Gemeindeordnungen in Deutschland

Gemeindeordnungen in Deutschland

Bei den Gemeindeordnungen (in einigen Ländern zusammen mit der Landkreisordnung auch Kommunalverfassung genannt) in Deutschland handelt es sich um Landesgesetze, die jeweils vom Landesparlament eines Landes erlassen werden. Die Gemeindeordnung ist die „Verfassung“ der Gemeinden in dem betreffenden Land.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

In Deutschland liegt die Zuständigkeit zur Regelung der Gemeindeverfassung nach Art. 70 des Grundgesetzes (GG) bei den Ländern. Folglich existieren entsprechend der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und der Landesverfassungen Gemeindeordnungen, die Aufbau, Struktur, Zuständigkeit, Rechte und Pflichten der kommunalen Organe wie Verwaltung, Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung), Gemeindevorstand / Magistrat, Bürgermeister (Oberbürgermeister), Ortsbeirat, Ausländerbeirat usw. regeln. Die Gemeindeordnung ist gleichzeitig die Basis der kommunalen Finanzwirtschaft und regelt die staatliche Aufsicht über die Gemeinden.

In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen (mit Ausnahme Bremerhavens) werden die Kommunalverfassungen durch die jeweiligen Landesverfassungen überlagert, da dort Gemeinde- und Landesebene zusammenfallen.

Kommunalverfassungstypen

Allen Kommunalverfassungen ist die Existenz eines Gemeinderates gemeinsam, dem zentrale kommunale Entscheidungen (in der jeweiligen Gemeindeordnung aufgeführt) obliegen. Unterschiede gibt es bei der Stellung des Hauptverwaltungsbeamten („Bürgermeisters“). In der Praxis haben sich vier Kommunalverfassungstypen herausgebildet:

Die Typisierung hat aber mittlerweile an Bedeutung verloren und hat vor allem noch rechtshistorische Bedeutung.

Magistratsverfassung

Die auf die preußische Städteordnung von 1810 zurückgehende, vom Reformpolitiker Freiherr vom Stein entwickelte „Magistratsverfassung“ gilt heute nur noch in Hessen und Bremerhaven; in Schleswig-Holstein wurde sie Ende der 1990er Jahre abgeschafft.

In ihrer ursprünglichen Form sah die Verfassung eine strikte Gewaltenteilung vor, zwischen dem Kollegialorgan Magistrat, der aus dem (Ober-)Bürgermeister sowie haupt- und ehrenamtlichen Beigeordneten besteht und die Verwaltung der Stadt darstellt, und der Stadtverordnetenversammlung, die aus den Stadtverordneten als Vertretern des Volkes besteht und der ein Stadtverordnetenvorsteher vorsteht. Diese Trennung ist so strikt, dass die Mitglieder des Magistrat als Ehrenbeamte oder Wahlbeamte nicht gleichzeitig Mandatsträger in der Stadtverordnetenversammlung sein dürfen. Ursprünglich waren Magistrat und Stadtverordnetenversammlung auch gleichrangig, so dass kein Organ als das „wichtigere“ angesehen werden konnte. Die Kompetenzen, die nach süddeutscher Ratsverfassung und Bürgermeisterverfassung auf den Bürgermeister konzentriert sind, werden in diesem Modell zwischen Magistrat und Bürgermeister aufgeteilt; der jeweilige Bürgermeister hat sich also im Kollegium des Magistrats abzustimmen und kann die Beigeordneten nicht zu bestimmtem Handeln anweisen.

Dieses Modell war in der Weimarer Republik - wobei dem Magistrat auf kommunaler Ebene die unterschiedlichsten Bezeichnungen zugewiesen wurden - das grundlegende Modell der Leitung einer (größeren) Gemeinde. Durch die Entwicklungen ab 1933 und vor allem durch die Zeit der Besatzungsmächte wurde dieses Modell nach 1945 nur in den genannten Bundesländern wiederbelebt, wobei bis heute Bremerhaven eine Ausnahmestellung zukommt.

Ursprünglich wurde der Bürgermeister in der Magistratsverfassung von der jeweiligen Gemeindevertretung gewählt (vor 1933 bedurfte es sogar des Konsenses zwischen Magistrat und Stadtverordnetenversammlung). Die preußische Magistratsverfassung erlaubte außerdem jedem Bürger, in der Stadt ein Gewerbe auszuüben. Allerdings durften anfangs nur besitzende, männliche Bürger die Stadtverordneten wählen. Die Magistratsverfassung wurde in ganz Deutschland rezipiert, so galt sie sinngemäß ab 1832 auch in Sachsen.

Beginnend ab 1990 wurde die Magistratsverfassung zunächst in Schleswig-Holstein modifiziert (inzwischen nahezu vollständig abgeschafft), seit 1993 findet in Hessen eine Direktwahl der Bürgermeister statt.

Süddeutsche Ratsverfassung

Hauptartikel: Süddeutsche Ratsverfassung

Die süddeutsche Ratsverfassung hat sich traditionell seit dem 19. Jahrhundert in Bayern, Württemberg und Baden entwickelt. Bei der süddeutschen Ratsverfassung werden die kommunalen Entscheidungen durch zwei Organe getroffen: den Rat als zentrale Organ und dem hauptamtlich gewählten (Ober-)Bürgermeister (dualistische Struktur). Beide Organe werden unmittelbar durch die Bürgerschaft gewählt, aber mit unterschiedlichen Wahlperioden (die Räte zumeist auf fünf Jahre, die (Ober-)Bürgermeister häufig auf acht Jahre – hier gibt es zwischen den Ländern erhebliche Abweichungen). Damit soll die Unabhängigkeit beider Ämter voneinander betont und ein „Lagerdenken“ wie in Landes- oder Bundesparlament verhindert werden.

Der (Ober-)Bürgermeister hat in dieser Verfassung eine starke Stellung inne, da er die Beschlüsse des Rates vollzieht, die Kommune nach außen vertritt und Leiter der Gemeindeverwaltung ist. Des Weiteren obliegen ihm eigene Zuständigkeiten, die ihm der Rat nicht entziehen kann (Weisungsangelegenheiten, Geschäfte der laufenden Verwaltung).

Die süddeutsche Ratsverfassung ist vorherrschender Typus der neueren Kommunalverfassungen (s.u.).

Norddeutsche Ratsverfassung

Die Norddeutsche Ratsverfassung geht auf Vorstellungen der britischen Besatzungsmacht nach 1945 zurück und lag lange dem Kommunalrecht Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens zugrunde.

Die norddeutsche Ratsverfassung hat nur ein zentrales Organ, den Rat (monistische Struktur). In diesem Modell kommt dem (Ober-)Bürgermeister, der vom Rat gewählt wird, lediglich die Vorsitzfunktion im Rat zu. Die Verwaltungsgeschäfte werden von einem (Ober-)Stadtdirektor als Hauptverwaltungsbeamten wahrgenommen, der vom Rat gewählt in dessen Auftrag tätig wird (rein vollziehende Tätigkeit). Umgangssprachlich ist dieses Modell auch unter dem Begriff Zweigleisigkeit bzw. Doppelspitze bekannt.

In beiden Ländern ist die norddeutsche Ratsverfassung mittlerweile von der modifizierten süddeutschen Ratsverfassung abgelöst worden (Eingleisigkeit). In Nordrhein-Westfalen werden (Ober-)Bürgermeister auf sechs Jahre und der Rat auf fünf Jahre gewählt. In Niedersachsen werden die Samtgemeinde- und Oberbürgermeister auf acht Jahre gewählt. Damit leitet auch dort der (Ober-)Bürgermeister die jeweiligen Verwaltungen.

Bürgermeisterverfassung

Diese Verfassungsform hat sich mittlerweile überlebt und bestand bis in die 1990er Jahre in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.

Diese Verfassungsform lehnt sich an die süddeutsche Ratsverfassung mit zwei zentralen Organen (dualistische Struktur) an. Unterschiedlich ist die Wahl des (Ober-)Bürgermeisters; während dieser in der süddeutschen Ratsverfassung direkt gewählt wird, findet die Wahl bei der „Bürgermeisterverfassung“ durch den jeweiligen Rat, also indirekt statt; dies sichert diesem eine stärkere kommunalpolitische Position.

Die größte Macht in Sachen Gemeindeverwaltung hat ein vom Gemeinderat gewählter Gemeindedirektor.

Gemeindeordnungen der Länder

Die Unterschiede der Verfassungstypen in den Ländern sind bedingt durch die dortigen Besatzungsmächte, die in den Ländern zum Teil nach dem Krieg ihre Vorstellungen von kommunalen Strukturen vorgegeben haben. In den US-amerikanisch besetzten Gebieten blieb hingegen weitestgehend die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (DGO) in Kraft, welche die Durchsetzung des Führerprinzips auf Gemeindeebene vorsah. Aus diesem Grunde hat Bremerhaven eine Magistratsverfassung, während das Umland unter britischer Verwaltung stand und die dortige Doppelspitze eingeführt wurde.

Die Bezeichnungen und Bedeutungen der kommunalen Organe variieren entsprechend in den einzelnen Ländern deutlich. Zudem finden sich Unterschiede abhängig davon, ob es sich (nur) um eine Gemeinde oder eine Stadt handelt.

Gemeindeordnungen in den einzelnen Ländern
Land Abkürzung Verfassungstyp Vertretungsorgan
Baden-Württemberg GemO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Gemeinderat
Bayern GO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Berlin - keine Gemeindeordnung Aufgabe übernehmen das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen
Brandenburg BbgKVerf Süddeutsche Ratsverfassung

Sonderfall ehrenamtlicher Bürgermeister in amtsangehörigen Gemeinden

G: Gemeindevertretung
S: Stadtverordnetenversammlung
Bremen VerfBrhv nur Bremerhaven Mag.Verf. Stadtverordnetenversammlung (Bremerhaven) und Stadtbürgerschaft (Bremen)
Hessen HGO Magistratsverfassung G: Gemeindevertretung
S: Stadtverordnetenversammlung
Hamburg - keine Gemeindeordnung Aufgabe übernimmt die Hamburgische Bürgerschaft
Mecklenburg-Vorpommern KV M-V Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeindevertretung
S: Stadtvertretung (in den Hansestädten: Bürgerschaft)
Niedersachsen NKomVG Süddeutsche Ratsverfassung
(Regelfall; auch bei Samtgemeinden)
Norddeutsche Ratsverfassung
(in Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden)
G: Rat der Gemeinde
S: Rat der Stadt
Nordrhein-Westfalen GO NRW Süddeutsche Ratsverfassung G: Rat der Gemeinde
S: Rat der Stadt
Rheinland-Pfalz GemO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Saarland KSVG Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Sachsen SächsGemO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Sachsen-Anhalt GO LSA (pdf) Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Schleswig-Holstein GO SH Süddeutsche Ratsverfassung (hauptamtliche Bürgermeister in größeren Gemeinden)

Bürgermeisterverfassung (ehrenamtliche Bürgermeister in kleineren Gemeinden)

G: Gemeindevertretung
In kleinen Gemeinden: Gemeindeversammlung (Beispiel Wiedenborstel)
S: Stadtvertretung (oder wie in Hauptsatzung festgelegt)
Thüringen ThürKO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat

Historische Entwicklung

Das Kommunalrecht in Deutschland hat sich aus sehr alten Rechtsquellen entwickelt. Grundlage der heutigen Gemeindeordnungen in Deutschland sind die Selbstverwaltungsgarantie der Verfassungen der Länder bzw. der Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). Nach der französischen Revolution wurden diese Rechte in fast allen deutschen Gebieten den Gemeinden garantiert (z. B. durch das Gemeindeedikt von 1806 in Bayern und die Preußische Städteordnung von 1808 von Monarchen).

Drittes Reich

Diese Regelungen schafften die Nationalsozialisten mit als eine der ersten demokratischen Regelungen 1933 ff. ab. Bereits am 4. Februar ordnete Hermann Göring als kommissarischer preußischer Innenminister die zwangsweise Auflösung sämtlicher Gemeindevertretungen Preußens zum 8. Februar an und ordnete Neuwahlen für den 12. März an. Gleichzeitig wurden Gemeindeorgane wie Räte und Bürgermeister reichsweit unter Gewaltandrohung aufgelöst bzw. deren Mitglieder rechtswidrig inhaftiert. Das nicht parlamentarisch zustande gekommene Preußische Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 vereinheitlichte – „bis ein Reichsgesetz demnächst eine grundlegende Reform der Gemeindeverfassung für das ganze Reich durchführt“ – das bis dahin in Preußen geltende unterschiedliche Kommunalrecht zum 1. Januar 1934 nach nationalsozialistischen Grundsätzen: das „Führerprinzip“ bedeutete, dass nun der „Bürgermeister“ als Gemeindeleiter ohne Wahl auf 12 Jahre berufen wurde und in der Gemeinde alle Entscheidungen ohne Gemeinderat treffen konnte. Statt einem Gemeinderat gab es „verdiente und erfahrene Bürger“, die dem Gemeindeleiter mit ihrem Rat „zur Seite gestellt wurden“ (ernannt von NSDAP-Funktionären). Nur ihre Bezeichnung „Ratsherren“ und „Gemeindeälteste“ klangen noch so ähnlich wie früher. Konsequent folgte zum 1. April 1935 die reichseinheitliche und in den Einzelbestimmungen weitgehend identische Deutsche Gemeindeordnung. Sie schaffte das bisherige föderalistisch strukturierte Gemeindeverfassungsrecht der deutschen Länder durch eine zentralistische Regelung überall auch gesetzestechnisch ab.

Entwicklung in der (früheren) Bundesrepublik

Der Wiederaufbau der gemeindlichen Selbstverwaltung erfolgte ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst unter der Überwachung und Aufsicht der jeweiligen Besatzungsmächte. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Städte und Gemeinden die bis dahin einzig verbliebenen funktionstüchtigen Einheiten waren, die ein geregeltes Leben nach den Verheerungen dieses Krieges wieder organisieren konnten. Die von den jeweiligen Besatzungsmächten beeinflussten Gemeindeordnungen orientierten sich an den Traditionen der jeweiligen Besatzungsmächte, so erklären sich auch heute noch die bestehenden Unterschiede in Nord- und Süddeutschland.

In bewusster Abgrenzung zum Nationalsozialismus legte (und legt) Art. 20 GG in der neuen Bundesrepublik 1949 fest: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Darüber hinaus bestimmt Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG: „In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.“

Die gemeindliche Selbstverwaltung wurde Ländersache, die die jeweiligen Gemeindeordnungen ihrerseits übernahmen und weiterentwickelten. Zu einer Vereinheitlichung kam es nicht.

Entwicklung in der DDR

In der sowjetischen Besatzungszone wurde 1946 in den fünf Ländern zwischen dem 11. September (Sachsen) und dem 5.Oktober (Sachsen-Anhalt) jeweils die „Demokratische Gemeinde-Verfassung“[1] in Kraft gesetzt. Hinsichtlich ihres Inhaltes und ihres Regelungsgehaltes blieb sie nicht hinter denen der westlichen Besatzungszonen zurück[2].

Mit Gründung der DDR 1949 und der Auflösung der Länder 1952 sowie der immer stärkeren Etablierung der SED-Diktatur wurden jedoch praktisch die sich daraus ergebenden Garantien für eine kommunale Selbstverwaltung immer weiter beschnitten, bis sie schließlich mit dem Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 18. Januar 1957[3] gänzlich abgeschafft wurden. Mit dem am gleichen Tag in Kraft gesetzten Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen[4] übernahm die Volkskammer nicht nur die Aufsicht, sondern auch Weisungsrechte und konnte Beschlüsse der örtlichen Volksvertretungen gänzlich aufheben. Mit diesen beiden Gesetzen wurden die Gemeinden eine untere staatliche Verwaltungsebene der DDR ohne eigenen Wirkungskreis und ohne eigene Rechtspersönlichkeit[2]. Mit dem Gesetz über die Auflösung der Länderkammer der Deutschen Demokratischen Republik[5] wurden formaljuristisch abschließende Regelungen im Sinne der zentralistischen Staatsführung getroffen. Damit waren die Städte und Gemeinden in der DDR aber auch im juristischen Sinn untergegangen.

Die am 17. Mai 1990 in Kraft getretene Kommunalverfassung der DDR führte zu einer juristischen Wiedergründung der Städte und Gemeinden auf dem Gebiet der DDR (die jedoch nicht Rechtsnachfolger der bis dahin bestehenden unteren staatlichen Verwaltungsebene wurden oder sind) und zur (Wieder-)Einführung der kommunalen Selbstverwaltung nach dem Vorbild der (alten) Bundesrepublik[2]. Dabei wurde der Text relativ offen gehalten, um die Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht zu stark zu präjudizieren. In der Praxis führte dieses in den Städten und Gemeinden 1990 zunächst zu jeweils örtlich stark abweichenden Übernahmen der beschriebenen Kommunalverfassungstypen.

Entwicklung in der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung

1993 und 1994 wurde in den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Kommunalverfassung der DDR abgelöst durch landesgesetzliche Regelungen, die sich jeweils stark daran orientierten, welches Bundesland die jeweilige Patenschaft innehatte. So kam es, dass sich die brandenburgische und mecklenburg-vorpommerische Gemeindeordnungen sich an der norddeutschen Ratsverfassung orientieren, während die sächsische Gemeindeordnung inhaltlich und juristisch fast 1:1 die Gemeindeordnung Baden-Württembergs übernahm.

Entwicklungen der letzten Jahre richteten sich auf eine stärkere Beteiligung der Gemeindebürger an kommunalen Angelegenheiten (unmittelbare Demokratie auf Gemeindeebene), Modernisierung der Verwaltung („Neues Steuerungsmodell“) und auf die inzwischen deutschlandweit vereinheitlichte Direktwahl des Bürgermeisters, der gleichzeitig Hauptverwaltungsbeamter ist (1994: Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland, 1996: Niedersachsen, 1998: Schleswig-Holstein). Die Gemeindeverfassungen wurden in dieser Zeit entsprechend novelliert. Abweichungen gibt es insbesondere bei Wahlzeiten und den Kompetenzen der jeweiligen (Ober-)Bürgermeister.

Aktuelle Weiterentwicklung

Einer der wichtigsten derzeit in Umsetzung befindlichen Punkte ist die Umstellung des kommunalen Haushaltsrechts von der Kameralistik zur Doppik. Zentrales und andauerndes Problem ist die unzureichende Finanzausstattung der Städte und Gemeinden, das allerdings durch diese Umstellung keineswegs gelöst wird, sondern sich eher verschärft darstellen wird. [6]

Kritik

Die süddeutsche Ratsverfassung wird nach wie vor auch kritisch betrachtet.

So sei, lautet einer der Kritikpunkte, der (Ober-)Bürgermeister zugleich sowohl Hauptverwaltungsbeamter als auch politischer Repräsentant der Kommune. Daraus resultiere, dass die Kommunalverwaltung in Zeiten vor einer Kommunalwahl politisch unter stärkeren Druck geraten und ihre Handlungsfähigkeit auch zum Teil eingeschränkt werden könne, da sich der Hauptverwaltungsbeamte dann verstärkt dem Wahlkampf widmen werde.

Weiterhin sei, so wird noch heute ebenfalls eingewandt, durch die Aufgabenkumulierung der Arbeitsaufwand gestiegen. Insbesondere die Repräsentation fordere bei größeren Kommunen erhebliche Zeitanteile, in denen sich der Hauptverwaltungsbeamte nicht mehr mit den laufenden Verwaltungsgeschäften befassen kann, so dass hier der übrigen Verwaltungsspitze erhebliche Freiräume eingeräumt werden (müssen). Weiterhin würde durch die (alte) zweigleisige norddeutsche Ratsverfassung sichergestellt, dass an der Spitze der Verwaltung ein Verwaltungsfachmann stehe, während der repräsentativ tätige ehrenamtliche (Ober-)Bürgermeister einen beliebigen Beruf ausüben konnte (und auch nach dem süddeutschen Modell keineswegs ein Verwaltungsfachmann bzw. -fachfrau gewählt würde).

Dieser Kritik wird allerdings auch entgegengehalten, dass in der norddeutschen Ratsverfassung der (Ober-)Bürgermeister niemals seine Vorstellungen oder Beschlüsse des Rates direkt umsetzen konnte, sondern stets auf einen Dritten, den (Ober-)Stadtdirektor angewiesen gewesen sei, was in der Praxis zu erheblichen Spannungsverhältnissen, im besten Fall zu zeitlichen Verzögerungen geführt habe. Die konkrete politisch-persönliche Verantwortlichkeit sei aus der Sicht des Rates nie ausreichend gegeben gewesen.

In der Praxis resultieren daraus die noch heute im Bereich der süddeutschen Ratsverfassung erheblich höheren Kompetenzen des (Ober-)Bürgermeisters, die zwar so im Bereich der norddeutschen Ratsverfassung nicht ausgeformt wurden, das Argument der stärkeren Anbindung der Verwaltung an den Rat ist jedoch eines der wichtigsten Argumente gewesen, die länderunterschiedlichen Gemeindeordnungen in diesem Punkt zu vereinheitlichen.

Siehe auch

Literatur

  • Hofmann/Theisen/Bätge: Kommunalrecht in NRW, 14. vollständig überarbeitete Auflage, Verlag: bernhardt-witten.de, Witten 2010, ISBN 978-3-939203-11-7
  • Ipsen, Jörn: Niedersächsisches Kommunalrecht, 3. Auflage, Boorberg, Stuttgart 2006, ISBN 3-415-03220-5
  • Niedzwicki, Matthias: Kommunalrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Auflage,Shaker Verlag, Aachen 2010, ISBN 978-3-8322-9424-3
  • Thiel, Markus: Die preußische Städteordnung von 1808, in: Speyerer Arbeitshefte, Bd. 123, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer 1999
  • Thiele, Robert: Niedersächsische Gemeindeordnung. Kommentar, 6. Auflage, Deutscher Gemeindeverlag, Kiel 2007, ISBN 3-555-20285-5
  • Wehling, Hans-Georg: „… am meisten demokratisch“: Die württembergische Kommunalverfassung als Modell, in: Sönke Lorenz, Volker Schäfer (Hrsg.): Tubingensia: Impulse zur Stadt- und Universitätsgeschichte. Festschrift für Wilfried Setzler zum 65. Geburtstag, Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2008, ISBN 978-3-7995-5510-4, S. 605–619

Einzelnachweise

  1. Demokratische Gemeinde-Verfassung für die sowjetische Besatzungszone Deutschlands (Text), zuletzt abgerufen am 27. Juni 2011
  2. a b c Gern, Alfons: Sächsisches Kommunalrecht, 2. Auflage, C.H.Beck'sche Verlagsbuchhandlung München, 2000, ISBN 3-406-45501-8, S. 14.
  3. Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht (Text), zuletzt abgerufen am 27. Juni 2011
  4. Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen (Text), zuletzt abgerufen am 27. Juni 2011
  5. Gesetz über die Auflösung der Länderkammer der Deutschen Demokratischen Republik (Text), zuletzt abgerufen am 27. Juni 2011
  6. So wird von Ruhrgebietsstädten berichtet, dass ihre Verschuldung höher ist, als der Wert ihres gesamten kommunalen Vermögens, was in der privaten Wirtschaft zur sofortigen Insolvenz führen würde.

Weblinks

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