Robert Schindel

Robert Schindel
Robert Schindel bei einer Lesung im besetzten Audimax der Universität Wien im November 2009.

Robert Schindel (* 4. April 1944 in Bad Hall in Oberösterreich) ist ein österreichischer Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Robert Schindel wurde 1944 in Bad Hall als Kind jüdischer Kommunisten geboren. Er überlebte nach der Verhaftung seiner Eltern, die sich als elsässische Fremdarbeiter getarnt hatten, um im Auftrag der Exil-KPÖ in Linz eine Widerstandsgruppe aufzubauen, unter falschem Namen: Robert Soel. Er war im jüdischen Kinderspital in der Wiener Tempelgasse (damals Mohaplgasse) untergebracht. Die jüdische Fürsorgerin Franzi Löw und die jüdische Kinderschwester Mignon Langnas verhinderten seine Deportation in die Konzentrationslager nach Auschwitz und Theresienstadt. Sein Vater, René Hajek wurde am 28. März 1945 im KZ Dachau ermordet, die Mutter, Gerty Schindel überlebte die KZs Auschwitz und Ravensbrück und kehrte 1945 nach Wien zurück, wo sie ihren Sohn wieder fand.

1959 verließ Robert Schindel das Gymnasium und begann eine Buchhändlerlehre bei einem Wiener Verlag, die er abbrach. Es folgten Reisen nach Paris und Schweden, wo er sich unter anderem als Tellerwäscher durchschlug.

1967 holte Schindel die Matura nach, studierte Philosophie und engagierte sich in maoistischen Kreisen. Er wurde Mitbegründer der nach Berliner Vorbild aufgebauten Studentenbewegung „Kommune Wien“ und der Literaturzeitschrift „Hundsblume“, in der er auch seine lyrischen Texte publizierte. Seinem Kreis gehörten auch andere später bekannt gewordene Künstler wie Elfriede Jelinek und das Zwillingspaar Konstantin Kaiser und Leander Kaiser an. 1970 veröffentlichte Schindel den Roman Kassandra.

1986 wurde Robert Schindel freiberuflicher Schriftsteller. Davor hatte er seinen Lebensunterhalt mit zahlreichen Jobs u. a. bei Post und Bahn, als Bibliothekar in der Wiener Hauptbücherei (1975–1980), Nachtredakteur bei Agence France-Presse (1981–1983) und als Gruppentrainer für Arbeitslose (1983–1986) bestritten. Nebenbei entstanden auch Arbeiten für Film, Fernsehen und Rundfunk.

Eine zentrale Rolle in seinen Werken spielt die Shoa und sein ambivalentes Verhältnis zu Wien, jener Stadt, die er auch als „Vergessenshauptstadt“ bezeichnet, und dem dort noch immer bestehenden Antisemitismus. Diese Thematik nahm in den 1980er Jahren in seiner Arbeit mehr Platz ein, in diesem Jahrzehnt drang auch die unbewältigte NS-Vergangenheit Österreichs durch die Waldheim-Affäre ins öffentliche Bewusstsein.

1992 veröffentlichte Robert Schindel den Roman Gebürtig, der aufgrund seines Erfolges von ihm zusammen mit Lukas Stepanik 2001 verfilmt wurde.

Von 1998 bis 2002 war der Mitglied der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises, ab 1999 deren Vorsitzender. Robert Schindel ist ein Förderer von Nachwuchsschriftstellern und hält seit 2003 verschiedene Schreibwerkstätten für junge Autoren ab.

2004 wurde Schindel Mitherausgeber der „Landvermessung. Österreichische Bibliothek nach 1945. Vergessene, Bleibende, Künftige. Vormals Austrokoffer.“, die aufgrund des österreichischen Jubiläumsjahres 2005 (50 Jahre Staatsvertrag, 60 Jahre Republik, 10 Jahre EU-Beitritt) aufgelegt wurde.

2006 gründete er gemeinsam mit Rudolf Scholten in Heidenreichstein das Literaturfestival Literatur im Nebel. Jährlich wird ein weltbekannter Schriftsteller zum Festival eingeladen. Bisher waren dies Salman Rushdie (2006), Amos Oz (2007), Jorge Semprún (2008) und Margaret Atwood (2009).

Robert Schindel ist Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg und seit dem Wintersemester 2009/2010 als Professor an der Universität für Angewandte Kunst Wien tätig.

Werke

  • Ohneland. Gedichte vom Holz der Paradeiserbäume. 1979–1984. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986.
  • Geier sind pünktliche Tiere. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987
  • Im Herzen die Krätze. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988
  • Ein Feuerchen im Hintennach. Gedichte 1986–1991. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992
  • Gebürtig. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992
  • Die Nacht der Harlekine. Erzählungen, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994
  • Gott schütz uns vor den guten Menschen. Jüdisches Gedächtnis – Auskunftsbüro der Angst. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995
  • Immernie. Gedichte vom Moos der Neunzigerhöhlen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000
  • Nervös der Meridian. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003
  • Zwischen dir und mir wächst tief das Paradies. Liebesgedichte. Vorwort von André Heller; Illustrationen von Christof Subik. Insel, Frankfurt am Main Leipzig 2003
  • Fremd bei mir selbst. Gedichte. Nachwort von Marcel Reich-Ranicki. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004
  • Kassandra. Roman, Vorwort von Robert Menasse. Haymon, Innsbruck 1979/2004. ISBN 978-3-85218-446-3.
  • Wundwurzel. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005
  • Der Krieg der Wörter gegen die Kehlkopfschreie, Capriccios. Haymon, 2008, ISBN 978-3-85218-573-6.
  • Mein mausklickendes Saeculum. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. ISBN 978-3-518-42024-9
  • Dunkelstein. Eine Realfarce. Haymon, Innsbruck 2010

Preise, Auszeichnungen

Literatur

  • Martin A. Hainz: „Todesfuge – Todesorgel“. Zu Paul Celan und Robert Schindel. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. 124 (2005): S. 227–242.
  • Béatrice Gonzalés-Vangell: Kaddisch et Renaissance. La Shoah dans les romans viennois (1991–2001) de Robert Schindel, Robert Menasse et Doron Rabinovici. Septentrion, Valenciennes, 2005. ISBN 2-85939-900-3
  • Matthias Beilein: 86 und die Folgen. Robert Schindel, Robert Menasse und Doron Rabinovici im literarischen Feld Österreichs. Erich Schmidt, Berlin 2008. ISBN 978-3-503-09855-2
  • Iris Hermann: Bei Robert Schindel in Wien zu Tisch. Rindfleisch und Knödel, Rotwein und Mokka. In: Claudia Lillge und Anne-Rose Meyer (Hrsg.): Interkulturelle Mahlzeiten. Kulinarische Begegnungen und Kommunikation in der Literatur. Transcript, Bielefeld 2008. ISBN 978-3-89942-881-0. S. 105–123.
  • Iris Hermann: Möchte ich ein schwimmender Schreiber sein. Von der „Wortsucht“ in Robert Schindels Gedichtband „Wundwurzel. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. 127 (2008): S. 269–284.
  • Iris Hermann und Meinolf Schumacher: Da bin ich und das wars. „Strichpunktexistenz“ und „Flüsterdennoch“: Robert Schindels Gedicht 'Amfortas' (2007). In: Sprachkunst, Bd. 39/1 (2008): S. 59–75.
  • Andrea Kunne: „Verschwinden. Zwischen den Wörtern“. Sprache als Heimat im Werk Robert Schindels. Studien-Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2009. ISBN 978-3-7065-4695-9

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eintrag zu Schindel, Robert beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD.
  2. Robert Schindel erhielt Auszeichnung der Stadt Wien Rathauskorrespondenz vom 12. Oktober 2005 (Abgerufen am 11. Juni 2010)

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