Karl Valentin Müller

Karl Valentin Müller

Karl Valentin Müller (* 26. März 1896 in Bodenbach; † 3. August 1963 in Nürnberg) war eugenisch orientierter Gewerkschafter, Soziologe, Sozialanthropologe und Hochschullehrer mit nationalsozialistischer Orientierung.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Müller besuchte in Bodenbach und Pogrzybow in der Provinz Posen, wo sein Vater als Lehrer tätig war, die Volksschule, dann in Dresden das Realgymnasium. Nach dem Kriegsabitur meldete er sich als Freiwilliger an die Westfront. Nach dem Kriege studierte er in Leipzig zunächst Germanistik, später dann Staats- und Sozialwissenschaften. 1922 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1927 erschien eine von ihm im Auftrage der Gewerkschaften erarbeitete Publikation mit dem Titel „Arbeiterbewegung und Bevölkerungsfrage“.

Seit 1927 arbeitete Müller in verschiedenen Referaten im damals sozialdemokratisch geführten sächsischen Kultusministerium.

Nationalsozialismus (1933–45)

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Müller wegen seiner SPD-Zugehörigkeit aus dem Staatsdienst entlassen, aber nach einiger Zeit in das unter Leitung von Wilhelm Hartnacke stehende Kultusministerium wieder eingestellt. [1] Sein 1935 erschienenes Buch Der Aufstieg des Arbeiters durch Rasse und Meisterschaft ist eine raffinierte Schrift mit doppeltem Boden. Einerseits verwendet er das nationalsozialistische Vokabular, andererseits unterläuft er dogmatische Auffassungen und Auslegungen.

1936 habilitierte er sich in Leipzig bei Hans Freyer und Otto Reche für Soziologie und Bevölkerungswissenschaften. 1938 wurde er Dozent, 1939 Professor für Soziologie an der Technischen Hochschule in Dresden. Hier hielt er Vorlesungen über „Rasse, Volk und Gesellschaft“ und „Volk und Raum“. Von 1941 bis 1945 wurde er an die Universität in Prag als Spezialist für die Rassenlehre des Nationalsozialismus und für die Historiografie der böhmischen Länder berufen. Eines seiner Forschungsziele war die „Behandlung der volkstumspolitischen Verfügungsmasse“ in Osteuropa und die „Umvolkung“ von Tschechen. In seinen Schriften Gesetzmäßigkeit bei Wandlungen im sozialanthropologischen Gefüge von rassisch nahestehenden Nachbarvölkern durch Umvolkungsvorgänge (1937) und Die Bedeutung des deutschen Blutes im Tschechentum (1939) trat er dafür ein, das tschechische Volk in das deutsche durch Umvolkung einzuschmelzen. In seiner Eigenschaft als Sonderbeauftragter für Rassefragen in den böhmischen Ländern verfasste er 1940 eine Denkschrift, in der er forderte, den gesamten Raum mit einer 'deutsch bestimmten Führungsschicht zu überschichten, 'entdeutschte Leistungssippen' zurückzugewinnen und das 'deutsche Volkstum von … leistungsmäßig minderebenbürtigen Sippen zu entschlacken'.[2] Als Zubringer und akademischer Gewährsmann des Sicherheitsdienstes folgte er noch im Dezember 1944 einer Einladung des SS-Gruppenführers Otto Ohlendorf zu einem exklusiven Gedankenaustausch in die Villa am Großen Wannsee. [3]

Karl Valentin Müller arbeitete mit führenden Ostforschern wie Eugen Lemberg und Ernst Lehmann zusammen.

Nach dem Kriege (1946–63)

Nach 1945 konnte Müller seine Karriere als Wissenschaftler bruchlos fortsetzen. Bereits 1946 erhielt er mit Unterstützung des niedersächsischen Kultusministers Adolf Grimme die Gelegenheit, in Hannover ein „Institut für Begabtenforschung“ (seit 1949 „Institut für empirische Soziologie“) aufzubauen. Darüber hinaus war Müller an der Akademie für Raumforschung und Landesplanung tätig.[4]

Müller Schrift Der Aufstieg des Arbeiters durch Rasse und Meisterschaft (Lehmann, München 1935) wurde in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[5]

1955 wurde Müller auf den Lehrstuhl für Soziologie und Sozialanthropologie an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg berufen. Auf der Berufungsliste zur Besetzung des Lehrstuhls stand nur ein Name: Prof. Dr. Karl Valentin Müller. Die Hochschule hatte sich verpflichtet, einen „131er-Professor“, d.h. einen „heimatvertriebenen Hochschullehrer“ nach Art. 131 Grundgesetz, zu berufen.

1954 bis 1959 war Müller Generalsekretär des „Institut International de Sociologie“ und zugleich Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaften.

Seine Rassentheorien und seine völkischen Annahmen aus der Ostforschung wurden, so Andreas Wiedemann, von der Zwischenkriegszeit über den Nationalsozialismus bis in die bundesrepublikanische Anthropologie übernommen. Dazu gehörten seine Vorstellungen über Vererbung, der Rassenhygiene und der Selektion sozialer Gruppen. Noch Ende der fünfziger Jahre, so Gesa Büchert, pflegte Müller Kontakte zu Funktionären der NS-Zeit. Richard Korherr, Verfasser des Korherr-Berichtes zur „Endlösung der Judenfrage“, ehemals leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter und Vertrauter des „Reichsführers-SS“ Heinrich Himmler, hatte vom Wintersemester 1959/60 bis Sommersemester 1962 einen Lehrauftrag für Methoden der empirischen Sozialforschung und Demographie an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an Müllers Lehrstuhl inne.

Schriften

  • Zur Rassen- und Volksgeschichte des böhmisch-mährischen Raumes, in: Das Böhmen und Mähren-Buch, Volkskampf und Reichsraum, Prag, Amsterdam. Berlin, Wien: Volk und Reich, 1943, S. 127-134.

Einzelnachweise

  1. Hans Christian Harten, Uwe Neirich und Matthias Schwerendt, Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-biobliographisches Handbuch Berlin 2006. S.245-247
  2. Handbuch der völkischen Wissenschaften. München: K. G. Saur, 2008, hier: Reinhard-Heydrich-Stiftung, S. 587.
  3. Schreiber, Carsten: Elite im Verborgenen. München: R. Oldenbourg 2008, hier S. 183.
  4. Neue Deutsche Biographie. Berlin 1997, Bd. 18. S. 445–447: Müller, Karl Valentin
  5. http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-m.html

Literatur

  • Gesa Büchert, Harald Fuchs, Peter Löw (Hrsg.): Kleine Geschichte einer großen Fakultät. 75 Jahre Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg. Edelmann, Nürnberg 1994, ISBN 3-87191-201-8.
  • Ursula Ferdinand: Historische Argumentationen in den deutschen Debatten zu Geburtenrückgang und differentieller Fruchtbarkeit: Fallbeispiel Karl Valentin Müller (1896–1963). In: Historical Social Research. 31, 2006, ISSN 0172-6404, S. 208–235 (Volltext (PDF; 621 KB)).
  • Eduard Kubu: „Die Bedeutung des deutschen Blutes im Tschechentum“. Der „wissenschaftspädagogische“ Beitrag des Soziologen Karl Valentin Müller zur Lösung des Problems der Germanisierung Mitteleuropas. In: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder. 45, 2004, ISSN 0523-8587, S. 93–114.
  • Michael Schwartz: Sozialistische Eugenik. Eugenische Sozialtechnologien in Debatten und Politik der deutschen Sozialdemokratie 1890–1933. Dietz, Bonn 1995, ISBN 3-8012-4066-5 (Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte 42).
  • Andreas Wiedemann: Die Reinhard-Heydrich-Stiftung in Prag (1942–1945). Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden 2000, ISBN 3-931648-31-1 (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden. Berichte und Studien 28).

Weblinks


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