- Kjökkenmöddinger
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Køkkenmøddinger ist das dänische Wort für Küchenabfall (schwed. Kökkenmöddingar, engl. Shell Middens, port. als Sambaqui/Concheiro, Muschelhaufen bezeichnet, dt. auch Kjökkenmöddinger und Kökkenmöddinger). Es wurde Mitte des 19. Jahrhunderts vom dänischen Zoologen Japetus Steenstrup als Fachausdruck für bestimmte, zumeist steinzeitliche Fundstellen (Haufen) von Überresten der maritimen und der Malakofauna geprägt und ist in der internationalen Archäologie schnell zum stehenden Begriff geworden.
Inhaltsverzeichnis
Forschungsgeschichte
Bereits 1837 suchte Japetus Steenstrup nach Kriterien, um die von Menschen produzierten Muschelhaufen von natürlichen Ansammlungen zu unterscheiden. 1848 bestellte die dänische Regierung die Kjökkenmödding-Untersuchungskommission. Sie bestand aus dem Geologen Forchhammer, dem Archäologen Jens Jacob Asmussen Worsaae und dem Zoologen Japetus Steenstrup, alle drei Professoren an der Universität von Kopenhagen.
Charles Darwin beschrieb Muschelhaufen in Peru, R. Gunn 1846 in Tasmanien. In den USA wurden 1834 durch L. Vanuxem Muschelhaufen in New Jersey beschrieben.
Edward Morses Untersuchung der Muschelhaufen (kaizuka) von Ōmori im Tokioter Stadtbezirk Ōta in Japan 1879, war die Geburtsstunde der japanischen prähistorischen Archäologie. Er untersuchte auch die unterschiedliche Artenzusammensetzung und versuchte sie zu einer Umweltrekonstruktion zu nutzen.
Natürlich entstandene Muschelanhäufungen
Muschelhaufen können durch Stürme entstehen, wenn lebende und tote Muscheln der Gezeitenzone oder sogar noch tieferer Bereiche an den Strand gewaschen werden. Manche anthropogenen Muschelhaufen werden von Stürmen redeponiert. Auch Vögel tragen (kleinere) Muschelhaufen zusammen. Hier sind besonders Austernfischer und Möwen zu nennen. Mehrere australische Vogelarten (Das Reinwadtshuhn (Megapodius reinwardt) und das Thermometerhuhn (Leipoa ocellata) aus der Familie der Großfußhühner tragen Muscheln um ihre Nester zusammen. Diese Ansammlungen können über 10 m hoch werden (Claasson 1998, 72).
Datierung
Die ersten bekannten Muschelhaufen stammen aus Terra Amata bei Nizza und sind ca. 33.000 Jahre alt (Lumley 1972). Eine intensivere Nutzung mariner Ressourcen scheint im letzten Interglazial einzusetzen, doch sind unsere Kenntnisse durch Veränderungen des Meeresspiegels im Gefolge der Eiszeiten naturgemäß eingeschränkt.
Lewis Binford postulierte eine revolutionäre Verbreiterung der Ernährungsgrundlagen zu Beginn unseres Interglazials, seine Thesen fanden aber wenig Anhänger. Eine Überprüfung etwa durch Isotopenanalysen steht aber noch weitgehend aus. In Nordafrika fällt der Beginn der Aufhäufung von Muschelhaufen ins ausgehende Paläolithikum (Capsien).
Mit dem Beginn des Neolithikums scheint die Nutzung mariner Ressourcen in Nordwesteuropa insgesamt zurückzugehen. Muschelhaufen wurden aber auch im Neolithikum noch genutzt bzw. neu angelegt. Für den Køkkenmøddinger von Ponta da Vigia, Portugal wurde ein Alter von etwa 6.730 v. Chr. ermittelt. Aus Schottland sind glockenbecherzeitliche Muschelhaufen bekannt, aus Irland frühmittelalterliche. Die Sambaquis genannten Muschelhaufen Brasiliens wurden zwischen 5000 und 1000 v. Chr. aufgehäuft.
Verbreitung
In Europa sind Muschelhaufen an der Atlantikküste von Irland bis Portugal, im westlichen Schottland und in Nordafrika verbreitet. Ferner sind sie bekannt aus:
- Asien
- Afrika
- Mosambik
- Südafrika (Transkei)
- Amerika
- Brasilien nördlich Rio de Janeiro (Sambaqui-Kultur)
- Britisch Kolumbien (Kanada)
- Ekuador
- Karibischen Inseln
- Peru
- USA (Aleuten, New Jersey, Florida)
Kongemose- und Ertebølle-Kultur
Die Kongemose-Kultur (6000-5200 v. Chr.) bringt die ersten Küchenabfallhaufen des Nordens. Der Ende des 19. Jahrhunderts ausgegrabene Muschelhaufen von Ertebølle im nördlichen Jütland gab der spätmesolithischen Ertebølle-Kultur (5.200-4.000 v. Chr.) den Namen (eponymer Fundort). In Deutschland fand man um 1900 im Hafenbecken des Kieler Stadtteils Ellerbek zum ersten Mal Hinweise auf diese Kulturstufe. Da sie hier nicht im Kontext mit den in Skandinavien üblichen Muschelhaufen steht, spricht man in Schleswig-Holstein auch von der Ellerbek-Gruppe der Ertebølle-Kultur oder Ertebølle/Ellerbek-Kultur, in Mecklenburg-Vorpommern von der Lietzow-Gruppe oder Lietzow-Kultur (nach dem Fundplatz Lietzow-Buddelin auf Rügen). Ein etwa 8000 Jahre alter, nur 1,9 cm langer Angelhaken aus den Knochen eines Vogels, mit vier kleinen Rillen auf dem Schaft zur Befestigung eine Schnur, wurde im Jahre 1989 während der archäologischen Untersuchungen einer Siedlung auf der Farm Roe, in der Gemeinde Bro Härnäset im Bohuslän, in einem Muschelhaufen gefunden. In Schweden gibt es nur in Bohuslän Stellen wo prähistorische Knochen erhalten blieben. Mit Haken dieser Größe hat man wahrscheinlich Aale oder Heringe gefischt.
Form und Zusammensetzung
Die Abfallhaufen können aus den Schalen von Austern, Miesmuscheln, Napfschnecken und anderen Schalentieren bestehen, aber auch mit Abschlägen oder Geräten aus Feuerstein durchsetzt sein. Manche Muschelhaufen enthalten auch Herdstellen, Holzkohle, Keramik und menschliche Skelettreste. In Ertebølle selber wurden etwa Schlagplätze für Feuerstein nachgewiesen.
Am Cabeço da Arruda (Portugal) wurden die Skelette von etwa 45 Individuen gefunden. Die Abfallhaufen des Capsien sind 10-15 m lang und können 3 m hoch sein. In Constantine, Algerien wurde ein 100 m langer, 50 m breiter und 2,5 m hoher Abfallhaufen gefunden.
Rezente Muschelhaufen
Auch durch rezente Ausbeutung von Mollusken entstehen noch Muschelhaufen, so in Australien und der Transkei (Südafrika). Die Studien rezenter Jäger- und Sammler, z.B. durch Betty Meehan und Theresa Lasiak geben wichtige Ansatzpunkte für die Interpretation archäologischer Befunde (Ethnoarchäologie). In Frankreich werden die Muscheln der rezenten Austernfischerei als Dünger genutzt.
Rezente Nutzung
Prähistorische Muschelhaufen wurden abgebaut, um als Baumaterial, Dünger oder Hühnerfutter genutzt zu werden. Muscheln wurden auch häufig zu Kalk gebrannt, zerkleinerte Muscheln sind außerdem ein begehrter Zusatz zu Mörtel und Zement.
Siehe auch
Literatur
Allgemein
- Ch. Claassen: Shells. Cambridge 1998
Grabungsberichte
- E. Morse: Shell mounds of Omori. Tokio 1879
- J. P. Mallory, Peter C. Woodman: Oughtymore: an Early Christian shell midden. Ulster Journal Archaeology 47, 51-62, 1984
Ethnologie und Ethnoarchäologie
- B. Meehan: Shell bed to shell midden. Canberra 1982
Ernährung
- Richards M. P. Schulting, R. J. und R. E. M. Hedges: Sharp shift in diet at onset of Neolithic. Nature 425, 2003, 366
- N. Milner: Oysters, cockles and kitchenmiddens: Changing practices at the Mesolithic/Neolithic transition in P. Miracle und N. Milner (Hrsg.): Consuming Passions and Patterns of Consumption. Mac Donald Institute, Cambridge 2002
- A. Jerardino, R. Navarro: Cape Rock Lobster (Jasus lalandii) Remains from South African West Coast Shell Middens: preservational factors and possible bias. Journal of Archaeological Science 29, 993-1000, 2002
- S. H. Andersen: Kökkenmöddinger (Shell Middens) in Denmark: a survey. Proc. Prehist. Soc. 66, 361-384, 2000
Malakologie
- Irvy R. Quitmyer, Douglas S. Jones: The sclerochronology of hard clams, Mercenaria spp., from the South-Eastern U.S.A.: a method of elucidating the zooarchaeological records of seasonal resource procurement and seasonality in prehistoric shell middens. Journal Arch. Science 24, 825-40, 1997
Weblinks
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