- Innere Emigration
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Innere Emigration bezeichnet die Haltung von Schriftstellern und Künstlern, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Opposition zum NS-Regime standen, jedoch nicht aus Deutschland (bzw. nach dem Anschluss 1938 aus Österreich) auswanderten.
Inhaltsverzeichnis
Innere Emigration zur Zeit des Nationalsozialismus
Der Begriff wurde von Frank Thiess geprägt, der damit die Entscheidung von Persönlichkeiten (insbesondere von Künstlern) beschrieb,
- die ihrer Gesinnung nach dem Nationalsozialismus kritisch bis ablehnend gegenüberstanden,
- deren Werke von offizieller oder parteiamtlicher Seite oft zu „entarteter Kunst“ erklärt wurden oder die beruflich „kaltgestellt“ wurden (z.B. durch Auftrittsverbote),
- die aber an einer Auswanderung bzw. Flucht gehindert waren (z.B. durch persönliche und familiäre Verpflichtungen) oder sich aus Verantwortung ihren Mitmenschen gegenüber zum Bleiben bewogen fühlten und
- die sich nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmen lassen wollten.
Einige von ihnen arbeiteten (zuweilen oder kontinuierlich) in Widerstandszirkeln mit und wirkten durch Verbreitung ihrer Werke im Untergrund der NS-Propaganda entgegen.
In gewisser Weise war auch „beredtes Schweigen“ eine Form von Kritik an den Nazis, speziell dann, wenn viele andere Persönlichkeiten sich den Nationalsozialisten aktiv anschlossen oder deren Standpunkte aktiv lobten und vertraten (siehe Passiver Widerstand, ziviler Ungehorsam, Widerstand (Politik)).
Nach dem Ende des Nationalsozialismus kam es zu Plädoyers der „inneren“ Emigranten gegenüber den „äußeren“ (Frank Thiess in der Münchener Zeitung vom 18. August 1945). Thomas Mann wurde übelgenommen, aus dem US-amerikanischen Exil nicht ins Nachkriegsdeutschland zurückgekehrt zu sein. Im Tagebuch notierte er am 20. September 1945:
„Beunruhigung und Ermüdung durch die deutschen Angriffe dauern an. Nenne die ‚treu‘ in Deutschland Sitzengebliebenen ‚Ofenhocker des Unglücks‘.“
Innere Emigration in der DDR
Ebenso gab es in der DDR Schriftsteller und Künstler, die zwischen 1945 und 1989 in Opposition zum SED-Staat standen, die freiwillig oder erzwungen in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens inaktiv waren. Sie selbst und/oder Dritte bezeichneten diese Inaktivität – zeitnah oder rückblickend nach dem Fall der Mauer – als „innere Emigration“.
2008 veröffentlichte Carsten Heinze eine forschende Vergleichsstudie; darin beschäftigte er sich mit dem Zusammenhang von autobiografischen Identitäts- und Geschichtskonstruktionen im zeitgeschichtlichen Kontext nach dem Fall der Mauer vor dem Hintergrund deutsch-deutscher bzw. deutsch-jüdischer Vergangenheitsbearbeitungen.
Er untersuchte,
- wie im Kontext deutscher Vergangenheitsauseinandersetzungen historische Identitäten durch die argumentative Integration und Funktionalisierung von Geschichte gebildet werden und
- auf welchen kulturellen, sozialen und politischen Hintergründen sie basieren.
Hierzu analysiert er exemplarisch die autobiografischen Lebenskonstruktionen von Marcel Reich-Ranicki, Wolf Jobst Siedler, Helmut Eschwege und Fritz Klein.
Andere Beispiele für „innere Emigration“ zu DDR-Zeiten:
- Zitat: „Herbert Wagner war während der DDR-Diktatur weitgehend in den „inneren Emigration“. Im Umbruchprozess 1989/1990 ergriff er die Chance, den Staat, der nie „seiner“ war, zunächst umzugestalten und dann abzuschaffen. Die Übernahme des Dresdner Oberbürgermeisteramts erwies sich als eine logische Konsequenz seines vorherigen Engagements.“[1]
- Zitat: „Das Trauma des 1953 niedergeschlagenen Volksaufstandes wirkte nach, …. Intellektuelle, die im Land blieben, gingen in die innere Emigration, ließen sich an die Leine legen oder wurden mit Privilegien korrumpiert.“[2]
Innere Emigranten zur Zeit des Nationalsozialismus
Zu den inneren Emigranten zählen:
- Werner Bergengruen
- Hans Blüher
- Walter Braunfels
- Hans Carossa
- Otto Dix
- Hans Heinrich Ehrler
- Werner Finck
- Karl Amadeus Hartmann
- Ricarda Huch
- Ernst Jünger
- Erich Kästner
- Wilhelm Kaisen
- Volker Lachmann
- Oskar Loerke
- Ewald Mataré
- Erika Mitterer
- Walter von Molo
- Otto Pankok
- Friedrich Reck-Malleczewen
- Richard Riemerschmid
- Christian Schad
- Reinhold Schneider
- Frank Thiess
- Ehm Welk
- Ernst Wiechert
Literatur
- Nancy Thuleen: Criticism, Complaint, and Controversy: Thomas Mann and the Proponents of Inner Emigration. online
- Ralf Schnell: Literarische Innere Emigration. In: Dichtung in finsteren Zeiten. Deutsche Literatur und Faschismus. Rororo, Hamburg 1998, S. 120–160.
- Friedrich Denk: Die Zensur der Nachgeborenen. Zur regimekritischen Literatur im Dritten Reich. Denk, Weilheim 1995, ISBN 3-9800207-6-2.
- Stefan Keppler: Literarische Regionalität und heimliche Literaturgeschichte. Zum Beispiel Hans Heinrich Ehrler – vom Kaiserreich in die innere Emigration. In: Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. Nr. 423. Heinz, Stuttgart 2004/2005, ISBN 3-88099-428-5, S. 375–391.
- Carsten Heinze: Identität und Geschichte in autobiographischen Lebenskonstruktionen. Jüdische und nicht-jüdische Vergangenheitsbearbeitungen in Ost- und Westdeutschland. VS, Wiesbaden 2009, 978-3531158419.
- H. Rotermund, E. Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur ´Verdeckten Schreibweise` im „Dritten Reich“ Inhaltsverzeichnis
Weblinks
- Ulrich Baron: Innere Emigration. Kritischer Essay. Deutschlandfunk, 9. März 2008.
Einzelnachweise
- ↑ Friedliche Revolution und deutsche Einheit: sächsische Bürgerrechtler ziehen Bilanz. Links, Berlin 2006, ISBN 978-3-86153-379-5
- ↑ Eckart Conze et al. (Hrsg.): Die demokratische Revolution 1989 in der DDR. Böhlau, 2009
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