- Erlösung
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Erlösung ist ein Zentralbegriff in einigen Religionen, der ihr jeweiliges letztgültiges Ziel bezeichnet, den einzelnen Menschen, die Menschheit und/oder die Welt von allem Negativen zu befreien. Er wird ohne einheitliche Bedeutung besonders im Judentum, Christentum und Gnostizismus verwendet. Der Begriff Erleuchtung im Buddhismus wird oft ebenfalls als Erlösung übersetzt. In der Religionsphilosophie und Religionswissenschaft fasst man diese Religionen daher oft als Erlösungsreligionen auf.
Inhaltsverzeichnis
Begriff
Das Verb erlösen im Sinne von auslösen (hebr. g'l, griech. akoluo) bezog sich in der Antike auf den Freikauf und die folgende Freilassung von Sklaven, womit ihre Sklaverei beendet wurde.[1]
Judentum
Im Achtzehnbittengebet wird – von orthodoxen Juden dreimal täglich – für das Kommen eines goél, das heißt eines „Erlösers“ oder Messias gebetet. Einige Reformgemeinden verwenden stattdessen den Begriff geula, „Erlösung“. Der Prozess der Erlösung wird im Allgemeinen mit dem Ausdruck Tikkun oder Tikkun Olam, der Verbesserung der Welt, also der Verbesserung von Gottes Schöpfung durch Menschenhand, bezeichnet und bezieht sich stets auf das Diesseits. Die Idee des Tikkun spielt in der Kabbala eine bedeutende Rolle und wurde vor allem von Isaak Luria und seinen Schülern im 16. Jahrhundert weiter entwickelt und erhielt in modernen Strömungen des Judentums neue Bedeutungsbeilegungen.
Christentum
Erlösung bezeichnet in christlicher Tradition primär ein Handeln des Gottes der Bibel zugunsten erlösungsbedürftiger Menschen, das ein bestimmtes Lehrstück in der christlichen Theologie behandelt: die Soteriologie. Der Begriff wird dort meist als Gegenbegriff zu Sünde genannt und ohne scharfe Abgrenzung mit weiteren christlichen Zentralbegriffen wie Heil, Gnade, Versöhnung, Befreiung und Neuschöpfung verbunden.
Historische Debatten
Die Lehre von der Erlösung, die Soteriologie, ist seit jeher eines der bedeutsamsten theologischen Felder. So tauchte bereits in der Urkirche die Frage auf, ob Heiden zunächst zum Judentum konvertieren müssten, um Christen zu werden. Dies hatte das Apostelkonzil in Jerusalem abgelehnt (siehe Apostelgeschichte 15). In den Briefen des Apostels Paulus ist das Heil von Heiden wie Juden durch die Anhängerschaft und Nachfolge von Jesus Christus eines der zentralen Themen. Paulus vertrat die Ansicht, dass Erlösung für alle möglich sein würde.
In den folgenden Jahrhunderten tauchten auch Lehren auf, die entweder das Angewiesensein der Menschen auf die Gnade Gottes ablehnten (Pelagianismus) oder aber bestimmte Menschengruppen vom Heil ausschließen wollten, wie beim Donatismus. Sie wurden mehrfach als Häresien (Irrlehren) verurteilt, ebenso wie die Lehre, dass letztendlich alle Menschen ohne Ausnahme und unabhängig davon ob sie gläubig sind oder nicht, die göttliche Erlösung erfahren und in die paradiesische Gemeinschaft mit Gott eingehen (Allversöhnung).
Augustinus entwickelte im 4. und 5. Jahrhundert die für die Westkirche nachhaltige Erbsündenlehre. Jeder Mensch ist nach dieser Lehre seit dem Sündenfall von seiner Zeugung an mit einem Makel behaftet, der unter anderem zur Trennung von Gott im Leben und im Tod führt oder die Neigung zur Sünde (Konkupiszenz) bewirkt. Der Mensch wird nach dieser Lehre vom Makel der Erbsünde durch die Kraft der Taufe, die der Heilstat Jesu Christi am Kreuz entspringt, gereinigt und dadurch in die volle Gemeinschaft mit Gott aufgenommen. Augustinus nahm dabei an, dass ungetaufte Kinder wegen ihres Behaftetseins mit der Erbsünde auf keinen Fall in den Himmel – also in die Gemeinschaft mit Gott nach dem Tod – kommen könnten. Dieser Teil seiner Lehre wurde vom katholischen Lehramt jedoch wegen der vielerorts missverständlichen Verwendung des Begriffes Taufe nicht übernommen.
In der Reformation gelangte die Soteriologie erneut ins Zentrum der theologischen Debatten. Martin Luther verkündete die Lehre, wonach der Mensch „allein durch den Glauben“ (sola fide) gerettet werde. Calvin lehrte wiederum die „doppelte Prädestination“, nach der Gott einen Teil der Menschen zum Heil, einen anderen Teil zur Verdammnis auserwähle, ohne dass diese selbst etwas dazu beitragen oder etwas dagegen tun könnten. Christus ist nach dieser Lehre nur für die Geretteten gestorben, nicht jedoch für alle Menschen. Eine von der Grundidee her ähnliche Lehre verkündete der Jansenismus im 17. Jahrhundert. Sie besagte, dass der Mensch deswegen sündigt, weil er nicht genug Gnade von Gott erhalten hat, um der Sünde zu widerstehen.
Heute herrscht vielerorts in der Lehre oder Interpretation Übereinstimmung darüber, dass Kinder nach dem Tod - wie im Neuen Testament angesprochen - auf jeden Fall in den Himmel kommen, und Erwachsene dann, wenn sie zu Lebzeiten gläubig waren oder verlorenen Glauben - der den Menschen, im übertragenen Sinn, schon seit dem Zeitpunkt ihrer Zeugung durch den Heiligen Geist inne wohnt - später, beispielsweise durch innere Umkehr, wieder gefunden haben.
Heutige konfessionelle Unterschiede
Nicht-reformatorische Kirchen
Nach der Lehre der nicht reformierten Kirchen (katholische Kirche, orthodoxe Kirche, orientalische Kirchen) dient die von Christus eingesetzte und daher heilige Kirche durch ihre Sakramente als Werkzeug der göttlichen Gnade, ohne welche der Mensch nichts Gutes im Sinne des Heiligen Geistes vollbringen kann. Der Empfang der Taufe oder der implizite oder explizite Wunsch danach („Wunschtaufe“) ist heilsnotwendig. Der Empfang der göttlichen Gnade in den Sakramenten ermöglicht es dem Menschen, gottgefällig zu leben und das ewige Heil zu erlangen. Gleichzeitig ist es dem Menschen aber immer möglich, sich aus freien Stücken von Gott abzuwenden und dadurch das Heil zu verfehlen.
Es bestehen erhebliche Unterschiede zwischen der östlichen und der westlichen kirchlichen Tradition, etwa in der Betrachtung der Erbsünde (die in der westlichen Tradition eher mit einem Makel, in der östlichen eher mit dem Tod assoziiert wird) oder in der Frage der menschlichen Natur (im Westen wird die menschliche Natur als mangelhaft, die Erlösung als übernatürlich betrachtet; im Osten dagegen gilt die menschliche Natur als gut, die Erlösung wird als Wiederherstellung des verlorenen Naturzustandes angesehen). Im Osten spielt zudem die Erlösung der gesamten Schöpfung durch Christus eine zentralere Rolle in der Spiritualität als im Westen. Zudem ist die Bereitschaft, die Frage, wer zum Heil gelangen kann, zu beantworten, in der katholischen Kirche deutlich ausgeprägter als in den Ostkirchen (siehe extra ecclesiam nulla salus).
Die Soteriologie der nichtreformatorischen Kirchen zieht generell immer auf der einen Seite die Freiheit des Menschen in Betracht, andererseits aber auch die Allmacht und die Freiheit Gottes in der Auserwählung jener, die gerettet werden. Dabei sind eine Reihe von Herangehensweisen möglich. Selbst innerhalb der katholischen Kirche existiert eine Anzahl soteriologischer Positionen nebeneinander (Thomismus, Molinismus, Augustinianismus).
Gemeinsam haben alle kirchlichen Traditionen die eindeutigen Angaben im Neuen Testament, wonach Taufe durch einen irdischen Kirchenvertreter oder direkt durch Gott im Heiligen Geist erfolgen kann.
Kirchen und Gemeinschaften der Reformation
Obwohl die Reformatoren und in ihrem Gefolge die traditionellen protestantischen Kirchen die Taufe nach wie vor für heilsnotwendig halten, stellte vor allem Luthers „sola fide“-Lehre implizit die persönliche Beziehung zu Gott als alleinigen Weg zum Heil dar, wobei diese Beziehung durch den Anteil der dem Menschen inne wohnenden und von ihm angenommenen Liebe Gottes bestimmt wird. Dies führte in der Reformationszeit zunächst zur Entstehung von – damals von den Reformatoren abgelehnten – Wiedertäuferbewegungen und in späteren Jahrhunderten zur Herausbildung einer Reihe von baptistisch stabilen Gemeinschaften, die die Erwachsenentaufe praktizieren. Statt eines sakramentalen Verständnisses wird die Taufe hier als bloß äußerliches Zeichen einer inneren Umkehr zu Gott gesehen, wobei letztere eigentlich konstitutiv für das Heil ist.
Eine Radikalisierung dieses Zugangs findet sich in der „once saved always saved“-Lehre, wonach jemand, der sich einmal zu Jesus Christus bekehrt hat, unmöglich Gottes Gnade wieder verlieren kann (Röm 8,28 LUT, Joh 6,39 LUT). Sie ist einer der „fünf Punkte“ im Calvinismus, wird auch innerhalb anderer protestantischer Kirchen vertreten, jedoch vom Arminianismus zurückgewiesen.
Buddhismus
Im Buddhismus steht der Gedanke der Erleuchtung im Zentrum der Lehre (Dhamma). Die menschliche Existenz im nicht-erlösten Zustand wird als grundsätzlich leidhaft (Dukkha) angesehen, da alle glückbringenden Erfahrungen nicht dauerhaft sind, sondern ein Ende haben. Durch bestimmte Lebensweise und geistige Praxis kann Leiden überwunden werden. Dazu bedarf es keines äußeren Erlösers, sondern der Mensch ist durch sich selbst befähigt, die absolute Befreiung zu erlangen.
Theravada
Der in Abgeschiedenheit und Askese lebende Mönch ist (im Unterschied zum Laien, der ein Familienleben führt) in diesem Leben zur Selbsterlösung befähigt. Wesentlich sind dabei drei Aspekte: Sittliches Handeln, Meditation und Einsicht. Wenn der Mönch im Zuge solcher Praxis jegliche „Unreinheit des Geistes“ (Gier, Hass, Verblendung) in sich ausgelöscht hat, geht er in das Nirvana (Sanskrit) oder Nibbana (Pali) ein. Das bedeutet, er ist vom Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara) befreit und muss nicht mehr in einer der in der buddhistischen Kosmologie angenommenen Ebenen der Existenz wiedergeboren werden. Dabei darf die Vorstellung der Wiedergeburt nicht mit der Vorstellung der Seelenwanderung im Hinduismus verwechselt werden. Ins nächste Leben übertragen wird nämlich nicht eine individuelle Seele (als konstante Substanz), sondern lediglich ein durch Taten hervorgerufenes Potential, das sich in einer neuen Existenz manifestiert. Je positiver das Potential ist (infolge von guten, heilsamen Taten in der früheren Existenz), desto vorteilhafter wird die darauf folgende Existenz sein. Je günstiger die Existenzbedingungen, desto besser sind die Voraussetzungen für die Erlösung. Die menschliche Existenz gilt als einzigartige Chance für die Erlösung, da einerseits das Leid so vorherrscht, dass die Dringlichkeit der Erlösung erkannt werden kann, andererseits auch genügend Annehmlichkeiten existieren, so dass der Mensch nicht apathisch im Leid versinkt.
Mahayana
Dem Mahayana liegt das Bodhisattva-Ideal zugrunde, wobei man seine eigene Erlösung (das Eingehen ins Nirvana) in den Hintergrund stellt und stattdessen die Verantwortung für die Erlösung aller anderen fühlenden Lebewesen auf sich nimmt.
Literatur
- George C. Anawati: La notion de „péché originel“ existe-t-elle dans l'Islam? In: Studia Islamica. 31, 1970, 0585-5292 ISSN 0585-5292 , S. 29–40.
- Adel Theodor Khoury, Peter Hünermann (Hrsg.): Was ist Erlösung? Die Antwort der Weltreligionen. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1985, ISBN 3-451-08181-4 (Herderbücherei 1181).
- Nyanatiloka Mahathera: Grundlagen des Buddhismus. Vier Vorträge des Ehrenwerten Nyāṇatiloka Mahāthera. Jhana-Verlag, Uttenbühl 1995, ISBN 3-928396-11-0.
- Claus-Dieter Osthövener: Erlösung. Transformation einer Idee im 19. Jahrhundert. Mohr Siebeck, Tübingen 2004, ISBN 3-16-148272-7 (Beiträge zur historischen Theologie 128), (Zugleich: Halle-Wittenberg, Univ., Habil.-Schr., 2000).
- Peter Strasser: Theorie der Erlösung. Eine Einführung in die Religionsphilosophie. Wilhelm Fink, München 2006, ISBN 3-7705-4238-X.
- Sabine A. Haring: Verheißung und Erlösung. Religion und ihre weltlichen Ersatzbildungen in Politik und Wissenschaft. Passagen-Verlag, Wien 2008, ISBN 978-3-85165-694-7 (Studien zur Moderne 24).
- Friedrich Hermanni, Peter Koslowski (Hrsg.): Endangst und Erlösung. Band 1: Untergang, ewiges Leben und Vollendung der Geschichte in Philosophie und Theologie. Wilhelm Fink, Paderborn 2009, ISBN 978-3-7705-4757-9.
- Gustav Mensching: Zur Metaphysik des Ich, Gotha 1934 (religionswissenschaftlicher Klassiker)
Siehe auch
Weblinks
Wikiquote: Erlösung – ZitateEinzelbelege
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