- Rote-Khmer-Tribunal
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Außerordentliche Kammern an den Gerichten von Kambodscha
Rote-Khmer-Tribunal
Hauptgebäude des Rote-Khmer-TribunalsEnglische Bezeichnung Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia Französische Bezeichnung Chambres Extraordinaires au sein des tribunaux cambodgiens Organisationsart Ad-hoc-Strafgerichtshof Sitz der Organe www.eccc.gov.kh Das Rote-Khmer-Tribunal (auch Khmer-Rouge-Tribunal, offiziell Außerordentliche Kammern an den Gerichten von Kambodscha; englisch Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, französisch Chambres Extraordinaires au sein des tribunaux cambodgiens) ist ein hybrider Strafgerichtshof nach dem Vorbild des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag und des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda (ICTR) in Arusha, der die im Zeitraum von 1975 bis 1979 von den Roten Khmer begangenen Verbrechen untersuchen und aburteilen soll.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Auf Initiative der vietnamesischen Besatzer fand im August 1979 in Phnom Penh ein Schauprozess gegen die beiden Roten Khmer Pol Pot und Ieng Sary statt, der von Kaev Chenda, dem kambodschanischen Minister für Propaganda und Information, geleitet wurde. Sie wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 1996 wurde Ieng Sary vom Hun-Sen-Regime amnestiert. Pol Pot starb 1998, ohne dass er verhaftet worden wäre. Im gleichen Jahr kapitulierten die letzten Roten Khmer.
Daraufhin konnten 1999 zwei hochrangige Rote Khmer verhaftet werden:
- General Ta Mok, der 1997 Pol Pot entmachtet hatte und die letzte Nummer 1 der Roten Khmer war. Er starb 2006 im Gefängnis an Altersschwäche.
- Kaing Guek Eav („Duch“), der ehemalige Leiter des Folterzentrums S-21 in Phnom Penh. Er lebte seit seiner Flucht 1979 unerkannt unter falschem Namen in Kambodscha und Thailand.
Vor 2007 waren dies die beiden einzigen Inhaftierten des ehemals 2.000 Personen umfassenden Führungskaders der Roten Khmer.
Ein geplanter Prozess verzögerte sich jahrelang. Zunächst herrschte ein Konflikt zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung in Kambodscha über Fragen des Konferenzortes, des anzuwendenden Prozessrechtes und der Inhalte des Tribunals. Vor allem die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China blockierten die Verhandlungen lange Zeit. 2003 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Hun-Sen-Regierung ein Abkommen, in dem u. a. folgendes vereinbart wurde: Das Gericht des geplanten Tribunals wird sich aus kambodschanischen und internationalen Richtern zusammensetzen, kambodschanisches Prozessrecht wird zur Anwendung kommen, und das Gericht wird seinen Sitz in Phnom Penh haben. Obwohl die kambodschanischen Richter die Mehrheit stellen, muss jede Entscheidung von mindestens einem ausländischen Richter mitgetragen werden.
Am 4. Oktober 2004, 25 Jahre nach den Ereignissen, die das Tribunal ahnden soll, beschloss das kambodschanische Parlament ein Gesetz, das einen von den Vereinten Nationen begleiteten Prozess gegen die noch lebenden Führungskader der Roten Khmer ermöglicht.
Die Kosten des geplanten Tribunals wurden ursprünglich auf 56,3 Mio. US-Dollar (für einen Zeitraum von drei Jahren) veranschlagt. Man verständigte sich darauf, dass Kambodscha 13,3 Mio. US-Dollar trägt und der Rest von internationalen Gebern bereitgestellt wird. Japan erklärte im Februar 2005, 21,5 Mio. US-Dollar, also den Hauptanteil der Kosten, zur Verfügung zu stellen. Deutschland hat seit 2005 das Tribunal mit insgesamt 7,8 Millionen Euro unterstützt.[1] Im März 2005 erklärte der kambodschanische Premierminister Hun Sen, dass Kambodscha auf Grund seiner Armut nur 1,5 Mio. US-Dollar der Kosten tragen könne. Der Personalaufwand wird auf etwa 2.000 Juristen aus dem In- und Ausland geschätzt.
Arbeit des Tribunals
Am 3. Juli 2006 wurden in einer feierlichen Zeremonie 27 Richter des Tribunals, unter ihnen zehn ausländische Juristen, vereidigt.
Abgeschlossener Prozess gegen Duch
Die Gerichtsverfahren begannen allerdings erst ein Jahr später mit der Vernehmung von Kaing Guek Eav alias Duch.[2] Der Prozess begann 2009.
Er wurde 2010 zu dreißig Jahren Haft verurteilt, wogegen die Staatsanwaltschaft Berufung einlegte.
Korruptionsvorwürfe
Breite internationale Aufmerksamkeit erfuhren 2009 Korruptionsvorwürfe gegen das Tribunal, wonach sich Mitarbeiter des Gerichts als Bedingung für ihre Anstellung damit einverstanden erklären mussten, einen Teil ihrer Gehälter an die Führungsebene des Gerichts abzuführen. Im August 2009 wurde im Einverständnis mit den Vereinten Nationen die Position eines Beraters geschaffen, der den Vorwürfen nachgehen soll. Zuvor hatten zahlreiche internationale Geldgeber ihre finanziellen Zuwendungen an das Tribunal eingefroren, was dieses kurzfristig an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachte.[3]
Gegenwärtiger Prozess gegen vier weitere Angeklagte
Gegenwärtig findet ein Prozess gegen vier weitere hochrangige Rote-Khmer-Funktionäre statt. Alle Angeklagten lebten auch nach der Kapitulation der letzten Kampfverbände der Roten Khmer 1998 noch bis 2007 auf freiem Fuß.
Am 19. September 2007 wurde Nuon Chea, Ex-Chefideologe der Roten Khmer, festgenommen. Er wurde von Polizisten aus seinem Haus im kambodschanischen Dschungel abgeholt, nachdem das Rote-Khmer-Tribunal einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatte. Nuon Chea ist somit der ranghöchste Angeklagte vor dem Tribunal. Als Höchststrafe droht die lebenslange Haft, da die Todesstrafe bereits 1993 in Kambodscha abgeschafft wurde. Am 12. November 2007 wurden Ieng Sary und seine Frau Ieng Thirith festgenommen und dem Tribunal überstellt. Eine Woche später wurde auch der Ex-Staatschef Khieu Samphan in einem Krankenhaus in Phnom Penh verhaftet. Am 16. September 2010 wurde offiziell Anklage gegen alle vier erhoben.
Der Prozess begann am 27.Juni 2011.[4] Die vier Angeklagten im Alter zwischen 79 und 85 Jahren ließen sich dabei nach außen hin keine Gefühle anmerken.[5] Nach wenigen Minuten sagte Nuon Chea, er sei "nicht glücklich" über die Anhörung[4] und verließ unter Protest den Saal mit der Begründung, seine Gesundheit sei schlecht und ihm sei kalt.[5]
Es wird erwartet, dass die Verteidiger sich auf Verjährung und Amnestien in den 1990er Jahren berufen.[5]
Weitere Ermittlungen
Ein Staatsanwalt warf dem Gericht vor, Ermittlungen über weitere mutmaßliche Täter nur unzureichend durchzuführen. Nach Ansicht der Organisation Human Rights Watch beugte sich das Gericht dabei politischem Druck. Kambodschas Premier Hun Sen hatte mehrmals erklärt, er werde, von den Prozessen gegen die fünf Exfunktionäre abgesehen, keine weiteren Verhandlungen zulassen.[6]
Literatur
- Padraic J. Glaspy: Justice Delayed? Recent Developments at the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia. In: Harvard Human Rights Journal 21 (2008) S. 143–154.
- John Hall: In The Shadow of the Khmer Rouge Tribunal: The Domestic Trials of Nuon Paet, Chhouk Rin and Sam Bith, and the Search for Judicial Legitimacy in Cambodia. In: Columbia Journal of Asian Law 20 (2006/2007) S. 235–297.
- Helen Horsington: The Cambodian Khmer Rouge Tribunal: The Promise of a Hybrid Tribunal. In: Melbourne Journal of International Law 5 (2004) S. 462–482.
- Katheryn M. Klein: Bringing the Khmer Rouge to Justice: The Challenges and Risks Facing the Joint Tribunal in Cambodia. In: Northwestern Journal of International Human Rights 4 (2005/2006) S. 549–566.
- Jörg Menzel: Ein Strafgericht für die Khmer Rouge. Herausforderung für Kambodscha und das Völkerstrafrecht. In: Verfassung und Recht in Übersee 39 (2006) S. 425–456.
- Raimund Weiß: Das Sondergericht zur Ahndung der Verbrechen der Roten Khmer. In: Internationales Asienforum 39 (2008) S. 107–118.
Weblinks
Commons: Rote-Khmer-Tribunal – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Webseite des Rote-Khmer-Tribunals.
- Kambodscha, TRIAL Watch.
- Stephen Heder und Brian D. Tittemore: Seven Candidates for Prosecution: Accountability for the Crimes of the Khmer Rouge.
- Michael Lenz: Tribunal gegen die Menschenschlächter, Stern-online vom 19. November 2007.
- Kambodscha: Kriegsverbrechertribunal Rote Khmer, Newsletter Migration und Bevölkerung, Mai 2005.
- Armin Wertz: Fluch der toten Jahre, der Freitag vom 19. Januar 2001.
- Hans Christoph Buch: "Sorry, very sorry", Zeit Online 10/1999.
- Sophie Mühlmann: Pol Pots brutaler Henker steht jetzt vor Gericht, Die Welt vom 17. Februar 2009.
- „Nahrung gegen Sex“ – Die Berliner Anwältin Silke Studzinsky über ihre Arbeit beim Rote-Khmer-Tribunal, Spiegel Online vom 2. November 2009.
Einzelnachweise
- ↑ BMZ fördert Rote Khmer Tribunal in Kambodscha: Urteil über ehemaligen Direktor des Foltergefängnisses; Pressemeldung des BMZ vom 26. Juli 2010. Abgerufen am 28. Juni 2011.
- ↑ Ex-Gefängnischef vor Völkermord-Tribunal in Kambodscha Spiegel Online 31. Juli 2007
- ↑ Establishment of an Independent Counsellor at the Courts of Cambodia CAAI News Media (englisch) 13. August 2009
- ↑ a b Rote Khmer vor Gericht - "Bruder Nummer zwei" erwartet seine Strafe, Spiegel Online 27. Juni 2011
- ↑ a b c 4 Exführer der Roten Khmer angeklagt, taz 27. Juni 2011
- ↑ UN-Tribunal wieder in der Kritik taz 26. Juni 2011
11.520277777778104.79305555556Koordinaten: 11° 31′ 13″ N, 104° 47′ 35″ O
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