- Neun Erzählungen
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Jerome D. Salingers Kurzgeschichtensammlung Neun Erzählungen (Nine Stories) erschien 1953 bei Little, Brown and Company, auf Deutsch 1966, übersetzt von Elisabeth Schnack (1, 2, 5, 6, 7, 9) und Annemarie und Heinrich Böll (3, 4, 8).
Der Band kennzeichnet die mittlere Schaffensperiode Salingers zwischen dem Welterfolg Der Fänger im Roggen (1951) und dem unbekannteren Franny und Zooey (1961). Die meisten Geschichten wurden jedoch schon vor dem Fänger einzeln in Zeitschriften veröffentlicht. Der Hintergrund fast aller Geschichten ist die Welt der oberen Mittelklasse New Yorks und der New England Staaten während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit scharf umrissenen Momentaufnahmen gestattet Salinger Blicke unter die Oberfläche des American Way of Life und konstatiert bei seinen Figuren eine tiefgreifende Verunsicherung, die nicht zuletzt einer ausgeprägten Feinfühligkeit gegenüber Alltagsphänomenen geschuldet ist.
Die Geschichten
- Ein herrlicher Tag für Bananenfisch (A Perfect Day for Bananafish)
- Onkel Wackelpeter in Connecticut (Uncle Wiggily in Connecticut)
- Kurz vor dem Krieg gegen die Eskimos (Just Before the War with the Eskimos)
- Der Lachende Mann (The Laughing Man)
- Unten beim Boot (Down at the Dinghy)
- Für Esmé mit Liebe und Unrat (For Esmé - with Love and Squalor)
- Hübscher Mund, grün meine Augen (Pretty Mouth and Green My Eyes)
- Die blaue Periode des Herrn de Daumier-Smith (De Daumier-Smith's Blue Period)
- Teddy (Teddy)
Inhaltsangaben und Einordnung in Salingers Werk
- Ein herrlicher Tag für Bananenfisch (A Perfect Day for Bananafish)
Die Geschichte besteht aus zwei Szenen: Eine junge Frau telefoniert während ihrer Flitterwochen aus einem Hotel mit ihrer Mutter. Sie ist bemüht, die Bedenken zu zerstreuen, die ihre Mutter gegen den Ehemann hegt, der offenbar psychisch leicht angeschlagen ist. - Währenddessen unterhält sich der frischgebackene Ehemann, Seymour Glass, am Strand mit einem kleinen Mädchen, bis er sich entschließt, ins Hotel zurückzukehren. Er trifft seine Frau schlafend an und erschießt sich.
Die Geschichte variiert ein - wenn nicht das - Hauptthema von Salinger: Kindliche Unschuld scheitert an der Welt. Das naiv charmante kleine Mädchen am Strand wird zwangsläufig ebenso heuchlerisch werden wie die erwachsene Frau im Hotel und ebenso bigott und egozentrisch wie die Schwiegermutter am anderen Ende des Telefons. Setzt man die anderen Seymour-Glass-Erzählungen Salingers voraus, ist "Ein herrlicher Tag für Bananenfisch" der Schlusspunkt eines Scheiterns; gescheitert ist Seymours Versuch, die Unschuld, das Staunen und die Ehrlichkeit seiner Kindheit in sein Erwachsenenleben hinüberzuretten.
- Onkel Wackelpeter in Connecticut (Uncle Wiggily in Connecticut)
Mary Jane besucht Eloise, ihre Freundin aus früheren College-Zeiten. Ihr vertrautes Gespräch gerät zu einem bilanzierenden Vergleich zwischen den Hoffnungen der Jugend und der Realität des Erwachsenenlebens. Ankerpunkt in der Vergangenheit ist Eloises große Liebe Walt Glass, der jung gestorben ist und daher aus der Perspektive der beiden desillusionierten Frauen zum Symbol unerfüllter Hoffnungen wird. Das Motiv der Konkurrenz von Illusion und Realität wiederholt sich in der Figur von Eloises kleinen Tochter Ramona, die mit einem eingebildeten Freund spielt, spricht und ihr Bett teilt. Im Unterschied dazu hat Eloises Hausangestellte Grace einen sehr realen Ehemann, dem Eloise auf missgünstige Weise verbietet, in Graces Zimmer zu übernachten.
Hier haben wir auch ein/das zentrale Motiv Salingers Geschichten. Es geht um die obere Mittelklasse, die trotz finanzieller Unabhängigkeit und positiven äußerlicheren Anscheins ganz klar ihre Probleme hat, die sich jedoch nur bei genauen Betrachtens der Szene, beziehungsweise "herausfiltern" entscheidender Nebensätze/Dialoge offenbaren. Die reiche, vermutlich gutaussehende Frau trifft eine alte College Freundin, beide haben ihr Studium nicht vollendet, (beide), vor allem Eloise ist mit ihrem Mann unglücklich, beide betrinken sich stark. Das Entscheidende sind aber wohl vor allem die Auswirkungen dessen: Die Tochter "erfindet" sich einen Freund und schläft schlecht, das Hausmädchen wird bei einer einfachen Bitte schroff zurückgewiesen. Salinger gelingt es durch lange Dialoge und die übertrieben scheinenden szenischen Beobachtungen, ein Bild zu entwerfen, das Probleme, vielleicht sogar Lösungen offenbart, wenn man es versteht, diese Beobachtungen zu deuten.
- Kurz vor dem Krieg gegen die Eskimos (Just Before the War with the Eskimos)
Nach einem Tennismatch kommt Ginny ihre Schulfreundin Selena besuchen, um ihr Anrecht auf Geld geltend zu machen, da sie immer das Taxi bezahlt. Diese lässt sie warten, während Ginny Selenas Bruder Franklin kennenlernt, der sich blasiert und angeberisch verhält. Sie unterhält sich mit ihm, fordert dann, als Selena wiederkommt, das Geld doch nicht ein und macht sich auf den Nachhauseweg.
Interessant ist die deutsche Übersetzung von Heinrich Böll dahingehend, dass sich die zwei jungen Erwachsenen siezen, was befremdlich wirkt. Das englische "you" kann man sich in diesem Fall wohl passender als "Du" denken.
- Der Lachende Mann (The Laughing Man)
Ein junger New Yorker Student macht mit einer Gruppe Jungs (Comanchenclub) verschiedene Unternehmungen in ihrer Freizeit (Sport, Museum, usw.). Auf dem Nachhauseweg erzählt er ihnen eine Fortsetzungs-Fantasie-Geschichte (Der Lachende Mann) und erfindet immer neue Episoden. Die Jungs lauschen begierig, immer gespannt, wie es weitergeht. Sogar das Privatleben des Chiefs scheint die Geschichte zu beeinflussen, die schließlich tragisch endet.
In keiner anderen Erzählung Salingers ist die Liebe zu seinen Jugendtagen so spürbar wie hier. Anscheinend war diese Zeit für Salinger die schönste und unwiederbringlich. Man kann sich sehr gut in diese Stimmung hineinversetzen.
- Unten beim Boot (Down at the Dinghy)
Down at the Dinghy wurde ursprünglich im Harpers im April 1949 veröffentlicht. Darin lernen wir die erste Tochter der Glass Familie, Beatrice "Boo Boo" Glass Tannenbaum, kennen. Die Geschichte beginnt mit einer Unterhaltung der zwei Hausmädchen Mrs. Snell und Sandra, die über das Verhalten von Boo Boos Sohn Lionel diskutieren. Der Leser erfährt, dass er gerne wegläuft. Boo Boo unterhält sich mit den beiden und geht dann zum Pier hinunter. Sie findet Lionel in einem Boot, bereit wegzufahren und sie gibt vor, ein Admiral zu sein, um Lionels Gründe für das Weglaufen herauszufinden. Nach einer Zeit nennt er ihr den Grund, sie tröstet ihn und sie rennen zum Haus zurück. "Lionel wurde Sieger". Eine wunderschöne Geschichte über Kommunikation und Einfühlsamkeit.
- Für Esmé mit Liebe und Unrat (For Esmé - with Love and Squalor)
England, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges: Ein amerikanischer Soldat besucht an einem verregneten Tag die Chorprobe eines Jugend- bzw. Kinderchores. Zufällig trifft er danach auf ein Mädchen (Esmé), das ihm gesanglich besonders auffiel und unterhält sich mit ihr und ihrem jüngeren Bruder. Er erfährt vom Tod ihres Vaters, den sie liebte und freundet sich mit ihr auf einer sehr intellektuellen Ebene an. Er ist Schriftsteller und verspricht ihr, ihr eine Geschichte zu widmen. Im Gegenzug will sie ihm schreiben. - Im zweiten Teil der Geschichte lernen wir zwei nach Kriegsende in Deutschland stationierte Soldaten kennen, von denen einer psychisch schwer angeschlagen ist. Er findet ein Päckchen in seiner Post, das einen Brief und eine Uhr enthält; ein Geschenk des Mädchens.
- Hübscher Mund, grün meine Augen (Pretty Mouth and Green My Eyes)
Es wird ein Telefonat zweier befreundeter Anwälte geschildert. Arthur ist aufgewühlt, da seine Frau noch nicht zu Hause ist. Pikanterweise befindet sie sich, so wird es wenigstens angedeutet, gerade bei Lee, dem anderen Anwalt. Lee rät Arthur, sich zu beruhigen, Joanie werde bestimmt bald eintrudeln. Das Gespräch endet, doch gleich darauf ruft Arthur nochmals an und behauptet, Joan (die immer noch bei Lee ist) sei gerade heimgekommen.
- Die blaue Periode des Herrn de Daumier-Smith (De Daumier-Smith's Blue Period)
Der Erzähler, ein junger Maler, entscheidet sich, sich bei einer Kunst-Akademie unter japanischer Leitung in Montreal, Kanada zu bewerben. Prompt angenommen reist er dorthin und begibt sich forthin in die Obhut eines japanischen Ehepaars. Anfangs nur als Übersetzer eingesetzt, was ihn verletzt, bekommt er schließlich Schüler zugewiesen, deren gesendete Arbeiten er korrigieren soll. Besonders eingenommen ist er von einem Bildnis einer jungen Nonne, deren Werk er seinem Vorgesetzten verschweigt. Die Geschichte endet mit dem Hinweis, dass die Akademie nach einigen Wochen wieder schloss, da offenbar keine Lizenz vorlag. Der Erzähler zieht wieder zu seinem Stiefvater nach Rhode Island, um sein Studium an der Kunsthochschule fortzusetzen.
- Teddy (Teddy)
In der letzten Geschichte des Zyklus kommt Salingers Interesse für buddhistische Denkweisen zum Tragen. Ein zehnjähriger Junge (Teddy McArdle) wird auf einer Kreuzfahrt von einem jungen Mann (Bob Nicholson) angesprochen. Der hochbegabte Junge ist durch Vorträge an verschiedenen Universitäten bekannt. Im Laufe des Gesprächs werden Bobs Sichtweisen immer wieder in Frage gestellt. Teddy ist zum Beispiel der Überzeugung, dass man sich von der Logik frei machen müsste und meditieren, wenn "wir" die "Dinge so sehen wollen, wie sie wirklich sind". Bob würde gern noch mehr erfahren, doch Teddy muss zu einer Schwimmstunde, die nicht ohne Folgen bleibt...
Literatur
- Jerome D. Salinger: Neun Erzählungen, übertr. v. Elisabeth Schnack u. Annemarie u. Heinrich Böll. 1.-6. Tsd. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1966; als TB im Rowohlt Taschenbuch, Reinbek, 27. Auflage 2005, ISBN 978-3-499-11069-6
Kategorien:- Literarisches Werk
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