Jean Liedloff

Jean Liedloff

Jean Liedloff (* 26. November 1926 in New York; † 15. März 2011 in Sausalito) war eine US-amerikanische Autorin und Psychotherapeutin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jean Liedloff stammt aus New York, hat das Drew Seminary for Young Women abgeschlossen und ging dann zur Cornell University, begann aber zu reisen, bevor sie einen Abschluss gemacht hatte. Nach fünf Expeditionen zum indigenen Volk der Yequana in Venezuela schrieb sie ihre Beobachtungen auf in dem Buch Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit (Originaltitel: The Continuum Concept).

Jean Liedloff war Mitbegründerin der Zeitschrift The Ecologist. Zeitweise lebte sie in London als Publizistin. Sie schrieb unter anderem für die Sunday Times. Sie starb am 15. März 2011 nach langer Krankheit in ihrem Hausboot in Sausalito, Kalifornien.[1] Jean Liedloff war nicht verheiratet und hatte keine Kinder.

Werk

Expeditionen zu den Yequana

Bei den Yequana werden Kindern praktisch das ganze erste Lebensjahr auf dem Arm oder am Körper getragen und nach Bedarf gestillt. Die Kinder schlafen gemeinsam mit den Eltern bis sie selbst aus dem Familienbett ausziehen, meist zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr. Ermahnungen oder Tadel, wie sie Bestandteil der westlichen Erziehung sind, finden Liedloffs Beobachtungen zufolge nicht statt. Die Kinder wachsen zu ungewöhnlich freundlichen, friedlichen und selbstbewussten Menschen heran.

Entwicklung des Begriffes Kontinuum („Continuum concept“)

Auf der Basis ihrer ethnologischen Feldbeobachtungen entwickelte Liedloff ihr „Continuum concept“.

Die kontinuierliche, d.h. stetig, über einen langen Zeitraum fortlaufende Entwicklung von Einzelwesen und Gruppen im Einklang mit den Erfordernissen der Evolution hat Liedloff als Kontinuum angeborener, arteigener Erwartungen und Fähigkeiten beschrieben, die sie beim Umgang der Yequana miteinander sowie mit ihr selbst als Besucherin als in idealer Weise berücksichtigt wahrgenommen hat. Ähnliche Beobachtungen machte Liedloff später auch auf Bali. Ein Konzept als Konzeption, d.h. im Sinne einer sozialpädgogischen oder didaktischen Handlungsanweisung hat Liedloff nicht veröffentlicht. Wohl aber ein Konzept als übergreifende Eigenschaft einer evolvierten Art.

Diesem Kontinuum Konzept zufolge benötigen Menschen im Säuglings- und Kleinkindalter, um sich physisch, mental und emotional gesund zu entwickeln, Erfahrungen, an die sich unsere Gattung im Laufe der Evolution angepasst hat. Sie nennt die folgenden:

  • konstanter körperlicher Kontakt mit vertrauten Menschen vom Zeitpunkt der Geburt an,
  • das Schlafen im Familienbett, bis sie es von sich aus verlassen (oft im Alter von zwei Jahren),
  • Stillen nicht nach Zeitplan, sondern nach Bedarf,
  • das ständige Tragen auf dem Arm oder anderer Kontakt mit einem Artgenossen und die Möglichkeit zu beobachten (auch: gestillt zu werden oder zu schlafen) während der Träger seinen Tätigkeiten nachgeht, bis das Kind zu krabbeln beginnt, üblicherweise im Alter zwischen sechs und acht Monaten.
  • Betreuer sollten unmittelbar auf die Signale der Säuglinge (wimmern, schreien) reagieren, dies ohne Missmut oder Abwertung der kindlichen Bedürfnisse, aber auch, ohne das Kind zum ständigen Zentrum ihrer Aufmerksamkeit zu machen.
  • Kinder, die spüren, dass sie willkommen und wertvoll sind, werden die Erwartungen der Eltern fühlen (und erfüllen), also sozial und kooperativ werden und ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln.
  • Zum Kooperieren benötigen Kinder Führung durch Bezugspersonen, die in ihrem Tun und Lassen klar und eindeutig sind.

Aufgrund des Erfolgs von Liedloffs Buch bzw. der Idee ihres „Continuum concepts“ hat das körpernahe Tragen von Säuglingen und Kindern in Tragetüchern und das Stillen nach Bedarf – wie es in vielen, u. a. afrikanischen, Kulturen bis heute Sitte ist – auch (wieder) in Europa und Nordamerika an Bedeutung gewonnen. Es fand insbesondere bei der „1968er” Bewegung, als auch die antiautoritäre Erziehung populär war, viele Anhänger. Als sich später zeigte, dass die Resultate nicht wie erhofft eintraten, verwies Liedloff darauf, dass dies vermutlich daran läge, dass die Yequana, Balinesen sowie andere Mitglieder evolvierter Gesellschaften – anders als die zivilisierten Eltern im Westen – die positive Entwicklung wie selbstverständlich und ohne den leisesten Zweifel erwarteten.

Liedloff unterscheidet einerseits zwischen evolvierten Gesellschaften, die im Rahmen der natürlichen Evolution eine stetige, über einen langen Zeitraum fortlaufende Entwicklung erleben und in hohem Maße an die angeborenen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen angepasst sind, sowie andererseits zivilisierten Gesellschaften, die ohne Rücksicht auf das menschliche Continuum oder tradiertes Erfahrungswissen von jeder Generation immer neue und immer schnellere Anpassungsleistungen an technische und soziale Änderungen erwarten.

Liedloff beschreibt, dass in evolvierten Gesellschaften allen Kindern Menschen jeden Alters und beider Geschlechter als Vorbilder jederzeit zur Verfügung stehen . Demgegenüber seien die meisten Kinder in zivilisierten Gesellschaften auf eine einzelne Bezugsperson (üblicherweise die Mutter) sowie auf altershomogene Gruppen in Institutionen (Spielgruppe, Krippe, Kindergarten, Schule, Hort etc.) angewiesen. Der zwanglose, selbstverständliche Kontakt von Kindern zu Frauen, die vergnügt einer nicht-kindbezogenen Arbeit nachgehen (d. h. die weder als Erzieherin noch als Lehrerin arbeiten und auch das Mutter-Sein nicht als einzigen Beruf ausüben), zu Männern sowie zu anderen Altersgruppen (d. h. zu alten Menschen, Jugendlichen, wesentlich jüngeren oder älteren Kinder) sei in zivilisierten Gesellschaften unüblich. Diese Fülle bzw. dieser Mangel spiegle sich wider im Verhalten sowie der Gesundheit der Menschen (nicht nur der Kinder) in evolvierten bzw. zivilisierten Gesellschaften.

Menschen, die wie z. B. die meisten Yequana und viele Balinesen in ihrer Gesellschaft im Einklang mit ihrem arteigenen, menschlichen Continuum lebten, seien meistens entspannt und fröhlich, bei dem was sie tun, schreibt Liedloff nicht nur in ihrem Buch, sondern auch später in ihren Vorträgen und Interviews. Dies gelte ausdrücklich nicht nur für Babies und Kleinkinder, sondern für Menschen jeden Alters.

Jean Liedloff hat bis zu Ihrem Tod zivilisierte Eltern ermutigt, ihrem eigenen angeborenen Continuum zu vertrauen und sich selbst ebenso wie ihren Kindern eine Entwicklung entsprechend ihrer arteigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu ermöglichen. Dabei wurde sie nicht müde, darauf hinzuweisen, dass eine solche Entwicklung für einzelne zivilisierte Menschen nur eingeschränkt möglich sei, da die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Nordamerika oder Mitteleuropa völlig andere als z. B. bei den Yequana seien.

Literatur

  • The Continuum-Concept, In Search of Lost Happiness, Duckworth, London 1975.
    • Dt. Übers von Eva Schlottmann und Rainer Taëni: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit, Beck, München 1980, ISBN 3-406-06024-2 (18. Aufl. 2009, insges. 532.000 Ex.)
  • Carola Eder: Auf den Spuren des Glücks - Das Kontinuum-Konzept im westlichen Alltag. tologo verlag, Leipzig, 2010, ISBN 978-3-940596-09-3.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Meldung auf continuum-concept.org!

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