Judenbuche

Judenbuche

Die Judenbuche – Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen“ ist eine Novelle von Annette von Droste-Hülshoff, die erstmals 1842 im Cotta'schen Morgenblatt für gebildete Leser erschien. Sie behandelt ein Verbrechen und vor allem dessen Vor- und Nachgeschichte und spielt in dem entlegenen westfälischen „Dorf B.“ (das später als das Dorf Bellersen der Stadt Brakel im Fürstbistum Paderborn identifiziert werden konnte) in einem deutschen Kleinstaat des 18. Jahrhunderts, vor den Umwälzungen, die die Französische Revolution für Europa mit sich brachte. Holz- und Jagdfrevel stehen hier an der Tagesordnung. Den begangenen Rechtsverletzungen begegnet man jedoch „weniger auf gesetzlichem Wege, als in stets erneuten Versuchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten“. Die „Judenbuche“ wird außerdem als Milieustudie und Kriminalgeschichte verstanden.

Inhaltsverzeichnis

Interpretation

Recht und Gerechtigkeit

Die Gesetze sind einfach und teilweise unzulänglich. Neben dem gesetzlichen Recht hat sich so ein zweites Recht gebildet: Recht der öffentlichen Meinung, der Gewohnheit und entstandenen Verjährung. Gutsbesitzer wie Volk handelten frei nach ihrem Gewissen, nur den Unterlegenen waren bisweilen die geschriebenen Gesetze wichtig. Alle Dorfbewohner sind fromm, fast alle sind aber auch irgendwie in den Holz- und Wilddiebstahl verstrickt. Ein Beispiel sind Margret Mergel und ihr Bruder Simon Semmler: Während Margret äußerst fromm ist, aber das Bestehlen von Juden für ebenso akzeptabel hält wie Wilderei und Holzfrevel, hat Simon als Sinnbild des Bösen immer noch einen Funken von Gewissen und Frömmigkeit in sich (wenn er letzteres auch vielleicht nur vorschiebt).

Man kann dieses Gewohnheitsrecht als Zeichen der Rückständigkeit des Dorfes interpretieren, die die Autorin am Anfang des Buches anspricht. Bezeichnenderweise ist diese Rückständigkeit 1789 beendet: Etwa zwei Monate nach Ausbruch der Französischen Revolution wird der echte Schuldige bestraft, zuvor können Adel und Volk über Recht und Gerechtigkeit entscheiden. Die Autorin heißt die ältere Form der „Gerechtigkeit“ weder gut, noch verurteilt sie sie.

Entsprechend der Buche, der die Juden die Rache an dem Mörder anvertrauen, erscheint die Natur in der Novelle stets als Richter und Zeuge. Die Dichterin veranschaulicht durch diese enge Verbindung zwischen dem Handeln des Menschen und der ihn umgebenden Natur, dass er, verliert er sein „inneres Rechtsgefühl“, zugleich die Einheit von Menschen und Natur stört, die in der göttlichen Seinsordnung festgelegt ist.

Bezeichnenderweise geschehen alle furchtbaren Ereignisse in der Nähe der Buche im Brederwald, während einer stürmischen oder monderhellten Nacht oder in der Dämmerung, niemals aber am Tag. Der Brederwald wird zu einem magischen Raum, die Buche zum „Dingsymbol für ein Geschehen des Unheils“.

Bild der Juden

Die Juden gelten bei der Bevölkerung als sehr geschäftstüchtig und fleißig, aber auch als verschlagen und betrügerisch. Wie so häufig in dieser Zeit lebten die Juden in ihren eigenen Vierteln, wo sie die Synagoge besuchen oder beim Metzger z.B. koscheres Fleisch kaufen konnten. Zudem verbot es ihnen ihr Glaube nicht, Zinsen zu nehmen, weswegen Juden häufig Geld verliehen, was ihnen auch den Ruf von „Halsabschneidern“ einbrachte.

Charakterisierungen

Friedrich Mergel (die Hauptfigur)

Friedrich, geboren 1738, entwickelt sich von einem verstörten, zurückgezogenen Kind zu einem sehr hochmütigen und stolzen, aber auch erregbaren und gewaltbereiten Mann. Er arbeitet sich durch den Holzfrevel und dunkle Geschäfte von einem unbedeutenden Jungen einer Witwe zu einer bedeutenden Person hoch und nimmt so einen hohen Rang in der Welt der Dorfbewohner ein. Seine Rolle als „Dorfelegant“ verteidigt er oft mit Fäusten. Ihm ist sein Äußeres wichtiger als sein Inneres. Um seinen Ruf aufrechtzuerhalten, bedient er sich teilweise auch unlauterer Mittel wie dem Prahlen mit einer noch nicht bezahlten Silberuhr. Trotzdem bescheinigt ihm die Autorin eine „nicht unedle Natur“ und schreibt seine Fehler teilweise dem Onkel zu.

Dennoch ist Friedrich sehr verletzlich und hat (nach einer Falschaussage) ein schlechtes Gewissen. Er kann es auch nicht ertragen, wenn andere schlecht über seinen verstorbenen Vater sprechen.

Friedrich wird als unerzogen und hochmütig eingeschätzt.

Margret Mergel

Friedrichs Mutter ist anfangs eine starke Frau, die nach und nach am Leben zerbricht. Als sie Friedrichs Vater heiratet, meint sie noch, dass eine Frau, die von ihrem Mann schlecht behandelt wird, selbst schuld ist. Sie erkennt jedoch bald, dass das Leben nicht so einfach ist, wie sie denkt.

Durch den frühen Tod ihres Mannes und den Verlust Friedrichs, der zu seinem Onkel geht, ist sie mit der Landwirtschaft überfordert.

Nachdem Friedrich unter Mordverdacht flieht, wird sie zu einem Pflegefall, sie kapselt sich von der Gesellschaft bis zu ihrem Tod ab.

Simon Semmler

Nach dem Tod von Friedrichs Vater ist er das Zeichen für das Böse. Er wird von der Autorin dämonisiert und konfrontiert Friedrich immer wieder mit dem Tod seines Vaters Hermann. Er hat keine wirkliche Chance, von unten nach oben zu kommen und stirbt verarmt. Er übt negativen Einfluss auf Friedrich aus und gehört einer Bande illegaler Holzfrevler an. In dieser Verbindung hat er höchstwahrscheinlich auch den Förster Brandis erschlagen. Er hat Fischaugen, ein Hechtgesicht und rötliches Stoppelhaar. Simon Semmler ist der Bruder Margret Mergels, also Friedrichs Oheim. Er „adoptierte“ Friedrich.

Johannes Niemand

Johannes ist Simons unehelicher Sohn und Friedrich so ähnlich, dass selbst dessen Mutter ihn für ihren Sohn hält. Im Gegensatz zu diesem ist Johannes aber sehr schüchtern, leichtgläubig und willenlos (was man an seiner grundlosen Flucht mit Friedrich sehen kann). Er und Friedrich ergänzen sich gewissermaßen und werden so auch sehr gute Freunde, gerade auch durch die gemeinsamen Arbeiten für Simon Semmler. Johannes versinnbildlicht Friedrichs wahren Zustand als sozialer Niemand. Sein Nachname kommt daher, dass Johannes aus einer Liebschaft seines Vaters entstand und von ihm vernachlässigt wird. Während Friedrich der Laufbursche von Simon Semmler ist, ist Johannes der Laufbursche von Friedrich. Er gab ihm diesen Namen um deutlich zu machen, dass Johannes zwar sein leiblicher Sohn war, er ihn aber nie als diesen anerkannte.

Aaron, der Jude

Aaron ist ein jüdischer Geschäftsmann aus einem Nachbardorf namens „S.“ Er hat Familie und geht seinen Geschäften nach. In der Hochzeitsszene aber steht er in einem sehr negativen Licht da, weil er während der Feier die Schulden von Friedrich Mergel eintreiben will. Die Dorfbevölkerung lacht ihn aus und verspottet ihn. Zitat: „Wiegt ihn gegen ein Schwein auf! (...)“ Später wird Aaron ermordet an der „Judenbuche“ aufgefunden.

Förster Brandis

Der Förster Brandis verkörpert die Leitfigur der Förster, die gegen den Holzfrevel sind. Er reagiert manchmal übertrieben, entschuldigt sich jedoch, wenn er merkt, dass er zu weit gegangen ist (siehe Szene seines Todes). Er beleidigt Friedrich und dennoch vertraut er ihm und geht den Weg, den Friedrich ihm vorgibt, wo die anderen Förster lang gegangen sind. Das verdeutlicht, dass er schon nach so einem kleinen Ausbruch von ihm Reue zeigt und ihm wieder voll und ganz vertraut (Ende der Szene: Förster Brandis ist tot).

Hermann Mergel (Friedrichs Vater)

Er ist ein gewalttätiger Mensch (misshandelt seine Frau), aber dennoch ein liebenswürdiger Vater. Sein Drang, ständig zur Flasche zu greifen, ist letztendlich der Grund für seinen Tod. Danach wird Hermann den Ruf des “Gespenstes des Brederholzes” nicht los, worunter Friedrich sehr leidet.

Historische Hintergründe

Der Novelle liegt eine wahre Begebenheit zugrunde, die der Dichterin seit ihrer Kindheit aus Erzählungen über ihre westfälische Heimat vertraut war und die ihr Onkel August von Haxthausen unter dem Titel „Geschichte eines Algierer Sklaven“ nach Gerichtsakten aufzeichnete und 1818 veröffentlichte.

Im Kindesalter ist Annette von Droste Hülshoff regelmäßig bei ihren Verwandten auf dem Schloss Bökerhof in der ostwestfälischen Ortschaft Bökendorf, einem unmittelbaren Nachbarort des "Dorf B." (Bellersen), zu Besuch gewesen und erfuhr über die tragischen Geschehnisse.

Die Hauptfigur Friedrich Mergel der Novelle kann anhand von amtlichen Aufzeichnungen als Hermann Georg (oder Johannes) Winckelhan (getauft am 22. August 1764) identifiziert werden. Dieser hatte 1782 von einem jüdischen Händler (Soistmann-Berens) Stoff für ein Hemd erhalten, jedoch nicht bezahlt. In einem diesbezüglichen im Jahr 1783 stattfindenden Prozeß, unter der Leitung des Drosten zu Haxthausen (Droste war ein Amt der niederen Gerichtsbarkeit), wurde Winckelhan zur Zahlung verurteilt, woraufhin dieser dem Soistmann-Berens mit Morddrohungen entgegnete. Am selbigen Abend sieht der Förster Schmidts sowohl Winckelhan mit einem Knüppel bewaffnet, als auch kurz darauf den jüdischen Händler Soistmann-Berens in den Wald gehen. Zwei Tage später wird Soistmann-Berens von seiner Frau an einer Buche im Wald erschlagen aufgefunden, unweit der Stelle, an der der Förster ihn und den Winckelhan in den Wald gehen sehen hat. Um seiner Verhaftung zu entkommen, floh dieser ins Ausland, wo er darauf in Gefangenschaft geriet und versklavt wurde. Erst nach 25 Jahren kehrte Winckelhan in seinen Heimatort zurück. Nachdem von einer weiteren Strafverfolgung aufgrund seines erlittenen Leides im Rahmen der Versklavung abgesehen wurde, berichtete er vom Hergang des Mordes. Er lebte fortan als Tagelöhner und Bettler. Im Jahr 1806 erhängte er sich an der Buche, an der der jüdische Händler Soistmann-Berens erschlagen aufgefunden wurde und die jüdische Gemeinschaft anschließend ein Zeichen in hebräischer Schrift eingeritzt hatte. Der Baum wurde zwei Jahre später gefällt. Winckelhan wurde trotz des Selbstmords auf Bitten des Drosten am 18. September 1806 in Bellersen katholisch beigesetzt.[1]

Die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff erfindet eine Vorgeschichte zu diesem historisch beglaubigten Ereignis, womit es ihr gelingt, das Geschehen als Folge einer Störung der menschlichen Gemeinschaft darzustellen. Das Verhängnisvolle dieser allgemeinen gesellschaftlichen Situation enthüllt sich in einem individuellen Schicksal, das sich in einer Reihe von ungewöhnlichen Ereignissen zunehmend verdichtet und dramatisch zuspitzt.

Widmung der 20-DM-Note (4. Generation)

Ausschnitt des 20-DM-Scheins

Die 20-DM-Note der im Jahr 1989 erschienenen vierten und zugleich letzten Generation der DM-Banknoten war der Annette von Droste-Hülshoff und ihrem Werk "Die Judenbuche" gewidmet und behielt bis zur Einführung der Euro-Banknoten im Jahr 2002 seine Gültigkeit.

Wie es bei dieser Generation Banknoten üblich war, zeigte die Rückseite Motive aus dem Arbeits- und Lebensumfeld der auf der Vorderseite porträtierten Person. So befanden sich auf der Vorderseite der 20-DM-Note ein Portrait der Annette von Droste-Hülshoff sowie im Hintergrund historische Gebäude der Stadt Meersburg und auf der Rückseite eine abgedruckte Schreibfeder und eine Buche in Erinnerung an die Novelle "Die Judenbuche".

Die Gestaltung der gesamten Serie stammte von Reinhold Gerstetter, dem seinerzeitigen Chefgrafiker der Bundesdruckerei.

Vertonungen

Im Jahr 2006 vertonte der luxemburgische Komponist Marco Pütz die Novelle im Auftrag des Jugendorchester Havixbeck, welches das Stück für Blasorchester am 2. September 2006 uraufführte.

Literatur

  • Winfried Freund: Erläuterungen zu Annette von Droste-Hülshoff, 'Die Judenbuche'. 2., erg. Auflage. Bange, Hollfeld 2003, ISBN 3-8044-1737-X .
  • Ekkehart Mittelberg: Annette von Droste-Hülshoff, 'Die Judenbuche'. Text und Materialien. Cornelsen: Berlin 2005, ISBN 3-464-52208-3
  • Ekkehart Mittelberg: Annette von Droste-Hülshoff, 'Die Judenbuche'. Unterrichtskommentar. Cornelsen: Berlin 1995, ISBN 3-464-52209-1
  • Heinz Rölleke: Annette von Droste-Hülshoff, 'Die Judenbuche'. Interpretation. 2., überab. Auflage. Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-01433-1.
  • Konrad Schaum: Ironie und Ethik in Annette von Droste-Hülshoffs Judenbuche. Winter, Heidelberg 2004, ISBN 3-8253-1565-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. Martin Schlu: Die Judenbuche Hintergrund

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