Richard Fester (Linguist)

Richard Fester (Linguist)

Richard Fester (* 1910 in Berlin; † 1982) war ein deutscher Autor und Paläolinguist. In seinem bekanntesten Werk, Sprache der Eiszeit (erschienen 1962), stellte er die These auf, dass alle Sprachen der Welt einen einmaligen gemeinsamen Ursprung besitzen, dessen Urwortschatz er glaubte rekonstruieren zu können. Die von ihm dabei angewendete und von ihm mitentwickelte Methodik der Paläolinguistik ist durch die Sprachwissenschaften nicht anerkannt, weshalb Festers Ergebnisse durch Linguisten durchweg als Pseudowissenschaft abgelehnt werden. Fester war in Fragen der Archäologie und der Sprachwissenschaft Autodidakt, hat nie Linguistik studiert und war daher mit deren Methoden und Begriffen nicht vertraut.

Inhaltsverzeichnis

Festers Theorie der Urlaute

Aus einem Vergleich von gut 100 verschiedenen Sprachen stellte Fester die Hypothese auf, dass sechs Urlaute oder Archetypen („ba“, „kall“, „tal“, „tag“, „os“ und „acq“), die sechs Lebenssituationen entsprechen, die Basis aller Sprachen bilden.

Er schließt dabei methodisch an die japhetitologische Vierelementenanalyse des sowjetischen Linguisten Nikolai Jakowlewitsch Marr an, der von den vier Ursilben sal, ber, yon und rosch ausgeht, die bei der Arbeit ausgestoßenen Urlauten entsprechen.

Fester zog aus seinen Untersuchungen weitergehende Schlüsse, die nicht nur linguistischer Natur sind.

Der erste der von ihm postulierten Urlaute, „ba“, steht stellvertretend für die Bildung einer einfachen Silbe aus einem mit Hilfe der Lippen geformten Konsonanten (dazu gehören m, b, p, f und w) und einem offenen Vokal (Mundstellungen von a bis o) und entspricht der einfachsten Möglichkeit, mit unsrem Sprechapparat eine Silbe zu bilden. Insofern könnte das erste Wort in der Tat so ähnlich wie „ba“ geklungen haben. Fester stellte Listen mit Wörtern zusammen, die sich aus dieser Lautkombination entwickelt haben könnten. Dabei sind diese im Laufe der Entwicklung oft in komplexere Strukturen eingebettet worden, wobei sie sich auch veränderten. Bei seiner Auflistung, die Wörter wie „bau-en“, „Feu-er“, „Mama“ und „Papa“ enthält, kam er zu dem Schluss, dass das Urwort „ba“ zunächst Dinge bezeichnete, die ausschließlich mit dem Menschen und seinem Umfeld, also mit menschlichen Beziehungen und Daseinsfragen zu tun haben.

Die Grundbedeutung des Urwortes „kall“ (mit Zunge und Gaumen erzeugter Konsonant (g, k) in Verbindung mit einem Vokal und einem Konsonanten wie l, r, m oder n) bezeichnet eine Wölbung, Vertiefung oder einen „umschlossenen Hohlraum“, so dass sich Wörter wie „Halle“, „Zelle“ und „Quelle“ oder deren Umkehrungen „Loch“ und „Lache“ bildeten. Mit den Abkömmlingen des Urwortes „kall“ wird eine Art Gefäß umschrieben, aus dem etwas entspringen kann. Dass sehr viele weitere Ableitungen („Gyn“, „Girl“, „Queen“) die Bedeutung „Frau“ haben, wird damit erklärt, dass die Frau das „Gefäß des Lebens“ ist. Die große Häufigkeit von Wörtern mit diesem Stamm (gegenüber den anderen Urwörtern) ließ für Fester nur einen Schluss zu: Er deutete diese als Beweis für ein Ur-Matriarchat, eine umstrittene These, die in dem Buch „Weib und Macht“ gemeinsam mit anderen Autoren diskutiert wurde. Er stellt darin u. a. fest: „Wenn man sich die Zeit des Menschen auf dieser Erde mit 2000 Jahren vorstellt, dann gibt es Männerherrschaft erst seit einem Jahr. Und wenn man das grafisch darstellt, und dazu eine gerade Linie von zwei Metern Länge darstellt, dann ist der letzte Abschnitt, der männerrechtliche nur einen Millimeter lang.“

Die übrigen vier Urlaute bedeuten laut Fester:
„tal“ = Einschnitt oder Spalte im Boden oder im Körper, die Erde, unten
„tag“ = Aufrechter Mensch, Götter, hoch
„os“ = Öffnung
„acq“ = Wasser

Der anthroposophische Autor Dr. Arnold Wadler schrieb 1935 in der Schweiz das Buch Der Turm von Babel – die Urgemeinschaft der Sprachen (1948 in englischer Übersetzung erschienen als One Language – Sources of all tongues), in dem er zu recht ähnlichen Ergebnissen kommt wie Fester. Der amerikanische Autor J. P. Cohane, der Festers Bücher offenbar nicht kannte, kam in seinem Buch „The Key“ (Crown, New York) 1969 ebenfalls zu einer Rekonstruktion von 6 Urwörtern, die er wie Fester vor allem aus geographischen Begriffen erschloss, und die insbesondere eine religiöse Bedeutung gehabt haben sollen. Cohanes Urwörter lauten: „Oc“ der „Og“ wie in Okeanos, Kronos, Moloch und dem altirischen Gott Oc; „Hawwah“ wie in Aloha, Yahweh, Aqua und Erde; „Mana“; „Ash“ oder Az“; „Tema“ wie in Thames, Tiamat und Athena; sowie „Eber“ oder „Abar“ wie in Berber, Hibernia, Kalabrien, Abruzzen, Hebräisch, Ares und Mars. Angesichts der Tatsache, dass der wirkliche Urwortschatz ganz anders gewesen ist, muss die völlige Beliebigkeit der Ergebnisse einer solchen Arbeitsweise konstatiert werden.

Innerhalb der Sprachwissenschaft werden alle diese Thesen einhellig als unwissenschaftliche Spekulationen abgelehnt, zumal es kaum gelingt, Sprachen (z. B. die Indogermanische Ursprache) mehr als 4.000–5.000 Jahre in die Vergangenheit zu rekonstruieren. Insofern ist es sehr fraglich, ob eine Rückverfolgung um einige 10.000 Jahre überhaupt theoretisch möglich wäre. Ein grundsätzliches Problem von Festers Wortvergleichen ist, dass er die Häufigkeit von Lehnwörtern und rein zufälligen Wortähnlichkeiten (so genannte false cognates, z. B. Deus im Lateinischen und Theos im Griechischen) in völlig unverwandten Sprachen nicht berücksichtigt, während Sprachwissenschaftler für den Nachweis einer Wortverwandtschaft nicht nur Ähnlichkeiten heranziehen, sondern in der Regel eine nachvollziehbare Ableitung über allgemeine Lautgesetze verlangen (z. B. die englischen Wörter „tip“, „tide“, „tongue“ und „town“ werden im Deutschen zu „Zipfel“, „Zeit“, „Zunge“ und „Zaun“, also t stets durch z ersetzt).

Auch in der modernen vergleichenden Sprachwissenschaft haben einige renommierte Wissenschaftler (wie z. B. Joseph Greenberg und Merritt Ruhlen) den (ebenfalls nicht unumstrittenen) Versuch unternommen, mit der von Greenberg entwickelten Methode der Mass Lexical Comparison tatsächlich eine Ursprache (Proto-World) und deren Nachfolgesprachen (z. B. Nostratisch und andere so genannte Makrofamilien) zu rekonstruieren. Dabei werden, wie von Fester, auch vermeintliche „false cognates“ nicht von vornherein von dem Vergleich ausgeschlossen, jedoch nicht aus Unkenntnis, sondern aus bestimmten methodologischen Gründen. In dem derart rekonstruierten Grundwortschatz von Proto-World finden sich eine Reihe Parallelen zu Festers Archetypen, z. B. „*aya“ (Mutter, Vater, Großmutter) könnte Festers „ba“ entsprechen, „*k’olo“ (Loch, Grube, Aushöhlung) entspricht offensichtlich Festers „kall“, „*tika“ (Erde, Mensch) entspricht Festers „tag“, „*'ag'wa“ (Wasser) entspricht zweifellos Festers „acq“.[1] Es scheint daher, dass sich die moderne Sprachforschung teilweise den unwissenschaftlichen Thesen Festers annähert.

Die Rekonstruktion einer Ursprache setzt natürlich die grundsätzliche Annahme einer monogenetischen Entstehung der menschlichen Sprache voraus (vergl. Monoglottogenese), die auch Fester vertreten hat. Eine solche einmalige Entstehung der Sprache vor maximal 200.000 Jahren wird auch durch neuere Ergebnisse der Anthropologie (Out-of-Africa-Theorie) und der Humangenetik, wie z. B. die Entdeckung des „Sprach-Gens“ FOXP2[2] (siehe Svante Pääbo) nahegelegt. Festers Hypothese, dass schon frühe Urmenschen-Arten lange vor Homo sapiens die Fähigkeit zur Sprache besaßen, ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, da hierzu das Vorhandensein der anatomischen Voraussetzungen des Kehlkopfapparates offenbar nicht allein ausreichend ist. Die Mutation zur Sprachfähigkeit scheint der letzte große Schritt in der Evolution innerhalb unsrer Art gewesen zu sein und auch zu erklären, warum der moderne Mensch erst lange nach seiner biologischen Entstehung, vor etwa 60.000–100.000 Jahren, plötzlich einen explosiven Kulturschub erfährt und sich erst dann über die Kulturstufe des Homo erectus und des Neandertalers erhebt und über die ganze Welt ausbreitet.

Festers Theorie zur Besiedelung Amerikas

Fester entwickelte eine eigene Theorie zur Besiedelung Amerikas, die auf dem Vergleich finnischer Wörter mit Ausdrücken der Indianer Nordamerikas beruht. Statt auf einen Zusammenhang mit den uralischen Sprachen stellte er dabei auf eine Besiedlung über den Nordatlantik ab, was er namentlich auf erstaunliche Ähnlichkeiten stützte, die er bei Ortsnamenbezeichnungen fand. Er dachte an eine Eisbrücke, die während der letzten Eiszeit bestanden habe und über die eiszeitliche Jäger vordrangen, als sie Robben nachstellten. Skier sind schon auf alten Felszeichnungen zu sehen, und mit solchen, argumentiert Fester, wäre die Strecke durch Kundschafter zu bewältigen gewesen, denen dann später ihre Sippen folgten. Fester postuliert als Erklärung für eine solche „Weiße Brücke“ eine südlichere Lage des Nordpols (beim Südende Grönlands) während des Magdalénien. Da die Nordhalbkugelvereisung nicht konzentrisch um den heutigen Nordpol stattgehabt hat, sei es durch die enorme Massenverlagerung zu einem Kippen der Erdachse und damit zu einer Polverschiebung gekommen. Diese pseudowissenschaftliche These, die in fast identischer Form bereits 1958 von dem Amerikaner Charles Hapgood formuliert wurde, ist wissenschaftlich jedoch zweifelsfrei widerlegt und widerspricht allen bekannten Fakten (dazu zählt auch der von Fester unterstützte Mythos der angeblich „schockgefrosteten“ Mammuts). Neuere geowissenschaftliche Hypothesen postulieren zwar eine Polverschiebung durch Schwerpunktverlagerung im Zusammenhang mit einer großen Eiszeit vor etwa 800 Mio. Jahren, sehen aber als Ursache dafür vor allem die damalige Zusammenballung aller Kontinente in einem Superkontinent.[3]

Obwohl Festers Theorie zur Besiedelung Amerikas nicht wissenschaftlich anerkannt ist, war sie auch nicht völlig abwegig. Unabhängig von linguistischen Hinweisen führten Funde wie der des kaukasoid erscheinenden Kennewick-Manns und die bemerkenswerte Ähnlichkeit der Pfeilspitzen der altamerikanischen Clovis-Kultur mit denjenigen der europäischen Eiszeit-Kultur des Solutréen sowie genetische Untersuchungen zu einer vieldiskutierten und sehr umstrittenen Theorie einer möglichen Besiedelung Amerikas durch frühe Europäer über eine Landbrücke während der Eiszeit. Übereinstimmende Ergebnisse aus der modernen Genetik (Luigi Luca Cavalli-Sforza) und Linguistik (Joseph Greenberg) haben allerdings gezeigt, dass Amerika sehr wahrscheinlich in drei Einwanderungswellen (daher drei große amerikanische Sprachfamilien: Amerindisch, Eskimo-Aleutisch und Na-Dené) wohl doch von Asien über die Beringstraße besiedelt wurde.[4]

Werke

  • Richard Fester: Sprache der Eiszeit. Die ersten sechs Worte der Menschheit. Herbig, München 1962, ISBN 3-7766-0980-X
  • Richard Fester: Die Steinzeit liegt vor deiner Tür. Ausflüge in die Vergangenheit. Kösel, München 1983, ISBN 3-466-11017-3
  • Richard Fester: Protokolle der Steinzeit. Kindheit der Sprache. Herbig, München 1984, ISBN 3-7766-0674-6
  • Richard Fester: Die Eiszeit war ganz anders. Das Geheimnis der versunkenen Brücke nach Amerika. Piper, 1984, ISBN 3-492-02004-6
  • Richard Fester: Urwörter der Menschheit. Eine Archäologie der Sprache. Kösel, München 1986, ISBN 3-466-11014-9
  • Richard Fester, Marie E.P. König, Doris F. Jonas und A. David Jonas: Weib und Macht. Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau. Fischer, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-596-23716-5
  • Doris F. Jonas, Richard Fester und A. David Jonas: Kinder der Höhle: Die steinzeitliche Prägung des Menschen. Kösel, München 1984, ISBN 3-466-11010-6

Quellen

  1. Merritt Ruhlen: On the Origin of Languages. Chapter 14: Global Etymologies. Stanford University Press, 1994, ISBN 0-8047-2805-4
  2. Genetische Spuren der Menschwerdung
  3. Princeton University – Planet Earth may have ‚tilted‘ to keep its balance, say scientists
  4. The Peopling of the Americas

Weblinks

Siehe auch


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