Richard Korherr

Richard Korherr

Richard Korherr, (* 30. Oktober 1903 in Regensburg; 24. November 1989[1]) war in der Zeit des Nationalsozialismus Leiter der Statistischen Abteilung im SS-Hauptamt und erstellte 1943 den nach ihm benannten Korherr-Bericht über die „Endlösung der Judenfrage“.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Werdegang

Richard Korherr wurde 1903 als Sohn eines Schneidermeisters in Regensburg geboren. Er studierte ab 1922 Volkswirtschaft und Rechtswissenschaft in München und Erlangen, wo er 1926 promovierte. In seiner Dissertation thematisierte er den Geburtenrückgang. 1927 veröffentlichte Korherr eine Buch mit dem Titel „Geburtenrückgang - Mahnruf an das deutsche Volk“, das in einer späteren Auflage von 1935 mit einem Geleitwort Heinrich Himmlers versehen war.

Korherr arbeitete in einer Abteilung des Statistischen Reichsamtes und wurde angeblich „wegen öffentlichen Vorbringens nationalsozialistischer Ideen“ 1930 entlassen.[2] Korherr war danach als Geschäftsführer eines Arbeitskreises „Heimat und Reich“ tätig und zwischen 1930 und 1933 Mitglied der Bayerischen Volkspartei: Lediglich „formal und aus taktischen Gründen“, wie Korherr später versicherte. Am 1. Januar 1934 wurde er vom Bayrischen Statistischen Landesamt übernommen (heutiges Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung). Von 1935 bis 1940 amtierte Korherr als Direktor des Statistischen Amts der Stadt Würzburg.

1935 versuchte Korherr vergeblich, seine politischen Aktivitäten während seiner Studienzeit herauszustreichen, um als „alter Kämpfer“ eingestuft zu werden. Erst 1937 erhielt Korherr die NSDAP-Mitgliedschaft. Später schlug er das Angebot aus, der SS beizutreten. Der Würzburger Kreisstellenleiter der NSDAP bemängelte, Korherr lasse sich bei politischen Veranstaltungen nie blicken, er sei „etwas menschenscheu, gereizt, empfindlich“ und eine „ängstliche Natur“.

Im März 1939 traf Korherr sich mit Himmler und übernahm ehrenamtlich Arbeiten, bei denen es um die Erstellung von Statistiken im SS-Apparat ging. Am 9. Dezember 1940 wurde Korherr zum „Leiter der Statistischen Abteilung im SS-Hauptamt“ ernannt und damit verantwortlich für die Statistik in sämtlichen Ämtern der SS.[3] Zugleich wurde er in Personalunion „Inspekteur für Statistik beim Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei und beim Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“. Korherr hatte bereits im Oktober 1940 seine Dienste für die „Festigung des deutschen Volkstums“ angeboten:

„Darüber hinaus würde ich eine dankenswerte persönliche Aufgabe sehen, bei der ich in stiller wissenschaftlicher Arbeit für die Praxis wirken könnte, nämlich für die Hauptabteilung I (Menscheneinsatz): Erfassung der deutschen Menschen im deutschen Lebensraum, vor allem außerhalb des Reiches, der Mischbevölkerungen, der Fremdrassigen als wissenschaftliche Vorarbeit für die Umsiedlungen…“[4]

1943 wurde Korherr von Himmler beauftragt, einen umfassenden Bericht zur „Endlösung der Judenfrage“ anzufertigen. Himmler monierte die erste Fassung des sogenannten Korherr-Berichts, weil dort der Begriff „Sonderbehandlung“ vorkam, der als Synonym für „Tötung“ bekannt war. Korherr sollte das Wort ersetzen und mit „durchschleusen“ umschreiben. Eine Kurzfassung des Berichts wurde Adolf Hitler zur Kenntnis gebracht. Zu dieser Zeit, im Februar 1943, meldete sich Korherr freiwillig zum Dienst an die Front, doch wurde sein Gesuch abschlägig beschieden.[5]

Zum 1. Januar 1944 wurde die Dienststelle in das Jagdschloss der Fürsten von Thurn und Taxis bei Donaustauf in der Nähe von Regensburg verlegt und umbenannt in „Statistisch-wissenschaftliches Institut beim Reichsführer SS“. Offenbar war damit auch ein Bedeutungsverlust verbunden, denn zugleich errichtete Himmler ein „Maschinelles Zentralinstitut für die optimale Menschenerfassung und Auswertung“. Trotzdem genoss Korherr, der mit nüchternen Analysen aufwartete, weiterhin das absolute Vertrauen Himmlers und seines persönlichen Stabes.[6]

Nach dem Kriege

Korherr war bis 1946 im Internierungslager. Der Korherr-Bericht lag noch nicht als Beweismittel im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor[7] und kam erst bei den Nachfolgeprozessen zur Sprache. Richard Korherr blieb unbehelligt und behauptete: „Von den Vernichtungsaktionen hörte ich erst nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945.“[8]

Nach Angaben von Adolf Eichmann hatte Korherr jedoch im RSHA Einblick in alle Geheimen Reichssachen und nahm auch Kontakt zu den Leitern von Einsatzgruppen auf.[9] Seine eigenen Formulierungen im Bericht wie „der Zusammenbruch der Judenmassen… seit den Evakuierungsmaßnahmen“ und die Anweisung Himmlers, den Begriff „Sonderbehandlung“ zu ersetzen, widerlegen seine Schutzbehauptung. Jutta Wietog befindet, allein schon die Angaben über die Sterberate in den Konzentrationslagern hätten selbst einem gutgläubigen Menschen die Augen öffnen müssen.[10] Gegenüber Gitta Sereny erklärte Korherr 1977 freimütig, jeder in Deutschland habe gewusst, dass die Juden vergast wurden[11] (vgl. Holocaustkenntnis von Zeitzeugen).

In der Nachkriegszeit fand Korherr Anstellung im Bundesfinanzministerium. Richard Korherr hatte Verbindung zu Karl Valentin Müller und erhielt vom Wintersemester 1959/60 bis Sommersemester 1962 einen Lehrauftrag an dessen Lehrstuhl an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Erlangen-Nürnberg. Als Gerald Reitlingers Buch über die „Endlösung“ seinen Bericht einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte, wurde Korherr 1961 entlassen.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Georg von Mayr: Allgemeines statistisches Archiv, Band 74. Vanderhoeck & Ruprecht, 1990, S. 156. (Eingeschränkte Vorschau bei Google books)
  2. Die Angaben zum Werdegang beruhen auf Aly / Roth: Die restlose Erfassung... Frankfurt/M. 2005, ISBN 3-596-14767-0, S. 40–43 sowie Jutta Wietog: Volkszählungen unter dem Nationalsozialismus. Berlin 2002, ISBN 3-428-10384-X, S. 209–237.
  3. Rüdiger Overmans: Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg. Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-56531-1, S. 47.
  4. Aly, Roth: Die restlose Erfassung… Frankfurt 2005, ISBN 3-596-14767-0, S. 41.
  5. Jutta Wietog: Volkszählungen.... ISBN 3-428-10384-X, S. 235.
  6. Aly, Roth: Die restlose Erfassung... Frankfurt/M. 2005, ISBN 3-596-14767-0, S. 42 f.
  7. Entgegen der Behauptung bei Jutta Wietog: Volkszählungen... ISBN 3-428-10384-X, S. 236.
  8. Ernst Klee: Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 331.
  9. „Ich liebäugelte mit dem Bombentod.“ Adolf Eichmann beschreibt den Großmufti von Jerusalem und die Bombardierung Berlins. In: Welt Online. 1. September 1999.
  10. Jutta Wietog: Volkszählungen... ISBN 3-428-10384-X, S. 232.
  11. Gitta Sereny: Albert Speer. Goldmann, München 2001, ISBN 3-442-15141-4, S. 417.

Weblinks


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