Jakobsleiter (Bibel)

Jakobsleiter (Bibel)
Engel erklettern die Jakobsleiter (Abteikirche Bath, England, Großbritannien)
Die Engelsleiter, Michael Lukas Leopold Willmann, um 1691

Die Jakobsleiter oder Himmelsleiter ist ein Auf- und Abstieg zwischen Erde und Himmel, den Jakob laut der biblischen Erzählung in Gen 28,11 EU während seiner Flucht vor Esau von Beerscheba nach Harran in einer Traumvision erblickt. Auf ihr sieht er Engel, die auf- und niedersteigen, oben aber den Herrn (JHWH) selbst, der sich ihm als Gott Abrahams und Isaaks vorstellt und die Land- und Nachkommenverheißung erneuert. Nach dem Erwachen nennt Jakob den Platz Bet-El (Haus Gottes).

Leiter ist nicht die einzig mögliche Übersetzung, auch wenn sie in der abendländischen Bildtradition herrschend wurde. Das hebräische Wort kann auch Treppe, Stiege, Rampe bedeuten. Die Bildvorstellung der Erzählung ist wahrscheinlich die der Tempeltreppe einer altorientalischen Zikkurat, die vom Erdboden zum Allerheiligsten emporführte. Das erklärt, warum Jakob das wahre Haus Gottes gefunden zu haben glaubte.

Texthistorisch ist der Ortsname Bet-El vermutlich vorisraelitisch, also älter als die Jakobserzählung, die ihn erklärt und zugleich für die Geschichte Israels Gen 32,28 EU beansprucht.

Im Johannesevangelium Joh 1,51 EU wird das Bild der Jakobsleiter typologisch auf Jesus Christus übertragen. Im Markusevangelium wird gleich im 3. Vers Jes 40,3 zitiert: „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Steige!“ Leiter, hebr. sulam, hat dieselbe Wurzel wie m’sillah, Bergsteige; gerade machen meint, die unmittelbare Verbindung herstellen.

Inhaltsverzeichnis

Spirituelle Deutung

Leiter und Thora

Mose empfängt das Gesetz, die Thora, auf dem Berg ‚Sinai’. Das Wort 'Sinai' (geschrieben 60-10-50-10) hat in der jüdischen Zahlensymbolik den Zahlenwert 130 wie Jakobs ‚Leiter’ zum Himmel, hebr. sulam, 60-30-40: „Das auf dem Sinai dem Mose geoffenbarte Gesetz ist die Leiter, die von der Erde in den Himmel führt.“[1] Die Zahl 130 bedeutet wie die Zahl 13 "das Maß der Einswerdung" über die 120 (vgl. Gen 6,3) bzw. 12 (vgl. die 12 Stämme Israels) hinaus: Die 13 ist "eine Einheit, sie ist der Ausdruck des Wortes 'eins' [echad = 1-8-4], und die 130 ist somit diese Einheit auf der Ebene der Zehner. Nach der Zeit, jenseits der Zwölf, kommt sie zustande."[2] Die Leiter (franz. échelle, etymologisch verwandt mit école, Schule) verbindet im Bild der auf- und absteigenden Engel Himmel und Erde: „Auf ihr steigen die vier Erzengel Michael, Gabriel, Uriel und Raphael auf und nieder: Zwei steigen auf, zwei steigen nieder, und das Aufsteigen ist Niedersteigen und das Niedersteigen ist Aufsteigen, denn hier ist Bewegung etwas anderes, als wir es uns vorstellen. Dort ist Bewegung Eins, denn Bewegung ist ‚ruach‘, Wind, Geist. Geist ist dasjenige, was die Verbindung von einem zum anderen herstellt.“[3]

Leiter und Kreuz

Das Johannesevangelium bezieht die Jakobsleiter auf die Christusoffenbarung mit dem Höhepunkt am Kreuz: „Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn“ (Joh 1,51). Von daher deuten die Kirchenväter das Kreuz als die Leiter zum Himmel oder zum Paradies (scala paradisi).[4] Dieses spirituelle Verständnis der Kirchenväter greift die Äbtissin der Benediktinerinnenabtei Mariendonk, Christiana Reemts, auf: „Das Kreuz ist aufgerichtet als eine wundervolle Leiter, auf welcher wir zum Himmel hinaufgeleitet werden. Durch die Geburt des Sohnes Gottes stiegen die Engel zu den Menschen herab und konnten zugleich die Menschen aufsteigen aus der Tiefe zum Himmel. Durch das Kreuz wurden Himmel und Erde wieder vereinigt, die zuvor verfeindet waren, und es herrschte wieder Friede zwischen beiden Teilen, die zuvor getrennt waren. (…) Wie eine Leiter aus zwei Holmen besteht, so das Kreuz Christi aufgrund der beiden Testamente. Denn das Kreuz unseres Herrn ist der Inhalt der ganzen Schrift. Im Kreuz hat Christus alle Mysterien zur Vollendung und zur Zusammenfassung gebracht, hat auch Adam zum Vater zurückgeführt und den Weg zum Himmel erschlossen.“[5] Das Kreuz erscheint in dieser Perspektive als Erfüllung des geistigen Sinns der Thora.

Nach neutestamentlichem Verständnis erfüllt Jesus im „Gehorsam bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8) den Willen des himmlischen Vaters: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift“ (1 Kor 15,3), das heißt gemäß dem in der Thora geoffenbarten Willen Gottes. Das Gesetz zu befolgen ist für das Judentum der Weg der Erlösung, befolgen bedeutet, das göttliche „Joch der Thora“ auf sich zu nehmen.[6] Jesus fordert demgegenüber, sein „Joch“ zu tragen und von ihm zu lernen, um so für die Seele (Sabbat-)„Ruhe“ zu finden: „Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 11,29f). Zuvor fordert er, dass jeder, der ihm folgen will, „sein Kreuz auf sich nimmt“ (Mt 10,38; vgl. 16,24f, bei Lk 9,23: „täglich“).

Das ‚leichte’ Joch der Thora ist demnach das Kreuz und Jesus (in der Bergpredigt, wo er als der ‚neue Mose’ auftritt) die Thora in Person: „Jesus versteht sich selbst als die Tora – als das Wort Gottes in Person“, ja er ist „selbst die Tora und der Tempel in Person“ und „jetzt der Sabbat Israels“ selbst (mit Verweis auf Mt 11,28-30). „Das Gesetz ist Person geworden.“[7]

Leiter und Auferstehung

Neben Bet-El (Haus Gottes) wird als Ort des Himmelsleitertraums der Städtename Lus genannt (Gen 28,19). Lus bedeutet ‚Nuss’ oder auch ‚Mandel’, sie wird in der biblischen Systematik als achte Frucht gezählt. Jakob salbt dort den Stein, auf dem sein Haupt gelegen hat, mit Öl für das Gotteshaus (Gen 28,18-22). „Das hebräische Wort für Öl, Salböl, ist ‚schemen‘; das ist aber auch der Stamm des Wortes für ‚acht‘. Der Begriff Messias, hebräisch ‚maschiach‘, bedeutet Gesalbter … Die Worte Acht und Öl und Salbung mit Öl haben in der hebräischen Sprache … einen engen Zusammenhang. Man sagt: die Acht trägt die Erlösung in sich.“[8]

Mit dem Geist-Öl (schemen = 300-40-50 = 390) vom Himmel (schamajim, 300-40-10-40 = 390) wird der König gesalbt (vgl. Mk 1,10f). Die Herstellung des neuen Öls dauert acht Tage, Öl spendet das Licht im Tempel oder Gotteshaus (= Himmel = 8. Tag). Der Messias (griech: Christos) ist von daher der „König des 8. Tages“. „Der achte Tag ist der Tag des Messias.“[9]

Nach Kardinal Jean Daniélou müsse man wegen der Auferstehung Christi am 8. Tag (= Sonntag) nach dem Sabbat (= 7. Tag) „die Lehre vom achten Tag für rein christlichen Ursprungs halten“.[10] Diese Lehre hat aber nur Sinn auf dem Hintergrund der biblischen Messiasvorstellung und der Erzählung von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen (Gen 1), die dann liturgischer Lesungstext in der Osternacht ist. Mit der Beschneidung am 8. Tag (vgl. Gen 21,4) als Zeichen des Bundes mit Gott, das christlich in der Taufe (in oktogonalen Becken) eine Erweiterung erfährt, wird die Schöpfung auf die Erlösung hin überschritten.

Diesen Überstieg erzählt schon die Geschichte vom Jakobstraum: „Jakob legt sich also an den Ort der Mandel, den Ort des achten Tages, den Ort der Erlösung. Dann sieht er den Himmel sich öffnen und schaut Gott.“[11] Von daher ist Christus als Weltenherrscher in der 8-förmigen Mandorla (der Mandelbaum blüht als erster noch im Winter und ist auch von daher ein Zeichen des neuen Lebens oder der 'Auferstehung' in der Natur).[12]

Der Mathematiker Daniil Charms weist auf die Beziehung zwischen der 8 und der liegenden 8 oder Lemiskate (∞) als Zeichen der potentiellen Unendlichkeit hin sowie auf die Beziehung zum Buchstaben Omega (vgl. Offb 1,8), der als Zifferngraphem den Zahlenwert 800 hat.[13] Auch aus rein arithmetischen Gründen ist die Acht eine „interessante Zahl“: „jede ungerade Zahl über Eins, ins Quadrat erhoben, gibt ein Vielfaches von Acht und einen Rest von Eins. (…) Das Zeichen ∞ findet sich bei Charms sowohl als mathematisches Unendlichkeitszeichen als auch als Symbolzeichen für ‚Vereinigung‘, ‚Synthese‘ (Heirat, Ehe).“ Die Acht in Quadratform als Fenster-Monogramm steht „für die Möglichkeit des Übergangs in eine andere Welt.“ [14]

Siehe auch

Referenzen

  1. Rudolf Taschner: Der Zahlen gigantische Schatten. Die fantastische Welt der Mathematik, München ²2009, S. 20.
  2. Friedrich Weinreb: Schöpfung im Wort. Die Struktur der Bibel in jüdischer Überlieferung; Zürich ²2002, S. 430 und S. 444.
  3. Friedrich Weinreb: Der Weg durch den Tempel. Aufstieg und Rückkehr des Menschen, Weiler 2000, S. 44.
  4. Vgl. Photina Rech:Inbild des Kosmos. Eine Symbolik der Schöpfung, Salzburg 1966, Bd. I, 515-546 (Weltachse und Himmelsleiter), bes. S. 524-540.
  5. Christiana Reemts: Die Jakobsleiter. Zwei Gespräche, in: Geist und Leben 5/1999, 364-374, hier S. 372.
  6. Dieter Vetter: Erlösung im Judentum, in: A. Th. Khoury/ P. Hünermann (Hg.): Was ist Erlösung? Die Antwort der Weltreligionen, Freiburg 1985, 73-90, hier S. 74.
  7. Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.): Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg u.a. 2007, S. 131-144.
  8. Friedrich Weinreb, Die Astrologie in der jüdischen Mystik, München 1982, S. 67.
  9. Friedrich Weinreb: Schöpfung im Wort. Die Struktur der Bibel in jüdischer Überlieferung, Zürich ²2002, S. 231-241, 247 und 260.
  10. Jean Daniélou: Liturgie und Bibel. Die Symbolik der Sakramente bei den Kirchenvätern, München 1963, 265-289 (Der achte Tag).
  11. Friedrich Weinreb, Die Astrologie in der jüdischen Mystik, München 1982, S. 162.
  12. Zum Ganzen vgl. Klaus W. Hälbig: Der Baum des Lebens. Kreuz und Thora in mystischer Deutung, Würzburg 2011.
  13. A. Niederbudde: Mathematische Konzeptionen in der russischen Moderne. Florenskij – Chlebnikov – Charms (Slavistische Beiträge Bd. 446), München 2006, S. 418.
  14. A. Niederbudde: Mathematische Konzeptionen in der russischen Moderne. Florenskij – Chlebnikov – Charms (Slavistische Beiträge Bd. 446), München 2006, S. 418f.

Weblinks

 Commons: Jakobsleiter (Bibel) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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