Pointilismus

Pointilismus
Signac: Das Frühstück

Unter Pointillismus versteht man einen charakteristischen Malstil, der in den Jahren zwischen 1889 und 1910 seine Blütezeit hatte. Bedeutende Künstler dieser Malrichtung sind Georges Seurat, Paul Signac, Henri Edmond Cross, der Belgier Théo van Rysselberghe und einige Jahre lang auch Camille Pissarro.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Anfang der 1880er Jahre beschäftigte sich der Maler Georges Seurat intensiv mit den damals neuen Erkenntnissen zur Farbenlehre. Er studierte die Arbeiten von James Clerk Maxwell, Ogden Nicholas Rood [1], Charles Henry und vor allem Eugène Chevreul zur Farbwahrnehmung und zur additiven Farbmischung. Aus diesen Erkenntnissen entwickelte er in den Jahren 1883 und 1884 eine neue Maltechnik.

Diese beruht auf dem Simultankontrast von benachbarten Farben. Das gesamte Bild besteht aus kleinen regelmäßigen Farbtupfern in reinen Farben. Der Gesamt-Farbeindruck einer Fläche ergibt sich erst im Auge des Betrachters und aus einer gewissen Entfernung. Durch optische Verschmelzung und additive Farbmischung formen sich die Farbpunkte zu Gestalten.

Damit verlässt der Maler den Weg der Impressionisten einer subjektiven äußeren Auffassung der Dinge, um das autonome Bild mit seiner Eigengesetzlichkeit zu finden[2]. Seurat selbst nannte diese Methode Chromo-Luminarismus. Durch die additive Farbmischung haben die Farben die Tendenz zu mehr Leuchtkraft, während beim Vermischen auf der Staffelei die Farben dunkler werden und Schmutzfarben fast unvermeidbar sind.

Typisch für diesen Stil ist weiterhin der streng geometrisch durchkomponierte, oft ornamental wirkende Bildaufbau. Im Gegensatz zum Impressionismus wird nicht mehr eine realistische Momentaufnahme angestrebt, sondern eine wohldurchdachte Komposition. Diesen Ansatz, von der Gesamtkomposition des Bildes über die geometrischen Beziehungen, den Bildaufbau, die Beziehungen von Licht und Gegenständen, hinunter zu den Einzelelementen zu gelangen, bezeichnete Seurat als Divisionismus.

Die Anfänge der neuen Kunstrichtung

Seurats erstes großes Bild, Badende bei Asnières, war nur andeutungsweise nach pointillistischer Manier gemalt, lässt jedoch im Hinblick auf die Bildkomposition und Auflösung in Bildpunkte schon die spätere Entwicklung anklingen. Es wurde für den Salon von 1884 abgelehnt. Er stellte es auf dem Salon der Unabhängigen aus.

Das richtungweisende Werk für die neue Kunstrichtung war das Bild Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte. Vom Genre her greift das Bild ein gängiges impressionistisches Thema auf: Menschen im Freien bei ihrer Freizeitvergnügung. Seurat ordnet diese Menschen jedoch der Bildkomposition unter, richtet sie entlang der waagerechten und senkrechten Hauptlinien aus. Er achtet sorgsam darauf, einen Querschnitt von Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten zu zeigen, und er zeigt, in unrealistischer Systematik, diese Menschen von vorn, von hinten und im Profil. Es entsteht der Eindruck einer Überhöhung der Wirklichkeit, einer feierlichen Inszenierung. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass Seurat den Rahmen des Bildes in die Bemalung einbezieht.

Für Publikum, Künstler und Kritik war offenkundig, dass man es mit etwas völlig Neuartigem zu tun hatte. Die Aufnahme war zwiespältig: Viele Maler waren fasziniert davon, die Malerei auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen, darunter Paul Signac, Charles Angrand, Henri Edmond Cross, Albert Dubois-Pillet, Léo Gausson, Louis Hayet, Maximilien Luce, Hippolyte Petitjean sowie Camille und Lucien Pissarro. Andere, wie beispielsweise Edgar Degas und Eugène Manet, lehnten die neue Richtung ab. Der Kunsthändler und große Förderer der Impressionisten Paul Durand-Ruel äußerte sich enttäuscht, dass sich Camille Pissarro von den jüngeren Kollegen beeinflussen ließ, wo sich doch der Markt für impressionistische Gemälde gerade erst zu bessern begann.

Ablehnende Kritiker bezeichneten die Malweise als Confettisme. Der Kritiker Félix Fénéon hingegen setzte sich für die neue Kunstrichtung ein. Er sah sie als zukunftsweisend an und prägte 1886 den Begriff Neoimpressionismus, um dies herauszustellen.[3] Er setzte sich intensiv mit den theoretischen Grundlagen auseinander und kannte Charles Henry und einige andere Theoretiker persönlich. Er war Redaktionssekretär der Zeitschrift Revue Indépendante und Herausgeber der Zeitschrift Revue Blanche. Bis zum Tode von Seurat begleitete er dessen Arbeiten und die Arbeiten Signacs mit wohlwollenden, fundierten Kritiken in diesen Zeitschriften.

Weitere Verbreitung

Eine wesentliche Rolle für die weitere Verbreitung des Pointillimus spielte die 1883 gegründete belgische Künstlergruppe Les Vingt (Die Zwanzig). Diese nahmen rasch eine zentrale Bedeutung im belgischen Kunstbetrieb ein. Zu ihren Ausstellungen luden sie die unterschiedlichsten Künstler ein. Ab 1887 zeigten sie in Brüssel immer wieder die Bilder von Seurat und seinen Pariser Kollegen. Jüngere Künstler wie Théo van Rysselberghe, Henry van de Velde, Jan Toorop, Johan Joseph Aarts, Ferdinand Hart-Nibbrig, Jan Vijlbrief und andere adaptierten die neue Sehweise.

1891 starb Seurat an einer Infektion. Nach seinem Tod wurde Paul Signac der führende Theoretiker und Praktiker des Pointillismus.

In Italien adaptierten die Maler Giovanni Segantini, Giuseppe Pellizza da Volpedo, Emilio Longoni und Angelo Morbelli die pointillistische Malweise und entwickelten sie weiter zu eigenen Ausprägungen.[4][5]

Einfluss auf die Kunst des 20. Jahrhunderts

Der Einfluss des Pointillismus auf die weitere künstlerische Entwicklung wurde lange Zeit unterschätzt. Große Teile der Kritik und der bürgerlichen Öffentlichkeit sahen ihn lange Zeit als belangloses technisches Mittel an. Viele namhafte Künstler wie Piet Mondrian, Henri Matisse, die Kubisten um Georges Braque, Elie und Robert Delaunay, Vincent van Gogh und Paul Gauguin setzten sich jedoch intensiv mit der pointillistischen Technik auseinander und durchliefen eine Phase pointillistischer Experimente. Dies spricht dafür, dass der Pointillismus eine wesentliche Rolle in der Entwicklung von den Paradigmen der früheren Epochen, nämlich Gegenständlichkeit und Wiedergabe, zu denen des 20. Jahrhunderts, nämlich Abstraktion und Konstruktion, spielt.

Der Kunsthistoriker Robert Rosenblum urteilt über Seurat, dass er sogar mit Cézanne konkurrieren könne („can rival even Cézanne“) , und billigt ihm großen Weitblick zu („look far into the past and into the future“), das Gemälde Grande Jatte nennt er „a kind of Eiffel Tower of painting“.[6]

Literatur

  • Norbert Wolf: Kunst-Epochen. 19. Jahrhundert. S. 33-35 und 184-186. Reclam: Stuttgart 2002, ISBN 978-3-15-018177-5
  • Rainer Budde (Hrsg.): Pointillismus: auf den Spuren von Georges Seurat. Prestel: München 1997, ISBN 3-7913-1840-3

Einzelnachweise

  1. The Color Sense.; Prof. O. N. Rood Lectures Before the Academy of Sciences., New York Times, 19. Februar 1879, im Web unter [1]
  2. Rainer Budde: Pointillismus. Auf den Spuren von Georges Seurat, S. 9
  3. Félix Fénéon: L'impressionisme aux Tuileries, L'art Moderne, 19. September 1886
  4. National Gallery of London: Radical Light, Italy's Divisionist Painters 1891-1910, Website besucht am 2. September 2008.
  5. Roberta Smith: The Pointillist ‘Contagion’ in Italy, New York Times, 27. April 2007, Website besucht am 3. September 2008.
  6. Albert Schug: Über die Bedeutung der neoimpressionistischen Theorie Seurats, in: Rainer Budde (Hrsg.): Pointillismus. Auf den Spuren von Georges Seurat

Weblinks


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