Rechtschreibreform

Rechtschreibreform
Sprachwissenschaftliche Diskussion der Rechtschreibreform von 1876 in der Kölnischen Zeitung: „Das wurzelhafte h

Eine Rechtschreibreform ist ein groß angelegter Eingriff in die Rechtschreibung einer Sprache von außen. Die ersten im deutschen Sprachraum fanden – jeweils mit Konrad Duden im Expertenteam – 1876 und 1901 statt, die dritte und jüngste war die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996.

Inhaltsverzeichnis

Typen von Rechtschreibreformen international

Man unterscheidet zwei grundsätzliche Typen von Rechtschreibreformen. Die eine reformiert die Orthografie durch eine neue Liste von Worten. Dieses Vorgehen ist etwa in Frankreich üblich. So änderte die Académie française 1740 mit ihrem Wörterbuch die Schreibweise mehrerer tausend Wörter auf einmal.[1] Andererseits kann eine Rechtschreibreform aber auch die Rechtschreibregeln reformieren, wie zuletzt 1996 im deutschen Sprachraum, als unter anderem neue Regeln zur Verwendung von Doppel-s und ß („der Hass“ statt „der Haß“), zu Dreifachkonsonanten („Schifffahrt“ statt „Schiffahrt)“, zur Groß- und Kleinschreibung, zur Schreibung von Fremdwörtern („Delfin“ statt „Delphin“), zur Auseinanderschreibung zusammengesetzter Wörter und zur Zeichensetzung sowie zur Worttrennung am Zeilenende erlassen wurden. Viele Rechtschreibreformen scheiterten bereits auf der Entscheidungsebene oder wurden von der schreibenden Zunft, den Journalisten und Schriftstellern, nicht akzeptiert. Andere benötigten einige Zeit, bis sie manifest wurden und dienten deswegen eher der Grundsteinlegung einer Reform. So wollte die deutsche Rechtschreibreform von 1876 durchaus fortschrittlich mit dem „begleitenden h“ aufräumen („tun“ statt „thun“); durchgesetzt wurde das jedoch erst 25 Jahre später in der Reform von 1901.

In manchen Ländern sind etablierte Sprachakademien für die Pflege der Sprache und gegebenenfalls Änderungen von Sprach- und Rechtschreibregeln zuständig. Die längste Tradition hat die italienische Accademia della Crusca, gefolgt von der Académie française in Paris. Letztere war 1635 als nationale französische Einrichtung zur „Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache“ geschaffen worden und wird bis heute weitgehend im gesamten französischen Sprachraum anerkannt, also zum Beispiel auch in Québec, Kanada. Im englischen Sprachraum fehlt eine solche übergeordnete Sprach- und Schreibinstanz. Das Deutsche nimmt zwischen diesen beiden Extremen eine Mittelstellung ein.

Rechtschreibreform für die deutsche Sprache

Vorgehensweise und Verbindlichkeit

Die deutschsprachigen Staaten (Bund und Länder) können und dürfen zwar Regeln für Sprache und Rechtschreibung erlassen, Gesetzeskraft haben diese Regeln aber nicht. Es ist also nicht jeder Bürger verpflichtet, eine besondere Rechtschreibung einzuhalten.

Bekräftigt wurde das in Deutschland durch die am 26. März 1998 vom Deutschen Bundestag beschlossene Resolution „Die Sprache gehört dem Volk“. Nur für diejenigen Personen, die zum Staat oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts in einem Sonderrechtsverhältnis stehen (Beamte, Richter, Soldaten, Studenten, Schüler), ist die Rechtschreibung einschließlich reformierter Regeln bindend. Dafür sorgt eine Verwaltungsvorschrift.

Damit in allen Teilen der öffentlichen Verwaltung, der Rechtsprechung und der Schulen Deutschlands dasselbe Regelwerk gilt und in der täglichen Verwaltungspraxis angewendet wird, müssen der Bund (i. d. R. der Bundesinnenminister) sowie jedes einzelne der 16 Bundesländer die deutsche Rechtschreibung formal als Verwaltungsvorschrift erlassen.[2]

Praktisch wird das erreicht, indem die Kultusministerkonferenz Beschlüsse zur Rechtschreibung fasst, die dann sowohl von Seiten der Bundes- als auch der Landesverwaltung als Verwaltungsvorschrift erlassen werden.

In Österreich ist in der amtlichen Sprache das Österreichische Wörterbuch in seiner jeweils neuesten Auflage verbindlich, das sich an den für Schulen geltenden Entscheidungen des Unterrichtsministerium orientiert, in dessen Auftrag es herausgegeben wird. Besondere Verwaltungsvorschriften sind dazu im Allgemeinen nicht erforderlich.

Bisherige Reformen

Die Kölnische Zeitung brachte 1876 ein eigenes Buch mit Artikeln zur Rechtschreibreform heraus.

Im deutschen Sprachraum fanden zwei orthografische Konferenzen statt, auf denen neben dem Ziel einer Vereinheitlichung der deutschen Orthografie auch weitergehende Reformvorschläge diskutiert wurden. In erster Linie führten sie zu der angestrebten Vereinheitlichung der Rechtschreibung. Die erste Reform scheiterte; ihre Ideen wurden weitgehend in der zweiten Reform umgesetzt:

  • 4. bis 15. Januar 1876: „Konferenz zur Herstellung größerer Einigung auf dem Gebiet der deutschen Orthographie“ (I. Orthographische Konferenz) in Berlin;
  • 17. bis 19. Juni 1901: „Beratungen über die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung“ (II. Orthographische Konferenz) in Berlin.

Beide Konferenzen standen im Licht der Öffentlichkeit und wurden insbesondere von den überreglionalen Tageszeitungen wie der Kölnischen Zeitung heftig diskutiert:

„Wir haben gesehen, dass[3] die Vocale a o u und ihre Umlaute von der Verdoppelung und dem Parasiten h befreit werden sollen. In dieser Aufzählung vermissen wir leider e und i. Diese armen Lettern werden wegen ihrer Dünnleibigkeit verdammt, den falschen Hauchlaut als ewige Last mit sich herumzuschleppen; nehmen, stehlen, kehren und ähnliche Wörter bleiben in jenem Stallwinkel liegen, wohin die reinigenden Fluten des Alpheios nicht dringen sollen“

Kölnische Zeitung: 27. Januar 1876

Die offizielle Schreibung des Deutschen änderte sich in den letzten einhundert Jahren in Details fast unmerklich von Wörterbuchausgabe zu Wörterbuchausgabe. (So tauchte z.B. in der 14. Auflage des Dudens, 1954, die integrierte Schreibung Kautsch neben Couch auf, die in der 13. Auflage von 1947 noch nicht aufgeführt war. Sie verschwand in den 80er-Jahren wieder aus den Wörterbüchern - anscheinend, weil ihr Gebrauch wieder zurückging; spätestens 1941 wurde die integrierte Schreibung Majonäse neben Mayonnaise in den Duden aufgenommen [1941 allerdings noch als "entbehrliche" Variante markiert] und ist dort seitdem in jeder Auflage zu finden. Nicht nur Stichwörter, auch Regeln konnten sich ändern. So heißt es noch in der 10. Aufl. des Dudens 1929: "Für ß wird in großer Schrift SZ angewandt"; später galt SZ nur noch als Möglichkeit neben SS, um Verwechslungen in Fällen wie MASZE - MASSE zu vermeiden.)

Die aktuelle Reform

siehe: Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 (einschließlich der Überarbeitungen von 2004 und 2006)

Rechtschreibreformen in anderen Sprachen

Reformen der Rechtschreibung gab es unter anderem auch in folgenden anderen Sprachen:

So wurde im Niederländischen das ph und rh in Wörtern griechischer Herkunft abgeschafft, im Schwedischen ph, rh und th. Da in mehreren anderen Sprachen historische Formen schon frühzeitig verschwunden sind, schreibt die Mehrheit aller lateinisch schreibenden Europäer heutzutage teater, teatro oder teatr für Theater.

In einigen anderen Sprachen ist es dagegen sehr unwahrscheinlich, dass es jemals zu einer Rechtschreibreform kommen wird, da es an einer Instanz fehlt, die eine solche Reform beschließen und durchsetzen könnte, oder weil kein ausreichender Wille dazu zu erkennen ist. Dazu zählt insbesondere Englisch.

Die Rechtschreibung der englischen Sprache hat sich zwar, auch ohne dass eine formalen Reform stattfand, seit dem 16. Jahrhundert erheblich verändert, weitergehende Reformversuche scheiterten jedoch größtenteils. Die einzige bedeutende Ausnahme bildeten die Vorschläge von Noah Webster, von denen sich einige in Nordamerika vollständig durchsetzten und auf die ein Großteil der heutigen Unterschiede zwischen amerikanischer und britischer Rechtschreibung zurückgehen.

Zu den weiteren Reformversuchen zählt u.a. die Kampagne der 1908 in England gegründeten Simplified Spelling Society (SSS, heute Spelling Society), welche sich das Ziel setzte, die Unregelmäßigkeiten der englischen Rechtschreibung zu reduzieren. Viele Persönlichkeiten schlossen sich dieser Kampagne an, darunter George Bernard Shaw und Isaac Pitman. In den USA hatten unter anderem Benjamin Franklin, Samuel Morse und später Mark Twain Schritte zur Vereinfachung der Rechtschreibung der englischen Sprache vorgeschlagen. Insbesondere der Amerikaner William Thornton, geboren auf den Westindischen Inseln, hat sich seit 1785 mit der Vereinfachung der englischen Rechtschreibung beschäftigt, die von seiner Absicht ausging, das Leben der Sklaven zu verbessern, die zumeist Analphabeten waren.

Wenig oder gar kein Reformpotenzial und -bedarf besteht in Sprachen, die traditionell phonologisch geschrieben werden:

  • italienische Sprache. Dort wurde um 1600 die italienische Schriftsprache neben das von vielen Italienern nicht mehr korrekt gesprochene Latein gestellt.
  • serbische Sprache: Dort wurde um 1800 durch Vuk Stefanović Karadžić die traditionelle slawenoserbische durch die moderne Schriftsprache ersetzt).
  • kroatische Sprache: Gleichzeitig eine ähnliche Sprachreform. 1850 wurde dann die Schaffung einer gemeinsamen serbokroatischen Sprache vereinbart; die Vereinbarung wurde nach dem Zerfall Jugoslawiens um 1990 aus politischen Gründen obsolet.
  • ungarische Sprache: Es gab im 19. Jahrhundert mehrere Rechtschreibreformen, um sie phonologisch zu machen.
  • slowakische Sprache: Sie wurde erst im 19. Jahrhundert (wieder) neu geschaffen, zunächst auf der Grundlage westslowakischer, dann mittelslowakischer Dialekte.
  • Esperanto: Die Sprache ist als Schriftsprache entstanden und legt großen Wert auf Regelmäßigkeit; grundlegende Ausspracheregeln und dann die Sprachpraxis haben zu einer einheitlichen Aussprache geführt, so dass zum Beispiel internationale Treffen und Radiosendungen möglich sind.

In wenigen Sprachen wurde einmal eine radikale Rechtschreibreform mit Umstellung von einem etymologischen auf ein phonologisches Regelsystem durchgeführt:

Nur bedingt als Rechtschreibreform kann man die Vereinfachung eines Ideogrammsystems bezeichnen:

Ähnlich ist es bei einem Wechsel der Schriftzeichen:

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Die meisten Reformen in Frankreich änderten die Schreibweise nur geringfügig. So 1990, als sich der öffentliche Protest auf eine einzige Änderung konzentrierte: ognon statt oignon; oder 1878, unter ähnlichem Protest, poète statt poëte.
  2. Deutscher Bundestag Drucksache 1 4 / 356 14. Wahlperiode 3. Februar 1999 Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
  3. An diesem „dass“ von 1876 sieht man, wie Rechtschreibreformen im Zickzack gehen: Hundert Jahre später war das „daß“ (mit scharfem ß) üblich und verbindlich, die Reform von 1996 führte wieder das „dass“ ein.

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