Lotharkreuz

Lotharkreuz
Kaiserseite des Lotharkreuzes

Das Lotharkreuz ist ein Vortragekreuz im Aachener Domschatz. Es wurde um das Jahr 1000 vermutlich in Köln gefertigt und wahrscheinlich von Kaiser Otto III. gestiftet. Bis heute wird es an hohen Festtagen in der Liturgie verwendet.[1] Seinen Namen trägt das Kreuz nach dem in der Umschrift eines eingearbeiteten Siegelsteins genannten König Lothar.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Das Lotharkreuz (H: 50 cm, B: 38,5 cm, T: 2,3 cm) hat einen offenbar mehrfach erneuerten Eichenholzkern, der auf der Vorderseite mit Goldblech, auf der Rückseite und auf den Seitenflächen mit vergoldetem Silberblech belegt ist. Die Enden der Balken des lateinischen Kreuzes sind kapitellartig verbreitert und werden durch je einen besonders großen ungeschliffenen Saphir hervorgehoben. Die Steine sitzen auf einem nach innen zeigenden Dreieck, dessen Ecken mit je einem kleinen Stein oder einer Perle besetzt sind. Die Spitze des Dreiecks liegt auf zwei wulstigen Stäben auf, die mit Goldfiligran beziehungsweise einem verzierten Zellenschmelz geschmückt sind.

Kameo im Zentrum der Vorderseite des Lotharkreuzes

Das Lotharkreuz ist auf seiner Vorderseite mit 102 Edelsteinen und 35 Perlen besetzt, die in unterschiedlicher Größe und Farbe wohlgeordnet den Goldgrund der Kreuzbalken bedecken. Die Vierung ist durch einem prachtvollen, dreischichtigen Kameo aus indischem Sardonyx betont. Die leicht ovale antike Kamee zeigt die nach links gewendete Büste des mit einem Lorbeerkranz gekrönten Kaisers Augustus, der in seiner rechten Hand ein Adlerszepter hält. Neben dem Kameo sind ein schwarzer Onyx mit einem schreitenden Löwen und ein Amethyst mit der eingeschnittenen Darstellung der drei griechischen Grazien als antike Steine auszumachen. In den Bergkristall auf der unteren Hälfte des senkrechten Balkens ist ein Herrscherbild im Profil geschnitten, umgeben von einer in spiegelverkehrten Buchstaben geschnittenen Inschrift: „+XPE ADIVVA HLOTARIVM REG“ („Gott helfe König Lothar“).

Die Edelsteine auf den Kreuzbalken sind in fünf Reihen angeordnet. In der mittleren Reihe sitzen große Steine in hohen Arkadenfassung. In den beiden inneren Reihen daneben sitzen in niedrigeren Arkadenfassungen kleine Steine, Perlen und Golddrahtkörbchen. Die äußeren Reihen sind mit kleinen und großen Steinen und mit Perlen in einfach ornamentierten Kastenfassungen belegt. Das Rankenornament des Goldfiligrans scheint aus den großen Steinen der mittleren Reihe herauszuwachsen, während es die niedrigeren Steine und Perlen in den anderen Reihen nur umrahmt.

Christusseite

Die Rückseite des Lotharkreuzes zeigt keinen Schmuck und keine ornamentalen Verzierungen. Auf glattem Grund ist hier ein Kreuz mit einem Kruzifixus eingraviert. Der leblose Körper hängt leicht abgewinkelt an den Armen und das Haupt ist auf die Brust gesunken. Die Füße stehen gespreizt auf einem Suppedaneum. Links und rechts vom waagrechten Kreuzbalken, personifiziert in einem Medaillon, verhüllen Sonne und Mond trauernd ihr Gesicht. Um den Fuß des Kreuzes windet sich die durch den Erlösertod Christi besiegte, das Böse symbolisierende Schlange. Aus Feuerzungen kommend reicht die Hand Gottes dem Gekreuzigten den Lorbeerkranz, in dessen Mitte sich eine Taube befindet.

Entstehung

Ort und Zeit

Zur Entstehung des Lotharkreuzes gibt es keine schriftlichen Quellen. Um den Ort und die Zeit zu ermitteln, ist man auf den Vergleich mit anderen geeigneten Objekten angewiesen. In der äußeren Form weist das Lotharkreuz eine enge Übereinstimmung mit dem Otto-Mathilden-Kreuz aus dem Essener Münsterschatz auf. Auch die Fassung der Steine und die Filigrantechnik sind auf beiden Kreuzen gleich. Der Kruzfixus auf der Rückseite des Lotharkreuzes gleicht in seiner Darstellung dem Kruzifix auf dem Kölner Gerokreuz, während der Kruzifixus auf dem Otto-Mathilden-Kreuz stilistisch der Kölner Buchmalerei aus dem frühen 11. Jahrhundert entspricht. Die angesprochenen Gemeinsamkeiten machen es sehr wahrscheinlich, dass das Lotharkreuz in Köln entstanden ist.

Auftraggeber

Das Lotharkreuz trägt seinen Namen nach dem Lotharsiegel, einem Intaglio auf der unteren Hälfte des senkrechten Kreuzbalkens. Der geschnittene Bergkristall wurde im 9. Jahrhundert gefertigt, als Siegelstempel für Lothar I., den Sohn Ludwigs des Frommen, oder für seinen Sohn Lothar II. Der Siegelstein nimmt auf dem Kreuz den Platz ein, auf dem sich in ottonischer Zeit bei vergleichbaren Kreuzen (dem Essener Otto-Mathildenkreuz beispielsweise) das Stifterbild befindet. Da das Lotharkreuz sehr viel später entstand als der Siegelstempel, kann es sich bei diesem nicht um das Stifterbild Lothars I. (795−855) oder Lothars II. (855−869) handeln. Aber Lothar I. von Frankreich (954−986) könnte den karolingischen Siegelstempel aus dem 9. Jahrhundert verwendet haben, um sich auf dem Lotharkreuz als Stifter auszuweisen. In die Zahlenordnung der Steine und Perlen auf dem Kreuz integriert, ist das Intaglio aber offensichtlich nur ein sekundär verwendeter Schmuckstein.

Der antike Augustuskameo im Schnittpunkt der Kreuzbalken beherrscht die Vorderseite des Lotharkreuzes. In der Forschung diskutierte man lang seine Bedeutung. Für Josef Deér, dem man sich heute weitgehend anschließt, scheidet die Möglichkeit einer „sinnfreien Anwendung“ als Schmuckstein an dieser ikonographisch wichtigen Stelle aus. Auch die Möglichkeit einer „religiösen Umdeutung“ des Augustuskameo als Christus imperator hält Deér für ausgeschlossen, weil während des ganzen Mittelalters eine Herrscherbüste im Profil mit einem nach antiker Art bekränzten Haupt einen weltlichen Herrscher repräsentiert. Für Deér hat „die Gemme in der Vierung des Lotharkreuzes die volle ikonographische Bedeutung eines Herrscherbildes ...“[2]

Ort und Zeit der Herstellung, die Erkenntnisse zum Lotharsiegel und zum Augustuskameo sprechen neben der Qualität und Kostbarkeit des Kreuzes für Kaiser Otto III. als Stifter. 983 wurde er in Aachen zum König gekrönt, 996 in Rom zum Kaiser. Otto III. sah seine Herrschaft in der Nachfolge Karls des Großen. Sein Ideal und Programm war die Renovatio imperii Romanorum, in der sich die römische Tradition mit der karolingischen und ottonischen verbindet.

Veränderungen

In seiner tausendjährigen Geschichte wurde das Lotharkreuz immer wieder bearbeitet, um den Erhalt des Kreuzes zu gewährleisten. So wurde der Holzkern mindestens einmal erneuert, was durch dendrochronologischen Untersuchungen und das Fehlen von Nagellöchern gezeigt werden konnte. Ein Teil der Veränderung betraf im Laufe der Zeit die Ausstattung der Kaiserseite mit Edelsteinen.

1865 berichtete der Aachener Ehrenstiftsherr und Konservator für das Diözesanmuseum Köln, Franz Bock (1823–1899), über die teilweise Besetzung des Lotharkreuzes mit Siegelsteinen, die als Ersatz für verlorengegangene, ursprüngliche Edelsteine verwendet wurden.[3] Diese Steine waren nicht nach dem Chabochonschliff gefertigt und passten daher nicht zu den anderen Steinen. Wann diese Steine eingesetzt wurden, ließ sich nicht mehr rekonstruieren. An einer anderen Stelle äußert der Konservator den Wunsch, das Lotharkreuz zukünftig wieder als Prozessionskreuz nutzen zu können. Hierfür waren allerdings Umbauarbeiten am Fuß des Kreuzes nötig, um eine Tragstange anbringen zu können.

1871 erfolgte dann die Installation einer Eisenschraube in die Bodenplatte des Kreuzes (später durch eine Silberschraube ersetzt), wodurch die Verwendung als Vortragekreuz ermöglicht wurde. Zum Austausch der unpassenden Steine kam es erst 1932 im Zuge einer großen Restaurierung, die nach dem 1. Weltkrieg nötig wurde. Um das Kreuz nicht zu verlieren, versteckte man es Anfang 1914 zusammen mit anderen Bestandteilen der Domschatzkammer in einer Blechkiste und lagerte diese in einem Kohlenkeller ein. Die über ein Jahr anhaltende Einwirkung von Feuchtigkeit führte dem Kreuz erhebliche Schäden zu:[4] Die äußeren – sichtbaren – Schäden konnten direkt nach dem Krieg behoben werden, die inneren machten sich erst 1932 bemerkbar, als der Eichenholzkern auseinander brach. Der Aachener Goldschmied Bernhard Witte öffnete das Kreuz, reparierte den gebrochenen Holzkern durch die Einbringung von Winkeln aus Silber und erneuerte teilweise die seitlichen Goldplatten. Anschließend entnahm er die Siegelsteine (insgesamt 39 Stück) und ersetzte sie durch Steine, die passend zu den anderen mit mugeligem Schliff versehen waren. Die entnommenen Siegelsteine sind bis auf 17 Stück im 2. Weltkrieg verloren gegangen.

Der heutige Zustand des Kreuzes ist das Ergebnis der letzten Konservierung und Ausbesserungmaßnahme von 1978. Im 14. Jahrhundert wurde für das Kreuz ein Fuß gefertigt, um es auch als Standkreuz nutzen zu können.

Bedeutung

Seit der Krönung Ottos I. in Aachen (936) wurden in den folgenden 600 Jahren 31 Krönungen im Aachener Dom vollzogen. Zum Krönungsritual gehörte der feierliche Einzug in die Pfalzkapelle Kaiser Karls des Großen, um in seiner Nachfolge rechtmäßiger König des Heiligen Römischen Reichs zu werden. Es ist davon auszugehen, dass das Lotharkreuz als Prozessionskreuz diesem feierlichen Einzug vorangetragen wurde. Das Volk sah auf die prächtige, strahlende, das Paradies verheißende Seite mit dem Bildnis des den Herrscher repräsentierenden Kaiser Augustus in der Mitte. Der hinter dem Kreuz schreitende König blickte auf die schlichte Rückseite und sah das Bild des Gekreuzigten. Es mahnte ihn zur Demut und erinnerte ihn an die Erhöhung Christi durch Gott. (Philipper 2, 5–11). Dies war ihm Mahnung und Rechtfertigung für seinen Auftrag zur Stellvertretung Christi auf Erden. Das Lotharkreuz ist ein Zeugnis für das herrscherliche Selbstverständnis der ottonischen und salischen Kaiser.

An hohen Festtagen und zu Pontifikalämtern wird das Kreuz nach wie vor den Gläubigen gezeigt, allerdings anders als früher mit der Christusseite voran. Trotz des hohen Alters und des großen kunsthistorischen Werts ist das Lotharkreuz nicht nur ein museales Ausstellungsstück in der Schatzkammer, sondern es bleibt als liturgischer Gegenstand im Aachener Dom lebendig.

Einzelnachweise

  1. Allerheiligenmesse am 1. November 2009, bei der das Lotharkreuz dem einziehenden Bischof im Aachener Dom vorangetragen wird, Video im Portal YouTube, abgerufen am 22. Oktober 2011
  2. Deér S. 57.
  3. Bock F., Pfalzkapelle, S. 35
  4. Faymonville F., Die Kunstdemkmäler der Stadt Aachen I

Literatur

  • Lothar Bornscheuer: Miseriae regum. Untersuchungnen zum Krisen- und Todesgedanken in den herrschaftstheologischen Vorstellungen der ottonisch–salischen Zeit, Berlin 1968.(Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 4)
  • Josef Deér: Das Kaiserbild im Kreuz. Ein Beitrag zur politischen Theologie des frühen Mittelalters. In: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte, Bd. 13, Bern 1955 S. 48–110.
  • Ernst Günther Grimme: Der Aachener Domschatz. In: Aachener Kunstblätter 42 (1972) S. 24−28.
  • Theo Jülich: Gemmenkreuze. Die Farbigkeit ihres Edelsteinbesatzes bis zum 12. Jahrhundert. In: Aachener Kunstblätter 54/55 (1986/87) S. 99–251.
  • H. Schmitz-Cliever-Lepie, Die Domschatzkammer zu Aachen, 1979, M. Brimberg/Aachen

Weblinks


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