- Postenpflicht
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Die Postenpflicht war zur Zeit des Nationalsozialismus jener Teil der Dienstvorschriften für KZ-Wachmannschaften der Schutzstaffel (SS), der den Gebrauch der Schusswaffe betraf. Sie galt für die Bewachung der Gefangenen in den Konzentrationslagern der SS. In anderen Teilen jener Dienstvorschrift wurde willkürliche Misshandlung der Gefangenen untersagt. Der rigorose Abschnitt Postenpflicht hingegen verbot warnende Schreckschüsse. SS-Wachen hatten den Befehl, ohne Vorwarnung sofort „scharf“ zu schießen. Die Postenpflicht wurde oft zur Erklärung der zahlreichen, unnatürlichen Todesfälle in Konzentrationslagern herangezogen. Man habe nicht getötet, sondern sei angegriffen worden und habe somit in Notwehr gehandelt. Oder man habe die Dienstvorschriften eingehalten und Häftlinge „auf der Flucht“ erschossen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Münchener Staatsanwaltschaft hatte am 1. Juni 1933 gegen den Lagerkommandanten Hilmar Wäckerle des KZ Dachau Anklage wegen Mordbegünstigung erhoben.[1] Himmler setzte Wäckerle daher ab, er war untragbar geworden. Zudem musste Himmler das Verfahren bezüglich Verhängung lagereigener Todesstrafen in Dachau, das bereits als fraglich galt, als seriös präsentieren. Er beauftragte daher Theodor Eicke, eine neue Lagerordnung und neue Dienstvorschriften zu entwickeln.[2]
Dieser verfasste daraufhin die Postenpflicht mit der Anweisung ohne Aufruf sofort auf Häftlinge zu schießen. Als Konsequenzen für das KZ-Personal legte er fristlose Kündigung bzw. Gefangennahme fest.
Eicke datierte die „Dienstvorschrift für die Begleitpersonen und Gefangenenbewachung“ auf den 1. Oktober 1933.[3] Am selben Tag verfasste er den berüchtigten Strafkatalog. Beides war zunächst nur im Lager Dachau gültig. Gültig für alle KZ der SS wurden beide Vorschriften ab dem Jahr 1934. Hatte er bereits den Strafkatalog (die Vorschriften für Häftlinge) so verfasst, dass selbst minimale Vergehen bestraft werden konnten, so erlaubte die Postenpflicht (Vorschrift für das SS-Personal) Exekutionen.
Der Gefangenenbereich eines KZ - euphemistisch „Schutzhaftlager“ genannt - war durch elektrisch geladene Zäune und Mauern begrenzt. Vor der Mauer befand sich meist ein Graben. Diese sogenannte „neutrale Zone“, später auch Todesstreifen genannt, durfte nicht betreten werden. Dieser Zone nahe zu kommen konnte für Haftinsassen durch die Postenpflicht tödlich enden. Zeitzeugen und ehemalige Haftinsassen berichteten von Fällen, wo ein Häftling absichtlich in die verbotene Zone gelaufen war, um Suizid zu begehen und seinem Leben im Lager ein Ende zu bereiten.
Häftlings-Arbeitseinsätze außerhalb eines Lagers nannte die SS Außenkommandos. Die SS-Wachposten bildeten bei Außenkommandos so genannte Postenketten, um die Arbeitsstelle zu umzingeln und zu bewachen. Die gedachte Linie zwischen den einzelnen Posten durfte von den Häftlingen nicht überschritten werden. Geschah dies, wurde es als Fluchtversuch gewertet. Die SS-Wachen hatten Anweisung ohne Vorwarnung zu schießen. Bei erfolgreicher Häftlingsflucht wurde der SS-Mann wegen fahrlässiger Gefangenenbefreiung angeklagt.
Die Postenpflicht galt beispielsweise für die SS-Totenkopfverbände.[4] In Kriegsjahren kamen KZ-Aufseherinnen zum Einsatz. Auch sie hatten die Anweisung, bei tätlicher Bedrohung durch einen Gefangengen sowie bei Fluchtversuchen von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen.
Reichsjustizminister Franz Gürtner stand mit dem RFSS Himmler in Kontakt, um die Postenpflicht etwas zu entschärfen, was zu unwesentlichen Resultaten führte.
Karl Koch war im KZ Lublin-Majdanek. Wegen so genannter „fahrlässiger Gefangenenbefreiung“ wurde gegen ihn als Lagerkommandant ermittelt. Während seiner Dienstzeit kam es im Juli 1942 zur Flucht von etwa 80 sowjetischen Kriegsgefangenen. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Es hatte für ihn lediglich die Konsequenz einer Strafversetzung.
Wortlaut
„Konzentrationslager Dachau
Kommandatur, 1.10.1933
Dienstvorschrift für die Begleitpersonen und Gefangengenbewachung
6. Postenpflicht
Wer einen Gefangenen entweichen lässt, wird festgenommen und wegen fahrlässiger Gefangenenbefreiung der Bayer. Politischen Polizei übergeben.
Versucht ein Gefangener zu entfliehen, dann ist ohne Aufruf auf ihn zu schießen. Der Posten, der in Ausübung seiner Pflicht einen fliehenden Gefangenen erschossen hat, geht straffrei aus.
Wird ein Posten von einem Gefangenen tätlich angegriffen, dann ist der Angriff nicht mit körperlicher Gewalt, sondern unter Anwendung der Schusswaffe zu brechen. Ein Posten, der diese Vorschrift nicht beachtet, hat seine fristlose Entlassung zu gewärtigen. Wer im Übrigen seinen Rücken freihält, wird selten einen tätlichen Angriff zu gewärtigen haben.
Meutert oder revoltiert eine Gefangenenabteilung, dann wird sie von allen aufsichtsführenden Posten beschossen. Schreckschüsse sind grundsätzlich untersagt.“[5]
Siehe auch
Literatur
- Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933 - 1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner.
- Stanislav Zámečník: (Hrsg. Comité International de Dachau): Das war Dachau. Luxemburg, 2002.
Fußnoten
- ↑ Schreiben vom 2. Juni 1933, Staatsanwaltschaft Landgericht München II an das Staatsministerium der Justiz: Betreff: »Ableben von Schutzhaftgefangenen im Konzentrationslager Dachau«. Häftlinge: Schloß, Hausmann, Strauß und Nefzger.
- ↑ Später kam zum Strafkatalog in den KZ auch das so genannte Strafverfahren hinzu.
- ↑ Zámečník: Das war Dachau. S. 40
- ↑ Anm.: Nicht nur die SS-Totenkopfverbände, auch andere SS-Männer kamen als KZ-Wachen zum Einsatz, v.a. gegen Kriegsende.
- ↑ Internationaler Militärgerichtshof IMG XXVI, Dok. 778-PS, S. 296f. Quelle aus: Zámečník: Das war Dachau. S. 412
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