Johannes Friedemann

Johannes Friedemann

Der kleine Herr Friedemann ist eine Novelle von Thomas Mann. Sie entstand im Jahre 1896 und erschien 1898 in der gleichnamigen Novellensammlung.

Titelblatt der ersten Novellensammlung Thomas Manns 1898

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Novelle erzählt in fünfzehn Kapiteln die Lebensgeschichte des buckligen Johannes Friedemann von der Kindheit bis zu seinem Selbstmord mit dreißig Jahren.

Bereits in der Schulzeit wird dem Krüppel bewusst, dass seine Behinderung ihn von den körperlichen Freuden „des Lebens“ ausschließt.[1] Er zieht sich zurück. Im Genießen von Literatur und Musik schafft sich seine eigene Welt. Entsagung sichert ihm ein ruhiges Leben.

Doch dann zieht in seine Stadt das Ehepaar von Rinnlingen. Gerda von Rinnlingen, rothaarig, ist eine auffallend schöne Frau. [2] Friedemann empfindet sofort eine starke Zuneigung zu ihr. In einem Gespräch deutet Gerda von Rinnlingen eine geheime Wesensverwandtschaft an, die eigene Kränklichkeit ahnen lässt.[3]

Bei einem Empfang im Hause von Rinnlingen, zu dem auch Friedemann geladen ist, fordert Gerda von Rinnlingen ihn auf, sie in den großen, parkähnlichen Garten zu begleiten. Hier gesteht er Gerda von Rinnlingen ungestüm seine Liebe. Sie wehrt ihm nicht und blickt starr über ihn hinweg ins Weite. Doch dann stößt sie den Krüppel verächtlich von sich.

Johannes Friedemann erhebt sich nicht wieder und schiebt sich auf dem Bauche liegend vorwärts, zu dem am Garten hinziehenden Fluss. Dort richtet er den Oberkörper kurz auf und lässt sich kopfüber ins Wasser fallen. Seine Beine, die sich nicht mehr bewegen, bleiben auf dem Ufer liegen.

Die unbekümmerte Natur in der mondhellen Nacht nimmt keinen Anteil an der Tragödie. Das Grillenzirpen wird nur kurz unterbrochen durch das Aufklatschen von Friedemanns Oberkörper ins Wasser. Der Park rauscht leise wie zuvor.[4] Aus der Ferne klingt gedämpftes Lachen.

  1. Mit „Leben“ spielt Thomas Mann hier auf einen zentralen Begriff in Nietzsches Philosophie an.
  2. Rote Haare bedeuten bei den Kunstfiguren Thomas Manns zumeist nichts Gutes. In Doktor Faustus ist der Teufel rothaarig. Die Todesboten in Der Tod in Venedig sind es auch.
  3. Als morbide Schönheit und femme fatale.
  4. Die Natur in ihrer moralischen Indifferenz war schon dem jungen Thomas Mann nicht geheuer. Gegen Ende seines Lebens, in Der Erwählte (1951) lässt er den fiktiven Erzähler äußern: "Die Natur ist des Teufels, denn ihr Gleichmut ist bodenlos".

Selbstkommentar Thomas Manns

„Die Hauptfigur ist ein von der Natur stiefmütterlich behandelter Mensch, der sich auf eine klug-sanfte, friedlich-philosophische Art mit seinem Schicksal abzufinden weiß und sein Leben ganz auf Ruhe, Kontemplation und Frieden abgestimmt hat. Die Erscheinung einer merkwürdig schönen und dabei kalten und grausamen Frau bedeutet den Einbruch der Leidenschaft in dieses behütete Leben, die den ganzen Bau umstürzt und den stillen Helden selbst vernichtet.“

– «On Myself». Vortrag in zwei Teilen, gehalten am 2. und 3. Mai 1940 in der Princeton University.

Thomas Manns Motiv der „Heimsuchung“

Thomas Mann hat diesen Einbruch der Leidenschaft in ein behütetes Leben "Heimsuchung" genannt. Sie wird in Der Tod in Venedig wieder gestaltet. In den Josephsbänden ist es Potiphars Weib, das von einer zerstörerischen Liebe zu Joseph (Joseph in Ägypten) heimgesucht wird. Spielerisch einmontiert ist das Motiv der Heimsuchung in Doktor Faustus. Es findet sich dort in der Binnenerzählung der Frau Schweigestill [Kapitel XXIII] über ein junges Mädchen aus der gesellschaftlichen Oberschicht, das sich in einen schmucken Chauffeur verliebt hatte und von ihm geschwängert wurde – vor dem Ersten Weltkrieg ein Verhängnis, das letztendlich zum Verlöschen dieses jungen Lebens geführt hat.

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