Infinitesimaler Erzeuger

Infinitesimaler Erzeuger

Eine stark stetige Halbgruppe (gelegentlich auch als C0-Halbgruppe bezeichnet) ist eine Familie \{T(t)\}_{t\geq 0} von stetigen linearen Abbildungen T(t): X \rightarrow X eines reellen oder komplexen Banachraums X in sich, welche die drei Eigenschaften

  • T(0) = I,
  • T(s + t) = T(s)T(t) für alle s,t \geq 0 sowie
  • \lim_{t\searrow 0}T(t)x = x für alle x \in X

erfüllt. Stark stetige Halbgruppen spielen eine große Rolle in der (abstrakten) Theorie der Evolutionsgleichungen.

Inhaltsverzeichnis

Klassifikation stark stetiger Halbgruppen

Zu jeder stark stetigen Halbgruppe existieren ein \omega\in\R und ein M \geq 1, so dass für alle t \geq 0 die Abschätzung

\|T(t)\| \leq Me^{\omega t}

gilt. Hierbei bezeichnet \|\cdot\| die Operatornorm auf dem Banachraum der stetigen linearen Endomorphismen von X. Man bezeichnet die Halbgruppe

  • als Kontraktionshalbgruppe, falls dies für M = 1 und ω = 0 erfüllt ist,
  • als beschränkte Halbgruppe, falls obige Ungleichung für ein M \geq 1 und ω = 0 gilt,
  • als quasi-kontraktive Halbgruppe, falls obige Ungleichung für M = 1 und ein \omega \ge 0 erfüllt ist.

Das Infimum ω0 über alle möglichen ω, also \omega_0:=\inf\{\omega\in\R:\exists\,M\geq 1 \mathrm{\ mit\ } \|T(t)\| \leq Me^{\omega t}, t\geq 0\}, heißt Wachstumsschranke.

Betrachtet man t\in\R statt t > 0, spricht man von stark stetigen Gruppen.

Stark stetige Halbgruppen lassen sich unter gewissen Umständen von t\in[0,\infty) auf Sektoren in der komplexen Ebene fortsetzen. Solche Halbgruppen werden analytisch genannt.

Infinitesimaler Erzeuger

Setzt man

D(A) := \{x \in X\ |\ \lim_{t\searrow 0}\frac{T(t)x-x}{t}\ \mathrm{existiert}\}

sowie

A: D(A) \subset X \rightarrow X\ ,\ Ax := \lim_{t\searrow 0}\frac{T(t)x-x}{t},

so ist A ein dicht definierter, abgeschlossener, linearer Operator. Man nennt A den infinitesimalen Erzeuger oder Generator der Halbgruppe \{T(t)\}_{t\geq 0}. Es gilt, dass das abstrakte Cauchy-Problem

\left\{\begin{array}{lll}u'(t)&=&A(u(t)) + f(t)\ \mathrm{f\ddot{u}r\ alle}\ t \geq 0\ ,\\
u(0)&=&u_0\\\end{array}\right.

für den Anfangswert u_0 \in D(A) und eine stetig differenzierbare Funktion f: [0, \infty) \rightarrow X durch die Funktion

u(t) := T(t)u_0 + \int_0^t T(t-s)f(s){\rm d}s

gelöst wird.

Für das Spektrum des Erzeugers gilt: Ist x\in\sigma(A), dann gilt \mathrm{Re}\, x\leq \omega_0, wobei ω0 die Wachstumsschranke der Halbgruppe ist. Die Resolvente von A stimmt mit der Laplace-Transformation der Halbgruppe überein, also R(\lambda,A)=\int_0^\infty e^{-\lambda t} T(t)\mathrm{d}t für \lambda\in\rho(A).

Satz von Hille-Yosida

Von besonderem Interesse ist, ob ein gegebener Operator A der infinitesimale Erzeuger von einer stark stetigen Halbgruppe ist. Diese Frage wird durch den Satz von Hille-Yosida vollständig beantwortet:

Ein linearer Operator A: D(A) \subset X ist genau dann der infinitesimale Erzeuger einer stark stetigen Halbgruppe \{T(t)\}_{t \geq 0}, welche die Abschätzung \|T(t)\| \leq Me^{\omega t} erfüllt, falls A abgeschlossen und dicht definiert ist sowie alle \lambda \in (\omega,\infty) in der Resolventenmenge von A liegen mit

\|(\lambda I-A)^{-n}\| \leq \frac{M}{(\lambda-\omega)^n} für alle λ > ω und n \in \mathbb{N}.

Im Anwendungsfall ist A ein gegebener Differentialoperator, und man möchte die Evolutionsgleichung u' = Au + f lösen. Der Satz von Hille-Yosida besagt, dass man hierfür die Resolventengleichung untersuchen muss, die dann auf elliptische Probleme führt. In dieser Hinsicht muss man erst das elliptische Problem verstehen, um das Evolutionsproblem zu lösen.

Herleitung

Die Theorie der stark stetigen Halbgruppen entwickelte sich aus der Betrachtung des Cauchy-Problems. Die einfachste Form des Cauchy-Problems ist die Fragestellung, ob für ein gegebenes a\in\R und ein Anfangswert u_0\in\R eine differenzierbare Funktion u\in C^1(\R) existiert, die

\left\{\begin{array}{rcll}
  u'(t) &=& au(t) & \mathrm{f\ddot ur\ }t\geq 0\\
  u(0) &=& u_0
\end{array}\right.

erfüllt. Aus der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen erhält man, dass u eindeutig gegeben ist durch u(t): = eatu0. Dies kann nun verallgemeinert werden, indem man das Problem in höheren Dimensionen betrachtet, also als Anfangswert u_0\in\R^n und A als eine n\times n-Matrix wählt. Auch hier ist u = etAu0 die Lösung von

\left\{\begin{array}{rcll}
  u'(t) &=& Au(t) & \mathrm{f\ddot ur\ }t\geq 0\\
  u(0) &=& u_0
\end{array}\right..

Hierbei wird die Matrixexponentialfunktion wie im Reellen durch e^{tA}:=\sum_{n=0}^\infty\frac{t^n}{n!}A^n definiert. Das Cauchy-Problem kann auch auf einem Banachraum X gestellt werden, in dem u_0\in X und A als ein Operator auf X gewählt wird. Ist A ein beschränkter Operator, ist u = etAu0 mit e^{tA}:=\sum_{n=0}^\infty\frac{t^n}{n!}A^n wiederum die Lösung des Cauchy-Problems. In der Anwendung vorkommende Operatoren wie der Laplace-Operator werfen die Frage nach einer Verallgemeinerung auf unstetige Operatoren auf, da in diesem Fall die Summe \sum_{n=0}^\infty\frac{t^n}{n!}A^n im Allgemeinen nicht konvergiert. Damit ergibt sich das Problem, wie man die Exponentialfunktion im Falle eines unbeschränkten Operators definieren soll. Unabhängig voneinander konnten Einar Hille und Kōsaku Yosida um das Jahr 1984 eine Lösung präsentieren:

Ansatz von Hille: Ausgehend von der im Reellen geltenden Identität e^{tA}=\lim_{n\rightarrow\infty} \left(1-\frac tn A\right)^{-n} erhält man e^{tA}=\lim_{n\rightarrow\infty}\left(\frac ntR\left(\frac nt,A\right)\right)^n. Diese Darstellung hat den Vorteil, dass die Resolvente beschränkt ist und damit auf der rechten Seite nur beschränkte Operatoren auftauchen. Hille konnte zeigen, dass unter gewissen Umständen der Grenzwert dieser Folge existiert. Betrachtet man eine stark stetige Halbgruppe T, wie sie in der Einleitung definiert ist, mit ihrem Erzeuger A, erfüllt sie die Gleichung T(t)=\lim_{n\rightarrow\infty}\left(\frac ntR\left(\frac nt,A\right)\right)^n.

Yosida-Approximation: Yosidas Idee war es, den (unbeschränkten) Operator A durch eine Folge beschränkter Operatoren zu definieren. Dazu setzte er An: = nAR(n,A) und zeigte, dass An in D(A) punktweise gegen A konvergiert. Weiterhin erzeugen An als beschränkte Operatoren stark stetige Halbgruppen Tn mit T_n(t)=e^{tA_n}, die für jedes t\geq 0 punktweise in X gegen einen Operator T(t) konvergieren. Die Familie \{T(t)\}_{t\geq 0} von Operatoren ist in der Tat eine stark stetige Halbgruppe, und jede stark stetige Halbgruppe kann durch die Yosida-Approximation angenähert werden.

Literatur

  • Tosio Kato: Perturbation Theory for Linear Operators. 2. Auflage. Springer-Verlag 1995, ISBN 354058661X.
  • Ammon Pazy: Semigroups of Linear Operators and Applications to Partial Differential Equations. Applied Mathematical Sciences 44, Springer-Verlag, Berlin 1983, ISBN 3-540-90845-5.
  • Einar Hille, Ralph Phillips: Functional Analysis and Semigroups. AMS Colloquium Publications Vol. 31
  • Klaus-Jochen Engel, Rainer Nagel: One-Parameter Semigroups for Linear Evolution Equations. Graduate Texts in Mathematics 194, Springer-Verlag 2000, ISBN 0387984631.

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