Panslawismus

Panslawismus
Staaten Europas mit einer slawischen „Nationalsprache“ (Süd-, West- oder Ostslawisch)

Der Panslawismus (allslawische Bewegung) ist eine Form der Pan-Bewegungen. Er entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts als romantischer Nationalismus. Sein Ziel war die kulturelle, religiöse und politische Einheit aller slawischen Völker Europas.

Aus der panslawistischen Bewegung gingen im 20. Jahrhundert die Staaten Tschechoslowakei und Jugoslawien hervor. Seit dem Zerfall dieser Staaten gilt der Panslawismus als politisch gescheitert.

Inhaltsverzeichnis

Ziele

Der Panslawismus entsprang den Ideen des Nationalismus und der Romantik, wobei letztere im Gegensatz zur Aufklärung und zum Rationalismus die politische Einheit und Souveränität mit der kulturellen Homogenität gleichsetzte.

Die Ziele der Panslawisten reichten vom kulturellen Austausch zwischen den slawischen Völkern über einen losen Staatenbund bis zur Errichtung eines homogenen slawischen Staates. Die Frage nach den Grenzen eines slawischen Reiches mit oder ohne Russland wurde heftig diskutiert, was an ähnliche Bemühungen für ein Groß- oder Kleindeutsches Reich erinnert. Auch die Führungsrolle Preußens im Deutschen Reich ab 1871 findet eine gewisse Entsprechung im russischen Führungsanspruch über alle slawischen Völker oder auch jenem Serbiens über die Slawen auf dem Balkan.

Geschichte

Ursprünge & literarischer Panslawismus

Bereits im 17. Jahrhundert schrieb der kroatische Russland-reisende Juraj Križanić eine Reihe politischer, theologischer, linguistischer und geschichtlicher Werke, in denen er zu einer Vereinigung aller Slawen unter russischer Führung aufrief. Dabei ging er von einem gegenreformatorischem Standpunkt aus, der eine Union der Kirche forderte und moslemische Osmanen, Griechisch-orthodoxe Kirche und protestantische Deutsche verurteilte. Er war jedoch ein Einzelgänger und ihm folgte keine Bewegung.

Der Begriff „Panslawismus“ wurde 1826 zum ersten Mal benutzt[1], als der Slowake Jan Herkel eine gemeinsame slawische Sprache forderte, in der eine allen Slawen verständliche Literatur, „sive verus panslavismus“, geschrieben werden könnte. Bei dieser ersten Phase handelte es sich um eine vornehmlich literarische Idee, die noch nicht mit politischen Forderungen einher ging.

Politische Bewegung

Flagge mit den panslawischen Farben, verkündet auf dem Slawenkongress 1848

Die politische Bewegung entstand im habsburgischen Vielvölkerstaat Österreich (ab 1867 Österreich-Ungarn) und im Osmanischen Reich, wo Millionen Slawen lebten. Die Vorbilder der Panslawisten waren die deutschen Nationalisten, deren Begriff von Volk übernommen wurde. Bereits Herder schrieb den Slawen einen einheitlichen Charakter zu.[2] Der slowakische Dichter Jan Kollár und andere erkannten hingegen die Unterschiedlichkeit der slawischen Völker und entwickelten daraus die Forderung nach einer kulturellen Einheit.

In Polen entwickelte sich der „Messianismus“, nach welchem die polnische Nation den Märtyrertod für die Ideale der Französischen Revolution gestorben sei. Das Slawentum verkörpere sich in dieser Sicht in Polen allein. Diese Ansicht wurde wesentlich von Adam Mickiewicz vertreten. Ein Einbezug Russlands wurde mit zunehmenden antirussischen Tendenzen nach dem Novemberaufstand aufgegeben.

1848 wurde ein Slawenkongress in Prag abgehalten, auf dem das Konzept des Austroslawismus in Erscheinung trat. In der Folge kam es während der Märzrevolution zum Prager Pfingstaufstand gegen die österreichische Vorherrschaft in Böhmen. Der Aufstand wurde jedoch bald von den österreichischen Truppen niedergeschlagen. Auf dem Kongress gab sich die Bewegung eine Fahne, die als panslawische Farben in den meisten Fahnen späterer slawischer Nationen auflebte, und wählte eine Hymne, „Hej Sloveni“ von Samuel Tomášik, die spätere Nationalhymne Jugoslawiens. Beobachter beurteilten den Prager Kongress als zugleich antiösterreichisch, antiosmanisch und antirussisch.

Russischer Panslawismus

Russland hielt sich ursprünglich aus der Bewegung heraus, weil es Besatzungsmacht in slawischen Staaten war, wie etwa in Polen, gleichzeitig war es ein Verbündeter der Habsburger. Einen wesentlichen Anteil an der Gründung der Bewegung hatten die Slawophilen, die sich jedoch ursprünglich nur auf Russland konzentrierten. Erst mit dem Verlust des Krimkriegs machte sich auch Russland die panslawistische Bewegung zu eigen, um seinen Einfluss in Mitteleuropa und auf dem Balkan zu stärken (Imperialismus). Russland wurde zum Machtzentrum eines zukünftigen allslawischen Reiches erhoben. Ausführlich konzipierte dies Nikolai Danilewski, indem er die Vorherrschaft des germanisch-romanischem Westeuropas für beendet erklärt. Russland unterstützte die Aufstände der slawischen Völker auf dem Balkan, was zur Balkankrise und schließlich zum Russisch-Türkischen Krieg von 1877–1878 führte. In Serbien fand Russland einen willigen Verbündeten für seine Pläne.

Im Zuge einer verstärkten Entwicklung hin zum Panrussismus, also der Überlegenheit der russischen Slawen und damit verbundenen Russifizierungskampagnen, setzte sich eine Unterdrückungspolitik gegen polnische Slawen durch. Dieser Vorherrschaftsanspruch führte zusammen mit (aus dem Panslawismus beeinflussten) einzelnationalen Bewegungen (Illyrische Bewegung in Kroatien) zur zunehmenden Spaltung der Bewegung.

Während des Ersten Weltkrieges nutzte Russland den Panslawismus erfolgreich, um slawische Soldaten in den deutschen und habsburgischen Reihen zum Überlaufen zu bewegen. Am Ende des Ersten Weltkrieges waren fast alle slawischen Völker unabhängig, dennoch kam es nicht zur beabsichtigten Gründung eines slawischen Großreiches. Zum einen erschwerte die Existenz nichtslawischer Minderheiten, etwa der Ungarn, Deutschen und Rumänen, eine Festlegung von Staatsgrenzen, andererseits verhinderten die nationalen Interessen von Polen, Tschechen und Serben die Einigung. Schließlich wandte sich auch Russland von der panslawistischen Idee ab, nicht zuletzt weil einige der Bolschewiki sie als rassistischen Nationalismus brandmarkten. Letztendlich mussten sich Panslawisten mit der Gründung der Tschechoslowakei und Jugoslawiens zufriedengeben.

Das Ende des Panslawismus

Als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges alle slawischen Nationen unter kommunistische Herrschaft gerieten, wurde dies in Polen und der Tschechoslowakei auch durch einen sowjetischen Panslawismus gerechtfertigt. Ab 1948 wurde der Rekurs auf den Panslawismus Stück für Stück beendet; an seine Stelle trat zunehmend die Ideologie der "sozialistischen Freundschaft der Völker", die jetzt auch nicht-slawische Nationen einschloß. Der Niedergang des Panslawismus relativierte die Existenzberechtigung der slawischen Vielvölkerstaaten Tschechoslowakei, Jugoslawien und Sowjetunion und verhinderte ihr „organisches Zusammenwachsen“. Er war, neben der gewaltsamen Unterdrückung von Minderheiten, ein wichtiger Faktor beim Zerfall dieser Staaten am Ende des 20. Jahrhunderts.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 kamen auch Bestrebungen zum Anschluss Moldawiens an Rumänien auf und stellen das Land bis heute im Konflikt mit den ostslawischen Minderheiten (siehe Transnistrienkonflikt) vor die Zerreißprobe. Dieser Konflikt ist somit zu einem großen Teil das Resultat des Aufeinandertreffens von Panslawismus und Panromanismus.

Heute gilt der Panslawismus als politisch gescheitert, aber kulturell erfolgreich: Wie in anderen romantischen nationalistischen Bewegungen hatten Gelehrte mit der Entwicklung von Geschichte, Philologie und Folklore zur Stärkung des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühles bleibende Werte geschaffen.

Einzelnachweise

  1. http://www2.uni-jena.de/philosophie/slawistik/kollar/01Schaum.pdf
  2. „Slawenkapitel“, Abschnitt IV. des 16. Buches aus "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit"

Literatur

  • Michael Boro Petrovich: The emergence of Russian Panslavism : 1856–1870. New York 1958 (Übersichtswerk zum frühen russischen Panslawismus).
  • Andreas Moritsch (Hrsg.): Der Prager Slavenkongress 1848. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2000, ISBN 3-205-99288-1 (historische Anfänge des organisierten Panslawismus, http://www.sehepunkte.de/2002/05/3235.html).

Weblinks


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