Joachim Stutschewsky

Joachim Stutschewsky

Joachim (Yehoyachin) Stutschewsky (hebräisch ‏יהויכין סטוצ'בסקי‎, russisch Иоахим Стучевский; * 26. Märzjul./ 7. April 1891greg. in Romny in der Oblast Poltawa, Russisches Reich; † 14. November 1982 in Tel Aviv) war ein russisch-israelischer Cellist, Komponist und Musikwissenschaftler.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sein Vater, Kalmen-Leyb Stutschewsky, entstammte einer Familie jüdischer Spielleute (Klezmorim), war Klarinettist und leitete das Familienorchester im Poltawa-Distrikt in der Ukraine.[1]. Schon im Kindesalter erhielt er Geigenunterricht, wechselte aber mit elf Jahren zum Cello. Schon ein Jahr später spielte er im Orchester der Stadt Nikolajew und trat auch solistisch auf. 1909 bis 1912 studierte er am Königlichen Konservatorium der Musik zu Leipzig bei Julius Klengel und wurde Mitglied des Jenaer Streichquartetts.

Danach lebte er von 1914 bis 1924 in Zürich und interessierte sich im Umfeld zionistischer Kreise erstmals für jüdische Musik. Darunter wurde nicht die Musik der großen jüdischen Komponisten wie Meyerbeer, Mendelssohn, Halévy oder Mahler verstanden, sondern die Musik zur „[…] Erhaltung und Wahrung der jüdischen Besonderheiten im Kunstschaffen, um das Recht auf ein Gestalten der jüdischen Seinsart und um Respektierung des eigenen Schaffensbedürfnisses: Nicht um Musik von Juden, sondern um jüdische Musik.“[2] Grundlage dieser Rudolf Kolisch, Fritz Rothschild (Geige) und Marcel Dick (Viola) das Wiener Streichquartett, und mit dem Pianisten Friedrich Wührer das Wiener Duo. Mit diesen Ensembles widmete er sich vor allem Kompositionen der Zweiten Wiener Schule.[3] Darüber hinaus setzte er sich nachhaltig für die jüdische Musik ein und arbeitete im Verein zur Förderung jüdischer Musik mit. Er organisierte in Wien und vielen europäischen Ländern Konzerte mit dieser Musik und war führend im Verein zur Förderung jüdischer Musik tätig. Er spannte ein umfangreiches Netzwerk jüdischer Musikorganisationen, womit er Wien zum internationalen Zentrum für jüdische Musikgesellschaften machte. Er veröffentlichte zahlreiche Abhandlungen über jüdische Musik und Musiker der Neuen Jüdischen Schule, die Beziehung zwischen jüdischer Musik und anderen Musikkulturen. 1936 erschien in Wien eine Sammlung von Aufsätzen unter dem Titel Mein Weg zur jüdischen Musik. So wurde er zum wichtigsten Theoretiker und Vermittler der Neuen Jüdischen Schule.

Sein in den 1930ern erschienenes vierbändiges Werk Das Violoncellspiel, von Casals und Feuermann hochgeschätzt, wurde an der Juilliard School in New York und am Curtis Institute of Music in Philadelphia wie auch in der Sowjetunion zum Standardlehrbuch.

Wenige Tage vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 floh Stutschewsky in die Schweiz, von wo aus er dann weiter nach Palästina emigrierte. Er wurde Musikbeauftragter des jüdischen Nationalrats und organisierte Konzerte in Tel Aviv. Er bereiste fast das ganze Land und hielt Vorträge über jüdische und chassidische Musik, die er mit seinem Cellospiel untermalte. Darüber hinaus veröffentlichte er Abhandlungen zur Entwicklung der israelischen Musik und leistete eine umfangreiche Sammeltätigkeit auf dem Gebiet des chassidischen Liedgutes. Er betätigte sich wieder vermehrt als Komponist und verarbeitete in seiner zweiten Schaffensperiode nunmehr auch Volksmusik jemenitischer und sephardischer Juden.

Heute bildet sein Nachlass eine der größten Sammlungen des Archivs für Israelische Musik im Felicja Blumenthal Music Center in Tel Aviv.

Stutschewsky war zweimal verheiratet:
Regina (Rewekka, „Wecki“) Schein (Cellistin; 1908 Zürich – 1999 London)[4]
Julia Blindz (Sängerin, 1908 Zarskoje Selo – ?).[5]

Auszeichnungen (Auswahl)

  • 1963 Piatigorsky-Preis der New Yorker Violoncello-Society
  • 1966 Ehrenpreis der Stadt Tel Aviv
  • 1973 Israel Philharmonic Orchestra-Preis

Werke (Auswahl)

Schriften

  • Studien zu einer neuen Spieltechnik auf dem Violoncell. Verlag Schott, Mainz 1927–1929.
  • Das Violoncellspiel. Systematische Schule vom Anfang bis zur Vollendung. Verlag Schott, Mainz 1932–1937.
  • Mein Weg zur Jüdischen Musik. Jbneh-Verlag, Wien 1936.
  • Die Folklore der Juden Osteuropas. Tel Aviv 1958 (in Hebräisch).
  • Jüdische Spielleute (Klezmorim). Tel Aviv 1959 (in hebr. Übersetzung).
  • Hassidic Tunes, Collected and Edited by J. Stutschewsky, 3 Bde., Tel Aviv 1970–1973.
  • Der Lebenspfad eines jüdischen Musikers. Ein Leben ohne Kompromisse (1944–76) Tel Aviv 1977 (in hebr. Übersetzung).
  • Hunderte Fachartikel in deutscher und hebräischer Sprache.

Kompositionen

  • 13 jüdische Volksweisen für Violine (oder Violoncello) und Klavier (1924)
  • Palästinensische Skizzen für Klavier (1931)
  • Trois pièces hébraïques (Kinah – Méditation Chassidique – Freilachs) für Cello und Klavier (1933/34)
  • Suite für Violine und Klavier in vier Sätzen (1940)
  • Duo für Violine und Violoncello in vier Sätzen (1940)
  • „Israelische Suite“ für Cello und Klavier (1942)
  • Drei Improvisationen für Flöte und Klavier (1943)
  • „Israelische Landschaften“ (Galiläa – Negev – Jerusalem – Emek) für Klavier (1950)
  • „Lieder der strahlenden Trauer“ Kantate für Sprecher, Mezzosopran, Bariton, Gesangs- und Sprechchor und Orchester (1958)
  • Safed, Symphonische Dichtung (1960); UA: IPO, Paul Kletzki
  • „Im Spiegel durch 24 Stunden“ Kantate für Sprecher, Sopran, Tenor und Instrumente (1960)
  • Suite Israel für Orchester (1964)
  • „Three for Three“ für drei Violoncelli (1967)
  • Kol Nidrei, für Bratsche und Klavier (1972)
  • Chassidische Fantasie für Klarinette, Violoncello und Klavier (1972)
  • Zahlreiche Lieder
  • Zahlreiche Bearbeitungen, Transkriptionen und Arrangements von Werken anderer Komponisten für Violoncello und Klavier

Tonträger

  • In Hassidic Mood. Joachim Stutschewskys Compositions for cello and piano. Emanuel Gruber, Violoncello, Michael Boguslavsky, Klavier. 1993, Barcode 1089-9202.
  • Eli Zion - from St. Petersburg to Jerusalem. Mit Werken von Joachim Stutschewsky u. a. David Geringas, Violoncello; Jascha Nemtsov, Klavier. 2005, hänssler CLASSIC / SWR.
  • Die Neue Jüdische Schule: St. Petersburg - Moskau - Berlin - Wien. Werke von Joachim Stutschewsky u. a.: Helene Schneiderman, Mezzosopran; Ingolf Turban, Violine; Tabea Zimmermann, Viola; Jascha Nemtsov, Klavier. hänssler CLASSIC / SWR 2001 (Doppel-CD).

Literatur

  • Salomon Wininger: Grosse Jüdische National-Biographie mit mehr als 11.000 Lebensbeschreibungen namhafter jüdischer Männer und Frauen aller Zeiten u. Länder. Ein Nachschlagewerk für das jüdische Volk und dessen Freunde. Band 6, Tipografia “Arta”, Czernowitz, o. J. (1931), S. 60f.
  • Encyclopaedia Judaica. Keter Publishing, Jerusalem 1972, Band 15, S. 462.
  • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. (Hrsg. Herbert A. Strauss, Werner Röder). K. G. Saur Verlag, München 1983, Band 2, S. 1144, ISBN 3598100892.
  • Brockhaus-Riemann Musiklexikon Hrsg. von Carl Dahlhaus, Hans Heinrich Eggebrecht und Kurt Oehl. Mainz 1995, Band 4, S. 209.
  • Darryl Lyman: Great Jews in Music. Jonathan David Publ. Inc., Middle Village, N.Y., 1986, S. 311, ISBN 082460315X.
  • Peter Gradenwitz: The music of Israel. Amadeus Press, Portland Oregon 1996, ISBN 1574670123.
  • Max Brod: Die Musik Israels. Bärenreiter Verlag, Kassel 1976, ISBN 3761805136.
  • Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Hrsg.: Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Bearb. v. Susanne Blumesberger, Michael Doppelhofer, Gabriele Mauthe. K. G. Saur Verlag, München 2002, Band 3, S. 1343f, ISBN 3598115458.
  • Jascha Nemtsov: Die Neue Jüdische Schule in der Musik. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3447050349.
  • Olga Brainin: Das umfangreiche Archiv von Joachim Stutschewsky in Tel Aviv. In: Jüdische Kunstmusik im 20. Jahrhundert: Quellenlage, Entwicklungsgeschichte, Stilanalysen. Jascha Nemtsov (Hrsg.) Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2006, S. 37-45, ISBN 3447052937.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Joel Rubin: hagalil.com, 15. Juni 2005
  2. Joachim Stutschewsky: Zur Frage der jüdischen Musik. In: Die Neue Welt vom 4. Oktober 1929, S. 10.
  3. Das Quartett brachte z. B. am 8. Jänner 1927 Alban Bergs Lyrische Suite zur Uraufführung.
  4. Einzelheiten zu Regina Schein
  5. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, a. a. s. Lit.

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