Rollsiegel

Rollsiegel
Sumerisches Rollsiegel und Abrollung

Das Rollsiegel ist erstmals zwischen 3200 und 3100 v. Chr. in der sumerischen Uruk IV-Schicht belegt und wurde ohne vorherige Übergangsformen als „neue Idee“ eingeführt.[1] Es stellt eine Sonderform der Glyptik und Sphragistik dar und verdrängte für etwa 2300 Jahre fast vollständig das in Mesopotamien seit dem sechsten Jahrtausend v. Chr. benutzte Stempelsiegel.

Inhaltsverzeichnis

Ikonografie und Chronologie

Vorderer Orient

Rollsiegel aus Zypern mit kyprominoischer Aufschrift

Rollsiegel waren zumeist zwei bis acht Zentimeter lange (seltener kleiner, ab 0,15 cm, oder größer, zehn cm und mehr), ein bis zwei Zentimeter dicke Zylinder, die innen meist durchbohrt und somit hohl waren. Sie wurden vom Besitzer an einem Band oder einer Kette getragen. Im Normalfall waren die Siegel aus Stein oder Halbedelstein (vor allem Onyx, Lapislazuli, Achat, Fritte) geschnitten. Nahezu alle Rollsiegel waren in Intaglio-Technik gearbeitet, das heißt, dass die Darstellung vertieft gearbeitet wurde und der Abdruck so im Hochrelief erscheint. Es wurden auch auf Zypern und in Lateinamerika Rollsiegel gefunden.

Die Motive auf den Siegeln waren umlaufende Bilder, manchmal auch mit Inschriften versehen. Die Siegel wurden in weichem Ton abgerollt und konnten ein fortlaufendes Band von immer demselben Motiv wiedergeben. Im Allgemeinen wurden Verschlüsse von Krügen, Tonplomben oder Urkunden versiegelt. Die Siegelabdrücke waren individuell gestaltete Bilder, die hohen Wiedererkennungswert hatten. Zunächst waren die Siegel an einen Funktionsträger gebunden, später waren Rollsiegel unter freien Mesopotamiern weit verbreitet. Zumeist können Siegel einzelnen Personen zugewiesen werden, selten hatte eine Person mehrere Siegel. Allerdings gab es sogar Siegel, die vererbt wurden (sogenannte "Dynastische Siegel"). Es ist sogar bekannt, dass Siegel verliehen wurden oder dass Gottheiten Siegel besaßen.

Sumerisches Rollsiegel und Abrollung

Motive der Rollsiegel waren zum Teil nur ornamentalisch, aber auch Jagdszenen, Feldarbeitsszenen, Kultszenen und mythologische Szenen. Schon in der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. (Uruk-Zeit, Dschemdet-Nasr-Zeit) gab es einen reichen Formenschatz, der zuerst vor allem Tierdarstellungen umfasste. In der frühdynastischen Zeit (etwa 2700–2400 v. Chr.) wandelten sich die Figuren zu abstrakteren Formen. In der Akkad-Zeit (2350–2150 v. Chr.) waren die Darstellungen durch Realismus, klare und tief gravierte Bilder gekennzeichnet. Tier- und Menschengruppen wurden dargestellt, häufig auch Szenen, in denen die Einführung von Adoranten zu ihrem Schutzgott gezeigt werden. Größere Motivänderungen gab es erst wieder in der späten kassitischen Zeit am Ende des 2. Jahrtausend v. Chr., als Symbole und abstrakte Motive, die häufig legendäre Situationen darstellten, die Überhand gewannen. Als Höhepunkt der Rollsiegelkunst gilt die Mittelassyrische Zeit (2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.). Tiere und Mischwesen waren hier die vorherrschenden Motive. In Neuassyrischer und Neubabylonischer Zeit waren wieder symbolhaftere Szenen tonangebend. Als ein weiterer Höhepunkt in der Siegelkunst wird die achämenidische Zeit (8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) angesehen. Allerdings wurden die Siegel hier in erster Linie nur noch von Beamten und Behörden genutzt. In parthischer Zeit, um die Zeitenwende, endete die Verwendung der Rollsiegel.

Die Assyrer lösten im 9. Jahrhundert v. Chr. eine Renaissance der Stempelsiegel aus, die nun wiederum die Rollsiegel im Gebrauch zurückdrängten. Da die Motive der Siegel in den verschiedenen Jahrhunderten immer wieder wechselten, wurden die Rollsiegel zu einem der wichtigsten Datierungshilfen in der vorderasiatischen Archäologie. Neben der Funktion als Siegel waren die Rollsiegel oft auch Amulette. Hier war auch der verwendete Stein von Bedeutung, dem bestimmte Funktionen zugeschrieben wurden. Auch als im 19. Jahrhundert im Zuge der archäologischen Grabungen Rollsiegel nach Europa kamen, war es eine Zeit lang Mode, dass Frauen sich mit diesen schmückten.

Altes Ägypten

Rollsiegel wurden im Alten Ägypten erstmals unmittelbar vor der 1. Dynastie eingeführt und etwa 1000 Jahre bis zum Beginn des Mittleren Reiches (etwa 2100 v. Chr.) benutzt. Etwa zu diesem Zeitpunkt tauchten die neuen Skarabäen in der Verwaltung auf, die in der Folgezeit die Rollsiegel verdrängten.

Anfangs überliefern die altägyptischen Rollsiegel die Namen von Verwaltungsinstitutionen, von Beamten und von Königen. Im Alten Reich scheint die Herstellung von Rollsiegeln königliches Monopol geworden zu sein. In dieser Zeit verschwinden Beamtennamen von den Siegeln und sie nennen nur noch Verwaltungsinstitutionen, Ämter oder den Namen des Königs. Der Fund zahlreicher Siegelabrollungen in Grabanlagen und an Siedlungsplätzen zeigt, dass sie ein wichtiger Teil der Verwaltung waren.

Siehe auch

Literatur

  • Erika Bleibtreu (Hrsg.), Stephania Constantinescu (Mitarb.): Rollsiegel aus dem Vorderen Orient. Zur Steinschneidekunst zwischen etwa 3200 und 400 vor Christus nach Beständen in Wien und Graz. Sonderausstellung der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums in Wien. Verlag für Vorderasiatische Archäologie, Wien 1981. [2]
  • Evelyn Klengel-Brandt (Hrsg.): Mit Sieben Siegeln versehen. Das Siegel in Wirtschaft und Kultur des Alten Orients, Philipp von Zabern, Mainz 1997, ISBN 3-8053-2032-9, (Ausstellungskatalog)
  • Dietz-Otto Edzard u. a.: Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie. Band 3. de Gruyter, Berlin 1999, ISBN 3-11-003705-X.
  • Dietz Otto Edzard: Geschichte Mesopotamiens. Von den Sumerern bis zu Alexander dem Großen. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51664-5, (Beck's historische Bibliothek).
  • Gebhard J. Selz: Sumerer und Akkader. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. Beck, München 2005, ISBN 3-406-50874-X, (Beck'sche Reihe 2374 C. H. Beck Wissen).

Weblinks

 Commons: Rollsiegel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Klaas R. Veenhof: Geschichte des Alten Orients bis zur Zeit Alexanders des Grossen. Grundrisse zum Alten Testament, Band 11. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-51686-X, S. 307. – online, abgerufen am 22. März 2011.
  2. Permalink Deutsche Nationalbibliothek,
    Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund.

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