Jugendgemeinderat

Jugendgemeinderat

Der Jugendgemeinderat ist ein demokratisch legitimiertes, überparteiliches Gremium auf kommunaler Ebene, das die Interessen der Jugend in der Stadt oder Gemeinde gegenüber (Ober-)Bürgermeister, Gemeinderat und Stadtverwaltung vertritt. Das passive und aktive Wahlrecht haben zumeist Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Jugendgemeinderäte sind eine insbesondere in Baden-Württemberg weit verbreitete Form der Jugendpartizipation, die gegenüber anderen Beteiligungsformen durch Kontinuität und Verbindlichkeit gekennzeichnet ist.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg führte in einer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion der Grünen im Landtag zur Rolle von Jugendgemeinderäten aus: :„Jugendgemeinderäte sind gut geeignet, die Bedürfnisse von Jugendlichen in die Kommunalpolitik einzubringen. Durch Jugendgemeinderäte sind die Jugendlichen in ihrer Gemeinde formell vertreten. Als Ansprechpartner bieten sie die Möglichkeit, Wünsche, Anregungen und Verbesserungsvorschläge von Jugendlichen in die Politik zu befördern. So können alle Jugendlichen am Gemeinwesen mitwirken. Insofern bieten Jugendgemeinderäte allen Jugendlichen Partizipationsmöglichkeiten in der politischen Willensbildung vor Ort und haben eine wichtige gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Jugendgemeinderäte werden direkt von den Jugendlichen demokratisch gewählt und vertreten somit auch verschiedene Altersgruppen und Schularten. Jugendliche können in den Gemeinden bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise einbezogen werden. Die gewählten Jugendlichen bekommen einen tieferen Einblick in die Kommunalpolitik und lernen Verantwortung zu übernehmen und ihre Positionen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Als Jugendgemeinderäte können Jugendliche sowohl reale Erfahrungen der Beteiligung sammeln als auch im politischen Rahmen mitwirken. Damit wird bei Jugendlichen eine verlässliche Grundlage für den Aufbau demokratischer Orientierungen und Kompetenzen ausgebildet und sie lernen, verantwortungsbewusst zu handeln.“ (Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 14 / 6762)

Inhaltsverzeichnis

Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg

Geschichte

Der erste Jugendgemeinderat Deutschlands wurde 1985 in Weingarten (Württemberg) gegründet. Der erste Jugendgemeinderat in Urwahl wurde 1987 in Filderstadt (Württemberg) gewählt. Vorbilder waren die französischen „conseils des jeunes“ und das Jugendparlament im belgischen Waremme. In den darauf folgenden Jahren wurden in zahlreichen weiteren Städten im Südwesten Jugendgemeinderäte eingerichtet. Diese Welle von Neugründungen mündete 1993 in die Gründung des Dachverbandes der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg, dessen Ziele gemäß Satzung die Vertretung der kommunalen Gremien auf Landesebene, die Hilfestellung für Städte und Gemeinden bei der Einrichtung weiterer Jugendgemeinderäte sowie die Organisation des Erfahrungsaustausches zwischen den Jugendparlamenten sind. Der Dachverband der Jugendgemeinderäte hat daneben seit seiner Gründung auch landesweite politische Kampagnen initiiert, unter anderem zur Verkehrs- und Bildungspolitik. Die Gründung des Dachverbandes hat seit den 1990er Jahren zu einem rapiden Anstieg der Zahl der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg geführt. Im Jahr 2005 existierten in 89 von 1110 Kommunen entsprechende Gremien.

Wahlsysteme

Die Rahmenbedingungen für die Einrichtung des Jugendgemeinderats werden vom Gemeinderat der Kommune festgelegt. In der überwiegenden Zahl der Städte und Gemeinden werden die Mitglieder des Jugendgemeinderats für zwei Jahre gewählt. In der Regel gilt das aktive und passive Wahlrecht für alle Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren, die ihren Wohnsitz in der Gemeinde haben; wahlberechtigt sind also auch Jugendliche ohne deutschen Pass. Unterschieden wird zwischen mehreren Wahlmodi. Häufigstes Modell ist die Urwahl, bei der alle Jugendlichen der Gemeinde zur Wahl aufgerufen sind. Seltener wird eine Schulwahl durchgeführt, bei der nur Schülerinnen und Schüler wahlberechtigt sind. In manchen Fällen ist die Zahl der Jugendgemeinderatsmitglieder je Schule bereits im Vorfeld quotiert. Ein Delegiertenprinzip, wonach Schulen, Vereine und andere Institutionen Vertreter in den Jugendgemeinderat entsenden, wird aufgrund des Demokratiedefizits kaum praktiziert.

Politische Arbeit

Ähnlich wie der Gemeinderat kommt auch der Jugendgemeinderat regelmäßig zu Sitzungen zusammen. Den Vorsitz übernimmt entweder ein Mitglied des Gremiums oder der (Ober-)Bürgermeister. Auf der Tagesordnung stehen zumeist sowohl Themen, die auf Initiativen aus der Mitte des Jugendgemeinderats hervorgehen, wie auch Punkte, die seitens des Gemeinderats oder der Stadtverwaltung zur Beratung an den Jugendgemeinderat heran getragen werden. Der Jugendgemeinderat hat beratende Funktion in Jugendangelegenheiten, aber keine bindende Entscheidungskompetenz. In fast allen Kommunen ist die formale Beteiligung des Jugendgemeinderats in dessen Satzung festgelegt, zumeist wird den Jugendlichen ein Rede- und Antragsrecht gegenüber dem Gemeinderat eingeräumt.

Gesetzliche Grundlage

Die Einrichtung eines Jugendgemeinderats ist nicht verpflichtend. In der baden-württembergischen Gemeindeordnung ist der Jugendgemeinderat als Beteiligungsmodell aber explizit vorgesehen:

§ 41a Beteiligung von Jugendlichen

(1) Die Gemeinde kann Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen. Sie kann einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten. Die Mitglieder der Jugendvertretung sind ehrenamtlich tätig.

(2) Durch die Geschäftsordnung kann die Beteiligung von Mitgliedern der Jugendvertretung an den Sitzungen des Gemeinderats in Jugendangelegenheiten geregelt werden; insbesondere können ein Vorschlagsrecht und ein Anhörungsrecht vorgesehen werden.

Themen

Inhaltlich befassen sich die Jugendgemeinderäte mit allen Facetten des kommunalen Lebens, sofern es jugendliche Interessen berührt. Hierzu zählen unter anderem die Verbesserung von Jugend-, Sport- und Freizeiteinrichtungen, der öffentliche Personennahverkehr, die Radwegesituation, die Ausstattung der örtlichen Schulen und öffentlicher Einrichtungen wie z.B. der Stadtbücherei sowie die Gewalt- und Suchtprävention. Neben der eigentlichen Gremienarbeiten nutzen Jugendgemeinderäte auch regelmäßig ihre Scharnierfunktion zwischen Jugendlichen und Stadtverwaltung, um mit eigenen Veranstaltungen auf Themen hinzuweisen oder Defizite im kommunalen Veranstaltungsangebot auszugleichen. Zumeist verfügt der Jugendgemeinderat über einen eigenen Etat, der für Aktionen und Kampagnen zur Verfügung steht.

Jugendgemeinderäte in anderen Bundesländern

Nach dem baden-württembergischen Vorbild wurden inzwischen auch in zahlreichen Städten und Gemeinden in anderen Bundesländern Jugendgemeinderäte oder vergleichbare Gremien eingerichtet. Deren Zahl ist aber weit niedriger als im Südwesten. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gibt es einen Dachverband, in dem sich die einzelnen Jugendvertretungen beteiligen können. Auch in Bayern gibt es eine landesweite Vertretung. Ein Dachverband auf Bundesebene existiert nicht.

Der § 46b der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung erlaubt es allen Gemeinden, eine Jugendvertretung einzurichten. Die Bezeichnungen sind sehr unterschiedlich (Jugendparlament, Jugendgemeinderat, Jugendforum, u.v.m.). Der Dachverband der Jugendgemeinderäte in Rheinland-Pfalz hat sich am 17. Januar 2010 gegründet und ist ein Zusammenschluss von Jugendvertretungen aus Rheinland-Pfalz (z.Z. Bernkastel-Kues, Morbach, Pluwig, Kaiserslautern und Hassloch)

In Schleswig-Holstein wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Jugendvertretungen, die dem baden-württembergischen Konzept nahe kommen, eingerichtet, da durch den § 47f der Gemeindeordnung eine Verpflichtung zur angemessenen Beteiligung von Jugendlichen besteht.

Jugendgemeinderäte in anderen europäischen Ländern

In den 70er Jahren wurden in Waremme, Belgien und Schiltigheim, Frankreich die ersten Jugendparlamente gegründet. Weitere folgten in Frankreich, Österreich, Polen, England, Litauen, Italien, Norwegen, Belgien, Finnland, Dänemark, in der Schweiz sowie in den Niederlanden existieren gewählte kommunale Jugendvertretungen in unterschiedlich hoher Dichte. Es gab mehrfach Bestrebungen zur Gründung einer gemeinsamen europäischen Dachorganisation, die allerdings bis heute nicht existiert.

Weblinks

Quellen

  • Stromberg, Anja, Diplomarbeit, „Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg und der Schweiz – Dargestellt am Vergleich der Arbeit der Dachverbände“, Kehl, 2005,

Stange, Waldemar in Aus Politik und Zeitgeschichte (aPuZ), Nr. 38,, „Partizipation von Kindern“, Berlin, 2010

  • Stadt Freiburg, Gemeinderats Drucksache G-06/115, „Beteiligungskonzept Stadt Freiburg“, Freiburg im Breisgau, Anlage 2
  • Servicestelle Jugendbeteiligung, „Jugendparlamente (o,ä) in Deutschland“, Berlin, 2002,
  • Müller, Yvonne; „Studie im Südweststaat Gesetzliche Möglichkeiten zur Beteiligung Jugendlicher nach Gemeindeordnung“ in Projekt Arbeit 2 / 2002, Sersheim,
  • Meinhold-Henschel, Sigrid; Schack, Stephan; „Kinder- und Jugendpartizipation in Deutschland — Entwicklungsstand und Handlungsansätze“ in Jugendhilfe und Schule Handbuch für eine gelingende Kooperation, Wiesbaden, 2008 DOI 10.1007/978-3-531-90820-5
  • Metzger, Renate; “Politische Partizipation von Mädchen und jungen Frauen in den Jugendgemeinderäten

Baden-Württembergs – eine empirische Erhebung“, Diplomarbeit, Fachhochschule Esslingen, Esslingen 1996

  • Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 14 / 6762 vom 28. Juli 2010, Antwort der Landesregierung auf die Anfrage (Konsequenzen Jugendlandtag 2010 – Jugendgemeinderäte stärken) der Fraktionen der Grünen im Landtag,
  • Krieg, Susanne Eva; „Politische Partizipation durch Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg“ Stuttgart, 2007, Diplomarbeit,
  • Hermann, Michael Cornelius; „Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg. Eine interdisziplinäre Evaluation“. Doktorarbeit, Pfaffenweiler 1996
  • Berger, Gundel, „Rechtliche Regelungen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im kommunalen Raum“, DJI Arbeitspapier Nr. 6 – 151, München, 1998

Ade, Klaus; „Teilnahme Jugendlicher am kommunalen Geschehen“, Praxis der Kommunalverwaltung, Baden-Württemberg, Band 2, Seite 195, 2006


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