Richard Calwer

Richard Calwer

Richard Calwer (* 21. Januar 1868 in Esslingen; † 12. Juni 1927 in Berlin) war ein deutscher Journalist, Nationalökonom, Statistiker und zeitweise sozialdemokratischer Politiker.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung und Redakteur

Nach dem Abschluss der Lateinschule studierte Calwer in Tübingen, München und Berlin anfangs Theologie und später Nationalökonomie. Er verließ die Universität aber ohne Abschluss.

1891 trat er in die SPD ein. Im selben Jahr wurde Calwer Redakteur des „Volksblatts“ in Halle. Ein Jahr später war er Redakteur der „Münchener Post“. Danach war er zwischen 1893 und 1894 Redakteur des „Braunschweiger Volksfreundes“ in Braunschweig. Im Jahr 1895 war Calwer Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“.

Seither lebte er als Schriftsteller in Berlin und war unter anderem ständiger Mitarbeiter der Sozialistischen Monatshefte und zwischen 1908 und 1912 auch des Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften. Außerdem war er Dozent bei gewerkschaftlichen Unterrichtskursen und leitete ein eigenes wirtschaftsstatistisches Büro.

Politik

Calwer war einer der namhaftesten Vertreter des reformistischen beziehungsweise revisionistischen Flügel in der SPD vor dem Ersten Weltkrieg. Allerdings hatte er seine Ansichten weitgehend unabhängig von Eduard Bernstein entwickelt. Neben diesem, sowie Ludwig Frank oder Eduard David sprach er sich für eine Annäherung an die bürgerlichen Parteien aus und war bereit mit diesen unter bestimmten Voraussetzungen in die Regierung einzutreten.[1] Darüber hinaus hat er sich aber auch in antisemitischer Weise geäußert.[2]

Zwischen 1898 und 1903 war er Mitglied des Reichstages. Die Kandidaturen in den Jahren 1903 und 1907 scheiterten in der Stichwahl. Weil er innerhalb der Partei seine revisionistischen Ideen offensiv vertrat, geriet er in parteiinterne Konflikte. Daher trat Calwer aus der SPD aus, blieb der sozialdemokratischen Bewegung und insbesondere den Gewerkschaften aber weiterhin eng verbunden.

Statistiker und Nationalökonom

Calwer war Herausgeber zahlreicher Wirtschaftsjahrbücher so zwischen 1900 und 1913 „Das Wirtschaftsjahr,“ sowie handelspolitische und statistische Korrespondenzen wie den „Wirtschaftlichen Tagesberichten.“ Daneben war er Autor zahlreicher nationalökonomischer und politischer Zeitschriftenbeiträge und Monographien. Dazu gehörte etwa das Buch „Das sozialdemokratische Programm“ von 1914. Calwer plädierte in seinen Schriften ähnlich wie später John Maynard Keynes für antizyklische Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und widersprach der These eines zwangsläufigen wirtschaftlichen Zusammenbruches des Kapitalismus wie sie etwa August Bebel vertrat.[3]

Nach seinen Vorstellungen sollte sich die Arbeiterpolitik auf die Gewerkschaften und Genossenschaften konzentrieren. Für die Zentralisierung der letzteren setzte sich Calwer ein. Eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel war für ihn nicht unbedingt nötig. Der Übergang zum Sozialismus war für ihn vielmehr eine Frage der Produktivität und der Verteilung.

Wirtschaftspolitisch sah Calwer vor dem Ersten Weltkrieg die USA als den stärksten Konkurrenten Deutschlands und sprach sich für einen europäischen Zollverbund aus.[4] Für die moderne Forschung zur Inflation während des ersten Weltkrieges und der Nachkriegsjahre ist der „Calwer Index“ der Lebensmittelpreise eine zentrale Datengrundlage.[5]

Calwer starb durch Suizid. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gerhard Schuz: Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg. Vandenhoeck & Ruprecht, 1982, ISBN 3525334729, S. 24 (Digitalisat)
  2. Ernest Hamburger: Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchischen Zeit, 1848–1918. Mohr Siebeck, 1968, ISBN 3168292923, S. 150 (Digitalisat)
  3. Helga Grebing und Walter Euchner: Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland: Sozialismus - katholische Soziallehre - protestantische Sozialethik. VS Verlag, 2005, ISBN 3531147528, S. 172 (Digitalisat)
  4. Andreas Etges: Wirtschaftsnationalismus: USA und Deutschland im Vergleich (1815–1914). Campus Verlag, 1999, ISBN 359336347X, S. 301 (Digitalisat)
  5. vergl. als Beispiel: Richard Bessel: Germany after the First World War. Oxford University Press, 1995, ISBN 0198205864, S. 95 (Digitalisat)

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