Politische Mitte

Politische Mitte

Als politische Mitte bezeichnet man einen Standpunkt im politischen Spektrum, der zwischen links und rechts liegen soll. Wo genau sich diese „Mitte“ befindet und durch welche Positionen sie charakterisiert wird, ist allerdings umstritten; entsprechend diffus ist auch die Verwendung des Ausdrucks.

Im politischen Gesamtspektrum verstehen sich die demokratischen Parteien als Teil der Mitte zwischen extrem linken und extrem rechten Ideologien. Innerhalb des demokratischen Spektrums wiederum ist es naheliegend, einen zwischen den großen Hauptströmungen (in Deutschland Konservatismus und Sozialdemokratie, vertreten durch die Volksparteien CDU/CSU bzw. SPD) angesiedelten Standpunkt als politische Mitte zu betrachten.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten die neu und wieder gegründeten Parteien breitere Schichten der Bevölkerung anzusprechen und sich zur politischen Mitte hin zu orientieren. Es kam zur Herausbildung der sogenannten Volksparteien. Die nach klassischer Definition eigentlich gemäßigt rechte Volkspartei CDU/CSU als interkonfessionelle Sammlungsbewegung, beansprucht seit jeher die Position der politischen Mitte. Auf dem Godesberger Parteitag der SPD von 1959 kam der Wandel der Partei von einer sozialistischen Arbeiterpartei hin zu einer Volkspartei zum Ausdruck.

Da die Links-Rechts-Skala in jüngerer Zeit zunehmend unzulänglich geworden und aus der Mode gekommen ist und insbesondere das Attribut rechts vielen als Stigma gilt, neigen demokratische Parteien insbesondere in Deutschland dazu, die politische Mitte für sich selbst zu beanspruchen und andere als links bzw. rechts davon einzuordnen. Dies gilt vor allem für die großen Volksparteien und wird dort zusätzlich verstärkt durch den Anspruch, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung anzusprechen, wobei der politischen Mitte hier auch die Konnotation der „Mitte der Gesellschaft“ anhaftet.

1972 verwendete Bundeskanzler Willy Brandt erstmals den Ausdruck Neue Mitte auf dem Dortmunder Wahlparteitag der SPD. Hintergrund des Begriffes war der stetig sinkende Arbeiteranteil in der Bevölkerung von 55 Prozent (1959) auf 27 (1972). Gegen die Traditionalisten in der SPD, die die SPD als Arbeiterpartei profilieren wollten, wollte Brand die SPD zu einer Partei der "neuen Mitte" umformen.[1]. Einerseits sollte mit dem Wort die sozialliberale Regierungspolitik beschrieben werden, andererseits stellte der Begriff ein Konzept für die Integration der Studentenbewegung dar.[2]

In seiner ersten Regierungserklärung 1982 sowie in fast allen weiteren Regierungserklärungen bezeichnete Helmut Kohl das Regierungsbündnis von CDU, CSU und FDP als "Koalition der Mitte". Ziel dieser Formulierung sei es gewesen, eine "griffige politische Standortbestimmung der Koalition" zu schaffen sowie im Hinblick auf die Wählerschaft "die Vertretung der Mittelschicht als besonderes Anliegen der Regierung zu reklamieren" [3]

In Anlehnung an Tony Blairs New Labour oder Bill Clintons New Democrats etablierte die SPD im Bundestagswahlkampf 1998 erneut das Schlagwort Neue Mitte.[4] Im 1999 veröffentlichten sogenannten Schröder-Blair-Papier wurde von Tony Blair und Gerhard Schröder unter dem Schlagwort „Neue Mitte“ vor dem Hintergrund des Thatcherismus und der „Ära Kohl“ und unter Bezugnahme auf die Strukturationstheorie von Anthony Giddens neue sozialdemokratische Positionen und Leitbilder eines „dritten Weges“ zwischen dem neoliberalen beziehungsweise wirtschaftsliberalen Kapitalismus und der klassischen Sozialdemokratie formuliert. Als ein zentrales Element der neuen Sozialdemokratie sieht Giddens einen aktivierenden Sozialstaat. Dieser bedeutet für den einzelnen Bürger hinsichtlich der zunehmenden Individualisierung auch eine Zunahme der Verpflichtungen.

2001 initiierte Franz Müntefering (SPD) erneut eine Diskussion um die Position der SPD im bundesdeutschen Parteiengefüge ein: „Mitte ist da, wo die linke Volkspartei SPD ist.[5][6]

Im „Bremer Entwurf“ für ein neues Grundsatzprogramm im Januar 2007 wurde die SPD als „Partei der solidarischen Mitte“[7] definiert; im 2007 verabschiedeten Hamburger Programm bezeichnet sich die SPD als „linke Volkspartei“[8].

Sigmar Gabriel (Parteivorsitzender der SPD) bezeichnet die Mitte nicht als soziologische Gruppe von Personen, die man ansprechen könne, sondern die „Deutungshoheit“. Erlange man diese Hoheit, seien die Stimmen der Mitte gesichert.

Andere Länder

In den Parlamenten von Ländern mit einem stärker polarisierten Parteienspektrum – in dem also auch die Volksparteien sich deutlich als links oder rechts definieren – gibt es häufig auch Parteien mit einem „zentristischen“ Programm, die sich ausdrücklich über ihre Mittelposition definieren. Dazu zählen etwa das französischen Mouvement démocrate (MoDem) oder die spanische Unión Progreso y Democracia (UPyD). Auch in den skandinavischen Ländern gibt es zahlreiche Zentrumsparteien (etwa die finnische Suomen Keskusta, die schwedische Centerpartiet und die norwegische Senterpartiet), die meist auf Agrarparteien zurückgehen. Ferner sind viele Minderheitenparteien zentristisch, da sie sowohl linke als auch rechte Angehörige einer ethnischen Minderheit integrieren wollen.

Auf internationaler Ebene gehören diese Zentrumsparteien meist der Liberalen Internationalen und der liberalen Europapartei ELDR an, ohne allerdings eindeutig liberale Positionen zu vertreten. Dennoch können auch liberale Parteien sich als zentristisch bezeichnen. Außerdem existiert eine Europäische Demokratische Partei (EDP), die vor allem vom französischen MoDem dominiert wird und sich selbst ausdrücklich als zentristisch versteht. ELDR und EDP arbeiten im Europäischen Parlament in der Fraktion ALDE zusammen.

Siehe auch

Literatur

Belege

  1. 90. Geburtstag Willy Brandts am 18. Dezember, Rudolf Walther: Die neue Mitte - Die Werkausgabe seiner Schriften wächst. der Freitag vom 19. Dezember 2003, (online)
  2. Georg Stötzel, Thorsten Eitz, Astrid Jährling-Marienfeld, Lea Plate: Zeitgeschichtliches Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache: Schlüsselwörter und Orientierungsvokabeln, Herausgeber: Georg Stötzel, Thorsten Eitz, Astrid Jährling-Marienfeld, Lea Plate, Georg Olms Verlag, 2003, ISBN 3487117592, ISBN 9783487117591, S. 262 (online)
  3. Klaus Stüwe: Die Rede des Kanzlers: Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder. VS Verlag, 2005, ISBN 3531145061, ISBN 9783531145068
  4. SPD - Wahlprogramm von 1998. Innovation und Soziale Gerechtigkeit
  5. Franz Müntefering, Warum für die CDU in der Mitte kein Platz mehr ist, in: Frankfurter Rundschau (FR) vom 5. Februar 2001.
  6. Tobias Dürr: Die Linke nach dem Sog der Mitte - Zu den Programmdebatten von SPD, Grünen und PDS in der Ära Schröder, bpb.de, Abgerufen am 18. oktober 2009
  7. „Bremer Entwurf“ für ein neues Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
  8. Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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