Mehrheits-Kandidat

Mehrheits-Kandidat

Als Condorcet-Sieger wird diejenige Alternative bezeichnet, die in einem paarweisen Vergleich aller zur Entscheidung stehenden Alternativen in jedem Fall von einer Mehrheit vorgezogen wird. Der Begriff stammt aus der Sozialwahltheorie, auch Theorie der kollektiven Entscheidung genannt. (Siehe Condorcet-Methode).

Inhaltsverzeichnis

Beispiel

Ein konkretes Beispiel aus dem Alltag soll den etwas abstrakten Begriff veranschaulichen. Nehmen wir an, Iris, Peter und Fred wollen den Abend gemeinsam verbringen. Es gibt für sie die drei Alternativen: Kinobesuch, Essengehen im Restaurant und Konzertbesuch.

Vor die Wahl gestellt, zieht zum Beispiel Iris den Kinobesuch gegenüber dem Restaurant und auch gegenüber dem Konzertbesuch vor. Das Essen im Restaurant zieht sie wiederum gegenüber einem Konzertbesuch vor.

Nehmen wir einmal die folgenden Präferenzen der Beteiligten an:

Iris Peter Fred
1.Rang Kino Restaurant Konzert
2.Rang Restaurant Konzert Restaurant
3.Rang Konzert Kino Kino

Wenn die drei Individuen über die Alternativen paarweise abstimmen, ergibt sich Folgendes:

  • „Restaurant“ gegen „Kino“.....: 2 Stimmen zu 1 Stimme
  • „Restaurant“ gegen „Konzert“..: 2 Stimmen zu 1 Stimme
  • „Konzert“ gegen „Kino“........: 2 Stimmen zu 1 Stimme.

In diesem angenommenen Fall ist die Alternative „Restaurant“ die Mehrheitsalternative, denn sie erhält im paarweisen Vergleich mit allen anderen Alternativen immer die Mehrheit der Stimmen.

Die theoretische Bedeutung der Mehrheitsalternative

Das von dem französischen Gelehrten Condorcet vorgeschlagene Wahlverfahren in Form paarweiser Abstimmungen aller Alternativen untereinander zur Ermittlung der Mehrheitsalterantive ist nicht nur ein Wahlverfahren unter anderen. Die Mehrheitsalternative ist für das Verständnis der Wahlverfahren in der Demokratie vor allem deshalb von Bedeutung, weil eine vorhandene Mehrheitsalternative sich bei allen Abstimmungsverfahren durchsetzt, in denen die Stimmen der Individuen gleiches Gewicht besitzen, sofern folgende Bedingungen gegeben sind:

  • Jeder Beteiligte kennt die Präferenzen der anderen Beteiligten (Transparenz der Interessen),
  • jeder stimmt so ab, dass das für ihn beste Resultat erzielt wird (Rationalverhalten), was nicht seinen tatsächlichen Präferenzen entsprechen muss,
  • verbindliche Wahlabsprachen sind möglich (unbehinderte Bildung von Koalitionen)
  • das Wahlverfahren bevorzugt keine der Alternativen (Bedingung der Neutralität).

Es spielt also keine Rolle, ob die Individuen jeweils nur 1 Stimme oder 10 Punkte zu vergeben haben oder ob das Wahlverfahren einstufig oder mehrstufig ist: Solange die Individuen gleiches Stimmgewicht haben und die genannten Bedingungen gegeben sind, siegt eine vorhandene Mehrheitsalternative.

Dies ist auch relativ leicht einzusehen, denn wenn das Ergebnis der Abstimmung nicht die Mehrheitsalternative ist, dann gibt es mit der Mehrheitsalternative eine Alternative, die für eine Mehrheit besser ist als das jetzige Ergebnis. Bei Transparenz der Interessen und rationalem Verhalten hätte sich diese Mehrheit auf eine gemeinsame Abstimmungsstrategie einigen können und hätte mit ihrem stimmenmäßigen Übergewicht die Mehrheitsalternative durchsetzen können.

Bemerkenswert sind hier vor allem zwei Punkte:

  • Es kommt in der politischen Praxis nicht auf komplizierte und ausgeklügelte Wahlverfahren an, sofern Meinungsfreiheit herrscht und Wahlbündnisse rechtlich und zeitlich möglich sind. Die Regel der einfachen Mehrheit der Stimmen reicht deshalb gewöhnlich aus.
  • Auch wenn die Beteiligten nur ihre eigenen Interessen verfolgen, ist das Ergebnis in Form der Mehrheitsalternative auch unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls beachtlich.

Mehrheitsalternative und mediane Alternative

Wenn über Alternativen abgestimmt wird, die sich auf einer Dimension anordnen lassen, so ist immer diejenige Alternative, die die mediane Position einnimmt, die Mehrheitsalternative. In diesem Fall gibt es immer eine Mehrheitsalternative.

Dies soll an dem folgenden, stark vereinfachten Beispiel gezeigt werden.

Angenommen, an einer langen Straße wohnen weit auseinander gezogen die 5 Personen A, B, C, D und E. Es soll nun an einem der Häuser ein gemeinsamer Briefkasten für alle angebracht werden. Die Präferenzen aller Beteiligten in Bezug auf den Platz des Briefkastens sind so, dass eine kürzere Entfernung einer längeren vorgezogen wird.

Die folgende Skizze zeigt die räumliche Anordnung der Häuser entlang der Straße:

A.........B.....C.....................D....E

Es gibt also 5 Alternativen für die Anbringung des Postkastens (a, b, c, d, e).

Wird nach der Regel der relativen Mehrheit abgestimmt, so gilt diejenige Alternative als kollektiv gewählt, die die meisten Stimmen erhält. Je nach Verhalten der Wähler kommt es zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Wenn jeder Wähler so handelt und abstimmt, dass das für ihn Beste herauskommt, so wird jeder versuchen, für die von ihm bevorzugte Alternative ein mehrheitliches Wahlbündnis von mindestens 3 Wählern zusammenzubringen

Der mediane Wähler C, der insofern „in der Mitte“ steht, als er sowohl rechts wie links von sich gleich viele andere Wähler hat, befindet sich in der günstigsten Position. Denn welches Wahlbündnis auch immer sich bilden sollte, C kann in jedem Fall zwei Wählern ein Wahlbündnis zugunsten der Alternative c „Postkasten bei C“ anbieten. Die Alternative c stellt für beide Wähler eine Verbesserung dar und kann auch mehrheitlich durchgesetzt werden.

Wenn zum Beispiel die Wähler B, D und E eine Koalition zugunsten der Alternative d eingehen wollen, kann C den Wählern A und B eine Mehrheitskoalition zugunsten der Alternative c anbieten, die für beide Wähler gegenüber der Alternative d eine Verbesserung darstellt. Auch im Vergleich mit allen anderen Alternativen bekommt die Alternative c die Mehrheit und erfüllt damit das Condorcet-Kriterium. Es handelt sich bei der medianen Alternative folglich um die Mehrheitsalternative.

Das Zünglein an der Waage

Die FDP spielte in der deutschen Parteienlandschaft eine Zeit lang die Rolle des Züngleins an der Waage und entschied als relativ kleine Partei die Regierungsbildung, je nachdem, ob sie mit der CDU oder der SPD koalierte. Dies wurde manchmal als undemokratisch bezeichnet.

Der Grund, warum die kleine FDP „Königsmacher“ war, bestand darin, dass die FDP-Wählerschaft den Medianwähler enthielt, dessen politische Vorstellungen der Mehrheitsalternative entsprachen.

Die normative Bedeutung der Mehrheitsalternative

Wenn die Individuen von einer Entscheidung gleich stark betroffen sind, so ist die Mehrheitsalternative diejenige Alternative, die den Interessen aller Beteiligten am ehesten entspricht.

Denn wenn die Vor- oder Nachteile einer Entscheidung für alle Beteiligten annähernd gleich groß sind, überwiegt das Interesse einer zahlenmäßig größeren Gruppe gegenüber dem einer kleineren Gruppe.

Normativ problematisch ist eine vorhandene Mehrheitsalternative, wenn über Entscheidungen abgestimmt wird, von denen die Beteiligten unterschiedlich stark betroffen sind. Wenn zum Beispiel eine nur schwach betroffene Mehrheit eine in ihren elementaren Interessen betroffene Minderheit überstimmt, so wird die Mehrheitsalternative kaum diejenige Alternative sein, die den Interessen aller Beteiligten am meisten entspricht.

Das Fehlen einer Mehrheitsalternative

Es ist auch möglich, dass es überhaupt keine Mehrheitsalternative gibt. Dies ist zum Beispiel bei folgenden Rangordnungen der Fall:

A B C
1.Rang x y z
2.Rang y z x
3.Rang z x y

Im Paarvergleich unterliegt die Alternative x der Alternative z, die Alternative y unterliegt der Alternative x und Alternative z unterliegt der Alternative y. Damit bleibt keine Alternative ungeschlagen und es gibt keine Mehrheitsalternative. Stattdessen gibt es eine zirkuläre Rangfolge der Alternativen: x > y > z > x.

Dieses Problem der „zirkulären Mehrheiten“ nennt man auch Condorcet-Paradoxon. Die bereits im 18. Jahrhundert von Condorcet vorgeschlagene paarweise Abstimmung muss deshalb nicht zu einem definitiven Ergebnis führen.

Zu zirkulären Mehrheiten kommt es z. B. immer dann, wenn eine bestimmte Menge eines Gutes nach dem Mehrheitsprinzip verteilt werden soll. Angenommen, es sollen 6 Eier auf 3 Individuen verteilt werden. Hier gibt es keine Verteilung, die im Paarvergleich mit allen anderen möglichen Verteilungen in jedem Fall eine Mehrheit erhält.

Angenommen, die Eier werden gleichmäßig verteilt, so dass jeder 2 Eier bekommt:

    (Personen:) A                   B C
    (Eier:) 0 0                0 0                0 0

In diesem Fall könnten sich 2 der Individuen besser stellen, indem sie sich zusammentun und mit der Mehrheit ihrer 2 Stimmen die 2 Eier des Dritten unter sich aufteilen. Damit hätten 2 Individuen je 3 Eier und das Dritte keines:

                   A B                C
                  0 0 0 0 0 0              --- 

Aber auch dies Ergebnis kann von einer Mehrheit überstimmt werden. Dazu müsste der Dritte einem der beiden anderen das Angebot machen, dass dieser 4 Eier bekommt und er selber die restlichen 2. Dies wäre für beide eine Verbesserung:

                   A B                    C
                  --- 0 0 0 0 0 0 

Wie deutlich wird, existiert keine stabile Mehrheitsalternative, denn es können sich in jedem Fall 2 Individuen zusammentun, um die Eier des Dritten unter sich aufzuteilen. Bei Fragen, die nur die Verteilung von Gütern (Vorteilen) und Opfern (Nachteilen) betreffen, führt ein rein eigeninteressiertes Verhalten der Wähler zu keinem stabilen Ergebnis, wie das Beispiel der Eierverteilung gezeigt hat.

Hier wird deutlich, dass das Mehrheitsprinzip kein inhaltliches ethisches Prinzip ist, sondern eher ein praktikables Verfahren, um im Falle fehlender Übereinstimmung innerhalb eines Kollektivs ethisch möglichst akzeptable Ergebnisse zu erreichen.

In verschiedenen Bereichen ist die Anwendung des Mehrheitsprinzips nicht angebracht. Hierzu gehören vor allem Fragen der Verfassung aber auch reine Verteilungsfragen. Diese Fragen erfordern zu ihrer Beantwortung eher einen Konsens als eine Abstimmung.

In der politischen Praxis spielt das Problem zyklischer Mehrheiten keine große Rolle, weil gewöhnlich eine Status-quo-Klausel gilt, die besagt, dass es beim bestehenden Zustand bleibt, falls das Wahlverfahren zu keinem Ergebnis führt.

Literatur

  • Kenneth J. Arrow, Amartya K. Sen, Kotaro Suzumura (Hrsg.): Handbook of Social Choice and Welfare. Elsevier Science/North-Holland, Amsterdam 2002 (Vol. 1), ISBN 0-444-82914-8
  • Duncan Black: The Theory of Committees and Elections. Cambridge University Press, London und New York 1958
  • Amartya K. Sen: Collective Choice and Social Welfare. Holden-Day, San Francisco 1970, ISBN 0-8162-7765-6
  • Eberhard Wesche: Tauschprinzip – Mehrheitsprinzip – Gesamtinteresse. Klett-Cotta, Stuttgart 1979. ISBN 3-12-912120-X

Siehe auch

Weblinks


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