Etruskische Sprache

Etruskische Sprache
Etruskisch (†)
Zeitraum 9. Jahrhundert v. Chr. bis 2. Jahrhundert n. Chr.

Ehemals gesprochen in

Etrurien (im Wesentlichen heutige Toskana) und Unteritalien
Sprachcodes
ISO 639-1:

ISO 639-3:

ett

Sprachgebiete im Italien des 6. Jahrhunderts v. Chr.

Die etruskische Sprache wurde vom 9. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. in der damaligen Provinz Etrurien im Gebiet der heutigen Toskana gesprochen (die den Etruskern ihren Namen zu verdanken hat: Tusci war der gebräuchliche lateinische Name für die Etrusker).

Etruskische Texte stammen aus Etrurien, Kampanien, dem Latium, Falerii (Gebiet der Falisker), Veji, Cerveteri (Caere), Tarquinia und deren Umgebung, aber auch aus Gebieten außerhalb Italiens, mit denen die Etrusker diplomatische und Handelskontakte pflegten, wie z. B. die spätere Gallia Narbonensis, aber auch Korsika, Sardinien und das karthagische Nordafrika. Die nördlichste Inschrift befindet sich in Österreich in der Nähe des Guffert.

Etruskisch wurde in einer Variante des altitalischen Alphabets geschrieben (siehe: Etruskische Schrift).

Inhaltsverzeichnis

Die Texte

Außer wenigen Fibeln, den Epigraphien, die man auf vielen Geräten und Objekten findet, wie Töpfereien und Spiegeln, auf Grabwänden und auf Särgen (recht kurz, oft nur aus dem Namen des Verstorbenen bestehend), sind die wichtigsten erhaltenen Texte in etruskischer Sprache folgende:

  • Die Zagreber Mumienbinden (lat. Liber linteus, „Leinenbuch“)
Der bisher längste Text, den man gefunden hat. Es ist ein regelrechtes „Buch“, auf Leinen geschrieben, das man in acht Streifen zerrissen als Binden für eine ägyptische Mumie benutzt hat; drei der Streifen sind jedoch verloren gegangen. Die Mumie befindet sich im Nationalmuseum in Zagreb. Der Text, der aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. stammt, ist in roter und schwarzer Tinte kalligraphiert und umfasst zwölf Spalten (Kolumnen), ca. 230 Zeilen und ca. 1200 lesbare Wörter, darunter ungefähr 500 verschiedene. Die Wiederholungen erklären sich durch den rituellen Charakter des Textes. Man bezeichnet ihn auch als „religiösen Kalender“, der für jeden Tag die zur Ehrung der Götter vorgesehenen Zeremonien mit Orts- und Zeitangaben vorschreibt.
  • Die Tontafel von Capua (lat. Tabula capuana)
Dieser Text besteht aus 10 Absätzen und 62 Zeilen, von denen jede durch eine waagrechte Linie abgegrenzt ist. Etwa 300 Wörter sind heute noch lesbar. Der Text ist religiöser Natur und beinhaltet Anweisungen bezüglich der Vorbereitungen zu einem Bestattungsritus.
Cippus perusinus (3.-2. Jahrhundert v. Chr.)
  • Der Cippus von Perusia (lat. Cippus perusinus)
Dieser Text besteht aus 46 Zeilen und ca. 100 Wörtern. Es handelt sich dabei um ein Abkommen zwischen zwei Familien, das die Grenzen zwischen ihren Grundstücken festlegt.
  • Die Goldbleche von Pyrgi
Goldbleche von Pyrgi (heute im Etruskischen Museum Rom)
Ein in zwei Goldbleche gemeißelter zweisprachiger Text, den man in einem der Göttin Astarte (kanaanäische Form der babylonischen Göttin Ischtar) gewidmeten Heiligtum fand. Der erste, etruskische Text, von einem gewissen Thefarie Velianas, „Magistrat“, „Statthalter“ oder „Herr“ von Caere (heute: Cerveteri) verfasst, richtet sich an die etruskische Göttin Uni (Hera-Juno); der zweite, auf Punisch verfasste Text, ist eine Anweisung bezüglich der Zeremonien, die ihr zu Ehren stattfinden sollten.
  • Vier Inschriften auf Bleitafeln
Die erste wurde in Santa Marinella bei Rom gefunden und scheint eine Voraussage eines Orakels zu beinhalten. Die zweite fand man in Magliano, sie ist in Spiralenform geschrieben und ist eine Liste von Opfergaben an mehrere Götter. Die dritte fand man in Volterra, sie ist wahrscheinlich ein magisch-ritueller Text. Die vierte fand man in Campiglia Marittima, sie handelt von einem Fluch, den eine Liberte auf mehrere Personen gehetzt hatte.
Diese Bronzetafel wurde erst 1992 in der Nähe der Stadt Cortona am Trasimenischen See gefunden. Sie ist jetzt die drittlängste bekannte Inschrift nach den Mumienbinden von Zagreb und dem Ziegelstein von Capua. Der Text ist 40 Zeilen lang und stellt offenbar eine notarielle Urkunde dar.
  • Das Goldene Buch
So nennt man die sechs mit Ringen zusammengehaltenen Tafeln, die man unlängst in Bulgarien fand. Sie befinden sich derzeit im Nationalmuseum in Sofia. Man fand sie auf ungewöhnliche Weise: Sie wurden angeblich 1940 bei einem Kanalbau entdeckt, aber heimlich in Privatbesitz behalten. Sie seien dann von dem anonymen, in Mazedonien lebenden 87-jährigen Besitzer dem Museum zu Beginn des 21. Jahrhunderts gestiftet worden. Die mit Blattgold beschichteten Texte beinhalten die Illustrationen eines Reiters, einer Meerjungfrau und einer Harfe sowie einen Text, der derzeit in London untersucht wird.

Linguistische Klassifikation

Das Etruskische ist definitiv keine indogermanische Sprache. Steinbauer hat allerdings nachzuweisen versucht, dass das Etruskische und Lemnische Kontakt zu westanatolischen, also indogermanischen Sprachen hatten.[1] Die weiteren Verwandtschaftsverhältnisse sind unsicher:

Die einzigen beiden Sprachen, deren Verwandtschaft mit dem Etruskischen heute in der Fachwelt für wahrscheinlich gehalten wird, sind die auf der Insel Lemnos bis zur Invasion der Athener im 6. Jahrhundert v. Chr. gesprochene lemnische sowie die rätische Sprache. Dies führte zur Hypothese der tyrsenischen Sprachfamilie. Durch die sprachliche Verbindung mit dem Lemnischen könnte die Hypothese gestützt werden, dass die Etrusker aus dem agäisch–kleinasiatischen Raum nach Italien eingewandert sind; jedoch ist eine umgekehrte Wanderungsrichtung auch nicht von vornherein auszuschließen; in diesem Falle wäre das Etruskische eine autochthone Sprache Italiens. Allerdings gibt es im Verbreitungsgebiet des Etruskischen Hinweise auf ein sprachliches Substrat, das für die genannte Verbindung mit dem Rätischen verantwortlich sein könnte.

Es hat nicht an Versuchen von Forschern gemangelt, das Etruskische mit anderen Sprachen bzw. Sprachfamilien genetisch in Verbindung zu bringen:

Keiner dieser Ansätze ist überzeugend bzw. allgemein akzeptiert worden.

Wenig zwingend ist auch die Verknüpfung mit dem „Nostratischen“, einer „Überfamilie“, mit der bestimmte Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Sprachfamilien (u. a. der indogermanischen, der afroasiatischen und der uralischen Sprachfamilie) erklärt werden sollen.

Grammatik

Deklination

Nach Helmut Rix (→ Literatur) kann man im Etruskischen folgende Kasus unterscheiden (V steht im Folgenden für einen Vokal):

Nominativ: Leersuffix (Grundform)
Akkusativ: beim Nomen identisch mit dem Nominativ; nur beim Pronomen durch -n(i) gekennzeichnet
Genitiv : -(V)s; -(a)l
Lokativ: -i
Ablativ : -is; -(a)ls
Pertinentiv : -(V)si; -(a)le

Der Plural wird bei den Substantiven durch die Suffixe -(V)r bzw. -χva/-cva/-va/-ua markiert. Der Pluralmarker steht vor dem Kasusmarker.

Konjugation

Es gibt im Etruskischen keine Personalendungen, auch der Numerus (Singular oder Plural) des Subjekts wird nicht gekennzeichnet.

ame heißt z.B. „ich bin, du bist, er/sie/es ist; wir sind, ihr seid, sie sind“.

Präsens: -e
Präteritum Aktiv: -ce
Präteritum Passiv: -χe
Imperativ: = Verbalstamm
Subjunktiv: -a
Nezessitativ: -ri

Verbalnomina werden gebildet durch: -u (Resultat), (Gleichzeitigkeit), -as (Vorzeitigkeit), -e (Infinitiv).

Wortschatz

Etwa 200 etruskische Wörter sind mehr oder weniger gedeutet, die Bedeutung der restlichen etwa 300–400 Wörter ist noch unklar. Die Deutungen der einzelnen Forscher gehen z. T. immer noch weit auseinander und sollten kritisch betrachtet werden. Einige etruskische Wörter mit gesicherter Bedeutung:

Vater apa
Mutter ati
Sohn clan
Tochter seχ
Bruder ruva
Großvater papa
Großmutter teta
Gattin puia
Enkel/Neffe neftś
Sonne usil
Mond, Monat tiur
Stern pulum
Jahr avil
u. a.

Ein Teil des etruskischen Wortschatzes besteht aus „etruskisierten“ Wörtern anderer Sprachen, wie z. B. den italischen Sprachen, dem Griechischen, Persischen, Punischen u. a.

Etruskische Vornamen

Die Etrusker verwendeten neben eigenen Vornamen auch solche aus italischen, griechischen und anderen indoeuropäischen Sprachen.

Einige Beispiele für rein etruskische Vornamen:

Männlich: Avile/Avele/Aule, Arnθ, Larθ, Lar(e)ce, Laris, Vel, Śeθre, Tarχi
Weiblich: Larθi(a), Veli(a), Śeθr(i)a, Fasti(a)/Hasti(a), Tarχa, Θana, Θanχvil, Ramθa

Einige Zahlwörter

(nach Pfiffig 1969)

01 – θu(n)
02 – zal, esal
03 – ci
04 – śa
05 – maχ
06 – huθ
07 – semφ
08 – cezp
09 – nurφ
10 – śar
20 – zaθrum

Literatur

Deutsch

  • Ambros Josef Pfiffig: Die etruskische Sprache. Versuch einer Gesamtdarstellung. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1969.
  • Ambros Josef Pfiffig: Die etruskische Sprache. Schrift, Alphabet, Formenlehre, Syntax, Übungen. VMA, Wiesbaden 1998. ISBN 3-928127-55-1
  • Helmut Rix: Etruskische Texte, 2 Bände. Narr, Tübingen 1991. ISBN 3-8233-4476-5
  • Helmut Rix: Rätisch und Etruskisch. Institut für Sprachwissenschaft der Universität. Innsbruck 1998. ISBN 3-85124-670-5
  • Helmut Rix: Die Etrusker - Schrift und Sprache. In: Mauro Cristofani: Die Etrusker. Belser Verlag, Stuttgart, Sonderausgabe 2006. ISBN 3-7630-2270-8
  • Dieter H. Steinbauer: Neues Handbuch des Etruskischen. Scripta Mercaturae, St. Katharinen 1999. ISBN 3-89590-080-x

Englisch

  • Giuliano Bonfante, Larissa Bonfante: The Etruscan Language. An introduction. New York University Press, New York 1983, 2002. ISBN 0-7190-5539-3
  • Helmut Rix: Etruscan. In: Roger D. Woodard (Hrsg.): The Cambridge encyclopedia of the World’s ancient languages. Cambridge University Press, Cambridge 2004, S. 943–966. ISBN 0-521-56256-2.
  • Rex E. Wallace: Zikh Rasna: a manual of the Etruscan language and inscriptions. Beech Stave Press, Ann Arbor 2008.

Italienisch

  • Enrico Benelli: Iscrizioni etrusche – leggerle e capirle. SACI, Ancona 2007. ISBN 978-88-902694-0-0.
  • Piero Bernardini Marzolla: L’etrusco, una lingua ritrovata. Mondadori, Mailand 1984.
  • Giuliano Bonfante, Larissa Bonfante: Lingua e cultura degli Etruschi. Editori Riuniti, Rom 1985. ISBN 88-359-2819-2.
  • Mauro Cristofani: Gli Etruschi, una nuova immagine. Giunti, Florenz 1984 und 2000. ISBN 88-09-01792-7.
  • Carlo De Simone: I Tirreni a Lemnos – evidenza linguistica e tradizioni storiche. Olschki, Florenz 1996. ISBN 88-222-4432-X.
  • Angelo Di Mario: La ricerca dei Tirreni attraverso la lingua. Cannarsa, Vasto 2002.
  • Giulio M. Facchetti: L'enigma svelato della lingua etrusca. Newton & Compton editori, Rom 2000, 20012.. ISBN 88-8289-458-4.
  • Vladimir L. Georgiev: La lingua e l’origine degli Etruschi. Editrice Nagard, Rom 1979.
  • Massimo Pittau: La lingua etrusca, grammatica e lessico. Insula, Nuoro 1997. ISBN 88-86111-07-X.
  • Romolo A. Staccioli: Il «mistero» della lingua etrusca. Newton & Compton, Rom 1977, 19782; Melita, Rom 1981. (Mit einem Glossar sicher gedeuteter etruskischer Wörter).
  • Koen Wylin: Il verbo Etrusco. Ricerca morfosintattica delle forme usate in funzione verbale. “L’Erma” di Bretschneider, Roma, 200. ISBN 88-8265-084-7.

Französisch

  • Maurice Guignard: Comment j’ai déchiffré la langue étrusque. Impr. Avisseau, Burg Puttlingen 1962, Bonneval 1965.
  • Massimo Pallottino: La langue étrusque. Problèmes et perspectives. Société d'Edition Les Belles Lettres, Paris 1978.
  • Damien Erwan Perrotin: Paroles étrusques. Liens entre l’étrusque et l’indo-européen ancien. L’Harmattan, Paris 1999. ISBN 2-7384-7746-1

Niederländisch

  • Robert Stephen Paul Beekes, Lammert Bouke van der Meer: De etrusken spreken. Coutinho, Muiderberg 1991. ISBN 90-6283-797-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Dieter H. Steinbauer, 1999, S. 357 ff.

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