Marie Bloch

Marie Bloch

(Clara Emilie) Marie Bloch (* 27. November 1871 in Berlin; † 1943 im KZ Theresienstadt) war Mitglied der bürgerlichen Frauenbewegung und Pädagogin jüdischer Herkunft, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus ihrer Wahlheimat Rostock ins KZ Theresienstadt deportiert wurde und dort im Alter von 72 Jahren verstarb.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Jugend

Marie Bloch wurde als fünftes von sieben Kindern des Berliner Verlagsbuchhändlers Adalbert Bloch und seiner Frau Clara Bloch in Berlin geboren. Die Eltern, ursprünglich jüdische Religionsangehörige, erzogen ihre Kinder liebevoll im protestantischen Glauben und waren in hohem Maße kulturell und sozial orientiert. Bildung, Theaterbesuche und Reisen bestimmten zu einem Großteil das Familienleben. Marie - in der Familie Mieze genannt - genoss eine unbeschwerte Kindheit im Kreise ihrer Geschwister Hermann, Adalbert, Walter, Betty, Cläre und Willy im Elternhaus in der Regentenstraße 14 (heute Hitzigallee), unweit der Potsdamer Straße.

Ausbildung und berufliche Laufbahn

Marie Bloch erhielt die für sie bestmögliche Ausbildung und besuchte zunächst neun Jahre die Charlottenschule zu Berlin, eine Städtische Höhere Töchterschule. Später besuchte sie das private Lehrerinnenseminar, dessen Oberleiterin Frauenrechtlerin Helene Lange war. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie das Seminar schon nach anderthalbjähriger Ausbildung verlassen. Im Jahr 1890 schrieb sie sich in einen von der Frauenbewegung erkämpften Frauen-Gymnasialkurs ein, indem sie Englisch und Mathematik belegte. Ab April 1892 bildete sie sich am Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin-Schöneberg als Kindergartenleiterin weiter. Aufgrund ihrer guten Vorbildung bestand Marie Bloch schon im April 1893 das Examen, welches sie u.a. berechtigte einen Kindergarten selbstständig zu leiten. Von 1893 bis 1908 arbeitete Marie Bloch als Leiterin verschiedener Kindereinrichtungen in Berlin. Zudem agierte sie im Pestalozzi-Fröbel-Haus als Lehrerin und blieb dem Hause über die Jahre eng verbunden.

Nach dem Tod ihrer Eltern um die Jahrhundertwende, zog sie 1908 aus ihrer Etagenwohnung im Elternhaus. Sie folgte ihrem jüngsten Bruder, den Historiker Hermann Reincke-Bloch, nach Rostock, um ihm den Haushalt zu führen und ihre Schwägerin bei der Kinderbetreuung zu unterstützen. Mithilfe des mütterlichen Familiennachlasses erwarb Marie Bloch ein zweistöckiges Haus mit Garten in der Paulstraße 5 im Stadtteil Steintorvorstadt. Ihr ursprünglicher Plan die Paaschnische Schule zu übernehmen scheiterte, weshalb sie 1910 in der Paulstraße einen Fröbelschen Kindergarten mit angeschlossener Pflegerinnenschule eröffnete. Die dafür notwendige Berechtigung erwarb sie durch den Besuch des Oberkursus der Sozialen Frauenschule in Berlin-Schöneberg (heute Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin) von 1909 bis 1910. Eine Einrichtung die wenige Jahre zuvor von der Frauenrechtlerin Alice Salomon gegründet wurde. Insgesamt zweieinhalb Jahrzehnte lang galt der Rostocker Kindergarten von Marie Bloch, als modernste und reformfreudigste Institution Mecklenburgs auf dem Gebiet der Kleinkinderfürsorge. Von 1919 bis 1923 war Marie Bloch als Oberleiterin der städtischen Kinderfürsorge in Rostock tätig.

Ehrenamtliches Engagement

Marie Bloch engagierte sich in Rostock stark im sozialen Bereich. Ab 1908 arbeitete sie im Rostocker Frauenverein „Soziale Gruppe“, die dem gemäßigten Flügel der Frauenbewegung zugeordnet werden kann. Marie Bloch wurde aktives Mitglied in der ihr angeschlossenen weiblichen Jugendgruppe, deren Mitglieder als freiwillige Helferinnen in Kindertageseinrichtungen aushalfen. Ziel der gemeinnützigen Arbeit war es, Frauen die - aufgrund von Tod oder Trennung des Ehemannes - genötigt waren, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, durch die Kinderbetreuung zu unterstützen. Ab 1910 gehörte sie dem Beirat des Vorstandes des Volkskindergartens e.V. in Rostock an. Außerdem engagierte sich Marie Bloch im Jugendbund, im Verein Jugendwerkstatt und im Deutschen Fröbel-Verband.

Erster Weltkrieg

Als Mitglied der bürgerlichen Frauenbewegung betätigte sich Marie Bloch in der Kriegswohlfahrtspflege. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 wuchs die Jugendgruppe, die nunmehr unter dem Namen „Helfende Hand“ firmierte, auf etwa 150 Mitglieder an, die für nahezu alle Bereiche sozialer Arbeit vorgebildet wurden. Aufgrund des Zuwachses der weiblichen Erwerbstätigkeitsrate und einem damit einhergehendem Mangel an Kinderbetreuungsangeboten, wurde Marie Bloch im Jahr 1918 vom Kriegsamt Altona beauftragt die Kindergärten und Krippen in großen Teilen Mecklenburgs umzugestalten.

Nationalsozialismus

Auf dem Machtantritt der Nationalsozialisten folgte schon kurze Zeit später der Boykott von jüdischen Geschäften, Warenhäusern, Banken, Arzt-, Rechtsanwalts- und Notarspraxen. Infolge der Unterdrückung sahen sich viele Rostocker Juden zur Auswanderung gezwungen. So emigrierten u.a. das mit Marie Bloch befreundete Ehepaar Fritz Nelson und Mathilde Nelson in die USA. Die Vertreibung der jüdischen Familie Steiner traf Marie Bloch tief. Magarete Steiner wurde als junge Studentin im Jahre 1922 von Marie Bloch adoptiert, die zu jener Zeit bereits mit dem Mathematiker und Dozenten Werner Steiner verheiratet war. Um der antisemitischen Verfolgung zu entgehen, ging die Familie Steiner 1933 nach Schottland. Marie Bloch blieb trotz des engen Verhältnisses zur Familie Steiner in Rostock, um dieser finanziell nicht zur Last zu fallen. Nach den 1935 erlassenen Nürnberger Rassengesetzen war sie mit ihren drei jüdischen Großeltern zu 75% “jüdisch”. So gaben immer weniger Eltern ihre Kinder in den nun als “jüdisch” verfemten Kindergarten, was dazu führte, dass Marie Bloch mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfte. Bereits im Sommer 1934 wurde die Kinderpflegerinnenschule von den Nationalsozialisten geschlossen.

Im Zuge der Novemberpogrome an der jüdischen Bevölkerung in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde in Rostock unweit des Kindergartens die Synagoge in der Augustenstraße niedergebrannt. 64 jüdische Männer wurden verhaftet, sowie zahlreiche Häuser, Wohnungen und Geschäfte von jüdischen Einwohnern demoliert. Der Kindergarten blieb unbeschädigt. Jedoch wurde Marie Bloch kurze Zeit später die Hypothek für das Haus gekündigt, weshalb sie genötigt wurde, es zu verkaufen. Das Verbot, den Kindergarten weiterzuleiten, veranlasste Marie Bloch diesen an eine ehemalige Mitarbeiterin zu übergeben. Mit dem am 12. November 1938 von den Nationalsozialisten verordneten Verbot für Juden Theater, Kinos und Konzerte, etc. zu besuchen, wurde auch Marie Bloch die Teilnahme am kulturellen Leben verwehrt. Aufgrund der mit dem Kriegsbeginn verordneten nächtlichen Ausgangssperre für Juden, durfte Marie Bloch das Haus nach 20 Uhr nicht mehr verlassen. Zudem gab es nur noch wenige Menschen, welche Kontakt zu ihr hielten. In ihrem bisherigen Leben eine kontaktfreudige Frau, welche viele Freundschaften durch intensive Korrespondenzen pflegte, lebte Marie Bloch nun zurückgezogen und nahezu völlig vereinsamt auf dem Dachboden des Hauses in der Paulstraße.

Als sie 1941 von den Nazis gezwungen wurde, den sogenannten Judenstern zu tragen, trug die als Kind christlich getaufte Marie Bloch aus Protest daneben eine Brosche mit dem Christusbild.

Am 11. November 1942 wurde Marie Bloch in das KZ Theresienstadt deportiert. Der Transport mit meist älteren Menschen wurde zynisch als Wohnsitzverlegung bezeichnet. Zu den Betroffenen dieses Transportes gehörten u.a. Jenny Familie, Bertha Josephy, Louis und Johanna Simon, Simon und Martha Schoeps, Ida und Abraham Marchand, Regina Michaelis, Ina Levy, Richard und Hedwig Schlomann, sowie deren Enkel Harry Schlomann. Im KZ Theresienstadt begegnete Marie Bloch ihrer Schwester Cläre wieder. Als diese schwer erkrankte, pflegte Marie Bloch sie bis zu ihrem Tod. Im Frühjahr des Folgejahres erhielten Verwandte die verschlüsselte Nachricht, dass Marie Bloch an Typhus gestorben sei.

Gedenken

Marie Bloch ist seit 1989 Namenspatronin für die KITA Am Beginenberg 10.
In der Paulstraße 5 in Rostock erinnert ein Stolperstein an das Schicksal von Marie Bloch.

Seit August 1989 ist Marie Bloch Namensgeberin für den Rostocker Kindergarten am Beginenberg. Der Historiker Yaakov Zur, der Anfang 1939 aus Rostock nach Israel emigrierte, enthüllte die Namenstafel und sprach die Hoffnung aus, dass der Kindergarten „zu einem lebendigen Grabstein im Sinne der hervorragenden Erzieherin sein wird.“[1] Den Kindern wünschte er: "Möge es nie wieder eine Zeit geben, in der man Kindern ihre Kindheit nimmt." [2]

Im südöstlichsten Rostocker Ortsteil Brinckmansdorf ist eine Straße nach Marie Bloch benannt.

In der Paulstraße 5 erinnert seit Oktober 2004 ein Stolperstein an das Schicksal von Marie Bloch. Das Max-Samuel-Haus entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Grafiker Rando Geschewski und in Anlehnung an das Projekt des Künstlers Gunter Demnig für die Hansestadt Rostock eine eigene Variante von Stolpersteinen: eine grün-graue Platte aus Dolomit, wesentlich größer als ein Pflasterstein, die Auskunft über Namen, Wohnort und Todesart und -ort gibt. Die "Gedenkplatte" wurde ausschließlich aus Spenden finanziert.

Auch auf dem Rostocker jüdischen Friedhof im Lindenpark wird Marie Bloch gedacht. Der Gedenkort besteht aus einer Stele in Form einer Menorah und einem etwa 60 cm hohen Quader, auf dessen Fläche die bis 1988 bekannten Namen der jüdischen NS-Opfer aus Rostock zu lesen sind. Auf dem, vom Steinmetz Thomas Scheinpflug konzipierten, Gedenkstein ist ein Davidstern abgebildet und eine Inschrift in hebräischer und deutscher Sprache zu lesen: "Gedenke - Vergiß nie!".

Literatur

  • Gundlach, Christine: Die Welt ist eine schmale Brücke, Yaakov Zur - ein Israeli aus Rostock, Erinnerungen und Begegnungen. Berlin 2003
  • Jürgens, Birgit: Tante Mieze - Ein Leben für Kinder, Das Schicksal der jüdischen Kindergartenleiterin Marie Bloch (1871-1944) in Rostock. Rostock 2002.
  • Max-Samuel-Haus, Stiftung Begnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur [Hrsg.]: Blätter aus dem Max-Samuel-Haus. Nr. 30, Rostock 2006.
  • Pelc, Ortwin: 777 Jahre Rostock. Neue Beiträge zur Stadtgeschichte, Rostock 1995.
  • Schlaefer, Kristine: Führer zu Orten jüdischer Geschichte in Rostock. Putbus.
  • Schröder, Frank; Ehlers, Ingrid: Zwischen Emanzipation und Vernichtung, Zur Geschichte der Juden in Rostock. Rostock 1988.
  • Schröder, Frank: 100 jüdische Persönlichkeiten aus Mecklenburg-Vorpommern. Rostock 2003.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. zit. nach: Jürgens, Birgit: Tante Mieze - Ein Leben für Kinder, Das Schicksal der jüdischen Kindergartenleiterin Marie Bloch (1871-1944) in Rostock. Rostock 2002, S. 13.
  2. zit. nach: Gundlach, Christine: Die Welt ist eine schmale Brücke, Yaakov Zur - ein Israeli aus Rostock, Erinnerungen und Begegnungen, Berlin 2003, S. 179.

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