Lemniskatischer Sinus

Lemniskatischer Sinus
Sinus lemniscatus sl (schwarz) und Cosinus lemniscatus cl (blau), zum Vergleich der auf sl normierte Sinus (hellgrau)

Der lemniskatische Sinus oder sinus lemniscatus (kurz sinlemn oder sl), ist eine spezielle, von dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß eingeführte mathematische Funktion. Der lemniskatische Sinus entspricht derjenigen Funktion für die Lemniskate, die der Sinus für den Kreis ist. Der lemniskatische Cosinus (kurz coslemn oder cl) leitet sich direkt von sl ab. Beides sind die historisch ersten, heute so genannten elliptischen Funktionen.

Der 19jährige Gauß beschäftigte sich 1796 (in erst nach seinem Tod veröffentlichten Notizen) mit der Frage, wie man aus einer gegebenen Bogenlänge s einer Lemniskate den Abstand r\in(-1,1) des entsprechenden Punktes auf der Kurve vom Koordinatenursprung r = 0 berechnen kann. Mathematisch führt das auf die Umkehrfunktion r = r(s) des elliptischen Integrals

s(r) = \int_0^r \frac{\mathrm{d}\,\rho}{\sqrt{1-\rho^4}}.

Gauß nannte diese Umkehrfunktion Sinus lemniscatus und bezeichnete sie mit "sl", also

r = \mathrm{sl}\,s
Die Länge s des Lemniskatenbogens hängt ab von dem Abstand r des Kurvenpunktes zum Ursprung

Entsprechend definierte er den Cosinus lemniscatus \mathrm{cl}\,s = \mathrm{sl}\,(\omega - s), wobei ω die Länge des Halbbogens der Lemniskate ist, also

\omega = \int_0^1 \frac{\mathrm{d}\,\rho}{\sqrt{1-\rho^4}} \approx 1{,}31103.

Gauß ließ sich bei diesen Bezeichnungen von der Analogie zu den Kreisfunktionen leiten, denn der Sinus ist die Umkehrfunktion des Integrals

s(r) = \int_0^r \frac{\mathrm{d}\,\rho}{\sqrt{1-\rho^2}},
\qquad \mbox{und}\qquad
\omega = \int_0^1 \frac{\mathrm{d}\,\rho}{\sqrt{1-\rho^2}} = \frac{\pi}{2}.

also r = sin s und \cos s = \sin({\textstyle \frac\pi2} - s). Seine weitere entscheidende Idee war es nun, die Funktionen sl und cl nicht nur für reelle Zahlen zu definieren, sondern sie ins Komplexe fortzusetzen. Er bewies dann die Periodizitätsrelationen


\mathrm{sl}\,(s + 4\omega) = \mathrm{sl}\,s,
\qquad
\mathrm{sl}\,(s + 4\mathrm{i}\omega) = \mathrm{sl}\,s.

Im Gegensatz zum Sinus hat also der lemniskatische Sinus sl zwei Perioden und 4iω, ebenso die Funktion cl. Die lemniskatischen Funktionen sind also elliptisch. Carl Gustav Jacobi führte um 1830 die jacobischen elliptischen Funktionen ein und verallgemeinerte damit die beiden lemniskatischen Funktionen.

Siehe auch

Literatur

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sinus amplitudinis — In der Mathematik ist eine Jacobische elliptische Funktion eine von zwölf speziellen elliptischen Funktionen. Die Jacobischen elliptischen Funktionen haben einige Analogien zu den trigonometrischen Funktionen und finden zahlreiche Anwendungen in… …   Deutsch Wikipedia

  • Lemniskatischer Cosinus — Sinus lemniscatus sl (schwarz) und Cosinus lemniscatus cl (blau), zum Vergleich der Sinus (hellgrau) Der lemniskatische Sinus oder sinus lemniscatus, abgekürzt sl, ist eine spezielle, von dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß eingeführte… …   Deutsch Wikipedia

  • Cosinus amplitudinis — In der Mathematik ist eine Jacobische elliptische Funktion eine von zwölf speziellen elliptischen Funktionen. Die Jacobischen elliptischen Funktionen haben einige Analogien zu den trigonometrischen Funktionen und finden zahlreiche Anwendungen in… …   Deutsch Wikipedia

  • Delta amplitudinis — In der Mathematik ist eine Jacobische elliptische Funktion eine von zwölf speziellen elliptischen Funktionen. Die Jacobischen elliptischen Funktionen haben einige Analogien zu den trigonometrischen Funktionen und finden zahlreiche Anwendungen in… …   Deutsch Wikipedia

  • Jacobische elliptische Funktion — In der Mathematik ist eine Jacobische elliptische Funktion eine von zwölf speziellen elliptischen Funktionen. Die Jacobischen elliptischen Funktionen haben einige Analogien zu den trigonometrischen Funktionen und finden zahlreiche Anwendungen in… …   Deutsch Wikipedia

  • Elliptische Funktionen — Im mathematischen Teilgebiet der Funktionentheorie sind elliptische Funktionen doppeltperiodische meromorphe Funktionen. „Doppeltperiodisch“ bedeutet, dass es zwei komplexe Zahlen ω1,ω2 gibt, die keine reellen Vielfachen voneinander sind, so dass …   Deutsch Wikipedia

  • Weierstraßsche elliptische Funktion — Im mathematischen Teilgebiet der Funktionentheorie sind elliptische Funktionen doppeltperiodische meromorphe Funktionen. „Doppeltperiodisch“ bedeutet, dass es zwei komplexe Zahlen ω1,ω2 gibt, die keine reellen Vielfachen voneinander sind, so dass …   Deutsch Wikipedia

  • Weierstraßsche p-Funktion — Im mathematischen Teilgebiet der Funktionentheorie sind elliptische Funktionen doppeltperiodische meromorphe Funktionen. „Doppeltperiodisch“ bedeutet, dass es zwei komplexe Zahlen ω1,ω2 gibt, die keine reellen Vielfachen voneinander sind, so dass …   Deutsch Wikipedia

  • Carl-Friedrich Gauss — Carl Friedrich Gauß Johann Carl Friedrich Gauß (latinisiert Carolus Fridericus Gauss; * 30. April 1777 in Braunschweig; † 23. Februar 1855 in Göttingen) war ein deutscher Mathematiker, Astronom, Geodät und Physiker …   Deutsch Wikipedia

  • Carl Friedrich Gauss — Carl Friedrich Gauß Johann Carl Friedrich Gauß (latinisiert Carolus Fridericus Gauss; * 30. April 1777 in Braunschweig; † 23. Februar 1855 in Göttingen) war ein deutscher Mathematiker, Astronom, Geodät und Physiker …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”