Moritz Rittinghausen

Moritz Rittinghausen

Moritz Rittinghausen (* 12. November 1814 in Hückeswagen; † 29. Dezember 1890 in Ath, Belgien) war ein deutscher Verfechter und Theoretiker der direkten Demokratie, früher Sozialist und Politiker.

Moritz Rittinghausen

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre

Der Vater war Bürgermeister und Aktuarius in Hückeswagen. Moritz Rittinghausen besuchte das Gymnasium und wurde nach dem Abitur Kaufmann in Köln. Seit den 1840er Jahren vertrat er sozialistische Ideen und trat als Verfasser von politischen und nationalökonomischen Schriften hervor. Rittinghausen war vor 1848 Mitarbeiter verschiedener Zeitungen wie der Kölnischen Zeitung, der Aachener Zeitung, der Trierer Zeitung oder dem Kölner Gewerbeblatt. Während der Revolution von 1848/49 war er Mitarbeiter der Neuen Rheinischen Zeitung.

Im Jahr 1848 war Rittinghausen Mitglied des Vorparlaments in Frankfurt und gehörte dort den Linken an. Im Jahr 1849 war er Mitherausgeber der Westdeutschen Zeitung in Köln. Nach der Niederlage der Revolution emigrierte Rittinghausen zunächst nach Paris und lebte seit 1851 in Brüssel.

Politiker in der Arbeiterbewegung

Moritz Rittinghausen kehrte 1858 nach Deutschland zurück und lebte als Schriftsteller in Köln. Dort war er Mitbegründer des demokratischen „Politisch-Geselligen Vereins“. In den Jahren 1868 und 1872 war er deutscher Delegierter auf den Kongressen der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA).

Er gehörte 1869 zu den Mitbegründern der SDAP. 1877 bis 1878 und 1881 bis 1884 war er Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Solingen. Er gehörte dem sehr gemäßigten Flügel der Reichstagsfraktion an, der etwa von August Bebel scharf kritisiert wurde.[1]

Rittinghausen ging in Partei und Fraktion offenbar sehr eigene Wege. So hatte er sich weder an den geheimen Treffen in Zürich noch in Kopenhagen beteiligt und hatte angekündigt, nicht alle Beschlüsse mit zu tragen. Letzter ausschlaggebender Punkt für den Bruch war, dass er 1883 im Reichstag bei einer Abstimmung zusammen mit einigen weiteren „Abweichlern“ nicht mit seiner Fraktion gestimmt hatte. Dabei hatte er durchaus an das Wohl der Industrie in seinem Wahlkreis gedacht, wo er äußerst beliebt war. Die Partei stellte ihn 1884 nicht mehr auf. [2] Ein Versuch, als unabhängiger Kandidat erneut in den Reichstag einzuziehen, scheiterte. Rittinghausen wurde viel kritisiert, u. a. von Friedrich Engels, Wilhelm Blos und Karl Kautsky – sie hatten andere politische Ansichten. Kautsky ging in seinen Schriften über den Parlamentarismus ausführlich auf Rittinghausens Vorstellungen ein.

Moritz Rittinghausen ist eine bedeutende Gestalt der Kölner Arbeiterbewegung in der Gründungsphase des ADAV, der IAA und den „Eisenachern“ ab 1869. Bei seiner Beerdigung am 5. Januar 1891 nahmen nicht nur Solinger und Kölner Genossen teil, sondern auch Abordnungen aus Belgien und Frankreich. Die dem Zentrum nahestehende Kölnische Volkszeitung ehrte ihn als einen von allen geschätzten Demokraten.

Theoretiker direkter Demokratie

Rittinghausen gilt als einer der theoretischen Begründer der Idee der direkten Volksgesetzgebung. Sein Werk „Die direkte Gesetzgebung durch das Volk“ war der erste systematische Versuch einer Darstellung eines direktdemokratischen Systems. Unter anderem forderte er Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide. Er machte Vorschläge zur Umsetzung und setzte sich kritisch mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie auseinander. So gewählte Abgeordnete seien mittelmäßig, bestechlich und ihren Entscheidungen abhängig vom Adel und dem Besitzbürgertum. Nach seinen Vorstellungen sollte das Volk in „Sektionen“ von etwa jeweils 1000 Stimmberechtigten aufgeteilt werden. Diese sollten dann einen Vorsitzenden wählen. Die Sektionen sollten dabei allein das legislative Recht haben. Ein übergeordnetes Ministerkollegium sollte aus direkten Wahlen hervorgehen.[3]

Wirkung

Die Vorstellungen Rittinghausens waren in der frühen Sozialdemokratie durchaus von Bedeutung. Als Forderung nach Gesetzgebung durch das Volk gingen sie unter anderem in das Eisenacher Programm, das Gothaer Programm und das Erfurter Programm ein. Später verloren seine Gedanken zugunsten des parlamentarischen Systems in der SPD an Bedeutung. Bereits Karl Kautzky hat Rittinghausens Ideen einer völligen Dezentralisierung Deutschlands in souveräne „Sektionen“ abgelehnt, weil dies zu einem „Chaos“ führen würde.[4] Immerhin geriet Rittinghausen nicht völlig in Vergessenheit und einige Elemente wie Volksentscheide oder Volksbegehren gingen in die Länderverfassungen und die Reichsverfassung der Weimarer Republik ein.

Auch in der Schweiz wurden seine Ideen in der sozialistischen Arbeiterbewegung rezipiert. Vor allem Karl Bürkli wurde von Rittinghaus stark beeinflusst. In den Jahren 1867/68 führte eine politische Bewegung in Zürich vor diesem Hintergrund zum Einbau einer dreistufigen Volksgesetzgebung in die Kantonalverfassung.

Einzelnachweise

  1. Angela Graf: Johann Heinrich Wilhelm Dietz. Verleger der Sozialdemokraten. Biographische Annäherung an ein politisches Leben. 1996 (Digitalisat)
  2. Angela Graf: Johann Heinrich Wilhelm Dietz. Verleger der Sozialdemokraten. Biographische Annäherung an ein politisches Leben. 1996 (Digitalisat)
  3. Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte. BWV Verlag, 2004, ISBN 3830512104, S. 35 (Digitalisat)
  4. Klaus von Beyme: Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien. VS Verlag, 2002, ISBN 3531138758, S. 793 (Digitalisat)

Schriften

  • Über die Organisation der Staatsindustrie. Köln 1848
  • Die direkte Gesetzgebung durch das Volk. Paris 1850
  • Social-demokratische Abhandlungen. Köln 1869ff.

Literatur

  • Günter Bergmann: Das Sozialistengesetz im rechtsrheinischen Industriegebiet. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung zwischen Staat und Sozialdemokratie in Wuppertal und im Bergischen Land 1878–1890 (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung, Band 77), Hannover 1970, S. 50 ff.
  • Ulrike Fäuster: Moritz Rittinghausen (1814–1890). Politik für Köln und Solingen. In: Ralf Rogge und Horst Sassin (Hrsg.): Die Heimat, Beiträge zur Geschichte Solingens und des Bergischen Landes. Neue Folge. Heft 25, 2009/2010, S. 53–69.
  • Rolf Schaberg: Rittinghausen, ein Demokrat reinster Prägung. In: Die Heimat, Beilage zum Solinger Tageblatt, Mitteilungsblatt des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Solingen. Jahrgang 24, Nr. 8, August 1958, S. 29–30

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