Moskauer Schauprozesse

Moskauer Schauprozesse

Als Moskauer Prozesse werden vier Moskauer Gerichtsverhandlungen in den Jahren 1936 bis 1938 bezeichnet, in denen im Rahmen der „Großen Säuberung“ unter Josef Stalin in der Sowjetunion hohe Partei- und Staatsfunktionäre wegen angeblicher terroristischer staatsfeindlicher Aktivitäten angeklagt wurden. Drei Prozesse waren öffentliche Verhandlungen, einer ein nichtöffentlicher Militärgerichtsprozess. In diesen Prozessen wurde eine politische Opposition von Kommunisten innerhalb der Kommunistischen Partei der Sowjetunion mit Hilfe des Strafrechts ausgeschaltet und praktisch die gesamte Führung der Oktoberrevolution vernichtet.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Der eigentliche Hauptbeschuldigte war Leo Trotzki, der ehemalige Vorsitzende des Revolutionären Militärkomitees des Petrograder Sowjets, der die Machtübernahme der Sowjets am 7. November 1917 organisiert hatte. Er war im russischen Bürgerkrieg von 1918 bis 1923 Oberkommandierender der Roten Armee gewesen und 1929 ins Exil gezwungen worden. Seitdem lebte er außerhalb der Sowjetunion und war dem direkten Zugriff der Moskauer Machthaber entzogen.

Über die genauen Hintergründe dieser Prozesse bestehen in der historischen Forschung verschiedene Ansichten. Unter anderem wird persönliche Machtsicherung ebenso für möglich gehalten wie eine Paranoia Stalins.

Ablauf

Chefankläger von 1936 bis 1938 war der Generalstaatsanwalt der Sowjetunion Andrei Januarjewitsch Wyschinski, der Nikolai Wassiljewitsch Krylenko abgelöst hatte. In den Prozessen wurde jeweils behauptet, die Angeklagten hätten in einer verschwörerischen Verbindung mit Trotzki und Agenten des kapitalistischen Auslands zum Zwecke der Unterminierung der Sowjetmacht (§ 58) gestanden. Wer diese angeblichen Auftraggeber waren, richtete sich nach den jeweils vorherrschenden außenpolitischen Bündniswünschen der Kreml-Führung: Mal wurden sie mehr in Berlin, mal mehr in London angesiedelt.

Anlass der Prozesse war die Ermordung des Leningrader Parteisekretärs Sergei Mironowitsch Kirow 1934, hinter der angeblich Trotzki und seine vermeintlichen Handlanger im Politbüro der KPdSU steckten. Als „Beweise“ hierfür dienten vorher vom NKWD erfolterte Geständnisse der Angeklagten; materielle Beweise wurden nicht vorgelegt. Mehrere konkrete Aussagen der Angeklagten waren leicht zu widerlegen. Der im ersten Prozess angeklagte Golzmann wollte sich z. B. mit Trotzki bei dessen Besuch in Kopenhagen im Jahre 1932 getroffen haben, nach einem vorangehenden Treffen mit Trotzkis Sohn Leo Sedow im Hotel Bristol. Das Hotel war jedoch im Jahr 1917 abgerissen worden. Sedow, der damals in Berlin wohnte, hatte zudem wegen Visumproblemen überhaupt nicht nach Kopenhagen fahren können. Ein weiterer Angeklagter, Olberg, sagte aus, dass Sedows geplante Reise in letzter Minute abgesagt worden sei. Diese eklatanten Widersprüche zwischen Golzmanns und Olbergs Aussagen erregten jedoch weder die Aufmerksamkeit des Staatsanwaltes, noch anderer Prozessbeteiligter oder der gefügigen sowjetischen Presse.

Der damalige stellvertretende Volkskommissar Juri Leonidowitsch Pjatakow, angeklagt im zweiten Prozess, soll nach eigener Aussage im Dezember 1935 mit einem „Sonderflugzeug“ von Berlin nach Oslo geflogen sein, um sich dort mit Trotzki zu treffen. Abgesehen von der äußerst dürren und unwahrscheinlichen Schilderung der Reise konnten die norwegischen Behörden schnell feststellen, dass im Dezember 1935 kein einziges ausländisches Flugzeug in Oslo gelandet war.

Angebliche Tatsachen hielten der Konfrontation mit der Wirklichkeit nicht stand.

Im einzelnen wurden folgende Prozesse geführt:

Gegen 50 von den insgesamt 66 Angeklagten wurde die Todesstrafe verhängt. Die übrigen 16 wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Gegenprozess

Trotzki organisierte 1937 einen Gegenprozess. Die Dewey Commission unter Vorsitz von John Dewey konnte die wenigen vorgelegten materiellen 'Beweise' durchgängig widerlegen.

Wirkung nach außen

Die Moskauer Prozesse können als einer der ersten größeren Krise des Sowjetsystems mit Außenwirkung auf den Unterstützerkreis an vornehmlich intellektuellen Sympathisanten im westlichen Ausland angesehen werden. Angesichts der unmittelbaren Bedrohung durch den Nationalsozialismus in Mitteleuropa war dieser Effekt allerdings weniger bedeutsam als etwa jener des Ungarnaufstandes 1956 oder der Intervention des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei 1968. Führende kommunistische Intellektuelle wie Louis Aragon, Ernst Bloch, Lion Feuchtwanger, Ernst Fischer rechtfertigten sie sogar, in Unkenntnis der tatsächlichen Vorgänge.

Prozessberichte

Wörtliche Übersetzungen der stenographischen Berichte, herausgegeben vom Kommissariat für Justizwesen der UdSSR:

Siehe auch

Literatur

  • John Dewey u. a.: The Case of Leon Trotsky. Report of Hearings on the charges made against him in the Moscow Trials. New York 1937
  • Wladislaw Hedeler & Steffen Dietzsch: Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938. Planung, Inszenierung und Wirkung. Akademie-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-05-003869-1
  • Peter Huber & Hans Schafranek: Stalinistische Provokationen gegen Kritiker der Moskauer Schauprozesse. In: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Von der Utopie zum Terror. Stalinismus-Analysen. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1994, ISBN 3-85115-187-9, S. 97–134
  • Simon Sebag Montefiore: Stalin. Am Hof des roten Zaren. S. Fischer, Frankfurt 2005, ISBN 3-10-050607-3
  • Wadim S. Rogowin: 1937, Jahr des Terrors. Arbeiterpresse-Verlag, Essen 1998, ISBN 3-88634-071-6
  • Hans Schafranek: Das kurze Leben des Kurt Landau. Ein österreichischer Kommunist als Opfer der stalinistischen Geheimpolizei. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1988, ISBN 3-900351-90-2, S. 374–427.
  • Hans Schafranek: Zwischen Blocklogik und Antistalinismus. Die Ambivalenz sozialdemokratischer Kritik an den Moskauer Schauprozessen. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien 1994, S. 38–65
  • Schauprozesse unter Stalin 1932–1952. Zustandekommen, Hintergründe, Opfer. Mit einem Vorwort von Horst Schützler. Dietz, Berlin 1990, ISBN 3-320-01600-8
  • Leo Sedow: Rotbuch über den Moskauer Prozeß. Dokumente. Editions de Lee, Antwerpen 1936; Reprint: isp-Verlag, Frankfurt 1988, ISBN 3-88332-142-7 (engl. Version: The Red Book. On the Moscow Trials)
  • Victor Serge: Die sechzehn Erschossenen. Zu den Moskauer Prozessen. 1936. In: Unbekannte Aufsätze. Band 2. Verlag Association, Hamburg 1977, ISBN 3-88032-067-5
  • Leo Trotzki: Stalins Verbrechen. Jean-Christophe-Verlag, Zürich 1937; Dietz, Berlin 1990, ISBN 3-320-01552-4
  • Hermann Weber & Ulrich Mählert: Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936-1953. Schöningh, Paderborn [u.a.] ISBN 3-506-75335-5; erweiterte Sonderausgabe 2001, ISBN 3-506-75336-3
  • Dimitri Wolkogonow: Stalin. Triumph und Tragödie. Ein politisches Porträt. Claassen, Düsseldorf 1989, ISBN 3-546-49847-X; ECON-Verlag, Düsseldorf [u.a.] 1992, ISBN 3-430-19827-5

Belletristische Bearbeitung

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