Kesselschlacht von Demjansk

Kesselschlacht von Demjansk

Die Kesselschlacht von Demjansk (auch kurz Kessel von Demjansk; russisch Демянская операция) fand Anfang 1942 während des Zweiten Weltkrieges an der deutsch-sowjetischen Front südöstlich des Ilmensees statt. Bis zum 8. Februar konnte die Rote Armee um die Stadt Demjansk sechs deutsche Divisionen einkreisen. Diese hielten den Kessel dank massiver Versorgung aus der Luft, bis deutsche Truppen am 21. April durch einen Entsatzangriff wieder Verbindung mit der Besatzung aufnehmen konnten. Bis zur endgültigen Räumung des Kessels durch die deutschen Truppen verging jedoch noch fast ein Jahr. Erst im März 1943 zogen die letzten deutschen Truppen aus dem Kessel ab.

Inhaltsverzeichnis

Kesselbildung

Offensive der Roten Armee südlich des Ilmensees, 7. Januar – 21. Februar 1942

Am 8. Januar 1942 eröffneten die Truppen der sowjetischen Nordwestfront (Generalleutnant Pawel Alexejewitsch Kurotschkin) zwischen dem Ilmensee und dem Seligersee den Angriff auf die Stellungen des X. Armeekorps (General der Artillerie Christian Hansen) und des II. Armeekorps (General der Infanterie Walter Graf von Brockdorff-Ahlefeldt) der 16. Armee (Generaloberst Ernst Busch) der Heeresgruppe Nord (Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb). Die sowjetische 11. Armee (Generalleutnant Wassili Iwanowitsch Morosow) durchbrach am südlichen Ufer des Ilmensee die Stellungen der 290. Infanterie-Division und stand bereits am 9. Januar vor Staraja Russa. Trotz ununterbrochener Angriffe konnte die Stadt von deutschen Truppen gehalten werden.

Den Antrag des Befehlshabers der Heeresgruppe vom 12. Januar 1942, die Stellungen auf den Lowat zurück zu nehmen, lehnte Hitler ab und befahl stattdessen dem II. Armeekorps Demjansk um jeden Preis zu halten, auch wenn die Verbindung zum X. Armeekorps bei Staraja Russa abreißen sollte. Daraufhin ersuchte Generalfeldmarschall von Leeb um seine Entlassung und Hitler berief Generaloberst Georg von Küchler, den Oberbefehlshaber der 18. Armee, als seinen Nachfolger.

Ab Ende Januar schwenkte das durch den Einbruchsraum der sowjetischen 11. Armee nachgeführte sowjetische I. Garde-Schützenkorps (Brigadegeneral Afanassi Sergejewitsch Grjasnow) von Staraja Russa nach Südosten in den Rücken des X. und des II. Armeekorps ein und stieß der nach Nordwesten vorgehenden sowjetischen 3. Stoßarmee (Generalleutnant Maxim Alexejewitsch Purkajew), die am 9. Januar die Stellungen der 123. Infanterie-Division westlich des Seligersees durchbrochen hatte, entgegen. Trotz des erbitterten Widerstandes der deutschen Truppen vereinigten sich die Spitzen der sowjetischen Truppen nach Mitte Februar im Bereich des Ortes Salutschje, nachdem bereits am 8. Februar die letzte Nachschubstraße und alle Fernsprechkabel in den Kessel durchtrennt worden waren.

Der zwischen der sowjetischen 11. Armee und der 3. Stoßarmee stehenden sowjetischen 34. Armee (Generalleutnant Nikolai Erastowitsch Bersarin) gelang es in den ersten Angriffstagen, in die Naht zwischen der 290. und 30. Infanteriedivision einzubrechen und das Gebiet südlich des Bahnhofes Beglowo zu nehmen. Alle weiteren Angriffe dieser Armee auf die Kesselfront konnten bis zur Räumung des Kessels abgewiesen werden.

Die vor der Südfront des Kessels liegenden Einheiten der sowjetischen 3. Stoßarmee und der 34. Armee wurden im Mai 1942 als 53. Armee (Generalleutnant Aleksandr Sergejewitsch Xenofontow) zusammengefasst.

Kämpfe um den Kessel

Entladung von Ju 52 bei Demjansk
Entladung von Ju 52 bei Demjansk

In einem Kesselgebiet von zirka 3.000 Quadratkilometern mit einem Frontumfang von etwa 300 Kilometern um die Stadt Demjansk[1], 75 km südöstlich des Ilmensees, waren sechs Divisionen mit etwa 95.000 Soldaten und 20.000 Pferden eingeschlossen. Dazu gehörte auch die SS-Division Totenkopf unter Obergruppenführer der SS und General der Waffen-SS Theodor Eicke. 35 Kilometer trennten das Einschlussgebiet von der Hauptkampflinie um Staraja Russa. Der Kessel wurde erfolgreich durch die Luft versorgt, zu diesem Zweck war bereits gegen Ende Januar mit dem Bau zweier Feldflugplätze östlich von Demjansk (Saoserje und Peski) begonnen worden. Um die Kampfkraft der eingeschlossenen Truppen aufrechtzuerhalten, war die Zufuhr von täglich mindestens 200 Tonnen Versorgungsgütern notwendig.

Folgende Divisionen befanden sich im Kessel eingeschlossen: (Die Reihenfolge der Nennung entspricht der Aufstellung der Divisionen vom Ilmensee bis zum Seligersee vor Beginn des sowjetischen Angriffs am 8. Januar 1942.)

Das Generalkommando des X. Armeekorps (General der Artillerie Christian Hansen) zog sich Ende Januar aus dem sich bildenden Kessel auf Staraja Russa zurück und übernahm dort den Befehl über die Truppen zur Verteidigung der Hauptkampflinie vom Ilmensee über Staraja Russa bis südwestlich der Stadt. Es waren dies folgende Truppen: 18. Infanterie-Division (mot.), 81. Infanterie-Division, Luftwaffen-Felddivision Meindl, Infanterie-Regiment 368 (281. SD), Polizeiregiment Nord, Sicherungsregiment Mayer und mehrere Kampfgruppen der SS-Division Totenkopf. In der ersten Februarwoche trafen die ersten Einheiten der 5. leichten Infanterie-Division aus Frankreich ein. Die 3 eingeschlossenen Divisionen des X. Armeekorps wurden am 18. Februar dem im Kessel verbliebenen Generalkommando des II. Armeekorps unterstellt.

Ab Anfang März sickerten zirka 6.000 Mann des sowjetischen 1. Luftlandekorps aus ihrem Bereitstellungsraum um den Ort Wereteika von Norden über den gefrorenen Newij-Sumpf zwischen den Stützpunkten Pustynia und Nory der dünn besetzten deutschen Stellungslinie zwischen der 290. und der 30. Infanteriedivision in das Kesselgebiet ein. Sie sperrten Nachschubwege, überfielen rückwärtige Versorgungseinrichtungen, griffen vom 18. bis 26. März die Stellungen der 30. Infanteriedivision bei Lytschkowo aus dem Kesselinnern an (2. Luftlandebrigade unter Oberstleutnant Wassilenko mit dem zwischenzeitlich nachgeführten 54. Skibataillon) und stießen in der Nacht vom 21. auf den 22. März auf den vermeintlichen Gefechtsstand des II. Armeekorps in Dobrosli vor (der Gefechtsstand wurde am Vortag vorsichtshalber nach Borowitschi östlich Demjansk verlegt), und auf die Feldflugplätze um Demjansk (1. Luftlandebrigade unter Oberstleutnant Tarassow und 204. Luftlandebrigade unter Major Grinjew). Die Angriffe konnten jedoch abgeschlagen werden. In zähen, sich bis Ende April hinziehenden Verfolgungskämpfen gelang es deutschen Jagdkommandos, die vom Nachschub abgeschnittenen sowjetischen Luftlandetruppen zu vernichten bzw. gefangenzunehmen. Das 1. Luftlandekorps konnte seinen Kampfauftrag, die Vernichtung des Generalkommandos des II. Armeekorps, die Zerstörung der Feldflugplätze sowie die Befreiung des von der 30. Infanteriedivision zwischen Lytschkowo und Knewizy blockierten Teiles der Eisenbahnlinie von Waldai nach Staraja Russa, nicht erfüllen.

Entsatzangriff

Öffnung des Kessels von Demjansk

Am 20. März 1942 trat südlich Staraja Russa die Stoßgruppe Seydlitz (Generalleutnant Walther von Seydlitz-Kurzbach) im sogenannten Unternehmen Brückenschlag zur Öffnung des Kessels an, erreichte am 20. April den Ort Ramuschewo am Lowat-Fluss und konnte über den Fluss mit dem Sturmregiment des II. Armeekorps (Oberstleutnant Hermann von Borries), das am 14. April aus dem Kessel heraus (Unternehmen Fallreep) angetreten war, Verbindung aufnehmen. Der an seiner schmalsten Stelle im Bereich des Ortes Ramuschewo nur vier Kilometer breite Verbindungskorridor wurde in den folgenden Wochen nach Nord und Süd ausgeweitet. Da die einzige Nachschubstraße über Ramuschewo zur Versorgung der Kesseldivisionen nicht ausreichte, musste die Luftversorgung weiterhin aufrechterhalten werden. Sie wurde Ende Oktober eingestellt, da die Transportkapazitäten zur Versorgung von Stalingrad benötigt wurden. Insgesamt hatte die Luftwaffe bei ihren Versorgungsflügen bis zum 31. Januar 1943 einen Verlust von ca. 1.000 Mann beim fliegenden Personal und von 488 Flugzeugen zu verzeichnen[2]. Allerdings konnte nach einer beträchtlichen Süderweiterung des Verbindungskorridors Ende September/Anfang Oktober 1942 (Unternehmen Michael / Winkelried) eine weitere Nachschubstraße in den Kessel eingerichtet werden. Ebenfalls wurde die bereits bestehende Heeresfeldbahn von Tuleblja nach Welikoje Sselo über Tscherentschizy bis nach Losnizy in den Kessel hinein verlängert.

Dieses erfolgreiche Halten und Versorgen eines Kessels wurde Ende 1942 zum verhängnisvollen Vorbild nach der Einschließung der 6. Armee in Stalingrad.

Die Stoßgruppe Seydlitz setzte sich wie folgt zusammen:

Folgen

General Walter von Seydlitz-Kurzbach (2. von rechts), Kommandant der "Festung Demjansk" im Gespräch mit Offizieren

Nach Erfüllung des Kampfauftrages wurde die Stoßgruppe Seydlitz am 2. Mai 1942 wieder aufgelöst und deren Einheiten dem X. Armeekorps unterstellt. Die Einheiten verblieben bis zur Räumung im Februar 1943 im Verbindungskorridor und Kesselgebiet. Das Gebirgsjäger-Regiment 206 kam im Juli 1942 wieder nach Finnland zur 7. Gebirgs-Division. Die SS-Division Totenkopf wurde im Oktober 1942 zur Auffrischung und Umgliederung nach Frankreich verlegt. Die übrigen Divisionen des II. Armeekorps verblieben bis zur Räumung im Kessel und benötigten zur Abwehr der sowjetischen Angriffe Unterstützung durch weitere Einheiten.

Es waren folgende Einheiten:

Nach der Öffnung des Kessels war – nach Meinung aller beteiligten Führungsstäbe – die Räumung die einzig sinnvolle Lösung. Die Räumung wurde aber zunächst vom Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Adolf Hitler, mit der Begründung abgelehnt, das Kesselgebiet werde als Ausgangsposition für spätere Operationen gegen Moskau benötigt. Nachdem sich die militärische Lage an den Kesselfronten immer unhaltbarer entwickelt hatte, genehmigte das Oberkommando der Wehrmacht am 1. Februar 1943 schließlich die Räumung. Die Truppen zogen sich ab dem 17. Februar bis Ende Februar planmäßig auf Stellungen ostwärts des Lowat-Flusses und bis Mitte März auf die endgültige Hauptkampflinie am Redja-Fluss zurück. Die Räumung erfolgte während des am 15. Februar begonnenen sowjetischen Großangriffes (Operation Nordstern) mit dem Ziel das Kesselgebiet endlich, nach mehreren vergeblichen Versuchen, zu liquidieren.

Demjanskschild

Am 25. April 1943 stiftete Adolf Hitler den sogenannten „Demjanskschild“ „zur Erinnerung an die mehrmonatige heldenhafte Verteidigung des Kampfraumes Demjansk gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner“. Der Demjanskschild wurde allen Soldaten verliehen, die in der Zeit vom 8. Februar bis 21. April 1942 im Raum von Demjansk eingeschlossen waren.

Neben den zahlreichen Gefallenen und Verwundeten auf beiden Seiten litt vor Ort insbesondere die russische Zivilbevölkerung. Vor der deutschen Besatzung lebten etwa 19.000 Einwohner in Demjansk, heute sind es noch ca. 5.300 (Stand 2010). Russische Angaben zu zivilen Opfern in der Region, u.a. in Lagerhaft, schwanken zwischen 20.000 und 100.000 Menschen.[3] In der sowjetischen Propaganda wurden die Zahlen nach dem Krieg nach unten korrigiert, um den Ruhm der Truppen nicht zu schmälern (→Zensur in der Sowjetunion). Hinzu kamen erhebliche Zerstörungen von Gebäuden.

Einzelnachweise

  1. Die Kleinstadt Demjansk liegt in der Oblast Nowgorod südöstlich des Ilmensee, am Westrand der Waldaihöhen.
  2. Kriegstagebuch des OKW, Hrsg. von Percy E. Schramm, Augsburg 2007, ISBN 3-8289-0525-0 S.167
  3. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/gesichtereuropas/374379/

Weblinks

Literatur

  • Charles Sydnor, Soldaten des Todes, (Kapitel 7: Die sowjetische Gegenoffensive und der Kessel von Demjansk, Seite 175 bis 210), Verlag Ferdinand Schöningh, 2002, ISBN 3-506-79084-6
  • Walther von Seydlitz - Stalingrad Konflikt und Konsequenz, (Kapitel: Demjansk Seite 134 bis 143) Verlag Gerhard Stalling, 1977, ISBN 3-7979-1353-2
  • Adolf Reinicke, Die 5.Jäger-Division, (Seite 157 bis 262), Nebel Verlag, kein Jahr, ISBN 3-89555-103-1
  • Klaus Pape, 329. Infanterie-Division: Cholm - Demjansk - Kurland, Scherzers Militaer-Verlag, ISBN 3-938845-10-4
  • Egon Possehl, Durchbruch - 1942 - im Kessel von Demjansk, Verlag Dieter Broschat, 1994, ISBN 3-924256-54-3
  • Eduardo Barrachina, La Batalla del Lago Ilmen, Editorial PPU Spanien, 1994, ISBN 978-84-477-0315-9
  • 8.Jäger-Division Abt.Ia, Gefechtsbericht über den Feldzug in Rußland 1942 (5.3. bis 30.6.42), Bundesarchiv Freiburg, 1. Juli 1942
  • Günter Braake, Die rheinisch-westfälische 126.Infanterie-Division, (Kapitel: Unternehmen Michael Seite 108 bis 109, Kapitel: Räumung der Festung Demjansk Seite 125 bis 126), Nebel Verlag, kein Jahr, ISBN 3-89555-197-X
  • David Glantz, The Gosts of Demiansk. Soviet Airborne Operations Against The German Demiansk Pocket, Aberdeen Bookstore, Eastern Front I 132, 1998, keine ISBN

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