Karmapa-Konflikt

Karmapa-Konflikt

Die Linie der Karmapas ist nach der Sichtweise der Karma-Kagyü-Schule die älteste Tulkulinie im tibetischen Buddhismus. Die Linie ist eine bedeutende, da die Karmapas die traditionellen Hauptlinienhalter der Karma-Kagyü-Schule sind. Es gibt jedoch einen Konflikt darüber, wer der 17. Karmapa ist, einige Jahre nach dem Tod des 16. Karmapa 1981 wurden zwei mögliche Kandidaten gefunden.

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Karmapa Urgyen Trinley Dorje

Es gibt zwei Anwärter — Urgyen Trinley Dorje[1] und Thaye Dorje — jeder wird durch mehrere angesehene Lamas der Karma-Kagyü Linie unterstützt. Beide sind als 17. Karmapa inthronisiert, d. h. durch eine Zeremonie zum Ausüben der Karmapa-Praxis ermächtigt worden, und nehmen zeremonielle und rituelle Aufgaben wahr. Bis 2010 haben sie sich noch nicht getroffen.

Die offizielle Inthronisierung zweier Menschen als 17. Karmapa hat zu strittigen Debatten unter den weltweiten Karma-Kagyü-Anhängern geführt. Man wirft sich teils gegenseitig die Spaltung der Linie, Lügen und Fehlverhalten vor. Daher ist es sehr schwer, ein objektives Bild der Vorgänge darzustellen, weil die wichtigsten Entwicklungen nur die zerstrittenen Beteiligten kennen. Wiederum wird von einigen Stimmen auch auf frühere Fälle von der mehrfachen Inkarnation eines Lamas im tibetischen Buddhismus hingewiesen, ohne dass die Lehre beschädigt worden sei. Es gibt aber auch noch weitere doppelte Linienhalter im tibetischen Buddhismus.

Anerkennung der Karmapas

Genau wie in jeder anderen Tulkulinie ist die Frage der Anerkennung der neuen Wiedergeborenen entscheidend für die Fortführung der Linie. Manchmal sind alle betroffenen Parteien sicher, dass ein bestimmtes Kind tatsächlich eine Reinkarnation eines bestimmten Meisters ist. Manchmal ist das nicht der Fall, wie beim 8., 10. und 12. Karmapa (jeder Fall konnte geklärt werden) [2]. Eine erneute Debatte kam nunmehr mit der Ernennung des 17. Karmapa auf.

Karmapa Thaye Dorje

Historisch betrachtet haben sich viele Karmapas selbst zu erkennen gegeben. Das bedeutet, dass viele Karmapas (mindestens 7 von den bisherigen 16 Karmapa-Inkarnationen) schon in jungen Jahren von sich behaupteten, der wiederverkörperte Karmapa zu sein, meist indem sie auch Gefährten und Kollegen aus früheren Inkarnationen wiedererkannten. Auch hat jeder Karmapa Hinweise hinterlassen, die zu seiner nächsten Wiedergeburt führen, häufig in Briefform. Solche Briefe beinhalten Ort und Elternhaus der nächsten Inkarnation, oft jedoch in poetischer Form, was die Deutung und Auffindung erschwert. Jedenfalls spielten die engsten spirituellen Gefährten der vorhergehenden Inkarnation eine entscheidende Rolle im Anerkennungsprozess des nächsten Karmapas. Schließlich sind es sie, die verwirklichten und voll ausgebildeten buddhistischen Meister, die eng mit der vorhergehenden Inkarnation verbunden waren, die den neuen Karmapa ausbilden und lehren.

Seit der ersten Anerkennung im frühen 13. Jahrhundert nehmen mehrere Lamas am Anerkennungsprozess teil. Diejenigen, die die Inkarnation erkennen, sind nicht unbedingt diejenigen, die des Karmapas wichtigste Schüler waren oder die eine Vorhersage über seine Wiedergeburt erhalten. Von den vorhergehenden Karmapas, erkannte Situ Rinpoche den 8. Karmapa. Zusammen mit Shamarpa erkannte er den 9. Karmapa, zusammen mit Gyaltsap Rinpoche den 14. Karmapa und gemeinsam mit dem 2. Jamgon Kongtrul anerkannte er den 16. Karmapa. Gyaltsap Rinpoche erkannte den 7. und 13. Karmapa an.

Zwei Jahrhunderte zuvor wurde die Anerkennung der Inkarnation von Shamar Rinpoche, einem wichtigen Linienhalter der Karma-Kagyü, aufgrund eines politischen Streits mit der damals politisch herrschenden Gelug-Schule blockiert. Sie klagte den 10. Shamarpa an, an einer nepalesischen Invasion in Tibet beteiligt gewesen zu sein und verwies ihn infolge außer Landes. Er wurde aus dem öffentlichen Leben Tibets verbannt und seine Reinkarnationen offiziell nicht anerkannt (Der Bann wurde 1963 auf Bitten des 16. Karmapas vom derzeitigen 14. Dalai Lama aufgehoben). Shamar Rinpoche hatte historisch alleine den 5., 6., 10. und 11. Karmapa anerkannt. Eine von ihm zusammengestellte Gruppe anerkannte unter seiner Direktive den 12. Karmapa. Gemeinsam mit dem damaligen Situpa erkannte er den 8. Karmapa an. Die anderen Inkarnationen wurden von anderen Lamas aufgefunden.

Gegenwärtiger Anerkennungskonflikt des 17. Karmapa

  • Von den beiden Anwärtern wird Urgyen Trinley Dorje von S.E. 12. Situ Rinpoche, S.E. 12. Gyaltsap Rinpoche, vom S.H. 14. Dalai Lama, von S.H. Sakya Trizin (Oberhaupt der Sakya Schule), S.H. Mindroling Trichen Rinpoche (Oberhaupt der Nyingma Schule) anerkannt.[3] Die Bestätigung durch den Dalai Lama erfolgte, nachdem Situ Rinpoche und Gyaltsap Rinpoche ihn am 7. Juni 1992 offiziell baten, deren Anerkennung zu prüfen und zu bestätigen.[3] Urgyen Trinley Dorje wurde auch von der Regierung der Volksrepublik China bestätigt. Andere prominente Kagyü Lamas, die die Erkennung von Urgyen Trinley Dorje akzeptieren, sind der 9. Traleg Kyabgon Rinpoche, der 9. Khenchen Thrangu Rinpoche, der 7. Dzogchen Ponlop Rinpoche und seine Nalandabodhi-Organisation[4], der 7. Yongey Mingyur Rinpoche (der jüngste Sohn von Tulku Urgyen Rinpoche), der 3. Tenga Rinpoche, der Ehrwürdige Khenpo Tsultrim Gyamtso Rinpoche, der Ehrwürdige Bokar Rinpoche, der 3. Bardor Tulku Rinpoche, der Ehrwürdige Khenpo Karthar Rinpoche[5], S.E. Sakyong Mipham Rinpoche und seine Organisation[6], der Ehrwürdige Drupon Rinpoche, der Ehrwürdige Akong Rinpoche und sein Kloster[7], Lama Norlha Rinpoche und weitere. Urgyen Trinley ist auch bei mehreren hochangesehenen wiedergeborenen Lamas, die derzeit minderjährig sind, anerkannt darunter der 4. Jamgön Kongtrul Rinpoche, der 11. Pawo Rinpoche, der 3. Kalu Rinpoche und der 12. Surmang Trungpa Rinpoche. Jeder dieser jungen Lamas wird im Gegenzug von Urgyen Trinley selbst oder in Abstimmung mit ihm von Karma-Kagyü Lamas anerkannt.
  • Der Anwärter Trinley Thaye Dorje wurde vom S.E. 14. Shamarpa (Künzig Shamar Mipham Tschökyi Lodrö) anerkannt. Weitere Lamas, die Thaye Dorje als Karmapa anerkennen, sind S.H. Drikung Kyabgon Chetsang Rinpoche (Oberhaupt der Drikung-Kagyü Schule), S.E. Chogye Trichen Rinpoche (Oberhaupt der Tshar-Tradition der Sakya Schule), S.E. Ludhing Khenchen Rinpoche (Oberhaupt der Ngor-Tradition der Sakya Schule), der Ehrwürdige Khenchen Trinley Paljor Rinpoche, der Ehrwürdige Lama Jigme Rinpoche (Bruder von Shamar Rinpoche), der Ehrwürdige Khenpo Chodrak Tenphel Rinpoche, der Ehrwürdige Shangpa Rinpoche, der Ehrwürdige Lopön Tsechu Rinpoche (2003 verstorben) sowie weitere hochrangige spirituelle und weltliche Würdenträger. Zu den bekannten Unterstützern Trinley Thaye Dorjes im Westen gehört Lama Ole Nydahl.

Seine Exzellenz Beru Khyentse Rinpoche hat eine deutlich weniger verbreitete Ansicht. Er erklärt, beide Karmapas seien legitim[8]. Chökyi Nyima Rinpoche ist ebenfalls dieser Ansicht und erklärt, „wenn es nach meinem Vater (Tulku Urgyen Rinpoche) ginge, würden beide geachtet werden und reine Anerkennung erfahren“.

Für beide Seiten ist die Kontroverse eine unerfreuliche Angelegenheit. Praktizierende beider Seiten der Kontroverse sind allerdings auch meist überzeugt, dass die zukünftigen Handlungen und spirituellen Erkenntnisse der Anwärter klar zeigen werden, wer die wahre Reinkarnation des 16. Karmapa sei. Die richtige Person werde durch ihr Auftreten und ihr Handeln für alle deutlich werden.

Weiterhin stimmen die Anhänger beider Lager darin überein, dass eine strittige Auseinandersetzung nicht förderlich ist und die Praxis Vorrang habe. Für den Umgang mit der Karmapa-Frage gebe es dabei zwei Varianten:

  • Viele Anhänger der Schule warten mit ihrer persönlichen Entscheidung bezüglich des Karmapa als direktem Vajrayana-Lehrer ab, bis sich die Lage geklärt hat. Bis dahin sind die Karmapas für ihre Anhänger als Meditations-Lehrer ohnehin voll verfügbar, da es aus dieser Sicht nicht um die Person geht, sondern um das menschlich-geistige Potential der mitfühlenden Tatkraft, für welche die Person des Karmapa nur stellvertretend stehe.
  • Anderen Praktizierenden geht es mehr um die Person als um das Prinzip der erleuchteten Tatkraft, denn ansonsten könne jedermann zum Karmapa erklärt werden, der tatkräftig mitfühlend ist: Karmapa sei einzigartig und habe sich in seinen vergangenen Inkarnationen nur in einem Individuum reinkarniert. Auch wenn grundsätzliche Hingabe zur Rolle des Karmapa hilfreich sein könne, könne doch das Einsetzen in diese Rolle keine echte Realisation und in Folge auch nicht das segensreiche Wirken und die spirituelle Kraft des Karmapa ersetzen.

Kandidat Urgyen Trinley Dorje

Urgyen Trinley Dorje wurde am 26. Juni 1985 in einem Nomadenstamm in Osttibet geboren. Im Alter von sieben Jahren wurde er im Kloster Tsurphu zeremoniell inthronisiert, welches traditioneller Sitz der Karmapa Lamas in Tibet ist. Ende Dezember 1999 entkam er seinen kommunistischen chinesischen Bewachern, die ihn von den meisten seiner traditionellen Studien und Lehrtätigkeiten abhielten und floh über das Himalayagebirge nach Indien ins Exil.

Sichtweise der Unterstützer Urgyen Trinley Dorjes

Nach dem Tod des 16. Karmapa vereinbarten Shamar Rinpoche, Tai Situ Rinpoche, Jamgon Kongtrul Rinpoche und Goshir Gyaltsab Rinpoche die Gründung eines Herrschaftsrats, um gemeinsam Verantwortung für die spirituellen Angelegenheiten der Karma-Kagyü-Linie zu übernehmen. Dabei wird die Regentschaft alle drei Jahre gewechselt.

Die Unterstützer Urgyen Trinley Dorjes behaupten, dass seine Geburt und Abstammung mit der Vorhersage Chogyur Lingpas übereinstimmen, welcher prophetische Visionen über verschiedene Ereignisse, die Leben des 14. bis 21. Karmapa betreffend, hatte. Viele glauben, dass sich Lingpas Aussage, die Geister Tai Situpas und Karmapas seien "unzertrennlich zu einer Einheit verbunden" auf den 17. Karmapa und den derzeitigen Tai Situ Rinpoche bezieht . "Die Bezeichnung ... ist dazu gedacht, zu zeigen, dass Uneinigkeit in dieser Reinkarnation besteht und der Geist des 17. Karmapa und der Geist des Tai Situ Rinpoche unzertrennbar voneinander sind," erklärt Kagyü Lama Thrangu Rinpoche, einer von Urgyen Trinley Dorjes Lehrern[2]. Obwohl der 16. Karmapa zwei Briefe hinterließ, in denen er seine Wiedergeburt in Tibet angibt, sind es nicht die beiden Briefe, sondern ein anderes prophetisches Dokument, versteckt in einem Medaillon und an Tai Situ übergeben, welches Shamar Rinpoche später zur Kritik veranlasste.

Im Januar 1981, neun Monate vor seinem Tod, gab der 16. Karmapa dem 12. Tai Situpa ein Amulett mit einem gelben Brokatüberzug und sagt zu ihm: "Dies ist dein Schutzamulett. In Zukunft wird es große Wohltat vollbringen." Obwohl Tai Situpa das Medaillon noch für ungefähr ein Jahr nach dem Tod des Karmapas an einer Goldkette trägt, steckt er es in eine Seitentasche, ohne dessen Bedeutung oder die darin enthaltene Botschaft wahrzunehmen. 1989 folgt Tai Situpa einer Intuition, öffnet das Amulett und findet die dritte Vorhersage in einem Brief, auf dessen Umschlag "Im Jahr des eisernen Pferdes öffnen" geschrieben ist. In dem Brief steht, dass der Karmapa "nördlich, im Osten der Schneeregion," wiedergeboren würde. Bei einer Interpretation dieses Satzes auf einer Beratung der vier Regenten im März 1992 wurde angenommen, dass er in einem bestimmten Tal in Osttibet wiedergeboren würde. Der Brief ist auf der Webseite des Kagyü Zentrums abgebildet und enthält unter anderem Folgendes:

Von hier an bis in den Norden [im] Osten der Schnee[region]
Gibt es ein Land, wo unwillkürlich göttlicher Donner grollt.
[In] einem wunderschönen Nomadenlager im Zeichen der Kuh,
Das Mitgefühl ist Döndrub und die Weisheit ist Lolaga.
[Geboren im] Jahr des einen, welcher der Erde dient
[Mit] dem wundertätigen, weitreichenden Klang eines Weißen:
[Dieser] ist der eine, der als Karmapa bekannt ist.[9]

Urgyen Trinley Dorjes Mutters Name ist Loga; der Name seines Vaters ist Karma Döndrub Tashi, ein Name der ihm vom 16. Karmapa gegeben wurde. Obwohl der Suchtrupp, ausgesandt Urgyen Trinley Dorje zu finden, nichts von dem Brief weiß, liegt die Vorhersage im Brief des 16. Karmapa nah an den Namen der Eltern von Urgyen Trinley Dorje. Laut Michele Martin, ist der Brief so zu interpretieren, dass der Karmapa geboren [wird] .. in der Umgebung von Lhathok, was übersetzt 'göttlicher' (lha) Donner (thog) heißt. Der Name der entfernten Nomadengemeinschaft, wo Urgyen Trinley Dorje geboren wird ist Bagor, wobei ba 'Kuh' bedeutet. Die nächste Zeile weist auf seine Eltern hin, das Mitgefühl (oder die Methode), Motiv des männlichen Buddha, bezieht sich auf seinen Vater Döndrub, die Weisheit, Motiv des weiblichen Buddha, bezieht sich auf seine Mutter Lolaga.. Der eine, der der Erde dient weist auf ein Nutztier hin. Urgyen Trinley Dorje wird 1985 im Jahr des Ochsen geboren. Der weitreichende Klang eines Weißen weist auf den Klang des Muschelhorns hin, welches auf wundersame Weise Stunden nach Karmapas Geburt im Himmel widerhallte." (Michele Martin, Music in the Sky, Ithaca, New York: Snow Lion Publications, 2003.)

Am 22. Mai 1992 einen Monat vor seinem siebenten Geburtstag, wurde Urgyen Trinley Dorje in der Nähe von Bagor, Lhatok in Osttibet entdeckt. Dazu auf der Webseite des Kagyü Zentrums:

Nach Abwägung der Anhaltspunkte und weiteren Treffen mit Ihren Eminenzen Tai Situ Rinpoche, Tsurphu Gyaltsab Rinpoche und Shamar Rinpoche, stellt seine Heiligkeit der Dalai Lama den Buktham Rinpoche aus, die offizielle Bekanntmachung der Anerkennung der Identität Seiner Heiligkeit des 17. Karmapa durch den Dalai Lama[10]

Am 27. September 1992 wurde Urgyen Trinley Dorje im Kloster Tsurphu in Tibet inthronisiert. Die Zeremonie wurde von 20.000 Menschen besucht. Er lebte weitere sieben Jahre in Tsurphu. Ende 1999 entschied der 14jährige Urgyen Trinley Dorje, dass die auf ihn auferlegten Restriktionen der chinesischen Regierung seine Fähigkeit seine Schüler zu lehren und Lehren der Linienmeister zu erhalten zu stark einschränke. Mitten im Winter unternahm er eine gewagte Flucht über den Himalaya, entkam den chinesischen Behörden und folgte seinen Weg durch Nepal weiter nach Dharamsala, Indien, wo er am 5. Januar 2000 ankam. Weitere Details seiner Flucht können in einer Pressemitteilung gelesen werden[11].

Kandidat Thaye Dorje

Thaye Dorje wurde am 6. Mai 1983 in Lhasa, Tibet geboren. Sein Vater Mipham Rinpoche, ist die Reinkarnation eines wichtigen Lamas der Nyingma Schule. Im Oktober 1986 kontaktierte Chobgye Tri Rinpoche, Senior Sakya Meister und Linienhalter einer der drei Sakya Linien, den Shamarpa und informierte ihn über einen Traum bezüglich eines Verwandten aus Lhasa, der ihm ein Bild bringe und wiederholt behauptete, dies sei der Karmapa. 1988 wurde Lopön Tsechu Rinpoche ausgesandt mehr Informationen über das Kind einzuholen. Später wurde ein weiterer Lama anonym ausgesandt, die Familie und den Jungen zu treffen, ohne den wahren Grund seines Besuches zu nennen. Auf dem Treffen mit dem Abgesandten sagte der Junge sofort „Du bist wegen mir geschickt worden.“ Diese Begebenheit und weitere Beweise haben den Shamarpa überzeugt, dass dieser Junge tatsächlich die Reinkarnation des 16. Karmapa ist. Im März 1994 floh Thaye Dorje mit seiner Familie aus Tibet und reiste nach Neu-Delhi, wo er formell in einer Willkommenszeremonie anerkannt wurde. Er erhielt von Chobgye Tri Rinpoche die Mönchsordination und unterzieht sich derzeit unter der Leitung Shamar Rinpoches sehr intensiven Belehrungen und fokussiert seine Studien unter der Leitung außergewöhnlicher Lehrer, wie Prof. Sempa Dorje, Khenpo Chödrak Rinpoche und weitere. Ferner unternimmt er ausgedehnte Reisen in den Osten und Westen.

Sichtweise der Unterstützer Thaye Dorjes

Thaye Dorjes Unterstützer behaupten, dass eigentlich der Shamarpa den Karmapa erkannt habe, und deshalb keine zusätzliche Anerkennung erforderlich oder gar wirksam sei. Unterstützer betonen, dass Karma Pakshi, der 2. Karmapa, vorhersagte, dass "zukünftige Karmapas sich in zwei Nirmanakayaformen manifestieren werden." Der 3. Karmapa sah im 1. Shamarpa die Erfüllung dieser Prophezeiung, indem er den wiedergeborenen Shamarpa ein spezielles Verhältnis zu den Karmapas übertrug. Dies würde von anderen Quellen in der älteren Kagyü Literatur unterstützt, wo oft das Symbol der zwei Karmapas zu finden sei, der schwarze und der rote Hut (oder Krone). Frühere Reinkarnationen der Shamarpas wurden außerdem oft Karmapa genannt und können nur anhand eines Vergleichs der Namen früherer Karmapas unterschieden werden.

Unterstützer beschuldigen Tai Situpa der Fälschung des Briefes, der angeblich vom 16. Karmapa geschrieben und mit Hinweisen über seine Inkarnation in einem Amulett versteckt worden sei. Die Unterstützer Thaye Dorjes fordern eine Überprüfung des Briefes von unabhängigen Experten und Graphologen. Bisher weigerte sich Tai Situ die Überprüfung zuzulassen.

Unterstützer des Thaye Dorje sind sich der Prophezeiungen des Chogyur Lingpa über den 17. Karmapa durchaus bewusst und behaupten, die Prophezeiung sei bereits mit dem 16. Karmapa erfüllt: Nach dem 14. Karmapa sei ein Karmapa zu früh gestorben, um inthronisiert zu werden[12]. Bei einem Treffen hätten der 16. Karmapa und Tai Situpa sich über die Mahamudra-Sichtweise ausgetauscht. Damit hätte sich ihr Geist verschmolzen, und die beschriebene Prophezeiung sei erfüllt[13]. Diese Argumentation mag konstruiert erscheinen, allerdings ändert sich dies, sobald einem klar wird, auf welche Quelle sich Shamar Rinpoche für seine Argumentation stützt. Es ist eben selbiger Chogyur Lingpa von dem die Prophezeiung stammt, der in seiner Autobiographie eben die von Shamar Rinpoche erwähnte Zählweise vorschlägt.[14] Dies erklärt dann auch die Prophezeiung des 5. Karmapa, Deshin Shegpa, dass zwischen dem Ende des 16. Karmapa's Leben und dem Anfang des 17.Karmapa's Leben, der chinesische Kaiser gestürzt wird und die Chinesen Tibet besetzen werden.

Obwohl die Anhänger Urgyen Trinley Dorje betonen, dass er der einzige Kandidat sei, der in Tibet inthronisiert wurde, sind beide Anwärter in Tibet geboren, so dass die Vorhersage über die Rückkehr nach Tibet in den zwei Briefen von beiden Anwärtern erfüllt wird.

Einige von Thaye Dorje Unterstützer heben zudem hervor, dass die Anerkennung des Dalai Lama von Prof. Geoffrey Samuel aus Neuseeland in Zusammenhang mit einem Gerichtsfall überprüft wurde und für die Karmapas nicht erforderlich sei[15]. Andererseits behauptet Tomek Lehnert in seinem Buch, Tai Situpa habe den Dalai Lama mit einem Trick dazu gebracht Urgyen Trinley anzuerkennen, indem er ihm sagte, dass alle vier Karma-Kagyü Regenten darin übereinstimmten Urgyen Trinley sei der wahre Kandidat.

Schließlich behaupten einige Unterstützer Thaye Dorjes, dass Tai Situpa und Urgyen Trinley Marionetten in den Händen des kommunistischen Chinas seien, welches wie sie behaupten Urgyen Trinley zu benutzen plante, um einen stärkeren Einfluss auf Tibet auszuüben. Den Unterstützern Thaye Dorje zufolge habe China den Plan, ihren auserwählten Karmapa als spirituellen Führer Tibets zu bestimmen, sobald der derzeitige Dalai Lama gestorben sei.

Ole Nydahl sagte, dass die Zeit zeigen würde, welcher der beiden Inhaber der tatsächliche Karmapa sei, da die Handlungen der Kandidaten entweder ihre Reinkarnation bestätigen werden oder nicht. Er und andere Lamas, die Thaye Dorje unterstützen haben die zwei jungen Männer dazu aufgerufen sich zu treffen und darüber zu diskutieren, was aber bisher nicht geschehen ist.

Kürzliche Entwicklungen

Kloster Rumtek

Die Leitung des Klosters Rumtek, Exilsitz des 16. Karmapa, ist unter den rivalisierenden Anwärtern hart umkämpft. 1961 gründete der 16. Karmapa den Karmapa Charitable Trust, eine wohltätige Stiftung, die das Weiterbestehen der Karma-Kagyü Linie sicherte und dessen Spenden insbesondere dem Kloster Rumtek zugute kamen. Urgyen Trinleys Anhänger behaupten, der Trust sei allein gegründet worden, damit der Wohlstand der Karmapa Anhänger eingesehen werden kann, um finanzielle Mittel für die Erhaltung des Klosters, die medizinischen Gebühren der Mönche usw. bereitzustellen. Dass der Karmapa Charitable Trust einen Anspruch auf den Grundbesitz von Rumtek hat, wurde inzwischen von indischen Gerichten endgültig entschieden.[16]

Gemäß der offiziellen Seite von Shamarpa traf sich Urgyen Trinley Dorje mit Shamarpa in New Delhi am 9. Januar 2007. Urgyen Trinley Dorje äußerte bereits 2005 seinen Wunsch, Shamarpa zu treffen und bat Drigung Chetsang Rinpoche Shamarpa diese Botschaft zu überbringen. Das zweite Mal überbrachte Chökyi Nyima diesen Wunsch, den Shamarpa akzeptierte, und arrangierte dann ein persönliches Treffen zwischen Urgyen Trinley Dorje und Shamarpa. Dawa Tsering, Geschäftsführer des Büros von Shamarpa, sagte, Urgyen Trinley Dorje "war überzeugt, dass dieses Treffen Frieden in der Kagyu Schule bringen würde und dadurch dazu beitragen würde, dass der Buddha Dharma erblüht." Er fügte an, dieses Treffen würde eine Basis für eine Wiedervereinigung für alle in der Dharma Sangha legen. "Deshalb sollte solch eine Initiative von allen wertgeschätzt werden."[17]

Laut einer Mitteilung vom 23. August 2010 auf der Website von Trinley Thaye Dorje[18] kam es am 13. August 2010 in Dharamsala zu einem etwa anderthalbstündigen Treffen zwischen Shamarpa und dem Dalai Lama, bei dem die Sichtweisen über den fortdauernden Karmpa-Konflikt ausgetauscht und mögliche Lösungen besprochen wurden. Obwohl die Angelegenheit auch aufgrund der Verwobenheit mit der chinesischen und indischen Politik schwierig zu lösen sei, drückt der Shamarpa in der Mitteilung sein Vertrauen darüber aus, dass mit dem Segen und der Unterstützung des Dalai Lama eine einvernehmliche Lösung zum Wohle der Karma Kagyü Linie und des tibetischen Buddhismus insgesamt gefunden werden kann.

Referenzen und Fußnoten

  1. alternative Schreibweise: Ogyen Trinley Dorje
  2. a b [1] Ein Unterstützer Urgyen Trinley Dorjes über frühere Kontroversen
  3. a b Karmapa Urgyen Trinley Dorje by Ken Holmes, ISBN 3-89568-027-3, page 56
  4. http://www.nalandabodhi.org/
  5. Vorsteher des Karma Triyana Dharmachakra
  6. Shambhala International
  7. Samye Ling
  8. Stellungnahme von Beru Khyentse Rinpoche zum Karmapa-Konflikt
  9. Gesamter Text des Briefes
  10. Urgyen Trinley Dorjes Biografie
  11. Pressemitteilung zu Urgyen Trinley Dorjes Flucht
  12. Rede Shamarpas auf der Internationalen Karma Kagyu Konferenz 1996 in Neu Delhi
  13. http://[karmapa.controverse.free.fr/VA/VA-Propagande.html Shamarpa über Chogyur Lingpas Prophezeiung]
  14. [Siehe "A short History of the Karma Kagyü Lineage", Appendix S.51]
  15. Geoffrey Samuel zur Anerkennung durch den Dalai Lama
  16. Bestätigung für den 17. Karmapa Thaye Dorje: Karmapa Charitable Trust vom Höchsten Gericht Indiens als rechtmäßiger Eigentümer des Klosters Rumtek anerkannt (2004)
  17. January, 2007 His Holiness Shamarpa Rimpoche met His Holiness Orgyen Trinley Rinpoche, shamarpa.org, [2]
  18. August, 2010 Shamarpa Rimpoche met His Holiness Dalai Lama, karmapa.org, [3]

Literatur

Publikationen vor dem Konflikt

  • Karmapa, the Black Hat Lama of Tibet by Nik Douglas and Meryl White (1975) ISBN 0-7189-0187-8
  • The History of the Sixteen Karmapas of Tibet by Karma Thinley (1980) ISBN 1-57062-644-8
  • deutsche Übersetzung desselben plus Kurzbiographie der beiden 17. Karmapas: The Karmapa Papers - Die Geschichte der sechzehn Karmapas von Tibet Karma Thinley ISBN 978-3-940197-16-0, Verrückter Yogi Verlag

Empfehlungen der Unterstützer Urgyen Trinley Dorjes

  • Augenblicke der Erleuchtung. Die Lehren und Gedichte des 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje, Michele Martin. Theseus-Verlag, 2004. ISBN 3-89620-242-1. Geschrieben von einem Übersetzer, der mehrere Jahre in Nepal und Indien gelebt hat und auch viele Reisen nach Tibet unternahm. Das Buch enthält eine umfangreiche Sammlung seiner Gedichte und Belehrungen sowie die Lebensgeschichten der vorherigen 16 Karmapas.
  • The Dance of 17 Lives: The Incredible True Story of Tibet's 17th Karmapa, Mick Brown, Bloomsbury 2004, ISBN 0-7475-7161-9. This book covers the life of the Urgyen Trinley Dorje and clarifies the politics surrounding his recognition.
  • Karmapa: The Politics of Reincarnation, Lea Terhune, Wisdom Publications, 2004. ISBN 0-86171-180-7. Liefert Hintergrundinformationen zur derzeitigen Situation sowie eine Übersicht über Urgyen Trinley Dorje's Leben. Lea Terhune ist eine Schülerin von Tai Situ Rinpoche.
  • His Holiness the 17th Gyalwa Karmapa Urgyen Trinley Dorje, Ken Holmes. Altea Publishing 1995, ISBN 0-9524555-4-4. Enthält auch Details über die Leben der vorherigen Karmapas.
  • Wrestling the Dragon: In search of the Boy Lama Who Defied China, Gaby Naher, Random House, Sydney, 2004, ISBN 1-74051-279-0. Wie in dem Buch selbst festgestellt wird, handelt es sich um einen fiktionalen Bericht, in dem Fakten eingebunden werden. Es geht im Kern um ein Treffen des Autors mit Urgyen Trinley Dorje.

Empfehlungen der Unterstützer Thaye Dorjes

  • Rüpel in Roben. Ein Insiderbericht über die jüngste chinesisch-tibetische Intrige in der Karma-Kaggü-Linie des Diamantweg-Buddhismus, Tomek Lehnert, Blue Dolphin Publishing, 2000, ISBN 3-9807113-0-7. Der Autor ist ein Schüler von Thaye Dorje.
  • Buddha's Not Smiling: Uncovering Corruption at the Heart of Tibetan Buddhism Today, Erik D. Curren, Alaya Press, 2005, ISBN 0-9772253-0-5. Das Buch, der einzige Titel eines neugegründeten Verlagshauses, ordnet den Konflikt in den Zusammenhang des Streites zwischen der Karma Kagyu-Linie und der Regierung des Dalai Lamas in Tibet und im Exil ein. Der Autor ist ein Schüler Shamar Rinpoches.
  • Das buddhistische Buch von Weisheit und Liebe, Karmapa Thaye Dorje & Gilles van Grasdorff, Edition Milarepa, ISBN 90-805823-5-2

Weblinks

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Medien

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