ. город [ǵorod] „Stadt“ (ursprünglichdas durch die Stadtmauer umzäunte Gebiet“, vgl. nhd. Zaun, engl. townStadtund niederl. tuinGarten“)
*gno wissen, erkennen lat. īgnōrāre (daraus nhd. ignorieren), altgr. γιγνώσκω [gignósko] (daraus nhd. Diagnose, Gnosis), engl. to know, nhd. kennen, bos. znati
*gras Gras ahd. gras, lat. grāmen (mit Ausfall von s vor m und Ersatzdehnung), altgr. γράστις [grástis] „Futterkraut“, an. gras, eng. grass
*gwi- lebendig nhd. Quecke, keck, Quecksilber, erquicken, engl. quick, bos. živ
*hster Stern lat. astrum, hit. šittar, altgr. ἄστρον [ástron], eng. star, per. [setareh], nhd. Stern, kurd. [astera]/[sterk]
*kaput Kopf nhd. Haupt (Wurzelwort), lat. caput (daraus nhd. Kappe, Kapital, Kap, Kapuze), schw. huvud
*(s)kel schallen, klingen nhd. schellen, Schall, hell
*klei anlehnen altgr. κλίνω [klíno] „neigen“, κλίνη [kline] „Ruhebett“ (daraus nhd. Klinik, Deklination), eng. ladder, nhd. Leiter, lett. kleinskrumm (Beine)“
*(s)lei gleiten altgr. λείμαξ [leímax] „Schnecke“, eigtl. „die Schleimige“, sanskr. श्लेश्मन् shleshmanSchleim“, engl. slide, nhd. gleiten, schlittern, Schleim , lett. slīdēt, bos. kliziti pol ŚluzSchleim“,
*me(d) abstecken, messen altgr. μέτρον [métron] „Maß“, lat. metīrīmessen“ (daraus nhd. Meter), nhd. messen, Maß, lit. metasZeit, Maß“, , lett. mērīt, bos. mjeritimessen
*nokt Nacht, Dämmerung ahd. naht, ai. [nákt], hit. [neku] „es wird Abend, es dämmert“, altgr. νύξ [nýx], lat. nox, air. nocht, wal. nos, lit. naktìs, slv. noc, ndl. nacht, eng. night, isl. nótt, sanskr. निश [nish], lett. nakts, bos. noćNacht
*pel flach, eben lat. plānis/-e, nhd. Feld ,bos. polje
*pehwr Feuer ahd. fiur, altgr. πῦρ (pyr), engl. fire, altfranzösisch fior, hit. pahhur
*peku Besitz, bewegliches Eigentum nhd. Vieh]], engl. feeLohn, Gebühr“ (Vieh als Zahlungsmittel), lat. pecusVieh“, pecūniaGeld
*perd furzen engl. to fart, lat. pedere, nhd. furzen, altgr. πέρδιξ [pérdix] „Rebhuhn“ (mit Bezug auf die charakteristische Laute des Tiers), poln. pierdzieć, lett. perdelēthin und wieder furzen“, perdinātfurzen machen, lassen“, perdasFurz“, bos. prdacFurz
*sal Salz altgr. ἅλς [háls], wal. hâl (vgl. alte keltische Ortsnamen mit Salzvorkommen in Süddeutschland, zB. Bad Reichenhall), lat. sal (daraus übers Italienische nhd. Salat), got. salt, isl. salt, engl. salt, nhd. Salz (daraus nhd. Sülze), lett. sāls, bos. sol
*sekw sagen lit. sakyti, lett. sacīt, aruss. socitianzeigen“, isl. segja, engl. to say, nhd. sagen, entfernter lat. inquiter sagt(e)“
*ten Donner, donnern(d)“ lat. tonāre, het. tethima, an. Þónarr, ai. tan, engl. thunder
*uden, *wod Wasser ai. udán, altgr. ὕδωρ (hýdōr), lat. unda, umbr. utur, hit. watar, ahd. wazzar, pol. woda, ru. вода [vodá] „Wasser“, ir. uisce, lett. ūdens, bos. voda
*wers verwirren, mischen altfranzösisch werre, frz. guerre, engl. warKrieg“, eng. worseschlimmer“, ahd. wurstMischung“, nhd. wirren, Wurst , Wirrwarr (lautmalende Reduplikation)
*wid sehen lat. videoich sehe“ (daraus nhd. Video), ahd. wissangesehen haben“, nhd. Wissen, Weise (ursprünglichErscheinung, Aussehen“), altgr. ἰδέα [idéa] „das in die Augen Fallende“ (daraus nhd. Idee), bos. viddie Sehkraft“, sanskr. विद [vid] „wissen“ (davon die Veden)
*yeug Joch sanskr. योग yogaZusammenhang“, युज yujverbinden“, lat. iugumJoch“ (daraus nhd. Konjugation), altgr. ζεῦγος [zeûgos], hit. iúkán, engl. yoke, nhd. Joch, lett. jūgs

Siehe auch

Literatur

  • Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Auflage, Hrsg. Elmar Seebold. De Gruyter, Berlin / New York 2002
  • J. P. Mallory, Douglas Q. Adams: Encyclopedia of Indo-European Culture. Fitzroy Dearborn, London/Chicago 1997
  • Julius Pokorny: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch. Francke, Bern/München 1959
  • Calvert Watkins: The American Heritage Dictionary of Indo-European Roots. Houghton Mifflin, Boston / New York 2000
  • Harald Wiese: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt. Logos Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-8325-1601-7. Populäre Darstellung.

Weblinks


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