Marie Bernays

Marie Bernays

Marie Elise Hermine Bernays, (* 13. Mai 1883 in München; † 22. April 1939 in Tuttlingen) war eine deutsche Politikerin und Frauenrechtlerin. Sie war eine der ersten Studentinnen an der Universität Heidelberg und promovierten Frauen Deutschlands.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Marie Bernays entstammte einem hochgeachteten und bedeutenden jüdischen Geschlecht. Eine Tochter ihres Onkels war die Frau von Sigmund Freud. Ihr Vater, Michael Bernays, war Inhaber des ersten Lehrstuhls für Literaturgeschichte an der Universität München sowie ein bedeutender Goethe- und Shakespeareforscher. Wie sie in ihren unveröffentlichten Lebenserinnerungen berichtete, war der Vater Vorleser von König Ludwig II. von Bayern und lebte nur in der Welt der Literatur und des Theaters. Zu dem bestimmten Sozialer Geist, gemeinmützige Hilfsbereitschaft und Wirksamkeit das Familienleben[1]. Marie Bernays Mutter, Louise Johanna Bernays, geb. Rübke, war in erster Ehe mit dem Schriftsteller Hermann Uhde verheiratet, der früh verstarb. Zusammen mit ihrem um acht Jahre älteren Halbbruder, Hermann Uhde-Bernays, und ihrem 1881 geborenen Bruder, Ulrich Bernays, wuchs sie in München, Karlsruhe und Heidelberg auf. Sie war bis 1901 Schülerin des Victoria-Pensionats in Karlsruhe und in Baden-Baden. Folgend ließ sich Marie Bernays in München zur Lehrerin ausbilden und legte 1904 in München das Lehrerinnenexamen (für Englisch und Französisch) ab.

1906 absolvierte sie als Externe das Abitur an einem Humanistischen Gymnasium in Heidelberg und immatrikulierte sich dann als eine der ersten Frauen mit den Fächern Nationalökonomie, Philosophie und Theologie an der Universität Heidelberg. 1908 begann Marie Bernays ihre Promotion über "Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie. Dargestellt an den Verhältnissen der 'Gladbacher Spinnerei und Weberei' A.=G. zu München=Gladbach im Reheinland". Die Arbeit, die im Kontext eines großen Forschungsprojekts von Max Weber entstand und 1910 veröffentlicht wurde, widmete sie Marianne Weber. Im Vorwort der Dissertation vermerkte Marie Bernays über die Entstehung:

Das Material zu dieser Enquete gewann ich auf zweierlei Weise: durch persönliches Befragen der Arbeiterschaft und durch eigene Anschauung. Nachdem mir Herr Professor Dr. Alfred Weber... genauere Mitteilungen über die Ziele der Enquete gemacht hatte, war ich überzeugt, daß eine ausreichende Behandlung der hier gestellten Probleme nur auf der Basis einer genaueren Kenntnis der Arbeiter und ihrer Arbeit möglich sein würde. Darum versuchte ich im September des Jahres 1908 unerkannt in der 'Gladbacher Spinnerei und Weberei' Arbeit zu finden. Es gelang mir über Erwarten gut, ich wurde als Spulerin angenommen und hatte einige Wochen lang die beste Gelegenheit, das Fabrikleben aus nächster Nähe zu beobachten und das Leben und Treiben der Arbeiterinnen als eine der ihrigen zu teilen[2].

Die wissenschaftliche Untersuchung gliedert sich in folgende zwei große Kapitel:

Der erste Teil stellt Provenienz und Lebensschicksal der Arbeiter als Auslesefaktoren der Textilindustrie dar und versucht, ein Bild des Kulturniveaus der Arbieterschaft zu geben. Im zweiten Teil der Arbeit wird der Versuch unternommen, Zusammenhänge zwischen Provenzienz, Lebensschicksal und Kulturniveau der Arbeiterschaft einerseits und ihrer Rentabilität für den Betrieb anderersiets auf zahlenmäßiger Grundlage festzustellen und rationell zu erklären[3].

Im Ersten Weltkrieg engagierte sie sich im Nationalen Frauendienst der Stadt Mannheim, wobei ihr besonderes Interesse dem 1915 errichteten Kriegstagheim für arbeitslose Mädchen und Frauen galt[4]. Ein Jahr später gründete sie gemeinsam mit Elisabeth Altmann-Gottheimer, Alice Bensheiner und Julie Bassermann, ebenfalls in Mannheim, eine Soziale Frauenschule (auch Wohlfahrtsschulen genannt), die eine "soziale Berusausbildung für besoldete und ehrenamtliche Arbeit"[5] anbot. Marie Bernays leitete die Ausbildungsstätte, die 1921 die staatliche Anerkennung erhielt. Die Schulleiterin selbst unterrichtete die Fächer: Soziale Literatur, Sozialtechnik, Volkswirtschaftslehre, Die soziale Bedeutung des bürgerlichen Rechts sowie Recht und Rechtspflege. Vehement kämpfte Marie Bernays für die Anerkennung der Sozialen Frauenschulen als Höhere Fachschulen. Dazu vermerkte sie:

Der Kampf der deutschen Wohlfahrtsschulen um ihren Charakter als höhere Fachschulen und um die damit eng zusammenhängende Berufsstellung der Wohlfahrtspflegerin kann nur zu einem guten Ende führen, wenn auf allen Wohlfahrtsschulen genau so wie auf sonstigen höheren Schulen die Vermittlung eines bestimmten Wissenstoffes und einer formalen Geistesschulung gefordert wird und man endgültig davon absieht, nur Anregungen zum Nachdenken oder Besprechen praktischer Fälle oder theoretischer Probleme zum Inhalt des Unterrichts zu machen[6].

Die von ihr mitbegründete "Soziale Frauenschule"[7] besteht heute noch, sie ist im Mannheim als "Friedrich-Fröbel-Schule, Fachschule für Sozialpädagogik" bekannt.

1921 wurde Marie Bernays, in Nachfolge von Marianne Weber, für die DVP in den Badischen Landtag gewählt, dem sie bis 1925 angehörte. Der Schwerpunkt ihrer parlamentarischen Arbeit lag im sozialen Bereich der Kinder- und Jugendfürsoge, vor allem aber in der Frauenthematik. Sie setzte sich für den Ausbau des Frauenschulwesens, für bessere Berufschancen von Frauen sowie für ihre Zulassung zum Justizdienst ein.

Mit Beginn der NS-Zeit wurde sie 1933, obwohl 1928 als Leiterin der Sozialen Frauenschule auf Lebzeiten angestellt, wegen ihrer jüdischen Versippung vom Schuldienst suspendiert und von der NS-Presse diffamiert. Marie Bernays verließ Mannheim und übersiedelte für kurze Zeit nach München. Schließlich fand sie in Beuron Zuflucht. Dort setzte sie sich intensiv mit dem katholischen Glauben auseinander, erteilte den Benediktiner-Patern Englischunterricht und leitete zu dem die Gemeindebibliothek[8].

Oktober 1933 konvertierte Marie Bernays zum katholischen Glauben. Am 22. April 1939 starb sie überraschend in Krankenhaus von Tuttlingen[9].

In Mönchengladbach erinnert eine Straße und in Mannheim ein Platz an Marie Bernays .

Schriften

  • Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie. Leipzig 1910.
  • Untersuchungen über die Schwankungen der Arbeitsintensität während der Arbeitswoche und während des Arbeitstages. Ein Beitrag zur Psychophysik der Textilarbeit. Leipzig 1912.
  • Lehrwerkstätten und Schulen in der Textilindustrie. Leipzig 1914.
  • Untersuchungen über den Zusammenhang von Frauen-Fabrikarbeit und Geburtenhäufigkeit in Deutschland. Berlin 1916.
  • Die deutsche Frauenbewegung. Leipzig 1920.

Literatur

  • Manfred Berger: Wer war… Marie Bernays? In: Sozialmagazin. H. 12, 1999, S. 6-8.
  • Lore Conzelmann: Das pädagogische Gedankengut in den Schrifte des Vereins für Socialpolitik. Eine Untersuchung zu der Geschichte der Wirtschaftspädagogik. Dissertation. Frankfurt am Main 1962.
  • Ina Hochreuther: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919. Im Auftrag des Landtags herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung. Theiss, Stuttgart 1992, ISBN 3-8062-1012-8.
  • Tanja Neufeldt: Marie Bernays – Leben und Wirken einer politisch/frauenbewegten Pionierin weiblicher Sozialer Arbeit. Unveröffentlichte Diplomarbeit. München 2002.
  • Gundula Pauli: Marie Bernays (1883–1939) und die „Soziale Frauenschule“ in Mannheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Sozialen Arbeit in Deutschland. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Freiburg 2004.

Einzelnachweis

  1. zit. n. Neufeldt 2002, S. 8
  2. Bernays 1910, S. XVI
  3. Bernays 1910, S. XVII
  4. Berger 1999, S. 7
  5. Pauli 2004, S. 4
  6. zit. n. Berger 1999, S. 8
  7. vgl. Pauli 2004
  8. vgl. Neufeldt 2002, S. 235 ff
  9. vgl. Neufeldt 2002, S. 240

Weblink


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