- Johann Friedrich Herbart
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Johann Friedrich Herbart (* 4. Mai 1776 in Oldenburg (Oldenburg); † 14. August 1841 in Göttingen) war ein deutscher Philosoph, Psychologe und Pädagoge, der über den deutschen Sprachraum hinaus als Klassiker der Pädagogik gilt. Er begründete den Herbartianismus.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Der Sohn eines Justizrates begann nach dem Besuch der Oldenburger Lateinschule ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Jena. Unter dem Einfluss Johann Gottlieb Fichtes wechselte er zur Philosophie und Literatur. Nach Distanzierungen zur Philosophie Fichte und Schellings, der Beschäftigung mit griechischen Klassikern und Mitgliedschaft im studentischen "Bund der freien Männer" brach Herbart 1797 ohne Abschluss sein Studium ab und ging als Hauslehrer zur Familie des Altvogts von Steiger nach Interlaken bei Bern. Hier begann sein Interesse an pädagogischer Arbeit im Rahmen seines Unterrichts mit den drei Söhnen, über die er in Berichten Rechenschaft ablegte. 1798 lernte er Pestalozzi kennen, dessen Konzepte ihn zu einem kritischen Überdenken seiner eigenen pädagogischen Ideen veranlassten.
Im Jahr 1800 gab Herbart seine Stellung als Hauslehrer auf und kehrte auf Wunsch der Mutter wegen Zerrüttung der Ehe seiner Eltern nach Oldenburg zurück, um bald einer Einladung seines Freundes Johann Smidt nach Bremen zu folgen. 1802 begann er seine akademische Laufbahn an der Universität Göttingen, wo er seine Promotion und dann auch seine Habilitation in Philosophie abschloss. In Göttingen lehrte er zunächst als Privatdozent und wurde 1805, nach Ablehnung eines Rufes nach Heidelberg, zum außerordentlichen Professor ernannt. In den Jahren 1806 bis 1808 erfolgten bedeutende Veröffentlichungen wie die Allgemeine Pädagogik, aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet, Hauptpunkte der Metaphysik, Hauptpunkte der Logik, Allgemeine praktische Philosophie.
1809 wurde Herbart an die Universität Königsberg als Professor für Philosophie und Pädagogik auf den früheren Lehrstuhl Immanuel Kants berufen, wo er auch an der Reform des Schulwesens in Preußen mitwirkte. Er richtete auch ein Pädagogium ein, wo er mit etwa zehn Kindern, einigen Studenten und seiner Frau zusammen lebte.
In Königsberg begegnete er seinem etwa gleichzeitig mit ihm in Königsberg eingetroffenen „Vorgesetzten“, dem neuen Chef der Sektion des Kultus und des Unterrichts, Wilhelm von Humboldt, der seinem Lehrer dem Philologen Friedrich nach Berlin schrieb, an der Universität Königsberg sei wohl bloß Herbart „herauszuheben“ und selbst einen Goethe wissen ließ, dass der „neulich aus Göttingen berufene Herbart“ ihm in der Nähe viel besser gefalle als „von ferne in den Rezensionen seiner Bücher“. Herbart wurde Mitglied und Direktor der "Wissenschaftlichen Deputation", einem Beratungsgremium der Schulreform, das u.a. neue Lehrpläne entwarf. Auch wurde er 1829 Schulrat und prüfte die Lehramtskandidaten.
1811 heiratete Herbart die aus einer englischen Kaufmannsfamilie stammende Mary Jane Drake. Die Ehe blieb kinderlos. 1813 erschien die erste Auflage des Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie, 1816 die erste Ausgabe des Lehrbuchs zur Psychologie, 1824/25 die Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik in zwei Teilen, 1828/29 die zweiteilige Allgemeine Metaphysik, nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre.
1833 folgte er einem Ruf zurück an seine alte Wirkungsstätte der Universität Göttingen, nachdem ihm die Nachfolge Hegels in Berlin nicht anvertraut worden war. Dort publizierte er sein Alterswerk Umriss pädagogischer Vorlesungen, das 1841 in der 2. Auflage neu ergänzt erschien. 1837 distanzierte sich Herbart als Dekan der Philosophischen Fakultät von den Protestaktionen der „Göttinger Sieben“. Den Hannoverschen Verfassungskonflikt und die Folgen mit Entlassung und Landesverweis für die Kollegen bezeichnete er ein Jahr später als „Göttingische Katastrophe“. Am 14. August 1841 erlag Herbart einem Schlaganfall. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Albani-Friedhof in Göttingen.
Bedeutung
Umriss pädagogischer Vorlesungen (1841):
- "§ 1. Der Grundbegriff der Pädagogik ist die Bildsamkeit des Zöglings. ...
- § 2. Pädagogik als Wissenschaft hängt ab von der praktischen Philosophie und Psychologie. Jene zeigt das Ziel der Bildung, diese den Weg, die Mittel und die Hindernisse."
Herbart gilt als einer der Begründer der modernen Pädagogik als Wissenschaft. Ausgehend vom Begriff der Bildsamkeit des Menschen versuchte er, Erziehung und Unterricht theoretisch zu untermauern. Herbart gilt als Pionier in der Entwicklung einer auf der Psychologie basierenden systematischen Theorie zum Lernen und Lehren; er entwickelte eine komplexe Methodenlehre, die sog. Formalstufentheorie. In seiner weitverbreitetsten Form schloss dieses System zunächst vier formale Lehrstufen ein: Klarheit, Assoziation, System und Methode. Tuiskon Ziller (1817–1882), ein bedeutender Herbartianer, setzte diesen Stufen eine weitere voran, die Analyse. Wilhelm Rein (1847–1929) gab den Formalstufen dann deutsche, sinnvollere Bezeichnungen: Vorbereitung, Präsentation, Umgang, Verallgemeinerung und Anwendung. Sie waren integriert in ein theoretisches Konzept eines pädagogischen Lehrplans, der derart gestaltet werden sollte, dass Kinder und Jugendliche in ihrem individuellen Lernprozess die wesentlichen Stufen der Lernprozesse „emporsteigen“, die bisher die Menschheit als Gattung erklommen hat. Herbart sah die wesentliche Aufgabe des Lehrers darin, die vorhandenen Interessen des Schülers herauszufinden und sie mit dem Wissen und der Kultur der Menschheit in Beziehung zu setzen, um dem Schüler zu helfen, Teil des zivilisierten Lebens zu werden. Seine Philosophie begründete eine von seinen Schülern in ein strenges Regelwerk umgesetzte Anleitung für den Unterricht, den Herbartianismus, der im 19. Jahrhundert die wissenschaftliche Pädagogik beherrschte.
Aber hier muss eindeutig der Unterschied zwischen Herbarts systematischer Pädagogik (als einer Pädagogik der Selbstentfaltung des Zöglings) einerseits und dem Herbartianismus (als strenges Regelwerk, welches dem Zögling wenig Freiraum in der Selbstentfaltung überlässt) andererseits hervortreten. Vor allem in der neueren Rezeption ist verstärkt, unter anderem durch Dietrich Benner, darauf hingedeutet worden, dass das strenge Regelwerk des Herbartianismus nicht den ursprünglichen Intentionen Herbarts folgte. Es stand sogar in vielerlei Hinsicht in einem konträren Verhältnis zu Herbarts System. Denn die ursprüngliche Intention Herbarts war, dem Schüler durch Anstoß (Unterstützung) zur Selbstbildung zu verhelfen und ihn nicht durch ein Regelwerk noch präziser in eine vom Lehrer/Erzieher (als Regelvorgeber) vorgegebene Richtung zu „ziehen“. So erwähnt Herbart in seiner Abhandlung Die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung (1804):
- „Machen, dass der Zögling sich selbst finde, als wählend das Gute, als verwerfend das Böse: dies oder nichts ist Charakterbildung! Dies Erhebung zur selbstbewußten Persönlichkeit soll ohne Zweifel im Gemüte des Zöglings selbst vorgehen und durch dessen eigene Tätigkeit vollzogen werden; es wäre Unsinn, wenn der Erzieher das eigentliche Wesen der Kraft dazu erschaffen und in die Seele eines anderen [Vorgaben/Regeln] hineinflößen wolle“ (J. F. Herbart, Über die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung in Dietrich Benner: „Johann Friedrich Herbart: Systematische Pädagogik“. Deutscher Studienverlag, Weinheim 1997, S. 49.)
So stellt sich Herbart ausdrücklich gegen einen autoritären Erziehungsstil und auch eine affirmative Pädagogik, aus heutiger Perspektive und ermuntert den Unterricht zu einem Ort, in dem die Schüler durch „Aufforderung zur Selbsttätigkeit“ (Dietrich Benner) ermuntert werden und ihre charakterliche Entwicklung vollziehen können. Der Lehrer tritt hier in ein Unterstützerverhältnis. Er soll dem Schüler Anstösse/Denkanstösse geben. Der eigentliche Lernprozess kann aber nur vom Edukanden (Schüler) selbst vollzogen werden.
So ist weiter deutlich, dass der Herbartianismus und die daran anschließende Kritik vielerorts auf falschen Tatsachen beruhte. Herbarts ursprüngliche Lehre in Bezug auf die Pädagogik hatte erst einen nachhaltigen Einfluss in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Grund für die erst spät erfolgte und in diesem Sinne kritische (würdigende) Rezeption von Herbarts originalem System war durch die Verallgemeinerung von Herbart und dem Herbartianismus verursacht worden.
Der Herbartianismus beeinflusste vorher schon Aspekte der Pädagogik in Europa und den Vereinigten Staaten. In Hinsicht auf Psychologie und Philosophie wurde Herbarts ursprüngliche Lehre vorher gewürdigt und seine Erkenntnisse in die jeweiligen Wissenschaften, wenn auch nicht als dominant eigene Strömung, integriert.
Nach Herbart sind die Herbartstraße und das Herbartgymnasium in Oldenburg benannt.
Siehe auch
Werke
- Pestalozzi's Idee eines ABC der Anschauung. Göttingen 1804.
- Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet. Göttingen 1806.
- Ueber philosophisches Studium. Göttingen 1807.
- Allgemeine Praktische Philosophie. Göttingen 1808
- Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie. Königsberg 1813.
- Lehrbuch zur Psychologie. Königsberg und Leipzig 1816.
- Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik. Königsberg 1824.
- Allgemeine Metaphysik. Königsberg 1828.
- Kurze Encyklopädie der Philosophie aus praktischen Gesichtspuncten. Halle 1831.
- Psychologische Untersuchungen. Göttingen 1839-40.
- Umriss pädagogischer Vorlesungen. 2. Aufl. Göttingen 1841. ISBN 353415962-4
- Gustav Hartenstein (Hrsg.): Johann Friedrich Herbart's sämmtliche Werke. Leipzig 1851, online unter Google-Books
Neuausgaben
- Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie. Meiner, Hamburg 1997, ISBN 978-3-7873-1343-3.
- Genauere Entwicklung der Hauptbegriffe, welche in die Bestimmung des pädagogischen Zwecks eingehn. Hg. von Rotraud Coriand. Jena 2006, ISBN 3-938203-22-6, (Pädagogische Reform in Quellen Bd. 2).
Literatur
- Prantl: Herbart, Johann Friedrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 12, Duncker & Humblot, Leipzig 1880, S. 17–23.
- Walter Asmus: Der „menschliche“ Herbart. A. Henn Verlag, Ratingen bei Düsseldorf 1967.
- Rudolf Fietz (Hrsg.): Johann Friedrich Herbart aus Oldenburg (1776-1841). Holzberg, Oldenburg 1992, ISBN 3-87358-383-6.
- Erich E. Geissler: Herbarts Lehre vom erziehenden Unterricht. Heidelberg 1970.
- Erich E. Geissler: J. F. Herbarts ideengeschichtlicher Beitrag zu einer wissenschaftlichen Unterrichts- und Erziehungslehre. In: D. Flagmeyer/I. Mortag: Horizonte. Neue Wege in Lehrerbildung und Schule. Leipzig 2007.
- Matthias Heesch: Johann Friedrich Herbart zur Einführung. Junius Verl., Hamburg 1999, ISBN 3-88506-999-7.
- Michael Tischer: Herbart und die Folgen. Studien zur Genese der Allgemeinen Pädagogik und Didaktik. Büchse der Pandora, Wetzlar 1999, ISBN 3-88178-088-2.
- Gerhard Müßener (Hrsg.): Johann Friedrich Herbart (1776-1841). Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2002, ISBN 3-89676-538-8.
- Elmar Anhalt (Hrsg.): In welche Zukunft schaut die Pädagogik? Herbarts Systemgedanke heute. IKS Garamond Jena 2009, ISBN 978-3-938203-83-5.
- Alexandra Schotte (Hrsg.): Herbarts Ästhetik. Studien zu Herbarts Charakterbildung. IKS Garamond Jena 2010, ISBN 978-3-941854-34-5.
Weblinks
Commons: Johann Friedrich Herbart – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Literatur von und über Johann Friedrich Herbart im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Johann Friedrich Herbart. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
- Internationale Herbart-Gesellschaft (Webseite im Aufbau)
- Wolfgang Klafki: Festvortrag zum 150jährigen Bestehen des Herbartgymnasiums Oldenburg am 9. Mai 1994, in dem Herbarts Theorien in biographischen Zusammenhang gestellt werden
- Jean Salem: Herbart et son école : aperçu historique [Herbart und seine Schule : Historischer Abriss] mit Littérature critique [528 Literaturangaben] (PDF-Format), Centre d’Histoire des Systèmes de Pensée Moderne (CHSPM), Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne 2007
- Herbarts Auseinandersetzung mit Pestalozzi
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