Philippe Petit

Philippe Petit
Philippe Petit bei der 81. Oscarverleihung im Jahr 2009

Philippe Petit (* 13. August 1949 in Nemours, Frankreich) ist ein französischer Hochseilartist, Taschenspieler, Pantomime und einer der frühesten Straßenjongleure. Petit erregte 1974 weltweite Aufmerksamkeit für seinen illegalen Drahtseilakt auf einem Hochseil zwischen den Türmen des World Trade Centers in New York City.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Petits Vater Edmond Petit war Autor und ein früherer Armeepilot. Philippe interessierte sich von einem sehr frühen Alter an für Magie. Ein starker rebellischer Zug führte dazu, dass er fünf verschiedene Schulen verlassen musste und im Alter von 15 Jahren von Zuhause fortlief. In den späten 1960er-Jahren hatte er sich selbst zum Drahtseilartisten ausgebildet. „Innerhalb eines Jahres“, erzählte er einem Reporter, „brachte ich mir selbst alle Dinge bei, die man auf einem Drahtseil machen konnte. Ich lernte den Rückwärtssalto, den Vorwärtssalto, das Einrad, das Zweirad, den Stuhl auf dem Draht, den Sprung durch Reifen. Aber ich dachte: Was ist daran so schwierig? Es sah fast hässlich aus. Daher gab ich diese Tricks auf und begann meine Kunst neu zu erfinden.“[1] Zirkusse und ihre genormten Vorstellungen missachtend, begann er in Paris als Straßenkünstler. In den frühen 1970er-Jahren jonglierte und arbeitete er zeitweise auf einem Schlappseil im Washington Square Park, New York City.

Vor seinem Drahtseillauf zwischen den Türmen des World Trade Centers war er bereits zwischen den Kirchtürmen von Notre Dame de Paris (1971) und den Brückentürmen der Sydney Harbour Bridge (1973) balanciert. Auch diese Aktionen waren unangekündigt und illegal.

Seit den 1980er-Jahren lebt Petit in den USA auf einem Hof nahe Woodstock unweit von New York City. Er arbeitet noch immer als Performance-Künstler und ist Artist in Residence in der New Yorker Gemeinde St. John the Divine.[2]

World Trade Center

Am 7. August 1974 balancierte er insgesamt acht Mal in einer Höhe von 417 Metern über dem Boden auf einem 1 Zoll starken Drahtseil von einem Dach des World Trade Centers zum anderen.

Die Aktion nahm sechs Jahre Vorbereitungszeit in Anspruch. Die Idee kam Petit, als er im Wartezimmer seines Zahnarztes einen Artikel über die New Yorker Zwillingstürme las, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in der ersten Bauphase befanden. Sechs Jahre lang sammelte er alle Informationen, die er über die Türme erhalten konnte. Unter dem Vorwand, Journalist zu sein, interviewte er den Bauleiter Guy F. Tozzoli. Am Abend des 6. August 1974 verschafften sich er und eine Gruppe Helfer Zugang zu den noch nicht fertiggestellten Gebäuden. Ihre Ausrüstung enthielt unter anderem eine Balancierstange, Schnüre, Werkzeug, ein 75 Meter langes Stahlseil sowie Pfeil und Bogen.

Um das schwere Stahlseil zwischen die Gebäude zu spannen, schoss ein Freund von Petit zunächst eine Angelschnur mittels Pfeil auf den gegenüberliegenden, 60 Meter entfernten Turm. Nach und nach wurden immer stärkere Schnüre und zuletzt das Stahlseil auf das andere Gebäudedach gezogen. Das Stahlseil sicherte die vierköpfige Gruppe anschließend noch mit zwei Hilfsseilen. Kurz nach 7 Uhr am Morgen des 7. August begann Petit seinen 45-minütigen Drahtseilakt. Tausende von Menschen im Finanzbezirk, viele davon auf dem Weg in ihre Büros, blieben stehen und verfolgten das außergewöhnliche Schauspiel, das sich fast einen halben Kilometer über ihren Köpfen abspielte.

Nach der Aktion wurde Philippe Petit festgenommen und vor Gericht gestellt. Aufgrund der ausführlichen Berichterstattung und der weltweiten Anerkennung seiner Leistung wurden sämtliche Anklagepunkte fallen gelassen. Die Port Authority of New York and New Jersey als Eigentümerin des World Trade Centers befragte Petit eingehend, wie es ihm gelungen sei, die Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen. Als Dank bekam er später eine Dauerkarte für die Aussichtsplattform des World Trade Centers überreicht.

Noch bevor die Zwillingstürme bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 zerstört wurden, schrieb er die Erinnerungen über seine Aktion nieder: To Reach the Clouds: My High Wire Walk Between the Twin Towers wurde 2002 veröffentlicht.

Nach dem World Trade Center

Am 12. Juni 1994 trat Petit in Deutschland auf und sorgte für einen Höhepunkt der 1200-Jahrfeier der Stadt Frankfurt am Main. Auf Initiative des Varietés Tigerpalast spannte Petit ein 300 Meter langes Seil zwischen Paulskirche und Dom und vollführte darauf einen dreißigminütigen Hochseillauf. In 60 bis 70 Metern Höhe stellte er wichtige Ereignisse aus der Frankfurter Geschichte dar. Die Vorführung wurde vom Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt des Hessischen Rundfunks begleitet.

Literarische Rezeption

Der irische Schriftsteller Colum McCann hat die Aktion Petits am 7. August 1974 in seinem New York-Roman Die große Welt[3] rezipiert, indem er sie in eine fiktive Handlung einbaut und als Kompositionsstruktur verwendet. Die Vorbereitungen [4] [5] werden in kleinen Kapiteln zusammengefasst. Den Balanceakt selbst beobachten und kommentieren verschiedene Protagonisten life [6], bzw. sie erfahren von ihm aus den Medien und deuten ihn aus der Bodenperspektive des sozialen Elends als Zeichen der Hoffnung. In der Anklageerhebung durch Richter Soderberg [7] kontrastiert der Autor das spektakuläre Publicityereignis (Freispruch des Seiltänzers) mit dem Routinefall der Prostituierten Tillie Henderson (acht Monate Haft wegen Diebstahl einer Brieftasche), passend zum Motto am Ende des Romans: „Die große Welt dreht sich. Wir stolpern dahin.“ [8]

Filmografie

  • „Man On Wire“ – der unglaubliche Drahtseilakt des Philippe Petit. Dokumentation, Deutschland 2009, 6,45 Min., Buch und Regie: Peter Gerhardt, Produktion: Hessischer Rundfunk, Erstsendung: 4. Januar 2009
  • Man on Wire. Dokumentarfilm, Großbritannien/USA 2008, 88 Min., Regie: James Marsh, Musik: Michael Nyman[9]
    Der Film erhielt 2009 den Oscar in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“. Der Regisseur James Marsh gewann 2008 zwei Preise beim Sundance Film Festival, den Audience Award und den Grand Jury Prize in der Kategorie „World Cinema - Documentary“. In der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ gewann der Film auch bei den Wahlen der Kritikervereinigungen aus Boston, New York, Los Angeles und Washington und des National Board of Review.
  • The Man Who Walked Between The Towers. Animationsfilm, USA 2005, 10 Min., Regie: Michael Sporn, Produktion: Michael Sporn Animation, Weston Woods Studio[10]
  • Historischer Hochseillauf von der Paulskirche zum Kaiserdom mit Philippe Petit. Produktion: Hessischer Rundfunk/Tigerpalast, Jünger, Offenbach 1994, ISBN 3-89467-254-4

Literatur

Belege

  1. Calvin Tomkins: „The Man Who Walks on Air“, New Yorker Magazine 1999, exzerpiert in Life Stories von by David Remnick, Modern Library 2001
  2. Thomas Wolff in Frankfurter Rundschau: „Anarchist auf dem Drahtseil“, 22. Januar 2009
  3. McCann, Colum: Die große Welt. Rowohlt, Reinbek 2009. Übersetzung von McCann, Colum: Let the Great World Spin. New York 2009.
  4. s. McCann, 2009. Lasst die große Welt sich drehen. S. 205ff.
  5. s. McCann, 2009. Die schwingende Spur des Wandels. S. 371ff.
  6. s. McCann, 2009. Miró, Miró an der Wand. S. 119ff.
  7. s. McCann, 2009. Ein Rädchen im Getriebe. S. 383ff.
  8. s. McCann, 2009. S. 536.
  9. Offizielle Internetseiten des Films Man on Wire
  10. a b Offizielle Internetseiten des Films The Man Who Walked Between The Towers

Weblinks


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