Theorie der rationalen Entscheidung

Theorie der rationalen Entscheidung

Theorie der rationalen Entscheidung (engl. Rational choice theory ['ræʃənl tʃɔɪs]) ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Ansätze einer Handlungstheorie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Generell schreiben diese Ansätze handelnden Subjekten (Akteuren) rationales Verhalten zu, wobei diese Subjekte aufgrund gewisser Präferenzen ein nutzenmaximierendes (z.B. kostenminimierendes) Verhalten zeigen.

Inhaltsverzeichnis

Ziel und Methode

Die Grundannahmen der klassischen Theorien der rationalen Entscheidung gehen bereits auf Thukydides zurück. Sie lauten[1]:

  1. Staaten sind die Hauptakteure der internationalen Politik
  2. Staaten handeln rational
  3. Die Umwelt ist von Natur aus anarchisch; Regeln sind die Ausnahme
  4. Hauptziele von Staaten sind Macht und Sicherheit

Die Theorien der Rationalen Wahl orientieren sich zudem an der klassischen Nationalökonomie Adam Smiths, berufen sich auf Max Webers Programm einer verstehenden Soziologie und auf die Ideen von Hans Morgenthau. Sie versuchen, komplexe soziale Handlungen mit Hilfe möglichst einfacher Modellannahmen zu fassen. In der frühen Anwendung des Rational-Choice-Ansatzes, etwa in den Politikwissenschaften durch William H. Riker an der US-amerikanischen University of Rochester, war das angestrebte Ziel, soziale Gesetze zu finden, die universelle Gültigkeit und logische Kohärenz wie etwa die der Newtonschen Physik besitzen. Moderne Vertreter des Rational-Choice-Ansatzes verweisen auf die Vorteile der logisch-deduktiven Eigenschaften mathematischer Modelle für rigoroses Theoretisieren. Sie verweisen zudem auf die Vorteile des Ansatzes für das Generieren von Kausalerklärungen auf der Ebene des Individuums.

Erklärungsmodelle der rationalen Wahl reichen vom klassischen Homo oeconomicus bis zum RREEMM (Restricted Resourceful Expecting Evaluating Maximising Man) der modernen Soziologie. Über den Rationalitätsbegriff des rationalen Individuums gibt es ebenso wie über die Gewichtung und Entstehung der Präferenzen keine Einigkeit.

Anwendungen aus der Spieltheorie zur Untersuchung der Theorie der Rationalen Entscheidung sind insbesondere die Ultimatumspiele. Weiterhin untersucht die Verhaltensforschung Entscheidungsverhalten, das arbiträr wirkt und damit im Widerspruch zu rationalem Verhalten zu stehen scheint.[2][3]

Umstrittene Punkte

Während die Theorie der rationalen Entscheidung in den Wirtschaftswissenschaften ein bedeutendes Paradigma ist und es in vielen Modellen für ausreichend gehalten wird, von rationaler Entscheidung ausgehen zu können, wird die Theorie in der Soziologie und der Politikwissenschaft kontrovers diskutiert. Einer der Hauptstreitpunkte ist der verwendete methodologische Individualismus; es wird debattiert, ob sich soziales Verhalten und soziale Gesetze durch das Verhalten vieler einzelner Individuen bestimmen lassen, oder ob das soziale Handeln eigene Gesetzmäßigkeiten aufweist. Eine schwächere Version dieser Kritik wirft dem Ansatz der Rationalen Entscheidung vor, soziale Probleme strukturell bedingt unterkomplex zu fassen. Zum anderen steht die starke Modellhaftigkeit des Ansatzes in der Kritik: Es gibt empirische Evidenz, dass Menschen nur begrenzt rational handeln und dass das für die Beteiligten von Vorteil ist. Die meisten Theoretiker der Rationalen Entscheidung räumen das ein, machen aber geltend, dass rationale Nutzenmaximierung eine plausible Grundannahme darstelle, von der aus die Modelle bestimmten Situationen angepasst werden könnten.

Ansätze, die auf der Theorie der rationalen Entscheidung basieren, üben einen immer stärkeren Einfluss sowohl auf die globalen als auch auf die deutschen Sozialwissenschaften aus.

Problematisch werden rationale Entscheidungen, wenn sie die Struktur des Gefangenendilemmas haben. Es besteht dabei ein Widerspruch zwischen dem, was für den Einzelnen rational ist, und dem, was für die Gemeinschaft rational ist. In diesem Fall kann es für den Einzelnen von Vorteil sein, irrational im Sinne der Spieltheorie zu handeln und mit dem anderen zu kooperieren. Das trifft insbesondere bei mehrmaligem Aufeinandertreffen zu. Ein typisches Beispiel sind die unterschiedlichen Interessen aus volkswirtschaftlicher und aus betriebswirtschaftlicher Sicht.

Spezielle Anwendungsgebiete

Bekannte Vertreter

Siehe auch

Literatur

  • Gary Becker: The Economic Way of Looking at Life, Nobel Lecture, 9. Dezember 1992
  • Karl-Dieter Opp: Methodologie der Sozialwissenschaften; 6. Auflage. Wiesbaden, VS Verlag 2005.
  • Wolfgang Ludwig Schneider: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band 2; 2. Auflage. Wiesbaden, VS Verlag 2005.
  • M. Baurmann: Der Markt der Tugend. Recht und Moral in der liberalen Gesellschaft. Tübingen, J.C.B. Mohr 1996.
  • H.B. Schäfer und K. Wehrt (Hrsg.): Die Ökonomisierung der Sozialwissenschaften; Frankfurt a.M., New York 1989.
  • Amartya Sen: Rational Fools. A Critique of the Behavioural Foundations of Economic Theory in: ders. Choice, Welfare and Measurement; Oxford, Blackwell 1982. (Kritik: Eine schlechte deutsche Übersetzung ist erschienen als Rationalclowns. Eine Kritik der behavioristischen Grundlagen der Wirtschaftstheorie in: K.P. Markl (Hrsg.): Analytische Politikphilosophie und ökonomische Rationalität, Bd. 2, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1984.)
  • Herbert A. Simon: Homo rationalis. Die Vernunft im menschlichen Leben. Frankfurt/ New York 1993.
  • Volker Kunz: Rational Choice. Frankfurt/ New York, Campus Verlag 2004.

Einzelnachweise

  1. Graham Allison, Phillip Zelikow: Essence of Decision. Explaining the Cuban Missile Crisis. 2. Auflage, 1999, S. 1–55, hier S. 27f.
  2. P.M. Driver, D.A. Humphries: Protean Behaviour - The Biology of Unpredictability, 1988
  3. Dylan Evans (Hrsg. m. Pierre Cruse): Emotion, Evolution and Rationality, 2004, Oxford

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