Iyasu V. (Äthiopien)

Iyasu V. (Äthiopien)

Iyasu V. (bedeutet Josua [die etymologische Übersetzung „Jesus“ ist unangebracht, da dieser Name in Äthiopien als Iyesus wiedergegeben wird], Titel: Lij ('Lidsch' = Prinz) und Abeto (Fürst); * 4. Februar 1897; † 25. November 1935) war ungekrönter Kaiser von Äthiopien vom 12. Dezember 1913 bis 27. September 1916, zuvor schon Regent 1910/11 bis 1913, nach seiner Absetzung 1916 weitgehend machtloser Gegenkaiser bis 1921.

Sein Großvater und Vorgänger Menelik II. erlitt während seiner letzten Lebensjahre mehrere Schlaganfälle, bevor er 1913 verstarb. Zu Beginn seiner langen Krankheit ernannte er 1909 seinen Enkel, Lij Iyasu, zu seinem rechtmäßigen Erben. Der junge Iyasu befand sich in einer schwierigen Lage. Er war ein Sohn des Ras Mika'el, eines bedeutenden Oromo-Fürsten. Sein Vater war der Schwiegersohn Meneliks (ein früherer Muslim, der von Yohannes IV. zwangskonvertiert worden war) und Landesfürst aus Wollo, aus einer äthiopischen Linie des Propheten Mohammed. Wegen seiner Herkunft hatte Iyasu bei den Adeligen aus Shewa einen nur bedingten Rückhalt. 1910, nach der Entmachtung der De-facto-Regentin Taytu Betul, der Frau seines gelähmten Großvaters, übernahm er zunächst zusammen mit dem von Menelik eingesetzten Regenten Ras Tesemma die Regierung. Nach dessen überraschendem Tod übernahm er 1911 die volle Regentschaft. Trotz seiner De-facto-Stellung als König (Negus) Iyasu V. (Mai 1911) erklärte Iyasu deshalb schon im August 1911 vorsichtig, die Regierungsgeschäfte bis zum Tode Meneliks weiterhin dem Premierminister seines Großvaters zu überlassen, der seit 1910 den wesentlichen Anteil an der Regierung hatte.

Schon 1910 und 1911, also in der Frühzeit seiner Regentschaft, gab es deshalb bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern Iyasus und jenen von Meneliks Frau Taytu Betul und anderer schoanischen Führungsgestalten. Beim Tod des Großvaters 1913 war Iyasu gerade einmal 16 Jahre und noch immer nicht offiziell zum Kaiser (König der Könige = Neguse Negest) gekrönt. Aufgrund von Prophezeiungen und politisch-taktischer Überlegungen verschob er seine Krönung selbst; zunächst ließ er seinen Vater Ras Mika'el im Mai 1914, also kurz nach dem Tod des Kaisers, mit der originalen Kaiserkrone zum Negus von ganz Nordäthiopien krönen (Tigray und Wollo). Das Ziel war, dass sich damit seine Herrschaftslegitimität auf zwei Könige zurückführen ließe, nicht nur den von Shewa, sondern auch den von Wollo. Dies war Ausdruck und Bestandteil einer Politik, mit der er das Machtgefüge innerhalb Äthiopiens veränderte. Die bisher die Staatsmacht dominierenden Eliten von Shewa mussten diese sukzessive an andere Regionalfürsten und Regionen abgeben. Damit versuchte der junge Herrscher, den Realitäten Äthiopiens entsprechend die Macht gleichmäßiger als zuvor zu verteilen (feudal-föderales Modell). Fürsten und Beamte mit anderen ethnischen Hintergründen, darunter auch Muslime, erhielten damit einen erheblichen Bedeutungszuwachs.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges sympathisierte Iyasu mit dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn (Mittelmächte) und dem (pan)islamischen Osmanischen Reich. Als Gründe werden pro-islamische Gefühle oder der Wunsch eines eigenen Zuganges zum Meer genannt, der bislang von den benachbarten englischen, französischen und italienischen Kolonien versperrt war.

Ob der Vorwurf orthodoxer Christen, Iyasu wäre zum Islam konvertiert, und hätte eine Machtverschiebung zugunsten der schneller wachsenden muslimischen Bevölkerung beabsichtigt, zutrifft, bleibt umstritten; eine formelle Konversion hat es zumindest nicht gegeben. Die von ihm in Auftrag gegebenen und von Zeitgenossen verfassten Chroniken sind in der italienischen Besatzungszeit vernichtet worden, Haile Selassie wiederum „korrigierte“ später dieses Kapitel der Geschichtsschreibung und machte Iyasu zur „Unperson“.

Ende 1915 folgte Iyasu dem deutschen Drängen und dem Aufruf des türkisch-osmanischen Sultan-Kalifen zum „Heiligen Krieg“. Anfang 1916 erschienen deutsche U-Boote vor Eritrea, und auch nach Äthiopien geflohene somalische Rebellen bzw. Abgesandte des somalischen Dervish-Staates innerhalb des von Briten beanspruchten Territoriums erhielten deutsche Waffen. Statt der Küste zum Roten Meer oder Somalia ließ er jedoch den anglo-ägyptischen Südsudan angreifen. Dort hatten deutsche Agenten parallel einen Aufstand christlicher Afrikaner sowie muslimischer Darfuris inszeniert, während pro-türkische Senussi aus Libyen durch Ägypten in den Nordsudan vorstoßen sollten. Iyasus Unternehmen scheiterte jedoch schon im Anfang, seine deutlich unterlegenen äthiopischen Truppen wurden im Mai rasch geschlagen. Die Alliierten sahen ihn folgerichtig als Feind, anglo-ägyptische Truppen stießen im Gegenzug rasch und unaufhaltsam auf Addis Abeba vor.

Parallel dazu fachten britische Agenten im September unter den Adeligen von Shewa eine Rebellion gegen ihn an, (siehe englische Wikipedia mit weiteren Details). Iyasu und sein Vater wurden im Oktober 1916 in der Schlacht bei Segele, nördlich Addis Abeba, geschlagen. Bis 1917 hielt er sich in seiner Residenz Harar auf. Iyasu wurde noch vor seiner eigentlichen Krönung vertrieben und schließlich nach Jahren der Flucht als von nur noch wenigen Bevölkerungsteilen (insbesondere den Afar des Awsa-Sultanates) anerkannter Gegenkaiser 1921 inhaftiert. Es wurde während des Putsches 1916 beschlossen, dass Iyasus Tante Zewditu neue Kaiserin sein sollte. Iyasus Cousin Teferi Mekonnen (Haile Selassie), der Sohn des Ras Mekonnen, wurde zum Regenten ernannt und als Thronfolger eingesetzt, konnte aber erst 1928 König (Negus) und erst nach Zewditus Tod 1930 Kaiser werden. 1936 wurde Haile Selassie durch italienische Truppen vertrieben, deren Überfall auf Äthiopien am 3. Oktober 1935, begonnen hatte (Italienisch-Äthiopischer Krieg). Es gibt verschiedene Angaben über Iyasus Tod, darunter eine Version, aus der hervorgeht, er sei erst unmittelbar vor der Flucht Haile Selassies nach der Schlacht von May-Chew auf Veranlassung Haile Selassies selbst getötet worden, um den Italienern nicht als Marionetten-Herrscher dienen zu können. Iyasus Tod wurde erst nach dem Sieg der Italiener 1936 bekanntgegeben, da diese bis zuletzt die Unterstützung durch dessen letzte Anhänger benötigten.

Literatur

  • Harold Marcus: A History of Ethiopia. Berekeley - Los Angeles - London 1994
  • Harold Marcus: The Life and Times of Menelik II: Ethiopia, 1844–1914. Oxford 1975
  • Bahru Zewde: A History of Modern Ethiopia, 1855–1974. London - Athens - Addis Ababa 1991
  • Kebbede Mengesha: YeTarik Mestawesha. Addis Abeba 1953
  • Autobiography of Emperor Haile Sellassie I: My Life and Ethiopia's Progress, translated by Edward Ullendorff, Oxford 1976



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