- OTRAG-Rakete
-
Die OTRAG (Orbital Transport- und Raketen Aktiengesellschaft) war eine deutsche Firma, die in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren plante, ein alternatives Antriebssystem für Raketen zu entwickeln. Die OTRAG und der gleichnamige Flugkörper (OTRAG-Rakete) gehören somit zu den Ursprüngen der nichtstaatlichen Raumfahrt.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die OTRAG-Rakete sollte eine preiswerte Alternative zu den seinerzeit noch im Planungs- bzw. Entwicklungsstadium befindlichen Systemen der „Europa-Rakete” Ariane und des US-amerikanischen Space Shuttle darstellen. Unter der Leitung des süddeutschen Diplomingenieurs für Luft- und Raumfahrt Lutz Thilo Kayser entwickelte daher ein privates Betreiber-Konsortium von privaten Gesellschaftern (Orbital Transport und Raketen AG, Stille Gesellschaft) die OTRAG-Rakete. Die OTRAG wurde von zahlreichen Stillen Gesellschaftern (Im Jahre 1978 waren es 1.150) zur Aktiengesellschaft finanziert. Hierbei wurde ein Konzept aufgegriffen, das angeblich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von Wernher von Braun im so genannten „Raketenzentrum” Peenemünde entwickelt worden war, nachdem die Alliierten die deutschen Treibstofflager und Raffinerien weitgehend vernichtet hatten: Es sollte ein Flugkörper gebaut werden, der mit möglichst einfachen Mitteln eine möglichst hohe Schubkraft erreicht. Technische Teile des Konzeptes, z. B. die radiale Einspritzmethode für Raketenbrennkammern wurden von Diplomingenieur Wolfgang Pilz nach Frankreich gebracht und dort in den Raketen Véronique und Ariane weiterentwickelt.
Technik
Die OTRAG bestand, im Gegensatz zu den bekannten mehrstufigen Raketen, aus ineinandergeschachtelten Antriebsrohren, an deren Spitze die Trägerkapsel saß, die Lasten bis zu zwei (später geplant: zehn) Tonnen (das Gewicht eines damals üblichen Fernmeldesatelliten) in einen geostationären Orbit hätte befördern können.
Zusammengebaut wurde die Rakete aus einzelnen Rohren, die jeweils drei Meter lang und 27 Zentimeter Durchmesser hatten. Jeweils acht dieser Rohre wurden übereinandermontiert, wobei sie durch Bajonettverschlüsse ineinanderrasteten. Die Versuchsraketen bestanden aus zwei und vier Tanks. Die Tanks waren hier sechs beziehungsweise zwölf Meter lang. Die Trägerrakete sollte aus 24 Meter langen Tanks bestehen. An jedem Tank war ein Triebwerk montiert, das ebenfalls 27 cm Durchmesser hatte, jedoch einen Meter lang war. Die Treibstoffe waren Kerosin und Salpetersäure. Sie wurden im Volumenverhältnis 1:3 eingesetzt, das heißt, ein Tankrohr war zu 66% mit Kerosin gefüllt und die drei darüberliegenden mit Salpetersäure. Die Zündung selber erfolgte durch einen chemischen Katalysator; (Furfurylalkohol) der Austritt des Treibstoffes wurde nicht durch Pumpen bewirkt, wie bei größeren Raketen üblich, sondern durch elektronisch gesteuerte Kugelventile, welche die unter Überdruck stehenden Treibstofftanks computergesteuert öffnen und schließen konnten. Der Überdruck in den Tanks nahm dabei von 40 bar bei der Zündung auf 15 bar zum Brennschluss ab (adiabate Druckförderung). Als Hitzeschutz diente eine Beschichtung aus Phenolharz und Kohlenstofffasern im Inneren der Raketenbrennkammern, die sich durch den Abbrand zwar verbrauchte, aber die Flugzeit pro Stufe von 130 Sekunden überstehen konnte (Ablativer Hitzeschild). Das Triebwerk selbst bestand aus einer einfachen zylindrischen Brennkammer mit einer radialen Treibstoffeinspritzung. Als Düsenverengung dient ein Graphitring, dessen Öffnung den Startschub regulierte. Er war in einem weiten Bereich von 5 bis 50 kN wählbar. Der größte Teil des Triebwerkes entfiel auf die Brennkammer (60 cm), so dass die Verbrennungsgase das Triebwerk mit hohem Druck verließen. Bei einem Betrieb im Vakuum (Oberstufen) kann man so nur einen Teil der Energie ausnützen.
Bedingt durch die kurze Düse und den Treibstoff mit niedrigem Energiegehalt ist der spezifische Impuls dieses Moduls sehr niedrig. Die Angaben verschiedener OTRAG-Mitarbeiter differieren hier zwischen einem Wert von 2648 Ns/kg und 1800 Ns/kg bei 1 bar Außendruck.
Ein 24 m langes Modul mit einem einen Meter langen Triebwerk wog 1508 kg, wovon 1130 kg auf den Oxidator Salpetersäure und 220 kg auf den Verbrennungsträger Kerosin entfielen. Die Leermasse betrug 153 kg, davon entfielen 65 kg auf das Triebwerk und 88 kg auf die Tanks. Dieses Common Rocket Propulsion Unit (CRPU) — zu deutsch „Einheitliches Raketentriebwerksmodul” — sollte die Basis für den Zusammenbau extrem kostengünstiger mittlerer und schwerer Trägerraketen für alle kommerziellen und wissenschaftlichen Raumfahrtnutzlasten sein.
Schon in den 80er Jahren gab es starke Kritik an dem Konzept. Eine von der DFVLR (damalige deutsche Agentur für Luft und Raumfahrt) in Auftrag gegebene Studie kam 1975 zu dem Schluss, dass dieses Konzept nicht wirtschaftlich sei. Prof. Harry Ruppe errechnete mit den OTRAG-Angaben zu den Modulen eine wesentlich geringere Nutzlast, als von der OTRAG angegeben wurde (3,6 anstatt 10 t). Lutz Kayser nahm eine beträchtliche Leistungssteigerung durch einen Düseneffekt mit vielen Modulen an, der von der Fachwelt als reine Spekulation abgetan wurde. Ohne diesen Effekt war der spezifische Impuls sehr gering und dadurch auch die Nutzlast sehr bescheiden.
Die Kontroverse
Über das OTRAG-Projekt ist nur wenig bekannt. Eine startfähige Rakete, die aus bis zu 1024 Treibstoffrohr-Modulen bestehen sollte, wurde jedoch niemals hergestellt. Erste Teststarts mit einzelnen Antriebselementen fanden in Zaire und Libyen statt. In insgesamt 16 suborbitalen Flugversuchen wurden diese Antriebseinheiten erfolgreich flugqualifiziert.
Im Jahre 1976 pachtete die OTRAG das 100.000 km² große Gelände Shaba North in Zaire. Von dort aus fanden drei Starts statt, der erste am 17. Mai 1977. Der dritte Start, bei dem auch der Diktator Mobutu anwesend war, scheiterte. Durch politischen Druck der Sowjetunion und Deutschlands wurde der Pachtvertrag im April 1979 gekündigt, und die OTRAG musste Zaire verlassen.
Am 1. März 1981 startete die bundesdeutsche OTRAG Orbital Transport und Raketen AG einen nächsten Raketentest auf dem Versuchsgelände in der wegen seiner niedriger Einwohnerdichte gut geeigneten Sahara nahe Sebha in Libyen. Danach gab es keine öffentlichen Berichte mehr über die Starts. Ein Teil der Mitarbeiter wurde von libyschen Militärs weiterbeschäftigt, um bis 1987 für Libyen Raketen zu entwickeln. Lutz Kayser verweigerte, nach eigenen Aussagen, die Zusammenarbeit mit dem Militär und musste die OTRAG verlassen. Sein Nachfolger Frank Wukasch versuchte das angespannte Verhältnis zur deutschen Regierung durch den Start von Höhenforschungsraketen zu verbessern. Am 19. September 1983 erfolgte ein Start für die DLR vom Startplatz Esrange in Schweden. Danach waren die Gelder aufgebraucht, und die Firma wurde 1986 von den Stillen Gesellschaftern liquidiert. Lutz Kayser arbeitete nach der „Enteignung” noch über zehn Jahre in Libyen und entwickelte dort Aufwindkraftwerke.
Presseberichten aus den frühen 80er Jahren zufolge stand das Projekt im Widerspruch zu den US-amerikanischen und europäischen Plänen für ein Orbitaltransportsystem auf der Basis mehrstufiger Raketen. Andere Berichte behaupten jedoch, dass ein internationales Misstrauen gegenüber einer möglichen atomaren Wiederbewaffnung Deutschlands (damals noch nicht wiedervereinigt und souverän) herrschte, und die Anrainerstaaten Libyens aus diesem Grund Widerspruch einlegten. Der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher soll das Projekt schließlich auf Druck Frankreichs gestoppt haben, um der von Deutschland co-finanzierten „Europa-Rakete” Ariane nicht unnötig Konkurrenz zu machen, und um politische Verwicklungen zu vermeiden.
Das Bundesfinanzgericht sprach der OTRAG die Gewinnerzielungsabsicht ab, und das Unternehmen musste nach Aufbrauchen der Gelder aufgelöst werden. Erfindungen und Know-how des Gründers Lutz Kayser gingen, nach eigenen Aussagen, vertragsgemäß an ihn zurück. Nach Aussagen seines Vize Frank Wukasch ist es immer noch geistiges Eigentum der Gesellschafter der OTRAG.
Literatur
- P.M. — Peter Moosleitners interessantes Magazin, Ausgabe 7/1981, S. 12–18. Eine der wenigen aufschlussreichen Quellen findet sich dort als Bericht. Das Heft ist nur noch antiquarisch erhältlich.
- Martin Baer: „Raketen für Afrika“ In: DZ Nr. 32/2008, S. 78
Weblinks
Wikimedia Foundation.