Rätische Sprache

Rätische Sprache
Rätisch (†)
Zeitraum bis 3. Jahrhundert n. Chr.

Ehemals gesprochen in

Alpen (und Vorgebiet) nördlich der Linie von Como bis Verona: Münstertal, Unterengadin, Südtirol, Tirol, Vorarlberg, Oberbayern
Sprachgebiete im Italien des 6. Jahrhunderts v. Chr.

Die rätische Sprache wurde bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. im mittleren Alpenraum gesprochen, vor allem im nordöstlichen Italien (einschließlich dem heutigen Südtirol) und im heutigen Österreich (Tirol und Vorarlberg), aber auch in der heutigen Ostschweiz, Liechtenstein und in Bayern südlich der Donau. Sie ist in zahlreichen, allerdings durchweg sehr kurzen Inschriften auf verschiedensten Gegenständen bezeugt und wurde in verschiedenen Alphabeten, die dem altitalischen Schriftenkreis angehören, geschrieben.

Wegen einer gewissen Unschärfe des Begriffs Räter sind hier manche Aussagen problematisch, dies gilt sogar für die Annahme, die Räter hätten die rätische Sprache gebraucht.

Inhaltsverzeichnis

Genealogische Einordnung

Bezüglich ihrer genealogischen Einordnung entstanden in der Neuzeit mehrere stark divergierende Theorien:

  • Die Einordnung als eine isolierte Sprache (ähnlich wie das Baskische).
  • Die Einordnung in eine Gruppe mit der Etruskischen Sprache und der Lemnischen Sprache in eine, ansonsten isolierte, Sprachgruppe der sog. ägäischen bzw. tyrsenischen Sprachen.[1] Der Indogermanist und Etruskologe Helmut Rix führt eine Reihe von Übereinstimmungen des Rätischen mit dem Etruskischen an, vor allem im Bereich der Grammatik. Um die Zeitenwende meinten die römischen Geschichtsschreiber Plinius der Ältere, Pompeius Trogus und Titus Livius, die Räter seien durch das Eindringen von Kelten nach Oberitalien in die Alpen vertriebene Etrusker gewesen, wobei Livius (Ab urbe condita V 33) sogar von einem bei den Rätern – allerdings „unvollkommen“ – bewahrten Klang des Etruskischen spricht. Wie Theodor Mommsen ausführt,[2] sollen beiden Sprachen sehr „hart“ und „rau“ geklungen haben, in beiden fehlten die Konsonanten b, d, g[3] und wurden bei der Übernahme etwa von Namen aus der griechischen Mythologie durch p, t, k ersetzt. (Siehe auch Räter zu Inschriften.)
  • Einige Theorien vermuten, dass sie zu den keltischen Sprachen zu rechnen ist.
  • Der „Privatgelehrte“ Linus Brunner[4] stellte in den 1980er-Jahren die Hypothese auf, wonach die rätische Sprache eine semitische Sprache sei, was allerdings von der überwiegenden Mehrzahl der Linguisten abgelehnt wird.

Rätische Personennamen

Die rätische Namensformel besteht aus einem Individualnamen („Rufname“) und einem darauffolgenden Patronym („Vatersname“), wobei Letzteres bei männlichen Personen mit dem Suffix -nu gebildet wird, bei weiblichen hingegen mit dem Suffix -na, z. B.

männliche Namen: Klevie Valθiki-nu, Knuse Susi-nu, Lasθe Φutiχi-nu, Piθamne Hela-nu, Piθie Meti-nu

weibliche Namen: [Φ]rima Piθam-n[a]

männlich und weiblich: Φrima Remi-χ Vispeχa-nu „Phrima (weibl.) und () Remi (männl.) Vispekhanu“

Das Rätoromanische

Das (im früheren Churrätien der Schweiz gesprochene) (Bündner-)Romanische wie auch das Ladinische – beide heute mit dem Friulanischen zum Rätoromanischen zusammengefasst – geht nicht auf die rätische Sprache zurück, sondern auf das Vulgärlatein der romanisierten Bevölkerung dieser Gebiete. Dabei ist nicht auszuschließen, dass sich Sprache und Kultur der vorrömischen (im Osten und Südosten rätischen, im Westen und Südwesten möglicherweise keltisch-ligurischen und/oder lepontischen) Bevölkerung in irgendeiner Form in der romanischen Kultur erhalten haben und die Grundlage für das Selbstverständnis der Romanen bilden. Durch das Vordringen der Bajuwaren aus dem nördlichen Alpenvorland in (Süd-)Tirol seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. wurde jedenfalls das ladinische Rätoromanisch nach und nach zurückgedrängt.

Einzelnachweise

  1. Schumacher (2004), S. 317 f.
  2. S. 118 und 120 f. von: Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Erster Band, Erstes Buch, Neuntes Kapitel. Die Etrusker. Berlin, 1923.
  3. Ernst Risch: Die Räter als sprachliches Problem, S. 677: Abb. 1 vergleicht die relevanten Alphabete und Buchstaben des Alpen- und des Mittelmeerraums miteinander. Vgl. auch die lemnische Sprache.
  4. Schumacher (2004), S. 94 f.

Siehe auch

  • Räter – vermutliche/vermeintliche Sprecher des Rätischen
  • Nordwestblock – „zwischen Germanen und Kelten“

Literatur

  • Stefan Schumacher: Die rätischen Inschriften. Geschichte und heutiger Stand der Forschung. 2. Aufl. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft Bd 79. Sonderheft. Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck, Innsbruck 2004. ISBN 3-85124-155-X
  • Helmut Rix: Rätisch und Etruskisch. In: Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft. Bd. 68: Vorträge und kleinere Schriften. Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck, Innsbruck 1998. ISBN 3-85124-670-5
  • Stefan Schumacher: Sprachliche Gemeinsamkeiten zwischen Rätisch und Etruskisch. In: Der Schlern. Bd. 72, Heft 2, S. 90–114 (Bozen 1998).
  • A. Mancini: Iscrizioni retiche. In: Studi Etruschi. Firenze 43.1975, S. 249–306. ISSN 0391-7762
  • Linus Brunner, Alfred Toth: Die rätische Sprache – enträtselt. Sprache und Sprachgeschichte der Räter. St. Gallen, 1987 (Digitalisat einer engl. Ausgabe des Buches) – zur von der Fachwelt verworfenen „Semitenthese“.
  • Ferruccio Bravi, La lingua dei reti, Volume 1: Grafica, fonetica, note grammaticali, titoli. Volume 2: Testi, lessico, repertori, Centro di documentazione storica, Bolzano 1981.

Weblinks


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